Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.08.2011, Az. 8 AZR 187/10

8. Senat | REWIS RS 2011, 3869

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Gegenstand

Schadensersatz - tarifliche Ausschlussfrist - § 15 BauRTV


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. August 2009 - 19 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten noch über die Widerklage der [X.], mit der diese Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kläger verfolgt.

2

[X.]ie Beklagte ist ein Bauunternehmen. [X.]er Kläger war bei ihr seit 6. August 2007 als [X.] zu einem Stundenlohn von 12,40 Euro brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. [X.] Allgemeinverbindlichkeit fand auf das Arbeitsverhältnis der Bundesrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 4. Juli 2002 in der Fassung des [X.] vom 20. August 2007 ([X.]) Anwendung.

3

[X.]ieser Tarifvertrag enthält ua. folgende Bestimmung:

        

„§ 15 Ausschlussfristen

        

1.    

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden; besteht bei Ausscheiden des Arbeitnehmers ein Arbeitszeitguthaben, beträgt die Frist für dieses Arbeitszeitguthaben jedoch sechs Monate.

        

2.    

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. [X.]ies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.“

4

Im April 2008 war der Kläger auf einer Baustelle in [X.] eingesetzt. [X.]iese wurde am 30. April 2008 vorläufig geräumt, um über das verlängerte Wochenende (1. Mai) zurück nach [X.] zu fliegen. [X.]ie Beklagte hatte in einem Hotel in [X.] einen Raum angemietet, in dem während der Abwesenheit der Arbeitnehmer deren Werkzeuge und persönliche Gegenstände deponiert werden konnten. [X.]er Kläger nutzte diese Möglichkeit nicht, sondern packte seine persönlichen Gegenstände vor der Abreise nach [X.] ein und tauschte bei der Ankunft in [X.] auf dem Flughafen seine [X.] [X.]evisen gegen Euro.

5

Am 2. Mai 2008 rief der Kläger bei der [X.] an und teilte mit, er habe sich, als er seinem Großvater ins Auto geholfen habe, den Arm angestoßen, weshalb er zum Arzt müsse. In der Folgezeit meldete sich der Kläger nicht mehr bei der [X.], die den Kläger auch telefonisch nicht erreichen konnte. Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 26. Mai 2008. Seit dem 27. Mai 2008 steht der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Unternehmen. Am 23. Juni 2008 reichten die Eltern des [X.] eine von ihm gefertigte Stundenaufstellung für April und Mai 2008 bei der [X.] ein. Außerdem übergaben sie eine am 2. Mai 2008 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die eine Arbeitsunfähigkeit des [X.] vom 2. bis 16. Mai 2008 attestierte.

6

Mit Schreiben vom 5. November 2008, gerichtet an ihren Prozessbevollmächtigten, bezifferte die Beklagte die errechneten Kosten und Mehraufwendungen wegen der nicht erfolgten Arbeitsaufnahme des [X.] im Mai 2008.

7

Mit der am 19. November 2008 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Abrechnung und Auszahlung seiner [X.] für die Monate April und Mai 2008 begehrt.

8

[X.]ie Beklagte hat mit [X.] vom 5. März 2009, dem Klägervertreter am 12. März 2009 zugestellt, Widerklage erhoben. Mit dieser verlangt sie vom Kläger Erstattung der Mehrkosten iHv. 11.216,80 Euro, die durch sein Fehlen entstanden seien.

9

[X.]er Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, die Monate April 2008 und Mai 2008 ordnungsgemäß abzurechnen und den sich aus der Abrechnung ergebenden Nettolohn an den Kläger auszuzahlen.

[X.]ie Beklagte hat beantragt,

        

die Klage abzuweisen,

        

und     

        

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag iHv. 11.216,80 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Zur Begründung der Widerklage hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe seine Erkrankung im Mai 2008 nur vorgetäuscht. [X.]ies ergebe sich schon daraus, dass er sämtliche persönlichen Gegenstände von [X.] nach [X.] mitgenommen und sämtliche [X.] [X.]evisen zurückgetauscht habe. [X.]urch den plötzlichen Ausfall des [X.] sei eine Verzögerung der Baumaßnahmen von zehn Arbeitstagen eingetreten. [X.]eshalb sei ein zweiter zehntägiger Arbeitseinsatz Ende Mai/Anfang Juni 2008 notwendig geworden. Hierfür seien Kosten für vier Flüge iHv. 539,60 Euro, Spesen für zehn Tage iHv. 700,00 Euro sowie Kosten für weitere Hotelübernachtungen iHv. 670,00 Euro, insgesamt 1.909,60 Euro angefallen. Für den Zeitraum des zweiten Arbeitseinsatzes sei ein anderweitiger Umsatz iHv. insgesamt 9.307,20 Euro weggefallen, da die Beklagte durch den zweiten Einsatz in [X.] einen anderweitigen Auftrag verloren habe.

