Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.12.2014, Az. 4 ARs 21/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 341

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs
21/14

vom
16. Dezember
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes
hier:
[X.] des 2.
Strafsenats vom 4.
Juni 2014

2
StR
656/13

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat am 16.
Dezember 2014 gemäß §
132 Abs.
3 Satz
1 GVG beschlossen:

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wo-nach die Einführung und Verwertung von Angaben eines früher richterlich vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhand-lung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §
52 StPO Gebrauch gemacht hat, durch Vernehmung der richterlichen [X.] auch ohne vorherige Belehrung des [X.] über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage zulässig i[X.]

Gründe:
I.
Der 2.
Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:

Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnis-verweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen [X.] ist nur dann zulässig, wenn 1
-
3
-
dieser [X.] den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweige-rungsrecht, sondern auch qualifiziert über die Möglichkeit der Ein-führung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hat."
Er hat gemäß §
132 Abs.
3 Satz
1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob sie an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.
II.
Der beabsichtigten Entscheidung des 2.
Strafsenats steht Rechtspre-chung des 4.
Strafsenats entgegen (Urteile vom 27.
April 1978

4
StR
180/78, und vom 30.
August 1984

4
StR
475/84, [X.], 36, sowie

hinsichtlich der Vorlagefrage nicht tragend

Urteile vom 10.
Februar 2000

4
StR
616/99, [X.], 1, 3; vom 20.
Februar 1997

4
StR
598/96, [X.], 391, 397; vom 8.
März 1979

4
StR
634/78, NJW 1979, 1722; Beschlüsse vom 12.
April 1984

4
StR
229/84, [X.], 326; vom 9.
Februar 2010

4
StR
660/09, [X.], 406).
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fe[X.]
1.
Die in der Rechtsprechung des [X.] anerkannte Aus-nahme von dem aus §
252 StPO hergeleiteten Verwertungsverbot für den Fall der Vernehmung einer richterlichen [X.] über Angaben eines in der Hauptverhandlung unter Berufung auf §
52 StPO schweigenden Zeugen ([X.], Urteil vom 15.
Januar 1952

1
StR
341/51, [X.]St 2, 99; seither [X.] Rspr.) wird 2
3
4
5
-
4
-
vom vorlegenden Strafsenat nicht grundsätzlich in Frage gestellt (Anfragebe-schluss S.
9
f.) und ist als solche nicht Gegenstand des Anfrageverfahrens.
2.
Der Senat teilt nicht die Ansicht, dass die Verwertung einer früheren richterlichen Vernehmung eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen [X.] nur dann zulässig ist, wenn dieser [X.] den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch [X.] über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hat (vgl. dazu auch den "[X.] Beweis-aufnahme", [X.] 2014, 1, 26).
a)
Eine solche qualifizierte Belehrung ist in den Vorschriften über die Vernehmung des Zeugen nicht vorgesehen. Für eine entsprechende Beleh-rungspflicht fehlt es mithin an einer gesetzlichen Grundlage ([X.], Urteil vom 30.
August 1984

4
StR
475/84, [X.], 36).
Auch eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes liegt insofern nicht vor. Der Gesetzgeber hat vielmehr Inhalt und Umfang der erforderlichen Beleh-rungen von Zeugen im Rahmen ihrer Vernehmung ausdrücklich geregelt (vgl. §
52 Abs.
3 Satz
1, §
55 Abs.
2, §
163 Abs.
3 Satz
1 StPO). Eine Belehrung über die Verwertbarkeit der Aussage für den Fall, dass der Zeuge in der [X.] von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, hat er indes nicht vorgesehen. Da der Gesetzgeber aber schon im [X.] die [X.] von Polizeibeamten gegenüber Zeugen im Ermittlungsverfah-ren in Kenntnis der Rechtsprechung des [X.] zur Verwertung von früheren Aussagen durch Vernehmung richterlicher [X.]en neu geregelt hat, kann vor dem Hintergrund, dass in diesem Zusammenhang 6
7
8
-
5
-
eine weiter
gehende [X.] durch den [X.] nicht in das Gesetz aufgenommen wurde, von einer planwidrigen Regelungslücke nicht ausgegan-gen werden (vgl. BT-Drucks.
IV/178, S.
18, 33; BT-Drucks.
16/12098, S.
26). Dies belegen auch die Neuregelungen in §
255a StPO (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Februar 2004

