3. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 13826
Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Der Senat weist nach Vorberatung darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Senatsbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen hat gem. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 PO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Auch erscheint eine mündliche Verhandlung nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Insbesondere hat die weitere Rechtsverfolgung für die Klägerin, auch wenn es sich um eine Arzthaftungssache handelt, keine existentielle Bedeutung.
Das angefochtene Urteil erweist sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens als richtig. Die Klageabweisung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung (§513 Abs. 1 ZPO). Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung bedarf es zu den Punkten, die Gegenstand der Berufung sind, nicht. Die mit der Berufung erhobenen Beanstandungen zeigen keine Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen sowie der vom Landgericht vorgenommenen Beweiswürdigung rechtfertigen. Der Sachverständige Dr. X2 hat sein Gutachten im Kammertermin erläutert.
II.
1.
Die Klägerin ist die Ehefrau und Alleinerbin des am 8.10.2012 verstorbenen D (im Folgenden: der Patient). Sie macht Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht aus einer im Zeitraum vom 19.11.bis 28.11.2010 erfolgten stationären Behandlung des Patienten im Krankenhaus der Beklagten geltend mit dem Vorwurf, ein Sturz des Patienten am 28.11.2010, bei welchem dieser sich - unstreitig - eine Femurfraktur und – was streitig ist – eine Fraktur des LWK1 zugezogen habe, sei seitens der Beklagten durch Unterlassen der gebotenen Sicherungsmaßnahmen trotz Kenntnis der beim Patienten bestehenden Sturzneigung und kognitiven Defizite pflichtwidrig verursacht worden.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gem. § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO Bezug genommen.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Anträge auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. mindestens 30.000 €, materiellen Schadensersatzes in Höhe von monatlich 4.050 € für den Zeitraum Februar 2001 bis Oktober 2012 sowie vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 5.188,40 € vollumfänglich weiter.
Sie rügt mit der Berufung, die Beklagte selbst sei zum Zeitpunkt der Einlieferung ausweislich der „Checkliste zur Dokumentation, welche Maßnahmen ergriffen wurden im Umgang mit schutzbedürftigen Personen“ davon ausgegangen, dass der Patient sich nicht unbeaufsichtigt aufhalten dürfe. Soweit der Sachverständige ausgeführt habe, dass sich der Zustand des Patienten bis zum Sturzereignis möglicherweise gebessert habe, habe das Landgericht dazu keine Feststellungen getroffen. Für eine solche Besserung sei die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Aber auch wenn man von einer Darlegungs- und Beweislast der Klägerin ausgehe, so habe das Landgericht jedenfalls zu Unrecht den für die behauptete ständige Sturzgefahr und die durch seine kognitiven Einschränkungen gegebene Unfähigkeit des Patienten, sich an die diesbezüglichen Anweisungen des Pflegepersonals zu halten, angebotenen Zeugenbeweis übergangen. Zudem habe das Landgericht auch nicht berücksichtigt, dass schon nach den Behandlungsunterlagen der Beklagten der Patient sturzgefährdet gewesen und sich sein geistiger Zustand während des stationären Aufenthaltes nicht gebessert habe. Die kognitiven Einschränkungen seien zudem durch die verabreichten Medikamente noch verstärkt worden.
Zudem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Sturz bei einer sog. Bewegungs- und Transportmaßnahme geschehen sei. Der Patient sei zum Zwecke der Mobilisierung in den Aufenthaltsraum verbracht worden.
Weiter seien die Ausführungen des Sachverständigen dazu, ob die ständige Anwesenheit einer Aufsichtsperson geboten gewesen sei, nicht nachvollziehbar.
Schließlich habe es mit dem Anlegen von Hüftprotektoren eine weitere Maßnahme gegeben, die eine Fraktur des Schenkelhalses hätte verhindern können.
2.
Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte weder ihre aus dem Krankenhausaufnahmevertrag resultierende dienstvertragliche Obhutspflicht noch ihre aus § 823 Abs. 1 BGB folgende - inhaltsgleiche - Pflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Patienten verletzt hat.
a) Umfang und Ausmaß der dem Krankenhaus obliegenden Pflege und Betreuung richten sich in erster Linie nach dem Gesundheitszustand des Patienten. Für die konkrete Ausprägung der Obhutspflichten ist es maßgebend, ob im Einzelfall wegen der konkreten Verfassung des Patienten - seines Gesundheitszustandes, seiner körperlichen, seelischen und geistigen Verfassung - vor dem jeweiligen Sturzereignis aus der Sicht ex ante damit gerechnet werden musste, dass sich der Patient ohne besondere Sicherung selbst schädigen würde. Dabei sind die dem Krankenhaus gegenüber dem Patienten obliegenden Pflichten zudem begrenzt auf die in derartigen Einrichtungen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Patienten und das Pflegepersonal Zumutbare. Aus dieser vielschichtigen Situation folgt in Schadensfällen eine nach Risikosphären zu differenzierende Darlegungs- und Beweislast. Befand sich der Patient zum Unfallzeitpunkt in einer konkreten, eine besondere Sicherungspflicht des Obhutspflichtigen auslösenden Bewegungs-, Transport oder sonstigen pflegerischen Maßnahmen, an der das Pflegepersonal unmittelbar beteiligt war, hat der Obhutspflichtige, hier das Krankenhaus der Beklagten, nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos darzulegen und notfalls zu beweisen, dass der Unfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Ärzte oder des Pflegepersonals beruhte(vgl. dazu Martis/Winkhart, Arzhaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. V 360 ff. mit umfangreichen Nachweisen). Hat sich der Unfall dagegen im üblichen, alltäglichen Gefahrenbereich, der grundsätzlich in der eigenverantwortlichen Risikosphäre des Geschädigten verbleibt, zugetragen, ändert sich an der allgemeinen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nichts. Der Geschädigte muss als derjenige, der einen Anspruch geltend macht, hier zunächst auf der Ebene der schadensbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) den vollen Beweis führen, dass der Träger der Pflegeeinrichtung Obhutspflichten verletzt hat (OLG Düsseldorf, GesR 2010, 689, zitiert nach juris Rn. 4).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass das ärztliche Personal oder das Pflegepersonal der Beklagten die sie treffenden Pflichten bei der Behandlung und Pflege des Patienten verletzt haben:
aa) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Klägerin im vorliegenden Falle keine Beweislastumkehr unter dem Gesichtspunkt des vollbeherrschbaren Risikos zugutekommt.
Anders, als die Berufung meint, ist es hier nicht während einer Bewegungs-, Transport- oder sonstigen pflegerischen Maßnahme, an der das Pflegepersonal der Beklagten unmittelbar beteiligt war, zum Sturz des Patienten gekommen. Zum fraglichen Zeitpunkt war der Transfer des Patienten aus seinem Zimmer in den Aufenthaltsraum bereits seit rund 10 Minuten abgeschlossen. Der Patient hatte sich, wie der Dokumentation zu entnehmen ist, zwischenzeitlich an einen Tisch im Aufenthaltsraum gesetzt, sein Frühstück eingenommen und sich mit Mitpatienten unterhalten. Damit ist die vorliegende Konstellation entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung gerade nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, welcher der Entscheidung des Kammergerichts (20 U 401/01, GesR 2005, 305, zitiert nach juris) zugrunde lag: In dem vom KG entschiedenen Fall saß die betroffene Patientin zum Zwecke der unmittelbar bevorstehenden Verlegung in die Reha-Klinik in einem faltbaren Leichtgewichtsrollstuhl, der auf dem Gang vor dem Stationszimmer stand.
