Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.10.2012, Az. 10 AZR 629/11

10. Senat | REWIS RS 2012, 2256

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Gegenstand

Gerüstbaugewerbe - Erstellung mobiler Tribünen - § 1 VTV Gerüstbauerhandwerk


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2011 - 10 Sa 1558/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Erteilung von Auskünften und über die Zahlung einer Entschädigung.

2

Der Kläger zieht als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des [X.] nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im [X.] vom 20. Januar 1994 idF des [X.] vom 11. Juni 2002 (im Folgenden: [X.]) [X.] ein. Die Beklagte baut und vermietet mobile Tribünen und Bühnen für (Groß-)Veranstaltungen und erbringt Dienstleistungen im Bereich der Planung, Beratung und Überwachung des Aufbaus der Konstruktionen. Der Aufbau vor Ort erfolgt unter Einbeziehung von Subunternehmern. Bei der Errichtung mobiler Tribünen sind die „Richtlinien für den Bau und Betrieb fliegender Bauten“ zu beachten.

3

Der [X.] enthält ua. folgende Regelungen zum Geltungsbereich:

        

„§ 1 Geltungsbereich

        

(1)     

Räumlicher Geltungsbereich:

        

Das Gebiet der [X.] mit Ausnahme des [X.].

                 
        

(2)     

Betrieblicher Geltungsbereich:

        

Abschnitt I

        

Betriebe des Gerüstbauerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste erstellen. Erfasst werden auch Betriebe, die gewerblich Gerüstmaterial bereitstellen. Als Gerüste gelten alle Arten von Arbeits-, Schutz- und Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik.

        

Erfasst werden auch solche Betriebe, die im Rahmen eines mit Betrieben des Gerüstbauerhandwerks bestehenden Zusammenschlusses - unbeschadet der gewählten Rechtsform - ausschließlich oder überwiegend für die angeschlossenen Betriebe des Gerüstbauerhandwerks die kaufmännische und/oder organisatorische Verwaltung, den Transport von Gerüstmaterial, den Vertrieb, Planungsarbeiten, Laborarbeiten oder Prüfarbeiten übernehmen, soweit diese Betriebe nicht von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst werden.

        

Abschnitt [X.]

        

Betriebe, soweit in ihnen die unter Abschnitt I beschriebenen Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. ...

        

Abschnitt [X.]I

        

Nicht erfasst werden Betriebe und selbstständige [X.], die als Betriebe des Baugewerbes durch den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe erfasst werden. Nicht erfasst werden Betriebe und selbstständige [X.] des Maler- und Lackiererhandwerks. Nicht erfasst werden Betriebe, die ausschließlich Hersteller oder Händler sind.“

4

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erteilung der tariflich geregelten Auskünfte für den Zeitraum Januar 2008 bis Dezember 2009 in Anspruch und begehrt für den Fall der Nichterteilung der Auskunft Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 80 % des für den [X.] geschätzten Beitrags für acht gewerbliche Arbeitnehmer und eine technische bzw. kaufmännische Angestellte. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte erbringe Gerüstbauarbeiten iSd. [X.]. Die im Betrieb der [X.] beschäftigten Arbeitnehmer würden zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Gesamtarbeitszeit, die zusammengerechnet mehr als 50 % der betrieblichen Arbeitszeit ausmache, Gerüstbauarbeiten verrichten. Die Beklagte lagere, transportiere und repariere Gerüste und Gerüstteile, erstelle Tribünen und Bühnen, indem sie genormte Bauteile unter Einbeziehung der fest mit den Tribünen und Bühnen verankerten Bestuhlung zusammenfüge, und erbringe die in diesem Zusammenhang erforderlichen Planungs- und Verwaltungsarbeiten.

5

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen,

        

1.    

ihm auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft zu erteilen,

        

1.1     

wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des [X.] ([X.]) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2008 bis Dezember 2009 in dem Betrieb der [X.] beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme in den Monaten insgesamt für diese Arbeitnehmer angefallen ist und wie hoch die hiernach zu zahlenden Beiträge sind,

        

1.2     

wie viele Angestellte, die eine nach den Vorschriften des [X.] (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2008 bis Dezember 2009 in dem Betrieb der [X.] beschäftigt wurden und wie hoch die zu zahlenden Beiträge sind,

        

2.    

für den Fall, dass diese Auskunft nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erteilt wird, an ihn eine Entschädigung bezüglich des Antrags zu 1.1 in Höhe von 72.960,00 Euro, bezüglich des Antrags zu 1.2 in Höhe von 211,20 Euro, insgesamt in Höhe von 73.171,20 Euro zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei kein Betrieb des [X.]s. Mobile Tribünen und Bühnen seien keine Gerüste iSd. [X.], sondern selbstständige, eigene Zwecke erfüllende bauliche Anlagen, die mit herkömmlichen Baugerüsten nicht verglichen werden könnten. Der [X.] sei auf den Betrieb auch deshalb nicht anwendbar, weil dieser keinen jahreszeitlichen und/oder witterungsbedingten Einflüssen unterliege.

