Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2011, Az. XII ZB 6/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1394

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Gegenstand

Anordnung einer Betreuung zur Wahrnehmung der Rechte eines Beamten im Disziplinarverfahren: Anzuwendendes Verfahrensrecht; Verwertung eines Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren


Leitsatz

1. Im Verfahren zur Anordnung einer Betreuung zur Wahrnehmung der Rechte eines Beamten im Disziplinarverfahren nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 BDO sind die Vorschriften das FamFG anwendbar.

2. Im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers kann die Begutachtung des Betroffenen gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 411a ZPO durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ganz oder teilweise ersetzt werden, wenn dieses Gutachten den Anforderungen des § 280 Abs. 3 FamFG genügt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 1 des [X.] vom 8. Dezember 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 3.000 €

Gründe

A.

1

[X.]er Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers für die Vertretung in einem [X.]isziplinarverfahren.

2

Gegen den Betroffenen wurde im Januar 2001 ein [X.]isziplinarverfahren eingeleitet, das bis zum Abschluss mehrerer Strafverfahren ausgesetzt war. In einem der Strafverfahren stellte der vom Strafrichter mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragte Sachverständige [X.] im November 2009 fest, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung verhandlungsunfähig ist.

3

Zur Fortsetzung des [X.]isziplinarverfahrens beantragte die Beteiligte zu 2 im Mai 2010 beim Betreuungsgericht die Bestellung eines "Prozesspflegers" und schlug hierfür den Beteiligten zu 1 vor. Nach Anhörung des Betroffenen bestellte das Betreuungsgericht auf der Grundlage des im Strafverfahren eingeholten Gutachtens den Beteiligten zu 1 zum Betreuer für das [X.]isziplinarverfahren. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Beschwerde ein, die das [X.] zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

B.

4

[X.]ie Rechtsbeschwerde ist ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.

5

Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das [X.].

I.

6

[X.]as [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Betreuungsgericht habe zu Recht dem Betroffenen gemäß §§ 19 Abs. 2 [X.], 16 Abs. 2 VwVfG, 340 Ziff. 2 FamFG i. V. m. § 23 c GVG für die [X.]urchführung des [X.]isziplinarverfahrens einen Betreuer bestellt. [X.]as Betreuungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der am 31. [X.]ezember 2001 außer [X.] getretenen Bundesdisziplinarordnung ([X.]) Anwendung fänden. [X.]ies ergebe sich aus § 85 Abs. 3 und 5 [X.], wonach ein vor dem Inkrafttreten des [X.] ([X.]) eingeleitetes [X.]isziplinarverfahren nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts fortgeführt werde. Eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren sei nicht erforderlich gewesen, weil der Betroffene eingestehe, nicht verhandlungsfähig zu sein. Zudem seien die Vorschriften über die Betreuung und somit auch § 278 FamFG nicht entsprechend anwendbar, da § 19 Abs. 2 Satz 2 [X.] lediglich auf § 16 Abs. 2 VwVfG verweise.

II.

7

[X.]iese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

1. Grundsätzlich ist gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor der Bestellung eines Betreuers zwingend in einer förmlichen Beweisaufnahme nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG) ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 1; [X.]/Weinreich/Rausch FamFG 2. Aufl. § 280 Rn. 10; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] Betreuungsrecht 5. Aufl. § 280 FamFG, Rn. 11). Unterlässt das Erstgericht diese zwingend gebotene Verfahrenshandlung, ist sie vom Beschwerdegericht nachzuholen ([X.]sbeschluss vom 19. Januar 2011 - [X.] 256/10 - FamRZ 2011, 637 Rn. 10; [X.]/Sternal FamFG 17. Aufl. § 68 Rn. 57). [X.]enn im Beschwerdeverfahren findet nicht nur eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung statt. [X.]as Beschwerdegericht tritt vielmehr in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache neu ([X.] in Bork/[X.]/[X.] FamFG § 68 Rn. 12).

2. § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG findet im vorliegenden Fall Anwendung.

9

Soweit das Beschwerdegericht die Betreuerbestellung auf § 19 Abs. 2 [X.] gestützt und die Auffassung vertreten hat, dass die Vorschriften über die Betreuung nicht anwendbar seien, weil § 19 Abs. 2 Satz 2 [X.] lediglich auf § 16 Abs. 2 VwVfG verweise, ist dies ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) [X.]as Beschwerdegericht hat bereits keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob für das gegen den Betroffenen gerichtete [X.]isziplinarverfahren die Bestimmungen der Bundesdisziplinarordnung, die zum 1. Januar 2002 durch das Bundesdisziplinargesetz vom 9. Juli 2001 ([X.], 1510) ersetzt wurden, überhaupt anwendbar sind. Nach der Übergangsregelung in § 85 Abs. 1 [X.] werden [X.]isziplinarverfahren, die unter der Geltung der Bundesdisziplinarordnung eingeleitet wurden, grundsätzlich nach den Bestimmungen des [X.] fortgeführt. Nur [X.]isziplinarverfahren, die vor dem Inkrafttreten des [X.] förmlich nach § 33 Satz 2 [X.] eingeleitet worden sind, werden gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 [X.] nach bisherigem Recht fortgeführt.