Richtig ist, dass es sich bei dem Verbringen des Patienten in den Aufenthaltsraum im pflegerischen Sinne um eine "Mobilisationsmaßnahme" gehandelt hat. Hierunter sind alle Maßnahmen zu verstehen, die der körperlichen Aktivierung zur Förderung und Erhaltung der Bewegungsfähigkeit der gepflegten Person dienen (vgl. Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort "Mobilisation"). Indes ist nicht jede pflegerische Maßnahme der Mobilisation zugleich bzw. im ganzen Umfang ein Bewegungs- und Transportvorgang im oben angesprochenen Sinne. Soweit ein solcher im vorliegenden Fall zur Mobilisation erforderlich war, war er jedenfalls zum Zeitpunkt des Sturzes bereits abgeschlossen. Der Patient war bereits in den Stuhl im Aufenthaltsraum mobilisiert, was auch nicht mehr einem Weitertransport, sondern seinem dortigen Verbleib diente.
bb) Die Klägerin ist somit nach allgemeinen Grundsätzen in vollem Umfang dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass der Sturz des Patienten auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Ärzte oder des Pflegepersonals der Beklagten beruhte. Diesen Beweis kann sie nicht führen. Dies gilt auch dann, wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, dass die Zeugen Y und Y2 sowie C die Behauptungen, zu deren Beweis sie benannt sind, bestätigen.
(1) Entscheidend ist, ob es vor dem Sturzereignis konkrete Hinweise auf eine akute Sturzgefährdung gab. Hingegen ist eine lediglich latent vorhandene Sturzneigung nicht geeignet, eine allgemeine Fixierung oder beständige Überwachung eines Patienten zu rechtfertigen. Denn neben dem Schutz vor krankheitsbedingten Selbstgefährdungen schuldet das Krankenhaus zugleich auch die Förderung der Selbstständigkeit und der Mobilität des Patienten im jeweils angemessenen Maße (vgl. OLG Düsseldorf, GesR 2010, 689, zitiert nach juris Rn. 3; Thür. OLG, GesR 2012, 500, zitiert nach juris Rn. 22).
(2) Zu Recht hat das Landgericht, gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Priv. Doz. Dr. X2, dessen Sachkunde als Chefarzt einer Klinik für Geriatrie auch von Seiten der Klägerin nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, eine solche, aus ex ante-Sicht erkennbar akute Sturzgefährdung des Patienten für den Vormittag des 28.11.2010 verneint.
(a) Richtig ist freilich, dass bei dem Patienten aufgrund seiner körperlichen Verfassung ein erhöhtes Risiko bestand zu stürzen, wenn er ohne die Unterstützung durch das Pflegepersonal aufzustehen und zu gehen versuchte, wobei allerdings zugleich darauf hinzuweisen ist, dass es bis zum 28.11.2010 tatsächlich noch nicht zu einem Sturz gekommen war. Im Mobilitätstest nach Tinetti, welcher sich in den Behandlungsunterlagen der Beklagten befindet, hatte der Patient lediglich 15 Punkte erreicht, was nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf ein erhöhtes Sturzrisiko hinweist. Im Arztbericht des Chefarztes der Geriatrischen Abteilung, Dr. P, vom 30.11.2010 wird die Sturzgefahr sogar als hoch eingestuft.
(b) Dies allein begründete jedoch noch nicht die Notwendigkeit einer Fixierung des Patienten im Bett oder im Stuhl oder einer ständigen Überwachung durch das Pflegepersonal. Vielmehr war es, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, ausreichend - neben den weiteren von Beklagtenseite getroffenen Maßnahmen, wie sie sich aus der "Checkliste zur Dokumentation, welche Maßnahmen ergriffen wurden im Umgang mit schutzbedürftigen Personen" ergeben -, dass der Patient, was durch die Dokumentation belegt ist und von der Klägerin auch nicht bestritten wird, wiederholt vom Pflegepersonal angewiesen worden ist, nicht alleine aufzustehen. Dabei durfte das Personal der Beklagten davon ausgehen, dass der Patient in der Lage war, diese Anweisung zu verstehen und zu befolgen.
