Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. 1 C 31/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 432

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Gegenstand

Soll-Regelung begründet keinen strikten "gesetzlichen Anspruch" auf Erteilung eines Aufenthaltstitels


Leitsatz

1. Ein Asylverfahren ist nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 AufenthG bestandskräftig abgeschlossen, wenn zwar die Feststellung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen von Abschiebungsschutz nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG) vorliegen, bestandskräftig geworden ist, nicht aber die Entscheidung über die Versagung internationalen Schutzes; die Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels während des Asylverfahrens wirkt dann für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens fort.

2. Ein "gesetzlicher Anspruch" auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 1 AufenthG muss ein strikter Rechtsanspruch sein, der sich unmittelbar und abschließend aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer "Soll"-Regelung (hier: § 25 Abs. 3 AufenthG) genügt auch dann nicht, wenn kein atypischer Fall vorliegt (Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382).

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, eine ihr bereits erteilte Aufenthaltserlaubnis rückwirkend auf den [X.] auszustellen.

2

Die Klägerin ist [X.] Staatsangehörige. Sie reiste im Jahr 2010 in die [X.] ein und beantragte im Januar 2011 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Mit [X.] vom 9. September 2011 lehnte das [X.] - [X.] - die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 [X.] ab; es stellte aber fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 [X.] in der Person der Klägerin vorliegt. Auf die entsprechende Klage hin verpflichtete das [X.] mit Urteil vom 25. Juni 2012 die [X.] festzustellen, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 [X.] vorliegen; das [X.] entsprach der Verpflichtung mit [X.] vom 4. September 2012.

3

Bereits am 17. Oktober 2011 hatte die Klägerin bei der Ausländerbehörde der Beklagten formlos die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 [X.] sowie die Ausstellung eines Ausweisersatzdokuments beantragt und darauf verwiesen, ihr werde nur im Fall der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für ihre im August 2011 geborene Tochter auch Kinder- und Elterngeld gewährt. Am 14. März 2012 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage (Az. 11 K 868/12.F). Die Beklagte lehnte mit [X.] vom 4. Juli 2012 den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab.

4

Mit Urteil vom 6. Juni 2013 wies das Verwaltungsgericht die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (auch) für den Zeitraum ab der Beantragung des Aufenthaltstitels bei der Beklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens am 4. August 2012 ab, weil § 10 Abs. 1 [X.] ein grundsätzliches Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels während eines anhängigen Asylverfahrens enthalte. Das Verbot gelte auch dann, wenn bereits bestandskräftig [X.] zuerkannt worden sei. Ein bestandskräftiger Abschluss des Asylverfahrens liege in diesen Fällen nur dann vor, wenn gegen den [X.] des [X.]s für Migration und Flüchtlinge keine Klage erhoben oder das Klageverfahren unanfechtbar abgeschlossen worden sei.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 1. Oktober 2014 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die rückwirkende Gewährung der begehrten Aufenthaltserlaubnis, weil mit der in Bestandskraft erwachsenen Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 [X.] das Asylverfahren insgesamt noch nicht abgeschlossen und die Ausländerbehörde gemäß § 10 Abs. 1 [X.] gehindert gewesen sei, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Voraussetzungen für die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 [X.] lägen vor, ohne dass Gründe für eine Ausnahme gegeben seien. Nach § 13 Abs. 1 AsylVfG umfasse das einheitliche Asylverfahren die Prüfung des Begehrens des Ausländers auf Schutz nach nationalen wie internationalen Bestimmungen und werde nicht schon dann im Sinne des § 10 Abs. 1 AsylVfG (insgesamt) bestandskräftig abgeschlossen, wenn eine für den Schutzsuchenden positive Teilentscheidung getroffen worden sei. Der Klägerin stehe auch kein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Von diesem Ausnahmefall erfasst sei nur ein "strikter Rechtsanspruch" auf Erteilung eines Titels, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebe und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien. Nicht ausreichend sei, wenn - wie nach der hier allein zugunsten der Klägerin in Betracht kommenden Regelung des § 25 Abs. 3 [X.] - der Titel lediglich erteilt werden "soll". Entgegen einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung entspreche diese Auslegung dem Wortlaut sowie der Systematik der Norm, insbesondere dem Gleichklang von § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 [X.]. § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 [X.] wäre überflüssig, wenn § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 [X.] generell auf Regelansprüche anwendbar wäre.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der § 10 Abs. 1, § 25 Abs. 3 [X.] und macht geltend, die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 1 [X.] greife im Fall einer Sollvorschrift wie bei § 25 Abs. 3 [X.] jedenfalls dann nicht, wenn bereits bestandskräftig im Asylverfahren ein Abschiebungsverbot festgestellt worden und das Asylverfahren gemäß dem auch vom [X.] erteilten [X.] insoweit positiv rechtskräftig abgeschlossen sei. [X.] sei die Sperrwirkung mit Art. 15, 18 und 24 Abs. 2 RL 2004/83/[X.] unvereinbar. Jedenfalls liege in Bezug auf die teilweise Zuerkennung von asylrechtlichem Schutz eine Regelungslücke vor, die den § 10 Abs. 1 [X.] insoweit unanwendbar mache. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts unterscheide gleichheitswidrig zwischen Personen, denen bestandskräftig [X.] nach § 60 Abs. 7 [X.] zugebilligt worden sei, danach, ob ein weitergehender Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geltend gemacht werde.