[X.]as Beschwerdegericht führt in der angegriffenen Entscheidung nur aus, dass gegen den Betroffenen ein [X.]isziplinarverfahren geführt wird. Ob dieses bereits förmlich durch eine schriftliche Verfügung nach § 33 Satz 2 [X.] eingeleitet worden war, hat das Beschwerdegericht indes nicht festgestellt.

b) Für die Entscheidung im vorliegenden Fall kann es jedoch offen bleiben, ob das [X.]isziplinarverfahren nach den Bestimmungen der Bundesdisziplinarordnung oder des [X.] zu führen ist. [X.]enn in beiden Alternativen finden für die Betreuerbestellung die Verfahrensvorschriften des FamFG Anwendung.

aa) Zwar enthält das Bundesdisziplinargesetz keine dem § 19 [X.] vergleichbare Vorschrift. [X.]er in § 19 Abs. 1 [X.] enthaltene Grundsatz, dass die Verhandlungsunfähigkeit eines Beamten der Einleitung oder Fortsetzung des [X.]isziplinarverfahrens nicht entgegensteht, gilt jedoch auch ohne ausdrückliche Regelung im Bundesdisziplinargesetz unausgesprochen fort, weil dieser sog. [X.]urchführungsgrundsatz weiterhin zu den das [X.]isziplinarverfahren tragenden Grundsätzen gehört (BVerwGE 135, 24 = NVwZ 2010, 345 Rn. 15).

[X.]ie ehemals in § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] vorgesehene Möglichkeit, auf Antrag der Einleitungsbehörde dem Beamten im Falle seiner Verhandlungsunfähigkeit einen Betreuer zu bestellen, um das [X.]isziplinarverfahren fortführen zu können, ergibt sich nunmehr aus § 3 [X.] i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG (Urban/Wittkowski [X.] § 17 Rn. 3 mwN). [X.]anach hat das Betreuungsgericht auf Ersuchen der Behörde für einen Beteiligten, der infolge einer psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, in dem Verwaltungsverfahren selbst tätig zu werden, einen geeigneten Vertreter zu bestellen. § 16 Abs. 4 VwVfG verweist für diese Art der Betreuerbestellung ausdrücklich auf die Vorschriften über die Betreuung und damit auf die §§ 271 ff. FamFG (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz 7. Aufl. § 16 Rn. 32; [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 340 Rn. 6).

bb) Wäre im hier zu entscheidenden Fall noch die Bundesdisziplinarordnung maßgeblich, fänden auf das Verfahren zur Betreuerbestellung nach § 19 Abs. 2 [X.] die Vorschriften des FamFG ebenfalls Anwendung.

(1) § 19 Abs. 2 [X.] verhält sich zu der Frage, welches Verfahrensrecht für die Betreuerbestellung maßgeblich ist, nicht. Lediglich § 19 Abs. 2 Satz 3 [X.] enthält mit dem Verweis auf § 16 Abs. 2 VwVfG eine verfahrensrechtliche Regelung, die sich allerdings auf die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit beschränkt. Entgegen der Auffassung des [X.] kann hieraus jedoch nicht geschlossen werden, dass die Verfahrensvorschriften des FamFG keine Anwendung finden.

Zwar hat die Bestellung eines Betreuers im [X.]isziplinarverfahren ihre Grundlage im öffentlichen Recht, so dass fraglich sein könnte, ob die §§ 1896 ff. [X.] daneben Anwendung finden oder ob § 19 Abs. 2 [X.] insoweit als abschließende und spezielle Regelung anzusehen ist, die einen Rückgriff auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Betreuung verbietet (vgl. hierzu BVerwG Beschluss vom 25. Januar 2001 - 1 [X.] 31/99 - Rn. 6 mwN zitiert nach Juris). Als gesetzlich geregelter Sonderfall einer Betreuungsbedürftigkeit für einen eng begrenzten Aufgabenkreis, nämlich der [X.]urchführung eines [X.]isziplinarverfahrens, hat § 19 Abs. 2 [X.] jedoch nur zur Folge, dass die Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts darauf beschränkt ist, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, also der Beamte verhandlungsunfähig und der von der Behörde vorgeschlagene Betreuer geeignet ist ([X.]/Ratz [X.] 2. Aufl. § 19 Rn. 7; [X.]/[X.] 8. Aufl. § 19 Rn. 5 a). [X.]ie Frage der Verhandlungsunfähigkeit hat das Betreuungsgericht auch in diesem Fall eigenständig zu prüfen. [X.]ie Betreuerbestellung nach § 19 Abs. 2 [X.] unterscheidet sich daher von einem sonstigen Verfahren zur Bestellung eines Betreuers nur durch die spezielle materiellrechtliche Grundlage für die Entscheidung und der damit einhergehenden eingeschränkten Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts. Eine Abweichung im anzuwendenden Verfahrensrecht ergibt sich daraus nicht.