[X.]er Kläger hat zur Widerklage die Ansicht vertreten, ein Arbeitgeber müsse das Risiko, dass ein Arbeitnehmer spontan ausfällt, zwangsläufig tragen. Es gehöre zu seinem wirtschaftlichen Unternehmerrisiko, dass ein Arbeitnehmer wie hier krankheitsbedingt ausfalle. Für eine derartige Situation habe der Arbeitgeber Vorsorge zu treffen bzw. die Konsequenzen zu tragen, wenn er dies versäume.

[X.]as Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Nach Berufungseinlegung durch die Beklagte haben die Parteien den Rechtsstreit, soweit er sich auf die Klageforderung bezog, aufgrund eines in einem Parallelverfahren geschlossenen Vergleichs für erledigt erklärt. [X.]as [X.] hat im Übrigen die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Nach Zulassung der Revision durch den Senat verfolgt die Beklagte ihr Prozessziel im Rahmen der Widerklage nur noch hinsichtlich der Hauptforderung (ohne Zinsen) weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.] ist unbegründet. Etwaige Ansprüche der [X.] gegen den Kläger sind verfallen.

A. Das [X.] hat die Berufung der [X.], mit der sie sich nur noch gegen die Abweisung ihrer Widerklage durch das Arbeitsgericht gewandt hatte, zurückgewiesen. Dazu hat das [X.] ausgeführt, ein etwaiger Schadensersatzanspruch der [X.] sei verfallen. Auf das Arbeitsverhältnis finde der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe kraft Allgemeinverbindlichkeit Anwendung. § 15 [X.] sehe eine zweistufige Ausschlussfrist vor, die auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers erfasse. Die Beklagte habe die zweistufige Ausschlussfrist schon auf der ersten Stufe nicht eingehalten. Die Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs sei spätestens am 5. November 2008 eingetreten, eine schriftliche Geltendmachung sei aber erst mit der Widerklage erfolgt, die dem Klägervertreter am 12. März 2009, dh. außerhalb der zweimonatigen Frist zugestellt worden sei. Der Verfall der Widerklageforderung sei auch nicht durch § 242 [X.] ausgeschlossen.

B. Die Entscheidung des [X.]s hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

I. Die zulässige Widerklage ist nicht begründet. Der [X.] steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch iHv. 11.216,80 Euro nicht zu.

1. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch der [X.] wäre, unabhängig von der Rechtsgrundlage auf die er gestützt werden könnte, mangels rechtzeitiger Geltendmachung nach § 15 [X.] verfallen und damit erloschen (vgl. [X.] 30. März 1973 - 4 [X.] - [X.]E 25, 169 = [X.] [X.] § 390 Nr. 4 = EzA [X.] § 390 Nr. 1; 18. Dezember 2008 - 8 [X.]/08 - [X.] ZPO § 717 Nr. 9). Ausschlussfristen sind von den Gerichten für Arbeitssachen von Amts wegen zu berücksichtigen ([X.] 18. Dezember 2008 - 8 [X.]/08 - aaO).

Nach § 15 [X.] verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden (1. Stufe). Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird (2. Stufe).

a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet [X.] der [X.] Anwendung.

aa) Der Betrieb der [X.] ist ein Betrieb des Baugewerbes, der gemäß § 1 Abs. 2 [X.] unter den betrieblichen Geltungsbereich dieses Rahmentarifvertrags fällt. Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig.

bb) Aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen des [X.] sowohl den Kläger als auch die Beklagte, unabhängig, ob diese tarifgebunden sind oder nicht, § 5 Abs. 4 [X.].

b) Die tarifvertragliche Ausschlussfrist des § 15 [X.] gilt auch für den von der [X.] geltend gemachten Schadensersatzanspruch, selbst wenn eine vorsätzliche Pflicht- oder Rechts(gut)verletzung durch den Kläger vorliegen sollte. Dies ergibt eine sachgerechte Auslegung der Tarifnorm.