7

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Der Betrieb der [X.] unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen [X.], sodass die Beklagte nach § 15 [X.] zur Erteilung von Auskünften und für den Fall ihrer Nichterteilung nach § 61 Abs. 2 ArbGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet ist.

9

I. Ein Betrieb unterfällt nach § 1 Abs. 2 Abschnitt I [X.] dem betrieblichen Geltungsbereich des [X.], wenn er nach seiner durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung arbeitszeitlich überwiegend mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste erstellt oder Gerüstmaterial bereitstellt. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte oder auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es danach nicht an. Den Gerüstbauarbeiten sind diejenigen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu ihrer sachgerechten Ausführung notwendig sind (vgl. zu § 1 Abs. 2 [X.] für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe: [X.] 14. Dezember 2011 - 10 [X.] - Rn. 10 mwN).

II. Die Beklagte hat im Streitzeitraum einen Betrieb des [X.]s betrieben.

1. Die von ihr geplanten und mit eigenem oder fremdem Personal erstellten Tribünen und Bühnen sind Sonderkonstruktionen der [X.] und damit Gerüste iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt I [X.].

a) „Gerüste“ sind nach dieser Norm alle Arten von Arbeits-, Schutz- und Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkonstruktionen der [X.]. Mobile Tribünen oder Bühnen werden zwar nicht ausdrücklich genannt, eine Beschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs auf Betriebe, die „Baugerüste“ erstellen, ist dem Wortlaut aber nicht zu entnehmen. Der Einbezug „aller Arten“ der näher bezeichneten Gerüste sowie von „Sonderkonstruktionen der [X.]“ verdeutlicht, dass der Begriff des „Gerüsts“ umfassend zu verstehen ist und der Tarifvertrag mit seinem betrieblichen Geltungsbereich alle Betriebe erfasst, die mit Gerüstmaterial Gerüste und sonstige Konstruktionen erstellen. Zwar werden die tariflich im Einzelnen bezeichneten Gerüstformen überwiegend im Zusammenhang mit Bauarbeiten gebraucht (vgl. [X.]/[X.] Bautechnische Fachbegriffe von A - Z S. 61 ff.; [X.]/[X.] 2 32. Aufl. S. 733 ff.). Maßgebend für den Geltungsbereich des [X.] ist aber die Art der Konstruktion unter Verwendung von Gerüstbauteilen, die einen relativ einfachen Auf- und Abbau und die mehrfache Verwendung für weiteren Gerüstbau ermöglicht ([X.]).

b) Die von der [X.] erstellten mobilen Tribünen werden mit Gerüstmaterial erstellt. Sie benötigen, um ihrem Zweck entsprechend genutzt werden zu können, eine stabile und sichere Unterkonstruktion. Diese wird wie bei Bau- oder Schutzgerüsten aus (Stahl-)Rohren und Verbindungselementen, eventuell auch im Modulsystem (vgl. [X.] 2. Aufl. Stichwort: [X.]; [X.]/[X.] aaO) erstellt und schafft eine tragfähige Grundlage für den Aufenthalt von Menschen, die einer Veranstaltung stehend oder sitzend beiwohnen. Auf dieser mit Gerüstmaterial erstellten Unterkonstruktion wird eine Bestuhlung oder eine Plattform zum stehenden Aufenthalt montiert. Eine mobile Tribüne ermöglicht damit wie ein Arbeitsgerüst Menschen den Aufenthalt in einer erhöhten Position. Entsprechendes gilt für die mobilen Bühnen. Nach den auf den Gerüsten vorgenommenen Tätigkeiten differenziert der [X.] nicht; dass eine mobile Bühne bzw. Tribüne die Veranstaltung und die Teilnahme an ihr, ein Baugerüst dagegen die Vornahme von Bauarbeiten ermöglicht, ist für den betrieblichen Geltungsbereich des [X.] unerheblich.