(aa) Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten unter Verweis auf den am 22.11.2010 durchgeführten Mini-Mental-Status-Test, bei welchem der Patient 23 von 30 möglichen Punkten erzielte, ausgeführt, dass bei dem Patienten lediglich eine leichte kognitive Einschränkung vorgelegen hat. Im Kammertermin hat er ergänzend erläutert, dass bei diesem Ausprägungsgrad noch davon ausgegangen werden durfte, dass der Patient Anweisungen umsetzen könne.
Das Ergebnis des Mini-Mental-Status-Tests steht im Übrigen in Einklang mit dem ebenfalls in den Behandlungsunterlagen befindlichen Bogen zur "Risikobewertung", in dem zum Bewusstseinszustand des Patienten sowohl für den 23.11. als auch noch für den 28.11.2010 "klar, voll orientiert" festgehalten ist, und mit den Eintragungen in der Pflegedokumentation, die ebenfalls keine Auffälligkeiten i.S. einer Verwirrtheit oder Desorientierung erkennen lassen.
(bb) Anders als die Berufung meint, lässt sich der vorerwähnten "Checkliste" nicht entnehmen, dass die Beklagte selbst weitergehende Sicherungsmaßnahmen für notwendig erachtet hätte und davon ausgegangen wäre, der Sturzgefahr könne nur durch eine ständige Beaufsichtigung des Patienten ausreichend begegnet werden. Insoweit hat bereits das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass die in der Checkliste angekreuzte Maßnahme "Patient im Sichtkontakt zum Pflegepersonal" dem Punkt "Orientierungshilfen" zugeordnet ist und nicht etwa dem Punkt "Sturzgefahr". Ebenso unzutreffend ist der Vortrag der Berufung, in der Checkliste seien alle unter dem Punkt "Sturzgefahr" angeführten Maßnahmen angekreuzt. Markiert sind die vorgedruckten Maßnahmen "für ein sicheres Umfeld sorgen", "geeignetes Schuhwerk", "Anleitung der Gehhilfen", "Gehtraining unter fachlicher Anleitung", "für die Sicherheit des Bettes sorgen" und "Aufforderung nur in Begleitung das Bett/Zimmer zu verlassen". Die Checkliste enthält indes die Möglichkeit, weitere Maßnahmen vorzusehen, von der im Falle des Patienten jedoch gerade kein Gebrauch gemacht worden ist. Insbesondere ergibt sich aus der Checkliste insoweit nicht, dass seitens der Ärzte oder des Pflegepersonals zum Zeitpunkt der Erstellung der Checkliste, also am 23.11.2010, weitergehende Sicherungsmaßnahmen i.S. einer Fixierung oder ständigen Überwachung für notwendig erachtet worden wären.
Auch aus den Ausführungen des Sachverständigen im Kammertermin lässt sich nicht herleiten, dass dieser zumindest zu Beginn des stationären Aufenthaltes Anlass für einen ständigen Sichtkontakt zum Patienten gesehen hätte. Dabei entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang, dass dem Sachverständigen die fragliche Checkliste im Kammertermin nicht vorgelegen hat. Aus dieser wäre, wie bereits dargelegt, ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Sichtkontakt zum Pflegepersonal gerade nicht als Maßnahme gegen die Sturzgefahr, sondern als Orientierungshilfe und damit in gänzlich anderem Zusammenhang vorgesehen war. Die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 4.12.2013 lassen jedenfalls erkennen, dass aus seiner Sicht ein (ständiger) Sichtkontakt zu dem in einem Einzelzimmer untergebrachten Patienten als Maßnahme der Sturzprophylayxe nicht sinnvoll war und von Seiten der Beklagten auch zu Beginn der stationären Behandlung tatsächlich nicht durchgeführt worden ist. Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen stehen daher erkennbar unter der – wie ausgeführt: unzutreffenden - Prämisse, man habe seitens der Beklagten tatsächlich ursprünglich eine ständige Beaufsichtigung für notwendig erachtet. Nur unter dieser Voraussetzung wäre es nach den Ausführungen des Sachverständigen möglicherweise fehlerhaft gewesen, den Patienten ohne ständige Beaufsichtigung in den Aufenthaltsraum zu setzen.