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom [X.]. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 [X.]). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie [X.], praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Reglung führt (st. Rspr., vgl. [X.] 11. November 2010 - 8 [X.] - mwN, [X.], 763). In ständiger Rechtsprechung geht das [X.] für tarifvertragliche Ausschlussfristen zudem davon aus, dass diese im Hinblick auf ihre Wirkung grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. [X.] 4. April 2001 - 4 [X.], [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 156 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 141). Allerdings kann dieser Grundsatz erst dann greifen, wenn die Mittel der Auslegung erschöpft sind und dabei kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen war (vgl. [X.]/[X.] 7. Aufl. § 4 [X.] Rn. 800).

bb) Nach § 15 Abs. 1 [X.] unterfallen der Ausschlussfrist „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Bereits nach dem Wortlaut sollen „alle beiderseitigen“, dh. wechselseitigen Ansprüche der Arbeitsvertragsparteien der Klausel unterliegen. Es ergeben sich aus der Formulierung der Tarifnorm keine Anhaltspunkte dafür, dass nur bestimmte Ansprüche gemeint sind und insbesondere solche wegen vorsätzlich begangener, ggf. auch unerlaubter Handlungen ausgenommen sein sollen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] unterfallen wegen des einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche einer Klausel, die „alle … Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ einer bestimmten Frist zur Geltendmachung unterwirft, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung iSd. §§ 823, 826 [X.] (vgl. [X.] 30. Oktober 2008 - 8 [X.] - EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 192). Die Tarifvertragsparteien verfolgen mit der weiten Formulierung das Ziel, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herbeizuführen. Die Arbeitsvertragsparteien sollen sich darauf verlassen können, dass nach Fristablauf der jeweilige Vertragspartner keine Ansprüche mehr erhebt (vgl. [X.]/Preis 11. Aufl. §§ 194 - 218 [X.] Rn. 32). Dem entspricht es am ehesten, alle Ansprüche aus einem einheitlichen Lebensvorgang nach einer gewissen Zeit jedem rechtlichen Streit zu entziehen. Anknüpfungspunkt ist für die Tarifvertragsparteien weniger die Rechtsgrundlage für den Anspruch als vielmehr der Anlass seines jeweiligen Entstehens (vgl. [X.]/[X.] 7. Aufl. § 4 [X.] Rn. 807 mwN; [X.] 10. August 1967 - 3 [X.] - [X.]E 20, 30 = [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 37). Ergibt sich somit aus dem Wortlaut eindeutig eine einschränkungslose Erfassung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, so bleibt kein Raum für die von der Rechtsprechung geforderte enge Auslegung von Ausschlussfristen (vgl. [X.] 21. Januar 2010 - 6 AZR 556/07 - [X.] [X.] § 611 Arbeitgeberdarlehen Nr. 3 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 196).

c) Die tarifvertragliche Ausschlussfrist in § 15 [X.] ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

aa) Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind, nicht hingegen darauf, ob die jeweilige tarifliche Regelung die gerechteste und zweckmäßigste Lösung darstellt (st. Rspr., vgl. [X.] 22. September 1999 - 10 [X.] - [X.] [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 132).

bb) § 15 [X.] ist nicht nach §§ 134, 202 Abs. 1 [X.] nichtig bzw. teilnichtig.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien begann am 6. August 2007, so dass auf dieses das [X.] in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung Anwendung findet.

Nach § 202 Abs. 1 [X.] kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Die Vorschrift ergänzt den allgemeinen Grundsatz des § 276 Abs. 3 [X.], wonach die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden kann. § 202 Abs. 1 [X.] erfasst nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch über Ausschlussfristen. § 202 [X.] stellt eine Verbotsnorm im Sinne von § 134 [X.] dar. So hat der Fünfte Senat des [X.] eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist, sofern sie auch vorsätzliche Vertragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen sollte, als teilnichtig angesehen (vgl. [X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - [X.]E 115, 19 = [X.] [X.] § 310 Nr. 1 = EzA [X.] 2002 § 307 Nr. 3).