(2) Bereits vor dem Inkrafttreten des FamFG war über den Antrag einer Behörde, für einen verhandlungsunfähigen Beamten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] einen Betreuer zu bestellen, durch das Vormundschaftsgericht im Verfahren nach den §§ 65 ff. [X.] zu entscheiden ([X.]/Ratz [X.] 2. Aufl. § 19 Rn. 6). Nachdem diese Vorschriften durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ([X.]-RG vom 17. [X.]ezember 2008, [X.]) mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehoben und durch die §§ 271 ff. FamFG ersetzt wurden (vgl. Art. 112 Abs. 1 [X.]-RG), ist nunmehr auf diese Verfahrensvorschriften zurückzugreifen.

(3) Wie die durch Art. 5 Nr. 19 des [X.] und Pflegschaft für Volljährige - Betreuungsgesetz ([X.]) - vom 12. September 1990 ([X.]) mit Wirkung zum 1. Januar 1992 eingeführten Vorschriften über die Anhörung des Betroffenen (§ 68 [X.]), dem Äußerungsrecht des Betroffenen (§ 68 a [X.]) und der Verpflichtung des Gerichts zur Einholung eines Sachverständigengutachtens oder eines ärztlichen Zeugnisses (§ 68 b [X.]), dienen auch die §§ 278 bis 282 FamFG der Sicherung der Rechtsstellung des Betroffenen im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers. Wegen des erheblichen Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen, die mit der Errichtung einer Betreuung verbunden sind, soll die Person des Betroffenen im Mittelpunkt des Verfahrens stehen und nicht als bloßes Verfahrensobjekt behandelt werden (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.] [X.] 15. Aufl. Vorb. §§ 65-69 o Rn. 1, 5; [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 278 Rn. 1 und § 280 Rn. 1). [X.]er Schutz, der dem Betroffenen in einem Verfahren zur Bestellung eines Betreuers durch die genannten Vorschriften gewährt wird, gebietet es, die Anwendung der §§ 278 bis 282 FamFG nicht davon abhängig zu machen, ob die Betreuung auf der materiellrechtlichen Grundlage der §§ 1896 ff. [X.] oder einer spezialgesetzlichen Regelung wie dem § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] erfolgen soll.

(4) [X.]araus, dass § 19 Abs. 2 Satz 3 [X.] nur auf § 16 Abs. 2 VwVfG und nicht auch auf Abs. 4 dieser Vorschrift verweist, kann nicht geschlossen werden, dass die allgemeinen Verfahrensvorschriften über die Betreuerbestellung nicht anwendbar sein sollen. [X.]ieser Verweis auf § 16 Abs. 2 VwVfG war erforderlich, um die für das [X.]isziplinarverfahren unpassenden Zuständigkeitsvorschriften der §§ 36, 65 [X.] zu modifizieren. Hinsichtlich der übrigen Verfahrensvorschriften bestand diese Notwendigkeit nicht. § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] ordnet ausdrücklich im Falle der Verhandlungsunfähigkeit des Beamten die Bestellung eines Betreuers durch das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Vormundschaftsgericht an. [X.]ies schließt die Anwendung der hierfür maßgeblichen Verfahrensvorschriften mit ein.