7

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil und hebt hervor, dass der Anwendungsbereich von § 10 Abs. 1 [X.] eröffnet sei, obgleich ein [X.] vorläge. Das Gesetz sehe nur ein einheitliches Asylverfahren vor, in dem mehrere Teilansprüche geprüft würden. Bei § 25 Abs. 3 [X.] handele es sich um eine Soll-Regelung, die keinen gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 [X.] vermittle.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Der Klägerin kann für den streitbefangenen Zeitraum nach § 10 Abs. 1 [X.] kein Aufenthaltstitel erteilt werden, weil ihr Asylverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen war (1.); ihr stand auch kein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu, weil nach der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 25 Abs. 3 [X.] in Fällen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] eine Aufenthaltserlaubnis lediglich erteilt werden "soll" (2.).

9

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. BVerw[X.], Urteil vom 25. März 2015 - 1 [X.] 16.14 - NVwZ-RR 2015, 634 Rn. 14). Dabei sind nach ständiger Rechtsprechung des [X.] Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (BVerw[X.], Urteil vom 17. September 2015 - 1 [X.] 27.14 - juris). Wird - wie hier - die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen zurückliegenden Zeitraum begehrt, ist indes auf die Rechtslage in dem Zeitraum abzustellen, für den der Aufenthaltstitel begehrt wird, soweit nicht nachfolgende Rechtsänderungen materielle Rückwirkung für vorangehende Zeiträume haben. Maßgeblich ist hier mithin das [X.] i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), für den hier erfassten Zeitraum zuletzt geändert durch das [X.]esetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der [X.] vom 1. Juni 2012 ([X.] I S. 1224).

1. Der Klägerin kann für den streitbefangenen Zeitraum kein Aufenthaltstitel erteilt werden, weil sie einen Asylantrag gestellt hatte und ihr Asylverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen war (§ 10 Abs. 1 [X.]). Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die [X.] des § 10 Abs. 1 [X.] auch in Fällen greift, in denen das mit dem Asylantrag eingeleitete Verfahren zur (bestandskräftigen) Anerkennung von [X.] nach § 60 Abs. 5, 7 [X.] geführt hat, es im Übrigen aber fortgeführt wird. Die Sperre für die Erteilung eines Aufenthaltstitels während des Asylverfahrens wirkt dann für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens fort.

1.1 Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, dass die Klägerin einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVf[X.] gestellt hatte, über den im streitbefangenen Zeitraum noch nicht insgesamt bestandskräftig entschieden war. Denn das [X.] hatte den auf [X.]ewährung von Flüchtlingsschutz und Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichteten Antrag der Klägerin abgelehnt und lediglich [X.] nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 7 [X.]) gewährt. Da die Klägerin mit dem Ziel der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz Klage erhoben hatte, war insoweit die Entscheidung des [X.]es über den Asylantrag nicht bestandskräftig geworden.

