Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2012, Az. IV ZB 27/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5246

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Gegenstand

Rechtswegabgrenzung zwischen Zivilgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Rechtsbehelf gegen Weigerung eines Gerichtsvollziehers bei Zustellungsbegehren an ein ausländisches Generalkonsulat im Zusammenhang mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit


Tenor

Der von der Antragstellerin zu den ordentlichen Gerichten beschrittene Rechtsweg ist unzulässig.

Die Sache wird an das Gericht des zulässigen Rechtsweges - das [X.] - verwiesen.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin erteilte am 7. Juli 2011 der [X.] in [X.] den Auftrag zur Zustellung eines in kyrillischer Schrift geschriebenen Schriftstücks an das Generalkonsulat der [X.] in [X.]. Sie trug dazu vor, dass sie und ihre beiden Kinder sich seit Jahren darum bemühten, die [X.] Staatsbürgerschaft aufzugeben, um sich in der [X.] einbürgern zu lassen, die zuständigen [X.]n Behörden jedoch jede Kommunikation hierüber verweigerten. Ihrem Bevollmächtigten sei es seit über zwei Jahren nicht gelungen, mit dem [X.]n Generalkonsulat in [X.] in Kontakt zu kommen. Sie sei daher auf die Zustellung über einen Gerichtsvollzieher angewiesen.

2

Der zuständige [X.] lehnte die Übernahme des Auftrags unter Hinweis auf Art. 22 Abs. 3 des [X.] vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen ab. Hiergegen legte die Antragstellerin Erinnerung, hilfsweise sofortige Beschwerde ein. Das Amtsgericht [X.] hat die Erinnerung unter Hinweis auf die Befreiung ausländischer Missionen von der [X.] Gerichtsbarkeit gemäß §§ 18 bis 20 GVG zurückgewiesen. Die hiergegen von der Antragstellerin eingelegte sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des [X.] ist der Rechtsbehelf der Erinnerung gemäß § 766 ZPO nicht zulässig, da es sich nicht um vom Gerichtsvollzieher vorzunehmende Zustellungen im Rahmen der Zwangsvollstreckung handele. Vielmehr werde der Gerichtsvollzieher als Justizbehörde i.S. von § 23 [X.] tätig, so dass der dort vorgesehene Rechtsweg eröffnet sei. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen diese Auffassung des [X.] und meint, gemäß §§ 766, 573 ZPO seien die von ihr gewählten Rechtsmittel der Erinnerung und der sofortigen Beschwerde gegeben.

3

II. Der von der Antragstellerin beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht eröffnet. Vielmehr handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 VwGO, so dass die Sache gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen ist.

4

1. Die rechtliche Einordnung von Maßnahmen des Gerichtsvollziehers, die nicht unmittelbar die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betreffen, wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine Tätigkeit des Gerichtsvollziehers außerhalb der Zwangsvollstreckung generell nicht unter § 766 ZPO falle, sondern er als Justizbehörde i.S. des § 23 [X.] tätig werde ([X.] Rpfleger 2011, 93; OLG Düsseldorf MDR 2008, 1365; [X.], 234; 235; OLG Karlsruhe MDR 1976, 54; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO 70. Aufl. § 23 [X.] Rn. 4; Musielak/[X.], ZPO 9. Aufl. § 766 Rn. 8; [X.]/Stöber, ZPO 29. Aufl. § 766 Rn. 5; § 23 [X.] Rn. 10; MünchKomm-ZPO/[X.], ZPO 3. Aufl. § 23 [X.] Rn. 45). Andere nehmen demgegenüber an, dass in diesen Fällen der Rechtsweg nach § 23 [X.] nicht eröffnet sei, sondern es naheliege, das Vollstreckungsgericht als zuständiges Gericht anzusehen ([X.] 1984, 856; OLG Frankfurt Rpfleger 1976, 367).

5

2. Hierauf kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil beide Rechtsmittel voraussetzen, dass der Weg in die ordentliche Gerichtsbarkeit eröffnet ist. Das ist hier nicht der Fall. Die Zivilprozessordnung findet nach § 3 Abs. 1 EGZPO nur auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten Anwendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. § 23 [X.] setzt [X.] auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder der Strafrechtspflege voraus. Dieser besonderen Rechtswegregelung liegt die Annahme zugrunde, dass die ordentlichen Gerichte den Verwaltungsmaßnahmen in den aufgeführten Gebieten sachlich näher stehen als die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit und über die zur Nachprüfung justizmäßiger Verwaltungsakte erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Erkenntnisse und Erfahrungen verfügen ([X.]sbeschluss vom 28. März 2007 - [X.]([X.]) 1/07, [X.], 376 Rn. 7).

6

§ 23 [X.] ist als Ausnahme zu § 40 Abs. 1 VwGO eng auszulegen. Seine Anwendung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich die vom Gesetz vorausgesetzte Sachnähe der zur Überprüfung berufenen ordentlichen Gerichtsbarkeit tatsächlich feststellen lässt ([X.]sbeschlüsse vom 28. März 2007 aaO; vom 16. Mai 2007 - [X.]([X.]) 5/07, [X.], 1379 unter III 3 a; vom 16. Juli 2003 - [X.]([X.]) 1/03, [X.], 2989 unter 4). Auf dieser Grundlage hat der [X.] bereits entschieden, dass etwa Streitigkeiten über die Streichung aus der bei der Justizverwaltung geführten Liste vereidigter und ermächtigter Dolmetscher und Übersetzer (Beschluss vom 28. März 2007 aaO) sowie über Maßnahmen im Rahmen dienstaufsichtlicher Tätigkeit (Beschluss vom 15. November 1988 - [X.] ([X.]) 5/88, [X.], 395; 399 f.) nicht unter die Rechtswegzuständigkeit des § 23 [X.] fallen. Auch das [X.] legt § 23 [X.] im Verhältnis zu § 40 Abs. 1 VwGO eng aus und fordert, die in Rede stehende Amtshandlung müsse in Wahrnehmung einer Aufgabe vorgenommen werden, die der jeweiligen Behörde als ihre spezifische Aufgabe auf einem der in § 23 [X.] aufgeführten Rechtsgebiete zugewiesen sei (NJW 1989, 412, 414: verneint für Streitigkeiten auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit Presseerklärungen der Staatsanwaltschaft).

7

Im Streitfall handelt es sich weder um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit noch um einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Die Antragstellerin begehrt die Zustellung eines Schriftstücks an das Generalkonsulat der [X.] in [X.] im Zusammenhang mit der von ihr beabsichtigten Aufgabe der [X.]n und dem Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit. Es geht mithin um Fragen des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts sowie des damit im Zusammenhang stehenden Anwendungsbereichs der [X.] über diplomatische und konsularische Beziehungen bei Zustellungen. Als öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist hierfür die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte begründet. Nach Anhörung der Antragstellerin war die Sache daher gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige [X.] zu verweisen.

[X.]                                                 Wendt                                             Felsch

                     Harsdorf-Gebhardt                                  [X.]

Meta

IV ZB 27/11

27.06.2012

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bonn, 6. September 2011, Az: 4 T 327/11

§ 17a Abs 2 S 1 GVG, § 18 GVG, § 19 GVG, § 20 GVG, § 23 GVGEG, §§ 23ff GVGEG, § 573 ZPO, § 766 ZPO, § 3 ZPOEG, § 40 VwGO, Art 22 Abs 3 KonsÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2012, Az. IV ZB 27/11 (REWIS RS 2012, 5246)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5246

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