Bundessozialgericht, Urteil vom 28.11.2018, Az. B 14 AS 48/17 R

14. Senat | REWIS RS 2018, 1153

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf - unabweisbarer laufender besonderer Bedarf - Aufwendungen für den Besuch eines nahen Angehörigen


Leitsatz

Anders nicht gedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines nahen Angehörigen können in einer Sondersituation einen Härtefallmehrbedarf begründen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 17. November 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar 2010 bis Januar 2011 unter [X.]erücksichtigung von Reisekosten für den [X.]esuch der zunächst in [X.] inhaftiert gewesenen Tochter der Klägerin.

2

Die 1961 geborene Klägerin bezog im streitbefangenen Zeitraum [X.] (zuletzt [X.]escheid vom [X.] für August 2009 bis Januar 2010; [X.]escheid vom [X.] für Februar 2010 bis Juli 2010; [X.]escheid vom [X.] für August 2010 bis Januar 2011). Mit Schreiben vom 7.6.2010 beantragte sie beim beklagten Jobcenter höhere Leistungen für [X.]esuche bei ihrer 1986 geborenen Tochter, die seit Dezember 2009 in [X.] in Untersuchungshaft einsitze. Der [X.]eklagte lehnte den Antrag ab ([X.]escheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 1[X.]). Mit ihrer Klage verfolgte die Klägerin zuletzt das Ziel, den [X.]eklagten zur Zahlung von weiteren 2570 Euro zu verurteilen. Als ihre Tochter wegen des Vorwurfs der [X.]eteiligung an einem deren Lebensgefährten zur Last gelegten Tötungsdelikt in [X.] in Haft gekommen sei, habe sie sich ungeachtet früherer Differenzen verpflichtet gefühlt, ihr beizustehen, und das Jobcenter auf künftige Ortsabwesenheiten hingewiesen. Für die monatlichen [X.]esuche von Januar bis Oktober 2010 in [X.] und anschließend bis zur Entlassung ihrer Tochter zweimal im Monat in [X.] habe sie sich bei Verwandten und Freunden Geld geliehen.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.1.2014), das L[X.] hat die [X.]erufung zurückgewiesen (Urteil vom 17.11.2016): Ansprüche wegen der [X.]esuche bei der Tochter bestünden nicht. Vor der Entscheidung des [X.]VerfG vom [X.] - 1 [X.]vL 1/09 ua - habe dafür schon keine Rechtsgrundlage bestanden. Im Übrigen erfolge der Umgang im Verhältnis zu erwachsenen Kindern auf freiwilliger [X.]asis und in Erfüllung ausschließlich sittlicher Verpflichtungen, die keinen existenznotwendigen [X.]edarf begründeten.

4

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin in [X.]ezug auf Januar 2010 als Verfahrensfehler die unterbliebene [X.]eiladung des Sozialhilfeträgers und im Übrigen materiell die Verletzung von § 21 Abs 6 [X.][X.] II. Die Unterstützung der eigenen Kinder gehöre zu den grundlegenden menschlichen [X.]edürfnissen. Ihre der [X.] nicht mächtige Tochter sei von der Situation völlig überfordert gewesen.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] vom 17. November 2016 aufzuheben, das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2014 zu ändern, den [X.]escheid des [X.]eklagten vom 9. Juni 2010 aufzuheben und den [X.]escheid vom 6. Juli 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2010 zu ändern und den [X.]eklagten zu verurteilen, seinen [X.]escheid vom 12. Januar 2010 zu ändern sowie der Klägerin 2325,00 Euro zu zahlen,
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, soweit Leistungen in Höhe von 245,00 Euro für Januar 2010 in Streit stehen.

6

Der [X.]eklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der [X.]lägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]). Zutreffend macht die [X.]lägerin geltend, dass auch zur Deckung von Reisekosten zum Besuch volljähriger [X.]inder in einer Sondersituation zusätzliche existenzsichernde Leistungen zu erbringen sein können. Ob die Voraussetzungen dafür hier vorlagen und ihr daher weiteres [X.] zu zahlen ist, vermag der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend zu entscheiden.