(cc) Dafür, dass es im Verlaufe des stationären Aufenthaltes zu einer Verschlechterung seiner kognitiven Fähigkeiten des Patienten gekommen wäre, wie die Klägerin behauptet, lässt sich den Behandlungsunterlagen nichts entnehmen. Soweit die Berufung auf den Arztbrief vom 27.12.2011 verweist, wird dort sogar explizit ausgeführt, dass sich die kognitiven Fähigkeiten des Patienten auch nach dem Sturz am 28.11.2011 gegenüber den am 22. und 23.11.2011 erhobenen Befunden nicht verändert hätten ("gleichermaßen eingeschränkt wie vorher").
(cc) Die grundsätzlich vorhandene Fähigkeit des Patienten, Anweisungen zu befolgen, wird auch nicht dadurch entscheidend in Frage gestellt, dass er bei zwei Gelegenheiten dieser Anweisung zuwider gehandelt hat. Der Dokumentation der Beklagten ist zu entnehmen, dass der Patient zunächst am 22.11.2010 um 19.00 Uhr die Toilette aufgesucht hat und ein weiteres Mal am 25.11.2010 um 18.15 Uhr, in beiden Fällen ohne zuvor das Pflegepersonal zu rufen, wobei bei dem letzteren Vorfall Nachbarn des Patienten - offenbar die von der Klägerin benannten Zeugen Y und Y2 - zugegen waren. Auf diese Vorfälle bezieht sich offensichtlich auch der von der Berufung angeführte Arztbericht vom 30.11.2010, wenn dort die Rede davon ist, dass mehrmals beobachtet worden sei, dass der Patient sich selbst mobilisiert habe.
Allein der Umstand, dass der Patient der ihm erteilten Anweisung zweimal zuwidergehandelt hat, lässt für sich gesehen jedoch noch nicht den Schluss zu, dass er aufgrund seiner kognitiven Beeinträchtigung nicht in der Lage gewesen wäre, die Notwendigkeit dieser Verhaltensanweisung zu erkennen und danach zu handeln. Derartiges lässt sich auch nicht dem vorbezeichneten Bericht vom 30.11.2010 entnehmen, in dem auf eine hohe Sturzgefahr des Patienten wegen häufiger Unkonzentriertheit verwiesen wird. Denn zugleich ist dort im unmittelbaren Zusammenhang ausgeführt, dass bei dem Patienten nur eine leichte kognitive Einschränkung bestanden habe und das grundsätzliche Verständnis für die erteilten Anweisungen gegeben gewesen sei.
Ein Handeln gegen ärztlichen oder pflegerischen Rat kann verschiedenste Gründe haben, die nicht notwendig im Zusammenhang mit einer Einschränkung der mnestischen und kognitiven Fähigkeiten stehen. Insoweit sind diese Vorfälle nicht geeignet, das Ergebnis der ärztlicherseits durchgeführten Testung in Frage zu stellen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in beiden Fällen offenbar ein bei dem Patienten gegebener Harn- oder Stuhldrang Anlass war, der Anweisung entgegen zu handeln, mithin eine Sondersituation, in der es Patienten - sei es wegen des dringend empfundenen Bedürfnisses, sei es aus Scham - erfahrungsgemäß besonders schwer fällt, das Eintreffen des Pflegepersonals abzuwarten.