1.2 Für den Wegfall der [X.] des § 10 Abs. 1 [X.] reicht ein lediglich teilweise bestandskräftiger Abschluss des mit dem Asylantrag eingeleiteten Verwaltungsverfahrens nicht aus. Bereits der Wortlaut der Vorschrift erfordert, dass das Asylverfahren insgesamt bestandskräftig abgeschlossen worden ist. Dies bestätigt auch der systematische Zusammenhang mit § 10 Abs. 3 [X.], der den Fall einer unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrages regelt und auch hier nicht zwischen den einzelnen Entscheidungsgegenständen eines Asylverfahrens differenziert; dies sieht § 10 [X.] auch sonst nicht vor.

[X.]egen eine Auslegung, die eine bestandskräftige Zuerkennung nationalen [X.]es ausreichen lässt, um insoweit die [X.] wegfallen zu lassen, spricht mittelbar auch § 51 Abs. 1 Nr. 8 [X.], nach dem auch ein nach § 25 Abs. 3 bis 5 [X.] erteilter Aufenthaltstitel kraft [X.]esetzes erlischt, wenn ein Ausländer einen Asylantrag gestellt hat. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten erfasst diese Erlöschensregelung zwar nicht den Fall, dass ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 [X.] aufgrund einer Feststellung des [X.]es nach § 31 Abs. 3 Asyl[Vf][X.] über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5, 7 [X.] zu erteilen wäre, weil lediglich ein der Aufenthaltstitelerteilung zeitlich nachfolgender Asylantrag ein Erlöschen des Titels bewirkt. Aus dieser Erlöschensregelung ergibt sich aber der klare Wille des [X.]esetzgebers, während eines noch nicht insgesamt abgeschlossenen Asylverfahrens den rechtmäßigen Aufenthalt des Ausländers allein durch die Aufenthaltsgestattung nach dem Asyl(verfahrens)gesetz zu sichern und daneben grundsätzlich keinen humanitären Aufenthaltstitel zuzulassen.

1.3 Die Regelungen der Richtlinie 2011/95/[X.] vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ([X.]. L 337 S. 9) und die der Vorgängerrichtlinie 2004/83/[X.] vom 29. April 2004 ([X.]. L 304 S. 12) zum Inhalt des internationalen Schutzes und den nach Zuerkennung eines Schutzstatus auszustellenden Aufenthaltstitel rechtfertigen keine andere Beurteilung. Sie sind nicht auf die Feststellung anzuwenden, ob die Voraussetzungen von [X.] nach nationalem Recht (§ 60 Abs. 5 oder 7 [X.]) vorliegen.

1.4 Eine Auslegung, nach der für den Wegfall der [X.] bereits die bestandskräftige Feststellung des Vorliegens von [X.] nach nationalem Recht durch das [X.] aus Anlass eines Asylantrages ausreicht, ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen [X.]ründen geboten.

[X.] des Verwaltungsverfahrens, das durch einen Asylantrag eingeleitet wird, ist neben dem Begehren auf Anerkennung als Asylberechtigter das auf Zuerkennung von internationalem Schutz (§ 13 Abs. 2 Asyl[Vf][X.]). Die Entscheidung über das Vorliegen von [X.] nach nationalem Recht ist vom [X.] nur dann zu treffen, wenn es zu einem Asylantrag entscheidet. Ein isolierter Antrag auf Feststellung allein nationalen [X.]es (§ 60 Abs. 5 oder 7 [X.]) ist kein Asylantrag und begründet als solcher nicht die Entscheidungszuständigkeit des [X.]es nach § 24 Abs. 2 Asyl[Vf][X.]. Bei Personen, bei denen das Asylverfahren in Bezug auf die [X.]begehren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen ist, bewirkt eine bestandskräftige positive Entscheidung allein zum [X.] nach nationalem Recht dann aber keine Unterschiede von solcher Art oder solchem [X.]ewicht, dass zur Vermeidung eines [X.]leichheitsverstoßes eine aufenthaltsrechtliche Besserstellung gegenüber solchen Personen geboten wäre, bei denen das [X.] die Voraussetzungen nationalen [X.]es nicht festgestellt hat. Eine Entscheidung, die von dem [X.] (§ 24 Abs. 2 Asyl[Vf][X.]) nach Stellung eines Asylantrages zu treffen ist, ist eben keine Entscheidung über diesen Asylantrag.