(5) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass § 341 FamFG ebenfalls nur für sog. betreuungsrechtliche [X.] (§ 340 FamFG) eine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit enthält. Betreuungsgerichtliche [X.] sind u. a. Verfahren, die die gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Volljährigen betreffen (§ 340 Nr. 2 FamFG). Zum Zeitpunkt der Reform des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestand kein Bedürfnis mehr, über die Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus für betreuungsgerichtliche [X.] ausdrücklich die Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des FamFG anzuordnen. Verfahren im Sinne von § 340 Nr. 2 FamFG sind u. a. die Verfahren nach § 16 Abs. 1 VwVfG, § 15 Abs. 1 SGB X, § 81 Abs. 1 AO oder § 207 Abs. 1 BauGB (vgl. dazu die Zusammenstellung bei [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 341 Rn. 3). [X.]iese Vorschriften enthalten jeweils unmittelbar eine Verweisung auf die betreuungsrechtlichen Verfahrensvorschriften (vgl. § 16 Abs. 4 VwVfG, § 15 Abs. 4 SGB X, § 81 Abs. 4 AO oder § 207 Abs. 4 BauGB), die auch die Vorschriften des FamFG erfassen (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz 7. Aufl. § 16 Rn. 32; [X.]/[X.] [Stand: 2011] § 15 Rn. 33; vgl. auch [X.] in [X.] Betreuungsrecht 4. Aufl. § 340 FamFG Rn. 5; Bučić in [X.] Betreuungsrecht 2. Aufl. § 340 FamFG Rn. 6).

3. [X.]anach waren im hier zu entscheidenden Fall die Vorschriften des FamFG anwendbar.

Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Für die [X.]urchführung einer förmlichen Beweisaufnahme verweist § 30 Abs. 1 FamFG auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung. [X.]aher finden auf die nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers vorgeschriebene Beweiserhebung die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über den Beweis durch Sachverständige entsprechend Anwendung (vgl. [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 4). [X.]as Betreuungsgericht kann daher entscheiden, ob das Gutachten gemäß §§ 402, 411 Abs. 1 ZPO in mündlicher oder in schriftlicher Form erstattet wird. Aufgrund der Verweisung steht ihm auch die Möglichkeit offen, nach § 411 a ZPO eine schriftliche Begutachtung des Betroffenen durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ganz oder teilweise zu ersetzen ([X.]/[X.] 3. Aufl. § 280 FamFG Rn. 1; [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 21). [X.]ie Auswahl der Form der Begutachtung steht grundsätzlich im Ermessen des Betreuungsgerichts ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 21). Bei der Ermessensausübung hat das Betreuungsgericht jedoch zu berücksichtigen, dass die inhaltlichen Anforderungen des § 280 Abs. 3 FamFG unabhängig von der Form der Begutachtung erfüllt sein müssen ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 21). [X.]eshalb kommt die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn sich dieses Gutachten auf die nach § 280 Abs. 3 FamFG für das konkrete Betreuungsverfahren relevanten Gesichtspunkte erstreckt.

Beabsichtigt das Betreuungsgericht von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren (Musielak/[X.] ZPO 8. Aufl. § 411 a ZPO Rn. 11; [X.]/[X.] ZPO 29. Aufl. § 411 a ZPO Rn. 4). Außerdem stehen dem Betroffenen die Rechte zu, die ihm auch bei der Einholung eines neuen Gutachtens im Verfahren zur Betreuerbestellung zustehen würden. Ihm muss daher die Möglichkeit gewährt werden, den Gutachter gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 406 ZPO abzulehnen oder die mündliche Anhörung des Sachverständigen gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 411 Abs. 4 ZPO zu beantragen.

4. Auf dieser rechtlichen Grundlage kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben.

Zwar kommt im hier zu entscheidenden Fall eine Verwertung des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens gemäß § 411 a ZPO in Betracht, weil sich dieses Gutachten zur Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen verhält und nur die Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit für die Bestellung eines Betreuers nach § 19 [X.] Voraussetzung ist. [X.]as Gutachten hätte jedoch durch das Betreuungsgericht anhand der Vorschriften über die Beweisaufnahme durch Sachverständige (§ 30 Abs. 1 FamFG i. V. m. §§ 402 ff. ZPO) förmlich in das Betreuungsverfahren eingeführt werden müssen. [X.]ies war nicht der Fall. [X.]as Betreuungsgericht hat dem Betroffenen weder die Absicht mitgeteilt, das im Strafverfahren eingeholte Gutachten zu verwerten noch hat es den Betroffenen hierzu angehört.

[X.]a das Beschwerdegericht das strafrechtliche Sachverständigengutachten ebenfalls nicht förmlich in das Verfahren eingeführt hat, wurden die erstinstanzlichen Verfahrensfehler auch nicht geheilt.

[X.]ie angegriffene Entscheidung war somit aufzuheben. [X.]er [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen zu treffen sind. [X.]as Verfahren war daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

[X.]                                               Weber-Monecke                                                       [X.]ose

                          [X.]

Meta

XII ZB 6/11

16.11.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hamburg, 8. Dezember 2010, Az: 301 T 502/10, Beschluss

§ 19 Abs 2 Nr 1 BDO, § 30 Abs 1 FamFG, § 280 Abs 1 Nr 1 FamFG, § 280 Abs 3 ZPO, § 411a ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2011, Az. XII ZB 6/11 (REWIS RS 2011, 1394)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1394

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