Auch die von der Klägerin behaupteten, zeitlich nicht näher eingeordneten Wahrnehmungen der Zeugen Y und Y2 sind nicht geeignet, schwerere geistige Defizite des Patienten hinreichend zu belegen. Es ist unstreitig und ergibt sich aus dem Verlaufsbericht, dass der Patient am 25.11.2010 entgegen der ihm erteilten Anweisung das Bett verlassen hat, um die Toilette aufzusuchen. Allein aus dem Umstand, dass der Patient nach Darstellung der Klägerin auf die erneut geäußerte Anweisung der Pflegekraft, er dürfe nicht alleine aufstehen, mit der Äußerung reagiert hat, er könne doch aufstehen, lässt nicht den sicheren Schluss zu, dass der Patient geistig nicht in der Lage gewesen wäre, die grundsätzliche Berechtigung dieser Anweisung einzusehen und ihr Folge zu leisten. Sie kann genauso gut Ausdruck eines momentanen Unwillens und einer gewissen Eigensinnigkeit sein. Nichts anderes gilt für die Wahrnehmungen, die der Zeuge C gemacht haben soll. Was die Beurteilung des Ausmaßes der beim Patienten vorhandenen kognitiven Beeinträchtigungen angeht, so kann der laienhaften Einschätzung der Zeugen Y und Y2 und C keinesfalls eine größere Aussagekraft beigemessen werden als dem Ergebnis eines von ärztlicher Seite durchgeführten standardisierten Screening-Verfahrens zur Ermittlung kognitiver Defizite sowie den Beobachtungen des Pflegepersonals der geriatrischen Station. Dies gilt umso mehr, als seitens der Klägerin über die jeweilige Aussage des Patienten hinaus, er sei in der Lage alleine zu laufen, keine weiteren konkreten Auffälligkeiten, die auf eine schwerere Ausprägung der kognitiven Defizite hinweisen würden, in das Wissen der Zeugen gestellt werden.
(dd) Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass auch die Klägerin nicht behauptet, dass der Patient, der sich zum Zeitpunkt des Sturzereignis am Mittag des 28.11.2010 immerhin schon seit 9 Tagen auf der Station aufhielt, bei mehr als diesen beiden genannten Vorfällen tatsächlich ohne Hilfe des Pflegepersonals aufgestanden wäre. Dies weist jedoch eher daraufhin, dass der Patient sehr wohl grundsätzlich in der Lage gewesen ist, die Anweisung, nicht ohne Hilfestellung aufzustehen, auch umzusetzen. Dass dem Patienten eine kritische Einschätzung seiner Fähigkeiten möglich gewesen ist, legt auch der Umstand nahe, dass er am 22.11.2010, nachdem er zunächst alleine die Toilette aufgesucht hatte, anschließend nach dem Pflegepersonal schellte, als er merkte, dass er den Weg zurück alleine nicht schaffen würde. Auch dies spricht eher gegen die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, der Patient sei geistig verwirrt und nicht in der Lage gewesen, die Anweisungen des Pflegepersonals nachzuvollziehen.
(ee) Unabhängig davon hat die Klägerin jedenfalls nicht nachweisen können, dass nach der konkreten Verfassung des Patienten am 28.11.2010 aus ex ante-Sicht noch die akute Gefahr bestand, dass der Patient der Anweisung, nicht ohne die Hilfe des Pflegepersonals aufzustehen, zuwider handeln würde und daher eine akute Sturzgefahr bestand.
Beide Vorfälle, bei denen der Patient ohne Verständigung des Pflegepersonals alleine aufgestanden war, lagen zum Zeitpunkt des Sturzereignisses bereits mehrere Tage zurück. Dass es nach dem 25.11.2010 zu erneuten Versuchen des Patienten gekommen wäre, ohne Hilfe des Pflegepersonals alleine aufzustehen, lässt sich weder den Behandlungsunterlagen der Beklagten noch dem Vortrag der Klägerin entnehmen. Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass sich der Patient zum Zeitpunkt des Sturzes bereits in der Mitte seiner geriatrischen Frührehabilitation befand, während des Verlaufs regelmäßig in seinem Einzelzimmer zu den Mahlzeiten an den Tisch gesetzt worden war und dort auch längere Zeit unbeaufsichtigt gesessen hatte. Auch der Aufenthaltsraum, in welchen er am Mittag des 28.11.2010 mobilisiert worden war, war dem Patienten bereits bekannt, da er dort ausweislich der Pflegedokumentation bereits am 25.11.2010 gefrühstückt hatte, ohne dass es dabei zu dem Versuch gekommen wäre, den Aufenthaltsraum alleine zu verlassen.