8

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], durch den der Beklagte es auf das Schreiben vom 7.6.2010 der Sache nach abgelehnt hat, die Bewilligungsbescheide für die [X.] von August 2009 bis Januar 2010, Februar bis Juli 2010 und August 2010 bis Januar 2011 zu ändern und der [X.]lägerin wegen der zwischen Januar 2010 und Januar 2011 unternommenen Fahrten zu ihrer Tochter höheres [X.] unter Berücksichtigung eines [X.] nach § 21 Abs 6 [X.] zu zahlen. Begrenzt auf den zuletzt geltend gemachten Betrag - aber nicht beschränkt auf den [X.], über den nicht isoliert zu entscheiden ist (vgl nur BSG vom [X.] [X.] R - [X.], 7 = [X.]-4200 § 21 [X.], Rd[X.] mwN) - ist danach streitbefangen, ob der [X.]lägerin für Januar 2010 bis Januar 2011 weitere 2570 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen.

9

2. Zutreffend und auch sonst zulässig verfolgt die [X.]lägerin ihr Begehren im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]), soweit sie wegen der Leistungen für Januar 2010 der Sache nach eine [X.]orrektur des insoweit zuletzt ergangenen Bescheids vom [X.] wegen nachträglicher Änderung nach § 48 Abs 1 Satz 1 [X.] geltend macht. Dagegen ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 [X.]) richtige [X.]lageart, soweit ihr Schreiben vom 7.6.2010 für die [X.] von Februar bis Juli 2010 sinngemäß auf die Überprüfung des zu diesem [X.]punkt bereits erlassenen Bescheids vom [X.] nach § 44 [X.] zielte (vgl nur BSG vom [X.] [X.]/15 R - Rd[X.] mwN). So verhält es sich schließlich ebenfalls, soweit dem Widerspruchsbescheid vom [X.] mittelbar zu entnehmen ist, dass die Besuche bei der inhaftierten Tochter generell - unabhängig vom [X.] - keinen Anlass für eine Überprüfung der bewilligten Leistungen geben und sich der Widerspruchsbescheid damit Geltung auch für den - zwischenzeitlich mit Bescheid vom [X.] verbeschiedenen - Bewilligungszeitraum von August 2010 bis Januar 2011 beimisst, was entsprechend § 68 Abs 1 Satz 2 [X.] VwGO vor Erhebung der [X.]lage die Durchführung eines (weiteren) Überprüfungsverfahrens zu diesem Bescheid entbehrlich macht (vgl zur prozessualen Lage, wenn der Widerspruchsbescheid eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält, nur BSG vom 25.10.2017 - [X.] [X.]/16 R - [X.]-4200 § 11 [X.], auch vorgesehen für [X.], Rd[X.]4 mwN).

3. [X.] steht als prozessuales Hindernis nicht entgegen, dass die [X.]lage von dem Onkel der [X.]lägerin durch nicht unterschriebenes Telefax erhoben worden ist. Der Onkel war als Familienangehöriger zur Vertretung befugt (§ 73 Abs 2 Satz 2 [X.] [X.] iVm § 15 Abs 1 Nr 7 [X.]). Anhaltspunkte dafür, dass die [X.]lage ohne den Willen der [X.]lägerin in den Verkehr gelangt ist (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 90 RdNr 5a mwN), bestehen nicht.

4. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs unter teilweiser Rücknahme der Bewilligungsbescheide für Februar 2010 bis Januar 2011 (zur Rechtslage im Januar 2010 unter 8.) ist § 40 Abs 1 Satz 1 [X.] (hier in der im [X.]punkt der Entscheidung über den Überprüfungsantrag unverändert geltenden Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.] 2954; zur Maßgeblichkeit des im [X.]punkt der Aufhebung geltenden Rechts vgl letztens BSG vom [X.] - [X.] AS 15/17 R - vorgesehen für [X.] und [X.], Rd[X.]0 mwN) iVm § 44 Abs 1 Satz 1 [X.] und § 19 iVm §§ 7, 9, 11 ff, 20 ff [X.]; maßgebend in der Fassung des [X.] zunächst zum [X.] durch das Urteil des [X.] von diesem Tag - 1 BvL 1/09 ua - ([X.] 193) und zuletzt zum [X.] durch das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom [X.] ([X.] 671; zur Maßgeblichkeit des zum damaligen [X.]punkt geltenden Rechts in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume - Geltungszeitraumprinzip - vgl BSG vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 11 [X.] Rd[X.]5 mwN).

Auch nach Unanfechtbarkeit ist hiernach ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 40 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 44 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]). Das ist zwar im Hinblick auf die der [X.]lägerin ansonsten zuerkannten Leistungen nicht ersichtlich (zur Beachtlichkeit dessen im Rahmen von Überprüfungsverfahren vgl BSG vom 24.5.2017 - [X.] AS 32/16 R - [X.] 123, 199 = [X.]-4200 § 11 [X.], Rd[X.] ff). Nicht ausgeschlossen ist aber, dass Aufwendungen zum Besuch ihrer Tochter als [X.] nach § 21 Abs 6 [X.] anzuerkennen sind (dazu 5. bis 7.) und deshalb höheres [X.] zu zahlen ist (§ 19 Abs 1 Satz 3 [X.]).

5. Anders nicht gedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines nahen Angehörigen können entgegen der Auffassung des [X.] in einer Sondersituation einen [X.] begründen.

a) Im Ausgangspunkt liegt der Berufungsentscheidung allerdings zutreffend zu Grunde, dass Aufwendungen zur [X.]ontaktpflege unter Angehörigen der Art nach grundsätzlich ausschließlich aus dem Regelbedarf nach § 20 [X.] zu bestreiten sind. Zur Deckung der vom Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen [X.]s neben einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfassten Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (vgl nur [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 223 = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]35) war in den der Teilhabe zuzuordnenden regelbedarfsrelevanten (früher: regelleistungsrelevanten) [X.] im hier streitbefangenen [X.] nach § 2 Abs 2 RSV in den Abteilungen 07 (Verkehr mit 20 Euro), 08 (Nachrichtenübermittlung mit 23,29 Euro), 09 (Freizeit usw mit 40,72 Euro) und 11 (Beherbergung ua 10,47 Euro) ein Gesamtbetrag von 94,48 Euro vorgesehen (vgl Schwabe, [X.], 145, 150). Darin waren Aufwendungen für Verwandtenbesuche eingeschlossen (vgl BT-Drucks 17/3404 [X.] zur Nichtberücksichtigung von Übernachtungskosten bei [X.]). Verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich (vgl aber [X.] vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 - [X.]E 137, 34 = [X.]-4200 § 20 [X.]0, [X.] ff) sind die Leistungsberechtigten danach zumutbar darauf verwiesen, punktuelle Unterdeckungen in der Regel intern auszugleichen und ihr Verbrauchsverhalten so zu gestalten, dass sie mit dem Festbetrag auskommen (vgl [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 238 = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]2; BSG vom 12.7.2012 - [X.] AS 153/11 R - [X.] 111, 211 = [X.]-4200 § 20 [X.], RdNr 60 mwN; zur Lage speziell beim "allgemeinen Verwandtenbesuch" vgl Schlette in [X.]/[X.], [X.]II, [X.] § 73 Rd[X.]0, Stand 09/16; zur [X.]onzeption der Regelbedarfsermittlung vgl zuletzt auch BSG vom 12.9.2018 - [X.] AS 33/17 R - vorgesehen für [X.], Rd[X.]6).