Das [X.]ebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 [X.][X.]), das auch unverhältnismäßige Einschränkungen des Zugangs zu [X.]ericht verbietet, ist ebenfalls nicht berührt. Die Klägerin wird durch § 10 Abs. 1 [X.] rechtlich nicht gehindert, nach ablehnender Entscheidung des [X.]es ihr Verpflichtungsbegehren auf internationalen Schutz gerichtlich zu verfolgen. Die tatsächlichen aufenthaltsrechtlichen Folgen für den Zugang zu einem humanitären Aufenthaltstitel bei Klageerhebung sind Folge der systematischen Entscheidung des [X.]esetzgebers, den Aufenthalt von Personen, die internationalen Schutz begehren, einheitlich zu regeln und durch die Aufenthaltsgestattung (§ 55 Asyl[Vf][X.]) abzusichern. Diese vermittelt - wenngleich selbst kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 [X.] - für die Dauer des Asylverfahrens einen rechtmäßigen Aufenthalt im [X.]. Weil auch die Leistungen nach dem [X.] das menschenwürdige Existenzminimum sichern, sind die sozialrechtlichen Konsequenzen eines Verweises auf eine Aufenthaltssicherung durch eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asyl(verfahrens)gesetz ebenfalls nicht geeignet, den Zugang zum [X.]ericht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise zu erschweren.

2. Der Klägerin steht für den streitbefangenen Zeitraum auch kein "gesetzlicher Anspruch" auf einen Aufenthaltstitel zu, der nach § 10 Abs. 1 [X.] auch schon vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens die Erteilung eines Aufenthaltstitels ermöglicht.

2.1 Als Rechtsgrundlage für die Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt für den streitbefangenen Zeitraum hier allein § 25 Abs. 3 Satz 1 [X.] in Betracht. Nach dieser Regelung "soll" u.a. Personen, bei denen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] vorliegt, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist ausgeschlossen, soweit die in § 25 Abs. 3 Satz 2 [X.] benannten [X.]ründe vorliegen; in Bezug auf die Klägerin sind solche [X.]ründe durch das Berufungsgericht nicht festgestellt oder sonst ersichtlich.

2.2 Zu einem "gesetzlichen Anspruch" im Sinne des § 10 Abs. 1 [X.] führen nicht Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften (offengelassen noch BVerw[X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 [X.] 37.07 - BVerw[X.]E 132, 382 Rn. 24 [zu § 10 Abs. 3 Satz 3 [X.]]). Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne dieser Regelung muss sich unmittelbar aus dem [X.]esetz ergeben. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der [X.]esetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (s.a. BVerw[X.], Urteil vom 10. Dezember 2014 - 1 [X.] 15.14 - [X.] 402.242 § 5 [X.] Nr. 16 [zu § 5 Abs. 2 [X.]]).

Bei einer "Soll"-Regelung, wie sie § 25 Abs. 3 Satz 1 [X.] enthält, fehlt es an einer abschließenden [X.], die Verwaltung bindenden Entscheidung des [X.]esetzgebers. Zwar ist bei einer Soll-Regelung die Entscheidung der Verwaltung insoweit gebunden, als bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen die Rechtsfolge regelmäßig vorgezeichnet ist. Auch die Frage, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, bei dem der Verwaltung ein Rechtsfolgenermessen eröffnet ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (stRspr, BVerw[X.], Urteile vom 17. September 1987 - 5 [X.] 26.84 - BVerw[X.]E 78, 101 <105, 113>, vom 10. September 1992 - 5 [X.] 80.88 - [X.] 436.61 § 18 Schwb[X.] Nr. 6 = juris Rn. 18 und vom 22. November 2005 - 1 [X.] 18.04 - BVerw[X.]E 124, 326 <331>) und ist in diesem Sinne im ersten Schritt eine rechtlich gebundene Entscheidung. Anders als bei einer Anspruchsnorm, bei der die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl positiv als auch negativ abschließend bestimmt sind, kann indes nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles beurteilt und festgestellt werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt; die möglichen Versagungsgründe sind hiernach gerade nicht in abschließender Weise durch den [X.]esetzgeber vollumfänglich ausformuliert. Diese normative Offenheit in Bezug auf Umstände, die einen Fall als atypisch erscheinen lassen, unterscheiden eine "Soll"-Vorschrift im verwaltungsrechtlichen Sinne auch von solchen Normen, die für die [X.] Tatbestandsvoraussetzungen unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Aus denselben [X.]ründen, bei denen für einen "gesetzlichen Anspruch" jedenfalls im Sinne des § 10 [X.] ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift auch dann nicht genügt, wenn das Ermessen im Einzelfall "auf Null" reduziert ist (BVerw[X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 [X.] 37.07 - BVerw[X.]E 132, 382 Rn. 21 m.w.N.), fehlt es wegen der Notwendigkeit einer der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen nachgelagerten behördlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalles an einer [X.] abschließenden, die Verwaltung bindenden Wertung des [X.]esetzgebers zu [X.]unsten eines Aufenthaltsrechts.