3
StR
185/03, [X.]St 49, 72, 78, 82
ff.; dazu auch [X.]/[X.], [X.], 250, 253 f. mwN).
b)
Es ist auch nicht geboten, die Einführung oder die Verwertbarkeit der Aussage einer richterlichen [X.] über frühere Angaben eines Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein gemäß §
52 StPO beste-hendes Aussageverweigerungsrecht beruft, von einer schon damals erteilten qualifizierten Belehrung abhängig zu machen.
Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist

worauf auch der anfragende Senat verweist ([X.] S.
6)

die Ermittlung des wahren Sachver-halts, ohne den das materielle [X.] nicht verwirklicht werden kann. Als eine der Wahrheitsfindung entgegenstehende Gestaltung
kommt §
252 StPO in Betracht (vgl. [X.],
NStZ-RR
2004, 18). Eine Ausweitung des Anwendungs-bereichs dieser Vorschrift oder eine auf sie gestützte weitere Einschränkung der Möglichkeit zur Ermittlung des wahren Sachverhalts bedarf daher einer hinrei-chenden Rechtfertigung. An dieser fehlt es jedoch bezüglich des vom [X.] befürworteten [X.] in Fällen fehlender qualifizier-ter Belehrung.
aa)
§
252 StPO und das weiter
gehend aus ihm hergeleitete Verwer-tungsverbot bezwecken nicht den Schutz des Angeklagten. Vielmehr schützen §§
52, 252 StPO lediglich Zeugen vor der Verpflichtung, als Angehörige den Beschuldigten bzw. Angeklagten wahrheitsgemäß zu belasten, und sichern zu-9
10
11
-
6
-
dem, dass der Zeuge seine einmal gemachte Aussage

ob wahrheitsgemäß oder wahrheitswidrig, ob belastend oder entlastend

auch noch in der [X.] für ihn folgenlos wieder rückgängig machen kann, ohne sie durch eine neue Aussage ersetzen zu müssen, bei deren Abgabe er wiederum dem Spannungsfeld zwischen Wahrheitspflicht und [X.] ausgesetzt wäre (vgl. [X.] aaO; ferner [X.]/[X.] aaO,
S.
251 mwN).
bb)
Schon dies legt nahe, dass es auch der Grundsatz des fairen Verfah-rens nicht gebietet, zur Wahrung berechtigter Interessen des Angeklagten die Verwertbarkeit einer früheren

nach ordnungsgemäßer Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht erfolgten

richterlichen Vernehmung des Zeugen von dessen qualifizierten Belehrung über die weitere Verwertbarkeit seiner Aussage abhängig zu machen. Vielmehr hat der [X.] betont, dass die Verwertung von im [X.] er-langten Aussagen auch in einem Fall, in dem ermittlungsrichterliche Angaben von in der Hauptverhandlung berechtigt schweigenden Angehörigen verwertet wurden, nicht in Widerspruch zu Art.
6 Abs.
1 und Abs.
3 Buch[X.]
d EMRK steht, sofern der Angeklagte ausreichend Gelegenheit hatte, die Aussage in dem Zeitpunkt, in dem sie gemacht wurde, oder später in Zweifel zu ziehen (Urteil vom 19.
Juli 2012

26171/07, [X.], 3225 Ziffer
42). Die vom [X.] als notwendig erachtete Belehrung hat er dagegen ersichtlich nicht als für ein faires Verfahren geboten erachtet (aaO Ziffern
39, 41, 45).
cc)
Der Senat sieht es aber auch bei Einbeziehung der vom anfragenden Verfahrens gemacht werden" darf ([X.] S.
7), angeführten, allein auf den Zeugen bezogenen Umstände in die bei der Prüfung eines Verwer-tungsverbots erforderliche Gesamtwürdigung nicht als geboten an, ohne des-12
13
-
7
-
sen qualifizierte Belehrung über die weitere Verwertbarkeit seiner Aussage ein Verwertungsverbot anzunehmen.
Vielmehr ist der Senat mit der bisherigen Rechtsprechung
(vgl. etwa [X.], Urteil vom 12.
Februar 2004

3
StR
185/03, [X.]St 49, 72, 77) der [X.], dass

jedenfalls bei einer Vernehmung in dem Ermittlungs-
oder Straf-verfahren gegen den Angehörigen

einem Zeugen bei seiner richterlichen [X.] (hinreichend) bewusst ist, dass eine

nach Belehrung gemäß §
52 Abs.
3 StPO und freier Entscheidung des Zeugen

getätigte Aussage für das weitere Verfahren und die Frage, ob der Angeklagte auch aufgrund dieser Aus-sage verurteilt werden kann, Bedeutung haben kann (vgl. auch [X.]/
[X.], aaO S.
252; dort auch zu der nur für richterliche Vernehmungen gelten-den Regelung des §
168c StPO).
c)
Soweit der [X.] anerkannt hat, dass [X.] auch ohne ausdrückliches gesetzliches Gebot bestehen können, betrifft dies besondere, mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbare Konstellati-onen, insbesondere Fälle gesetzlich nicht (näher) geregelter Befragungen etwa vor der Exploration einer Aussageperson durch einen Sachverständigen ([X.], Urteile vom 29.
Juni 1989

4
StR
201/89, [X.]St 36, 217, 220; vom 23.
Sep-tember 1999

4
StR
189/99, [X.]St 45, 203, 208
f.), nicht aber

wie in dem der Anfrage zugrunde liegenden Fall

eine Erweiterung der [X.]
14
15
-
8
-
im Zusammenhang mit gesetzlich

auch hinsichtlich der notwendigen Beleh-rungen

ausdrücklich normierten Maßnahmen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer
Quentin

Meta

4 ARs 21/14

16.12.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.12.2014, Az. 4 ARs 21/14 (REWIS RS 2014, 341)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 341

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