Bundessozialgericht, Urteil vom 01.06.2010, Az. B 4 AS 63/09 R

4. Senat | REWIS RS 2010, 6237

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Gegenstand

(Grundsicherung für Arbeitsuchende - Eingliederungsleistungen - Kraftfahrzeugreparaturkosten eines selbständig Erwerbstätigen - sonstige weitere Leistung nach § 16 Abs 2 S 1 SGB 2 - Erforderlichkeit - Prognoseentscheidung - kein Darlehen wegen unabweisbarem Bedarf - Begrenzung des Streitgegenstandes)


Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Reparaturkosten für den Pkw des [X.], Mietwagenkosten sowie damit zusammenhängende Aufwendungen zu übernehmen.

2

Der Kläger und seine Ehefrau stehen seit Januar 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Der Kläger hat seit Juli 2004 ein Gewerbe als Selbständiger angemeldet (Gegenstand zuletzt: Immobilien, Finanzierungen, Fonds sowie Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen) und ist nach seinen Angaben für die [X.], H tätig.

3

Im Dezember 2007 beantragte der Kläger die Übernahme von Reparaturkosten für seinen Pkw [X.], da er im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit angebahnte Geschäfte abschließen wolle. Die Reparatur wurde am 22.12.2007 durchgeführt. Mit Bescheid vom 12.2.2008 lehnte die Beklagte die Übernahme der Reparaturkosten des Pkw in Höhe von 1221,37 Euro, der Mietwagenkosten in Höhe von 322,40 Euro und der durch den Zahlungsverzug entstandenen Aufwendungen in Höhe von 245,62 Euro ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.2.2008 zurückgewiesen.

4

Das [X.] hat die Klage, mit der der Kläger die Übernahme der fraglichen Kosten als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen begehrt, mit Gerichtsbescheid vom 24.10.2008 abgewiesen. Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom 28.1.2009) und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten nach § 16 Abs 1 [X.]B II iVm den Vorschriften des [X.]B III. Nach den §§ 53 bis 55 [X.]B III könnten Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden. Vorliegend fehle es an der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, da der Kläger selbständig tätig sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Kosten der Autoreparatur und der Mietwagenkosten nach § 23 Abs 1 Satz 1 [X.]B II, denn Kraftfahrzeugkosten einschließlich der Reparatur seien nicht von der Regelleistung umfasst.

5

Der Kläger hat die vom B[X.] zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung des § 16 Abs 2 Satz 1 [X.]B II und des § 23 Abs 1 Satz 1 [X.]B II. Er trägt vor, dass sich nach der Entscheidung des B[X.] (Urteil vom 23.11.2006 - B 11b [X.] - [X.] 4-4200 § 16 [X.]) ein Anspruch auf Leistungen zur Fortsetzung der selbständigen Erwerbstätigkeit aus der Generalklausel des § 16 Abs 2 Satz 1 [X.]B II ergeben könne. Die Prüfung dieser Vorschriften habe das L[X.] mit Rücksicht auf seine Rechtsauffassung, es könne nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 16 Abs 1 [X.]B II iVm §§ 53, 54 [X.]B III gefördert werden, unterlassen. Von entscheidender Bedeutung sei vielmehr, ob die vom Kläger begehrte Eingliederungsleistung zur Fortsetzung seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erforderlich gewesen sei. Es sei auch zu beachten, dass grundsätzlich die Erbringung von Eingliederungsleistungen im Ermessen der Verwaltung stehe, dies jedoch ggf auf Null reduziert sei. Es treffe ferner nicht zu, dass die Kosten für die Reparatur eines sowohl privat als auch beruflich genutzten Kraftfahrzeugs von der Vorschrift des § 23 Abs 1 [X.]B II ausgeschlossen seien, weil diese Kosten nicht Bestandteil des Bedarfs iS des § 20 [X.]B II seien. Ein genereller Ausschluss dieser Leistungen unter Hinweis auf die Begründung zur Regelsatzverordnung sei nicht gerechtfertigt. Es sei deshalb zu überprüfen, ob es sich bei den geltend gemachten Kosten um einen unabwendbaren Bedarf handele.

6

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des [X.] vom 24.10.2008 und das Urteil des [X.] vom 28.1.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 12.2.2008 in Form des Widerspruchsbescheides vom 27.2.2008, an den Kläger 1789,39 Euro zu zahlen,

7

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist zulässig und iS der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) an das [X.] begründet.

9

Es kommen hinsichtlich des klägerischen Begehrens Leistungen nach § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] in der bis zum 31.12.2008 (aF) geltenden Fassung in Betracht. Feststellungen zu den Voraussetzungen dieser Regelung hat das [X.] nicht getroffen, sodass dem Senat eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist. Zu Recht hat das [X.] jedoch einen Anspruch auf darlehensweise Übernahme der Reparaturkosten für den Pkw nach Maßgabe des § 23 [X.] verneint.

1. Gegenstand des Rechtsstreits sind ausschließlich Ansprüche des [X.] auf Übernahme von Aufwendungen, die dem Kläger durch die Reparatur seines Pkw und durch die Anmietung eines Mietwagens entstanden sind. Nur hierüber ist im angefochtenen Bescheid vom 12.2.2008 entschieden worden. Die Begrenzung des Streitgegenstands ist zulässig, da es sich bei dem Anspruch auf Eingliederungsleistungen um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt ([X.]-4200 § 16 [X.], Rd[X.]1; [X.] 102, 73 = [X.]-4200 § 16 [X.], jeweils RdNr 9).

2. Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass sich ein Anspruch auf vollständige oder teilweise Kostenübernahme nicht aus § 16 Abs 1 [X.] iVm dem Katalog der [X.] ergibt, weil sich hieraus im Bereich der Grundsicherung keine Leistungen zur Sicherung einer selbständigen Tätigkeit herleiten lassen. Anhaltspunkte dafür, dass Ansprüche auf Übernahme von [X.] als Teilhabeleistung für behinderte Menschen geltend gemacht werden könnten, liegen nicht vor. Für das Begehren des [X.] kommt als Anspruchsgrundlage jedoch die Generalklausel des § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung in Betracht. Nach dieser Vorschrift können über die in § 16 Abs 1 [X.] genannten Leistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen erforderlich sind. § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] aF enthielt eine Generalklausel für ergänzende Eingliederungsleistungen aller Art, für die die nicht abschließend in Satz 2 der Vorschrift aufgeführten Einzelleistungen die Rolle von Hauptbeispielen erfüllen.

In der Revisionsbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des [X.] 11b [X.] - (= [X.]-4200 § 16 [X.]) als "weitere Leistungen" iS des § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] auch Leistungen zur Fortsetzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Betracht kommen, wenn sie zur Eingliederung erforderlich sind und die Leistungsempfänger zum Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gehören.

Das [X.] hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - schon keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger zum fraglichen Zeitpunkt zum Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen iS des § 7 [X.] gehörte. Es hat im Übrigen keine Feststellungen dazu getroffen, ob die spezifischen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs 2 Satz 1 [X.] erfüllt sind. Hierzu gehört vornehmlich die Prüfung der Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben. Hierbei wird das [X.] die Zielvorgaben der §§ 1, 3 [X.] zu beachten haben. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 [X.] können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind. Erforderlichkeit in diesem Sinne kann nur bejaht werden, wenn ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt werden kann. Hierzu ist eine Prognose anhand einer Plausibilitätsprüfung und einer Prüfung des schlüssigen Konzepts der selbständigen Tätigkeit zu vollziehen ([X.]-4200 § 16 [X.], Rd[X.]7). Eine derartige Prüfung setzt jedenfalls voraus, dass der Kläger im Rahmen der ihn nach § 103 Satz 1 Halbs 2 SGG treffenden Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhalts durch das [X.] Nachweise über die von ihm ausgeübte selbständige Tätigkeit erbringt.

Nur wenn die beabsichtigte Tätigkeit eine konkrete und realistische Möglichkeit auf wirtschaftlichen Erfolg von einiger Dauer bot und die Instandsetzung des Pkw ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels darstellt, ist der Weg zu einer Ermessensentscheidung darüber eröffnet, ob und in welchem Umfang eine Kostenübernahme erfolgen kann. Hinweise auf eine Ermessensschrumpfung ergeben sich nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht. Schließlich ist hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Zinsanspruchs auf die für das sozialgerichtliche Verfahren abschließende Regelung des § 44 [X.] zu verweisen.

3. Der Kläger kann die begehrten Aufwendungen für die Reparatur des Pkw und die Anmietung eines Wagens jedenfalls nicht in Gestalt eines Darlehens gemäß § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] beanspruchen. Soweit danach im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr 4 [X.] noch auf andere Weise gedeckt werden kann, erbringt die [X.] bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sach- oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfesuchenden ein entsprechendes Darlehen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der geltend gemachte Bedarf ist bereits nicht von der Regelleistung umfasst. Die Regelleistung umfasst nach § 20 Abs 1 Satz 1 [X.] insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie und Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.

Zur Klärung der Frage, ob ein bestimmter Bedarf grundsätzlich von der Regelleistung umfasst wird, kann auf die Festlegungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ([X.]) zurückgegriffen werden, soweit deren Abteilungen in den [X.] der Sozialhilfe Eingang gefunden haben (vgl [X.] vom 28.10.2009 - [X.] AS 44/08 R - Rd[X.]6, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Aus der Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für ein Kraftfahrzeug innerhalb der Abteilung 07 der [X.] (vgl zur Problematik [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 20 RdNr 51) folgt, dass die Aufwendungen für den Erwerb und die Haltung eines Kraftfahrzeugs nicht zu den von der Regelleistung umfassten Bedarfen rechnen. Die wertende Entscheidung, Kosten für ein Kraftfahrzeug nicht als existenznotwendig anzusehen und damit nicht in die Regelleistung einzubeziehen, ist vom [X.] nicht beanstandet worden ([X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua -, NJW 2010, 505, Rd[X.]79).

Aus dem Umstand, dass nach § 12 Abs 3 Satz 1 [X.] [X.] ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist, folgt kein anderes Ergebnis. Aus der gesetzgeberischen Wertung, dass ein Vermögensgegenstand nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden muss, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die damit zusammenhängenden Aufwendungen auf der [X.] berücksichtigt werden müssten (vgl zu den Kosten einer [X.] [X.]-4200 § 11 [X.]).

Selbst wenn man allerdings mit dem Kläger annehmen wollte, die Aufwendungen für die Reparatur des Kraftfahrzeugs seien von der Regelleistung umfasst, weil sie letztlich aus der Regelleistung bestritten werden müssen, besteht ein Anspruch auf eine darlehensweise Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] nicht, weil es sich jedenfalls nicht um einen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, sondern die allgemeine Mobilität des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch anderweitig sichergestellt werden kann.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 63/09 R

01.06.2010

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Karlsruhe, 24. Oktober 2008, Az: S 15 AS 942/08, Gerichtsbescheid

§ 16 Abs 1 SGB 2 vom 19.12.2007, § 16 Abs 2 S 1 SGB 2 vom 19.12.2007, § 3 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 08.04.2008, § 23 Abs 1 S 1 SGB 2, § 20 Abs 1 SGB 2, § 12 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2, § 95 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 01.06.2010, Az. B 4 AS 63/09 R (REWIS RS 2010, 6237)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6237

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