Diese aus dem Wortlaut und dem Zweck der Verwendung einer "Soll"-Regelung, der Verwaltung eine abschließende Prüfung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalles zu ermöglichen, folgende Auslegung wird systematisch durch die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 [X.] bestätigt. Dieser weiteren Ausnahme von der in § 10 Abs. 3 Satz 2 [X.] angeordneten [X.] bedürfte es nicht, wenn in Fällen einer "Soll"-Regelung bereits ein "Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels" im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 [X.] vorläge. Die [X.]esetzesbegründung zu dieser durch Art. 1 Nr. 11 des [X.]esetzes vom 19. August 2007 ([X.] I S. 1970) eingefügten Regelung ([X.]. 16/5065 S. 164) weist nicht darauf, dass diese Ergänzung ohne konstitutive Wirkung allein eine der Europarechtskonformität des [X.] Rechts geschuldete Klarstellung (in diese Richtung wohl [X.], [X.], Stand Dezember 2008, § 10 [X.] Rn. 22 a.E.; Discher, in: [X.]K-[X.], Stand Juli 2014, § 10 Rn. 176.12) gewesen wäre (s.a. BayV[X.]H, Urteil vom 6. März 2008 - 10 B 06.2961 - juris Rn. 16). Der unterschiedliche Wortlaut in § 10 Abs. 1 Satz 1 [X.] einerseits ("gesetzlichen Anspruchs") und Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift andererseits ("Anspruchs") weist nicht auf Regelungs- oder Bedeutungsunterschiede (BVerw[X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - 1 [X.] 37.07 - BVerw[X.]E 132, 382 Rn. 23).

2.3 Dass nach § 10 Abs. 1 [X.] ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, weil wichtige Interessen der [X.] es erfordern und die Zustimmung der obersten Landesbehörde vorläge, macht die Klägerin nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich.

3. Steht der Klägerin hiernach bereits aus [X.]ründen des materiellen Rechts kein Anspruch auf die rückwirkende Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 [X.] zu, ist nicht zu vertiefen, ob das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine auch rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (BVerw[X.], Urteile vom 9. Juni 2009 - 1 [X.] 7.08 - [X.] 402.242 § 9a [X.] Nr. 1 m.w.N. und vom 26. Oktober 2010 - 1 [X.] 19.09 - [X.] 402.242 § 104a [X.] Nr. 6) besteht. Auch für die hilfsweise begehrte Feststellung besteht hiernach kein Raum.

4. [X.] folgt aus § 154 Abs. 2 Vw[X.]O.

Meta

1 C 31/14

17.12.2015

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Oktober 2014, Az: 6 A 2206/13, Urteil

§ 13 Abs 1 AsylVfG 1992, § 13 Abs 2 AsylVfG 1992, § 24 Abs 2 AsylVfG 1992, § 31 AsylVfG 1992, § 55 AsylVfG 1992, § 10 Abs 1 AufenthG, § 10 Abs 3 AufenthG, § 25 Abs 3 AufenthG, § 4 Abs 1 AufenthG, § 5 Abs 2 AufenthG, § 60 Abs 5 AufenthG, § 60 Abs 7 AufenthG, Art 15 EGRL 83/2004, Art 18 EGRL 83/2004, Art 24 Abs 2 EGRL 83/2004, Art 19 Abs 4 GG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. 1 C 31/14 (REWIS RS 2015, 432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 432

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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