Zudem ergeben sich aus der Pflegedokumentation für den 28.11.2010 auch keinerlei Anhaltspunkte für psychische Auffälligkeiten des Klägers an diesem Morgen. Soweit die Klägerin vermutet, dass die Medikamente Cymbalta und Lyrica zu einer Verschlechterung des Zustandes ihres Ehemannes, insbesondere zu Panikattacken oder einer verminderten Auffassungsfähigkeit geführt hätten, hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten dargelegt, dass der Patient diese Medikamente bereits ab dem 22.11. - Cymbalta - bzw. ab dem 23.11.2010 - Lyrica - erhalten hatte, ohne dass sich aus der Dokumentation Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass bei ihm bis zum Mittag des 28.11.2010 mögliche Nebenwirkungen dieser Medikamente aufgetreten wären. Auch die Klägerin selbst behauptet nicht, dass der Patient bereits vor dem Sturz unter Trugwahrnehmungen gelitten hätte. Vielmehr kommt der Sachverständige für den Morgen des 28.11.2010 unter Auswertung der Pflegedokumentation zu der Beurteilung, dass der Patient psychisch geordnet war und keinerlei Anhaltspunkte für das Auftreten von Wahnvorstellungen oder Panikattacken bestanden.
cc) Wie den Ausführungen des Sachverständigen im Kammertermin zu entnehmen ist, erfordert es der medizinische und pflegerische Standard nicht, dass im Aufenthaltsraum einer geriatrischen Station ständig eine Aufsichtsperson anwesend ist. Ebenso wenig entspricht es nach den Ausführungen des Sachverständigen dem geschuldeten Standard, einem sturzgefährdeten Patienten grundsätzlich prophylaktisch Hüftprotektoren anzulegen. Der Sachverständige hat hierzu dargelegt, dass derartige Hilfsmittel schon nicht in den Heil- und Hilfsmittelkatalog aufgenommen und nicht verordnungsfähig sind. Beklagtenseits musste auch keine Empfehlung an den Patienten und seine Angehörigen ausgesprochen werden, derartige Hüftprotektoren selbst anzuschaffen. Wie oben ausgeführt, bedurfte es solcher zusätzlichen Schutzmaßnahmen aus ex ante-Sicht nicht, da die bereits getroffenen Maßnahmen, insbesondere die Begleitung des Patienten beim Aufstehen und Gehen durch das Pflegepersonal, als ausreichend angesehen werden durften, um einen Sturz des Patienten zu verhindern. Schließlich lässt sich den Ausführungen des Sachverständigen auch lediglich entnehmen, dass es Studien gebe, wonach Hüftprotektoren helfen können, Schenkelhalsfrakturen zu verhindern. Die sichere Feststellung, dass im Falle des Patienten die eingetretenen Verletzungen durch einen solchen Hüftprotektor vermieden oder in ihrem Ausmaß zumindest vermindert worden wären, erlauben diese Ausführungen nicht. Auch hinsichtlich der Kausalität trägt die Klägerin indes die volle Beweislast.
III.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Rechtsfortbildung noch die Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung gebieten eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Meta
18.03.2015
Oberlandesgericht Hamm 3. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: U
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 18.03.2015, Az. 3 U 20/14 (REWIS RS 2015, 13826)
Papierfundstellen: REWIS RS 2015, 13826
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Keine Referenz gefunden.
Keine Referenz gefunden.