Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.01.2011, Az. 3 StR 504/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10414

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Gegenstand

Absolute Revisionsgründe im Strafverfahren: Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge Erfolg, das [X.] habe rechtsfehlerhaft über die Entlassung der Zeugin [X.] in Abwesenheit des während ihrer Vernehmung nach § 247 Satz 2 StPO aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten verhandelt (§ 338 Nr. 5 StPO).

2

Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:

"a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Der [X.] genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die von der Revision mehrfach verwendete Formulierung 'ausweislich des Protokolls' kann als bloßer Hinweis auf das geeignete Beweismittel (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) verstanden werden, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptungen selbst in Frage gestellt wird ([X.], 4, 5; NStZ 2005, 281). Nach der Entscheidung des [X.] [X.] vom 21. April 2010 (NStZ 2011, 47) musste der Beschwerdeführer keinen konkreten Sachvortrag zu einer Beeinträchtigung seines Fragerechts infolge der mit der Rüge beanstandeten Verfahrensweise erbringen ([X.], 5. Strafsenat, Beschluss vom 27. April 2010 - 5 [X.]/08). Die mangelnde Beanstandung der Entlassungsanordnung der Vorsitzenden durch die Verteidigung gemäß § 238 Abs. 2 StPO schließt die Zulässigkeit nicht aus, da eine solche in dieser Fallkonstellation keine Rügevoraussetzung ist ([X.], 5. Strafsenat, a.a.[X.]). Eine 'besondere Verfahrensgestaltung', wie sie etwa der Entscheidung des [X.] in [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 23 zu Grunde lag, ist nicht gegeben. In jenem Fall hatte das [X.] aus Gründen des Opferschutzes die bei der Beweiswürdigung verwerteten Angaben der Nebenklägerin maßgeblich ihrer auf Video aufgezeichneten polizeilichen Vernehmung entnommen, so dass es in der Hauptverhandlung möglicherweise nur noch zu einer 'vorher festgelegten ganz punktuellen Befragung' gekommen war, bei welcher weitere Nachfragen von vornherein fernlagen.

b) Die Rüge ist darüber hinaus begründet. Nach der durch den [X.] (a.a.[X.]) bestätigten Rechtsprechung des [X.] (vgl. nur [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; [X.] NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen 'wesentlichen Teil' der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Der darin liegende Verfahrensfehler ist nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision weder von sich aus im Rahmen seiner Unterrichtung über die [X.] nach § 247 Satz 4 StPO noch auf Befragen ausdrücklich erklärt, keine Fragen mehr an die Zeugin stellen zu wollen (dazu [X.], Großer Senat, a.a.[X.]; [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; [X.] NStZ 2000, 440). Auch ist eine erneute Vernehmung der Zeugin (in Anwesenheit des Angeklagten) dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der [X.] vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt hat (vgl. [X.] NStZ 2006, 713), ist nicht anzunehmen. Zwar hat der Angeklagte das Tatgeschehen im Wesentlichen eingeräumt ([X.]). Eine Aufhebung allein des Strafausspruches kommt jedoch - anders als etwa in der Entscheidung [X.]R StPO § 338 Beruhen 2 - nicht in Betracht. Denn der Senat wird nicht ausschließen können, dass die [X.] die Angaben der Zeugin zumindest bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses des Angeklagten mitberücksichtigt hat. Einer vollständigen Aufhebung des Urteils steht schließlich nicht die Entscheidung des Senats in [X.]St 51, 81 entgegen, da diese lediglich den Fall der Anordnung der Nichtvereidigung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten betraf, nicht hingegen den ihrer Entlassung."

3

Dem schließt sich der Senat an.

[X.]                              Hubert

                   Schäfer                                    [X.]

Meta

3 StR 504/10

18.01.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hildesheim, 21. September 2010, Az: 20 KLs 26 Js 10556/10, Urteil

§ 247 StPO, § 338 Nr 5 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.01.2011, Az. 3 StR 504/10 (REWIS RS 2011, 10414)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10414

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 315/11

3 StR 504/10

Zitiert

5 StR 460/08

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