4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 11757
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die sofortige Beschwerde wird ebenfalls als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel einschließlich der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse (§ 473 Abs. 1 StPO).
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift Folgendes ausgeführt:
„I.
Die Staatsanwaltschaft Münster hat gegen den Angeklagten am 08.03.2018 öffentliche Klage vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Steinfurt wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen erhoben (Bl. 6-7 R d. A.).
Das Amtsgericht - Strafrichter - Steinfurt hat die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Zustellung der Anklageschrift (Bl. 10 11, 11 R d.A.) nicht ausdrücklich beschlossen, indes auf den „Widerspruch“ des Angeklagten vom 01.04.2018 (Bl. 12 d.A.) mit Beschluss vom 03.05.2018 (Bl. 14 d. A.) das persönliche Erscheinen des Angeklagten gemäß § 236 StPO angeordnet. Mit weiterer Verfügung vom selben Tag hat das Amtsgericht einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und den Angeklagten diesbezüglich geladen (Bl. 14, 15 d. A.).
Der Angeklagte ist nachfolgend mit Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 21.06.2018 wegen Erschleichens von Leistungen in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt worden (Bl. 22-25 d. A.).
Nach Verkündung des Urteils hat der Angeklagte noch im Hauptverhandlungstermin Rechtsmittelverzicht erklärt (Bl. 18 d. A.).
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Münster mit bei dem Amtsgericht Steinfurt am 25.06.2018 eingegangenem Telefax-Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 20 d. A.) unbestimmtes Rechtsmittel sowie sofortige Beschwerde gemäß § 464 Abs. 3 StPO gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung eingelegt.
Nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls am 21.06.2018(Bl. 18 d. A.) ist das Urteil auf Anordnung des Vorsitzenden vom 30.06.2018 (Bl. 25, 26 d. A.) der Staatsanwaltschaft Münster am 05.07.2018 zugestellt worden (Bl. 22, 27 d. A.). Mit bei dem Amtsgericht Steinfurt am 01.08.2018 eingegangenem (Bl. 31 d. A.) Schreiben der Staatsanwaltschaft Münster vom 16.07.2018 (Bl. 28 d. A.) hat diese das zuvor eingelegte Rechtsmittel als Revision bezeichnet, jene mit der konkludent erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts begründet und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 21.06.2018 wegen des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen.
Dem Angeklagten ist neben einer Mitteilung hinsichtlich der Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft auch deren Revisionsbegründung am 03.08.2018 zugestellt worden (Bl. 33, 33 R d. A.).
II.
a)
Die rechtzeitig eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete Revision der Staatsanwaltschaft Münster ist zulässig. Der Revision, der nicht beigetreten wird, ist jedoch aus den nachstehenden Gründen der Erfolg zu versagen.
Das Verfahrenshindernis eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses liegt nach hiesiger Rechtsansicht nicht vor.
Durch Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung wird das Hauptverfahren auf Grund vorläufiger Tatbewertung unter den Voraussetzungen des § 203 StPO eröffnet.
Zwar enthält die Strafprozessordnung keine speziellen Formvorschriften für den Eröffnungsbeschluss. Es bedarf jedoch insbesondere mit Blick auf dessen Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung. Erforderlich ist aus Gründen der Rechtsklarheit, dass die Urkunde aus sich heraus oder in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass der Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat (zu vgl. BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -, zitiert nach juris). Ist dies unterblieben, so besteht ein Verfahrenshindernis, das durch nachträgliche Erklärung des Richters, die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen zu haben, nicht beseitigt wird (zu vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2012‚ - 2 StR 46/12 -; BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -, zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, § 207 Rdnr. 8). Es genügt jedoch eine eindeutige und schlüssige schriftliche Erklärung des Gerichts, aus der sich - ggf. in Verbindung mit sonstigen Urkunden - hinreichend deutlich ergibt, dass es eine bestimmt bezeichnete Anklage zur Hauptverhandlung zulässt (zu vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2012 - 2 StR 46/12 -; BGH, Beschluss vom 16.06.2015 - 2 StR 29/15 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.) bzw. die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat und einen bestimmten Anklagevorwurf zur Hauptverhandlung zulässt (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2016 – III-1 RVs 55/16 -, zitiert nach juris).
Eine Termins- und Ladungsverfügung genügt zur Annahme einer schlüssigen Zulassung der Anklage in der Regel nicht (zu vgl. BGH, Beschluss vom 11.01.2011 - 3 StR 484/10 -, zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.).
Das Amtsgericht Steinfurt hat einen ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss zweifellos nicht abgesetzt.