§ 202 Abs. 1 [X.] steht jedoch einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist, die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 [X.] normative Wirkung entfaltet, nicht entgegen.

§ 202 Abs. 1 [X.] spricht von einer Erleichterung der Haftung wegen Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“. Damit wird bereits nach dem Wortlaut der Norm auf einen Tatbestand abgestellt, der sich aus Willenserklärungen ergibt. Die amtliche Überschrift von § 202 [X.] spricht zwar in Abweichung vom Wort „Rechtsgeschäft“ von „Vereinbarungen über die Verjährung“, jedoch folgt auch hieraus, dass sich § 202 [X.] auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinbarung bezieht und die Vertragsfreiheit der Parteien insoweit einschränkt. Auch die Gesetzesbegründung spricht von der Disposition der Parteien, von Parteivereinbarung bzw. dem Interesse beider Parteien (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 109 f.). § 202 [X.] bezieht sich damit losgelöst von den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets ausschließlich auf die Parteien des materiellrechtlichen Anspruchs, um dessen Verjährung es geht (vgl. [X.]/[X.] 5. Aufl. § 202 [X.] Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.] [2009] § 202 [X.] Rn. 6; BeckOK [X.]/[X.]/[X.] Stand 1. März 2011 [X.] § 202 Rn. 4). Der Gesetzgeber hat daher auch darauf verzichtet, die Grundaussage des § 225 Satz 2 [X.] aF, wonach verjährungserleichternde Vereinbarungen grundsätzlich zulässig waren, in das modernisierte Schuldrecht aufzunehmen, da dies ohnehin Bestandteil der allgemeinen Vertragsfreiheit ist (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 110). Soweit § 202 [X.] nicht einschlägig ist, verjährungsverändernden Regelungen also nicht entgegensteht, verbleibt es bei der Dispositivität der Verjährungsregeln. Für individualvertragliche Vereinbarungen zur Verjährungserleichterung besteht nach § 202 Abs. 1 [X.] die Einschränkung, dass - unabhängig von der Rechtsnatur des Anspruchs - die Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus erleichtert werden darf. Als „Rechtsgeschäft“ im Sinne von § 202 [X.] kommen vertragliche Individualvereinbarungen und Vereinbarungen aufgrund Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Betracht.

Eine „Vereinbarung“ im Sinne von § 202 Abs. 1 [X.] liegt allerdings nicht vor, wenn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung oder [X.] zwingend Anwendung findet (§ 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 [X.]) ([X.]; [X.]/[X.] 2004, 1366, 1368; [X.] in jurisPK-[X.] 5. Aufl. § 202 Rn. 14; dies. [X.] 2003, 763, 768, jeweils ohne weitere Auseinandersetzung mit dem Wortlaut von § 202 [X.]).

Gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung, so gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend, § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Rechtsnormen eines Tarifvertrags sind Gesetze im materiell-rechtlichen Sinne und erfüllen den Gesetzesbegriff des Art. 2 EG[X.] ([X.] 14. Juni 1994 - 9 [X.] - [X.]E 77, 81 = [X.] BUrlG § 7 Übertragung Nr. 21 = EzA [X.] § 125 Nr. 11). Für die [X.] entspricht die Regelungswirkung daher derjenigen anderer Gesetze. Aufgrund dieser normativen Wirkung des Tarifvertrags, die gerade nicht Ausdruck der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien ist, handelt es sich bei den zwingend und unmittelbar geltenden Rechtsnormen eines Tarifvertrags nicht um ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne von § 202 [X.], sondern um eine gesetzliche Regelung im Sinne von Art. 2 EG[X.].

Gleiches gilt, wenn - wie im [X.] - die tariflichen Regelungen nach § 5 Abs. 4 [X.] aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung Anwendung finden.

Ob eine individualvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien und damit ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 202 [X.] jedoch dann vorliegt, wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel insgesamt Anwendung findet oder wenn allein bezüglich der Ausschlussfristen ein Tarifvertrag Anwendung finden soll, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.

Eine Inhaltskontrolle des Tarifvertrags nach §§ 305 ff. [X.] schließt § 310 Abs. 4 Satz 1 [X.] aus.

cc) Die Ausschlussfrist verstößt auch nicht gegen sonstiges höherrangiges Recht.