c) Nicht von Bedeutung für den betrieblichen Geltungsbereich des [X.] ist auch, dass nach Vortrag der [X.] die mobilen Bühnen und Tribünen speziell geplant und konzipiert werden. Der [X.] differenziert nicht danach, ob [X.] ohne spezielle Planung erstellt werden oder das [X.] komplexer Bauten eine spezielle Planung erfordert. Er bezieht Betriebe, die „Sonderkonstruktionen“ der [X.] erstellen und damit auch vorbereitende Planungsleistungen erbringen müssen, ausdrücklich in den betrieblichen Geltungsbereich ein.

d) Der Bau mobiler Bühnen und Tribünen und die Bereitstellung des entsprechenden Materials ist auch nach dem Inhalt der erforderlichen Ausbildung dem [X.] zuzuordnen. Nach § 4 Ziff. 19 (Bauen von Gerüsten für besondere Anforderungen) der Verordnung über die Berufsausbildung zum Gerüstbauer/zur Gerüstbauerin vom 26. Mai 2000, in Kraft seit dem 1. August 2000 ([X.]), werden in der Ausbildung Fertigkeiten und Kenntnisse des Auf-, Um- und Abbaus von Bühnen und Tribünen vermittelt; der Bau und die Prüfung von Bühnen und Tribünen gehört auch zum Berufsbild der Meisterprüfung im [X.] (§ 2 Abs. 2 Nr. 10 der Verordnung über das [X.] und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im [X.] - Gerüstbauermeisterverordnung - vom 12. Dezember 2000, BGBl. I S. 1694).

2. Die Beklagte „erstellt“ nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt I [X.]. Nach ihrem Vortrag plant und konstruiert sie auftragsbezogen komplexe mobile Bühnen und Tribünen, überwacht den durch Subunternehmer, aber mit von ihr bereitgestelltem Material durchgeführten Aufbau und sorgt für die Abnahme. Damit leistet sie alle wesentlichen im Zusammenhang mit der Konstruktion und dem Aufbau zusammenhängenden Tätigkeiten; dass der von ihr überwachte Aufbau nicht durch eigene Arbeitnehmer, sondern durch Fremdpersonal vollzogen wird, führt nicht zu einer anderen tariflichen Bewertung ihrer betrieblichen Tätigkeit. Soweit die betriebliche Tätigkeit auch in der Vermietung von Tribünen besteht, unterfällt die Beklagte mit der gewerblichen Bereitstellung von Gerüstmaterial zur Erstellung von Tribünen nach § 1 Abs. 2 Abschnitt I Satz 3 [X.] dem betrieblichen Geltungsbereich des [X.].

3. Unerheblich ist, dass der Betrieb der [X.] keinen jahreszeitlichen und/oder witterungsbedingten Einflüssen unterliegt. Der [X.] setzt nach seinem betrieblichen Geltungsbereich kein bestimmtes Maß an Fluktuation der Mitarbeiter voraus. Ob ein Betrieb des [X.]s im Einzelfall jahreszeitliche Schwankungen bei den Beschäftigten hat, ist wie im Baugewerbe ohne Bedeutung.

4. Der Betrieb der [X.] unterfällt keiner Ausnahmebestimmung von § 1 Abs. 2 Abschnitt III [X.]. Die Beklagte hat nicht dargelegt, sie sei ein Betrieb des Baugewerbes oder des Maler- und Lackiererhandwerks. Sie ist auch nicht Händler iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt III [X.], da sie Tribünen nicht an- und verkauft, sondern allenfalls vermietet.

III. Der Kläger hat nach § 15 [X.] Anspruch auf Abgabe der ordnungsgemäßen Meldungen. Für den Fall der Nichterteilung der Auskünfte besteht, wie das [X.] zutreffend erkannt hat, nach § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Nach der Rechtsprechung des Senats ist diese regelmäßig mit 80 % der zu erwartenden Beitragssumme zu berechnen ([X.] 24. Februar 2010 - 10 [X.] - Rn. 24 mwN, [X.] § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 319). Die Klägerin hat die Entschädigungssumme auf der Grundlage von acht bzw. neun Arbeitnehmern in den Jahren 2008 und 2009 berechnet. Gegen diese Berechnung wendet sich die Revision nicht mehr.

IV. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    D. Kiel    

        

Die Amtszeit des ehrenamtlichen

Richters Beck ist abgelaufen.
            Mikosch    

                 

Meta

10 AZR 629/11

17.10.2012

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wiesbaden, 7. September 2010, Az: 2 Ca 516/10, Urteil

§ 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.10.2012, Az. 10 AZR 629/11 (REWIS RS 2012, 2256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2256

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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