Soweit den Urteilsgründen zu entnehmen ist, dass der erkennende Richter den sich nach Aktenlage ergebenden Sachverhalt aus Anlass einer am 04.04.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenen Eingabe des Angeklagten - vor Durchführung der Hauptverhandlung am 21.06.2018 - im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO gewürdigt habe, beseitigt auch diese nachträgliche Erklärung für sich genommen das Verfahrenshindernis in Gestalt eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses nicht.
Soweit das Amtsgericht Steinfurt vorliegend jedoch mit (von dem erkennenden Richter unterzeichnetem) Beschluss vom 03.05.2018 das persönliche Erscheinen des Angeklagten gemäß § 236 StPO angeordnet hat, kommt hierin eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens zum Ausdruck.
Die Entscheidung darüber, ob das persönliche Erscheinen eines Angeklagten angeordnet wird, setzt voraus, dass dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes erwarten lässt. Ist dies zu bejahen, steht die Entscheidung hinsichtlich der Anordnung im Ermessen des Gerichts, wobei eine pflichtgemäße Ermessensausübung eine sachgerechte und umfassende Würdigung aller für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte verlangt. Die berechtigten Interessen des Angeklagten und das Interesse an möglichst vollständiger Sachaufklärung sind gegeneinander abzuwägen (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 236 Rdnr. 4).
Es liegt daher auf der Hand, dass das Amtsgericht bei Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten als Reaktion auf dessen „Widerspruch“ sein Ermessen dahingehend ausgeübt hat, ob das Erscheinen zur Aufklärung des Sachverhalts geboten ist und dem Angeklagten dieses unter Berücksichtigung seiner Belange und der Bedeutung der Strafsache auch zugemutet werden kann.
Hierfür musste das Amtsgericht sich denknotwendig aber auch mit der Frage des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten befassen.
Von einer inhaltlichen Auseinandersetzung des Amtsgerichts mit der Frage des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachtes ist dabei auch unter Berücksichtigung des Umstands auszugehen, dass die Regelung des § 236 StPO auch die Befugnis einräumt, das Erscheinen eines Angeklagten mit den Mitteln des Vorführungsbefehls oder Haftbefehls (i.S.d. § 230 StPO) zu erzwingen. Obschon der Vorführungsbefehl allein der Sicherstellung des Erscheinens des Angeklagten in der Hauptverhandlung und der Haftbefehl der Sicherstellung der Durchführung der Hauptverhandlung dient (zu vgl. Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 230 Rdnr. 8, § 236 Rdnr. 6), setzen beide Zwangsmittel (implizit) auch einen hinreichenden Tatverdacht voraus.
Der betreffende Beschluss vom 03.05.2018, der das hiesige Strafverfahren schließlich konkret in Bezug genommen hat, bringt damit zum Ausdruck, dass das Amtsgericht Steinfurt die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts bejaht und die Eröffnung des Hauptverfahrens letztlich auch beschlossen hat. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten ersetzt damit vorliegend ausnahmsweise den fehlenden ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss.
Danach kommt ein Verfahrenshindernis nicht in Betracht.
Die Revision der Staatsanwaltschaft Münster ist daher als unbegründet zu verwerfen.
b)
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 464 Abs. 3 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg, da das Amtsgericht Steinfurt die sich aus § 465 Abs. 1 StPO ergebende Kostentragungspflicht des Angeklagten im Fall der Verurteilung zutreffend berücksichtigt hat.“
Ergänzend zu diesen zutreffenden Ausführungen bemerkt der Senat, dass die Revision der Staatsanwaltschaft nicht deswegen unzulässig ist, weil weder die Sachrüge ausdrücklich erhoben wurde, noch die Rüge des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung den Begründungserfordernissen einer Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 StPO genügt. Die Ausführungen zum Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses sind als auf diesen Punkt beschränkt erhobene Sachrüge auszulegen, so dass der Senat auf diese beschränkte Sachrüge hin die von Amts wegen gebotene Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen vornehmen konnte (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 15.02.2018 – 4 RBs 24/18 – juris m.w.N.).
Meta
08.01.2019
Oberlandesgericht Hamm 4. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: RVs
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 08.01.2019, Az. 4 RVs 166/18 (REWIS RS 2019, 11757)
Papierfundstellen: REWIS RS 2019, 11757
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
3 StR 484/10 (Bundesgerichtshof)
Strafverfahrenshindernis: Voraussetzungen der Ersetzung bzw. der Nachholung eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses
Ss 456/02 (Oberlandesgericht Köln)
2 Rev 92/18 (Hanseatisches Oberlandesgericht)
1 RVs 240/19 (Oberlandesgericht Köln)
4 Ws 133/19 (Oberlandesgericht Hamm)