Die Gerichte für Arbeitssachen haben Ausschlussfristen in Tarifverträgen wie sonstige tarifliche Regelungen nur einer eingeschränkten Kontrolle dahin gehend zu unterziehen, ob die Ausschlussfrist bzw. Regelung mit höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl. [X.] 22. September 1999 - 10 [X.] - [X.] [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 132). Eine Angemessenheitskontrolle findet damit nicht statt. Dieser eingeschränkte Kontrollmaßstab wird durch § 310 Abs. 4 Satz 1 [X.] bestätigt (vgl. [X.] in Ausschlussfristen im Tarifrecht Kapitel 2 Rn. 71; [X.] 2004, 106, 111). Das [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass dem § 15 [X.] entsprechende Ausschlussfristen im Baubereich nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen, insbesondere nicht sittenwidrig sind oder gegen [X.] und Glauben verstoßen (vgl. [X.] 22. September 1999 - 10 [X.] - aaO; 16. November 1965 - 1 [X.] - [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 30 = EzA [X.] § 4 Nr. 9).

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Tarifvertragsparteien in § 15 [X.] eine Regelung getroffen haben, die im Hinblick auf ihre Weite auch Schadensersatzansprüche aufgrund vorsätzlicher Handlungen erfasst und daher von den Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf § 202 Abs. 1 [X.] nicht wirksam im Arbeitsvertrag vereinbart werden könnte. Diese Privilegierung der Tarifvertragsparteien ergibt sich gerade aus der gesetzlichen Regelung des § 202 [X.], die ausschließlich für individualrechtliche Vereinbarungen gilt. § 202 [X.] erweist sich damit als tarifdispositives Gesetzesrecht.

d) Etwaige Schadensersatzansprüche hätte die Beklagte in der ersten Stufe innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber dem Kläger schriftlich erheben müssen (§ 15 Abs. 1 [X.]). Das war nicht der Fall.

aa) Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne einer Ausschlussfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann (vgl. [X.] 27. Oktober 2005 - 8 AZR 3/05 - [X.] [X.] § 310 Nr. 5 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 181). Bei Schadensersatzansprüchen tritt Fälligkeit daher ein, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann (vgl. [X.] 20. Juni 2002 - 8 [X.] - EzA [X.] § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 11). [X.] ist der Schaden, sobald der Gläubiger vom Schadensereignis Kenntnis erlangt oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis erlangt hätte (vgl. [X.] 27. April 1995 - 8 [X.] -; 16. Mai 1984 - 7 [X.] - [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 85 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 58). Geltend gemacht werden können Schadensersatzforderungen, sobald der Gläubiger in der Lage ist, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern zu verschaffen und er seine Forderungen wenigstens annähernd beziffern kann (vgl. [X.] 30. Oktober 2008 - 8 [X.] - EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 192). Zur Fälligkeit der Forderung reicht es aus, wenn der Gläubiger die Ansprüche so deutlich bezeichnen kann, dass der Schuldner erkennen kann, aus welchem Sachverhalt und in welcher ungefähren Höhe er in Anspruch genommen werden soll. Dementsprechend muss zumindest die ungefähre Höhe der Forderung vom Gläubiger benannt werden. Die Fälligkeit eines Schadensersatzanspruchs setzt darüber hinaus voraus, dass ein Schaden überhaupt entstanden ist. Erst mit der Entstehung des Schadens kann auch ein Schadensersatzanspruch entstehen (vgl. [X.] 14. Dezember 2006 - 8 [X.] - mwN, [X.] [X.] § 618 Nr. 28 = EzA [X.] 2002 § 618 Nr. 2).

bb) Mit Schreiben vom 5. November 2008 hat die Beklagte gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten die nach ihrer Auffassung durch das Fehlen des [X.] nach dem ersten Maiwochenende notwendig gewordenen Aufwendungen bzw. eingetretenen Schäden im Einzelnen nach Hotelübernachtungskosten, Flügen, Spesen etc. beziffert. Aus den dort genannten Einzelposten hat sie die Widerklageforderung iHv. 11.216,80 Euro errechnet. Die Beklagte war damit spätestens am 5. November 2008 in der Lage, die von ihr behaupteten Ansprüche zu benennen und zu beziffern. Folglich trat spätestens zu diesem Zeitpunkt Fälligkeit ein. Die [X.] des § 15 Abs. 1 [X.] endete damit am 5. Januar 2009 (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 [X.]). Die mit Schriftsatz vom 5. März 2009 erhobene, dem Klägervertreter am 12. März 2009 zugestellte Widerklage hat diese Frist nicht gewahrt. Eine frühere schriftliche Geltendmachung, aus welcher der Kläger Grund und ungefähre Höhe des behaupteten Anspruchs hätte entnehmen können, ist nicht festzustellen. Insbesondere stellt der bloße Hinweis der [X.] in der Klageerwiderung vom 23. Dezember 2008, durch die Kündigung des [X.] seien der [X.] erhebliche Schäden entstanden, die im Zweifel noch weiter beziffert würden, keine ausreichende Geltendmachung im Sinne von § 15 Abs. 1 [X.] dar. Eine solche, nach Grund und ungefährer Höhe spezifizierte Geltendmachung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil dem Kläger die ungefähre Schadenshöhe bekannt gewesen wäre (vgl. [X.] 16. Dezember 1971 - 1 [X.] - [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 48 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 8). Dass dies der Fall war, wird von der [X.] nicht einmal behauptet.

e) Eine Berücksichtigung der Ausschlussfrist zugunsten des [X.] ist auch nicht nach § 242 [X.] ausgeschlossen.

aa) Zunächst gilt, dass die fehlende Kenntnis von Existenz und Inhalt einer Ausschlussfrist den Verfall des Anspruchs unberührt lässt (allg. Meinung, vgl. [X.] 16. August 1983 - 3 [X.] - [X.] [X.] § 1 Auslegung Nr. 131 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 56). Eine gegen [X.] und Glauben verstoßende und damit gemäß § 242 [X.] unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit des Gläubigers hinsichtlich der erforderlichen Geltendmachung des Anspruchs durch ein Verhalten des Schuldners veranlasst worden ist. Der Schuldner muss also den Gläubiger von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Das wird zB angenommen, wenn der Schuldner durch [X.] oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Gläubiger könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist erfüllt werde (vgl. [X.] 10. Oktober 2002 - 8 [X.] - [X.]E 103, 71 = [X.] [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 169 = EzA [X.] § 4 Ausschlussfristen Nr. 158).

bb) Dies war vorliegend nicht der Fall. Zwar meint die Beklagte sinngemäß, der Kläger habe mit dem Klageantrag, gerichtet auf Abrechnung und Auszahlung des sich aus den Abrechnungen ergebenden [X.], zu erkennen gegeben, dass noch Ansprüche - ggf. auch wechselseitige - offen stünden. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kläger hat nur eigene [X.] für April und Mai 2008 geltend gemacht und keine Erklärung dahin gehend abgegeben, seinerseits Ansprüche der [X.] erfüllen zu wollen. Insbesondere hat er die Beklagte nicht an einer Geltendmachung ihrer Ansprüche gehindert. Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung auf Schadensersatzansprüche ihrerseits hingewiesen. Dass sie diese nicht innerhalb der Ausschlussfrist in der notwendigen Art und Weise geltend gemacht hat, ist nicht auf Erklärungen oder ein Verhalten des [X.] zurückzuführen, sondern liegt allein in ihrem Verantwortungsbereich.

II. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Schuckmann    

        

    [X.]    

                 

Meta

8 AZR 187/10

18.08.2011

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bocholt, 26. März 2009, Az: 3 Ca 2305/08, Urteil

§ 15 Abs 1 BauRTV, § 15 Abs 2 BauRTV, § 4 Abs 1 S 1 TVG, § 5 Abs 4 TVG, § 134 BGB, § 202 Abs 1 BGB, § 276 Abs 3 BGB, § 310 Abs 4 S 1 BGB, Art 2 BGBEG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.08.2011, Az. 8 AZR 187/10 (REWIS RS 2011, 3869)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3869

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 AZR 924/11 (Bundesarbeitsgericht)

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9 AZR 461/10 (Bundesarbeitsgericht)

Auslösungsanspruch nach § 7 Nr 4 BauRTV bei Verlegung des Betriebssitzes - Einstellungsort als maßgeblicher …


5 AZR 171/10 (Bundesarbeitsgericht)

Auslandseinsatz eines Bauarbeiters - übliche Vergütung - tarifliche Ausschlussfrist


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