b) Lassen sich dem Regelbedarf zugeordnete und nicht nur einmalige Aufwendungen in einer Sondersituation mit zumutbarem internem Ausgleich (zu den Grenzen vgl [X.] vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - [X.]E 137, 34 = [X.]-4200 § 20 [X.]0, [X.]) nicht bestreiten, können zu ihrer Deckung nach der im [X.] an die [X.] des [X.] eingeführten Regelung des § 21 Abs 6 [X.] (hier idF des am [X.] in [X.] getretenen Gesetzes vom [X.], [X.] 671; zu den Motiven vgl BT-Drucks 17/1465 [X.]) iVm § 19 Abs 1 Satz 3 [X.] zusätzliche existenzsichernde Leistungen zu erbringen sein. Danach gilt: Bei Leistungsberechtigten wird ein nach § 19 Abs 1 Satz 3 [X.] von den Leistungen umfasster Mehrbedarf ua anerkannt, "soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht".

c) Dem Grunde nach als besondere Bedarfslage in diesem Sinne anerkannt ist im familiären [X.]ontext die Ausübung des Umgangsrechts getrennt lebender Elternteile mit ihren minderjährigen [X.]indern. Die Aufrechterhaltung dieser Eltern-[X.]ind-Beziehung hat bereits das [X.] der notfalls mit Mitteln der Sozialhilfe zu sichernden menschenwürdigen Lebensführung zugerechnet und als persönliches Bedürfnis des täglichen Lebens angesehen, das - anders als die Beziehungen zur [X.] Umwelt, die mit sachgerechten Maßstäben kaum einzugrenzen seien - nicht unter dem Vorbehalt des Vertretbaren stehe ([X.] vom 18.2.1993 - 5 C 30.89 - [X.]E 92, 97, 99). Dem Umfang nach sind die daraus sich ergebenden Ansprüche vorrangig an den Abreden der Eltern zu bemessen; auch existenzsicherungsrechtlich ist maßgebend, wie die Eltern ihre durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG geschützte Entscheidung über die Ausübung ihrer Elternverantwortung handhaben ([X.] <[X.]ammer> vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 - FamRZ 1995, 86, 87).

Dem hat sich das BSG für das [X.] angeschlossen, zunächst gestützt auf § 73 [X.]II (grundlegend [X.] B 7b [X.] - [X.] 97, 242 = [X.]-4200 § 20 [X.], Rd[X.]1 ff) und im [X.] an die [X.] des [X.] auf § 21 Abs 6 [X.] (BSG vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - [X.] 116, 86 = [X.]-4200 § 21 [X.]8, Rd[X.]0; BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 117, 240 = [X.]-4200 § 21 [X.]9, Rd[X.]5; ebenso etwa Behrend in jurisP[X.]-[X.], 4. Aufl 2015, § 21 RdNr 98 ff; von [X.] in LP[X.]-[X.], 6. Aufl 2017, § 21 Rd[X.]; S. [X.]nickrehm/[X.] in Eicher/[X.], [X.], 4. Aufl 2017, § 21 RdNr 74; [X.]rauß in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 21 RdNr 83 ff, Stand 05/2011). [X.]e wegen eines Umgangsrechts bestehen danach unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in Höhe der kostengünstigsten und gleichwohl bezogen auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts verhältnismäßigen sowie zumutbaren Art der Bedarfsdeckung (BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 117, 240 = [X.]-4200 § 21 [X.]9, Rd[X.]1 ff), soweit wegen Getrenntlebens der Eltern oder - liegen besondere rechtfertigende Gründe dafür vor - bei getrennten Wohnsitzen (hierzu BSG vom 11.2.2015 - [X.] AS 27/14 R - [X.] 118, 82 = [X.]-4200 § 21 [X.]1, Rd[X.]7) eine grundsicherungsrechtlich beachtliche Trennungssituation besteht.

d) Entsprechendes gilt - unter Beachtung der Unterschiede zur Ausübung des Umgangsrechts - ebenso für intensive Familienbindungen jenseits der umgangsrechtlichen Eltern-[X.]ind-Beziehung. Auch zwischen Erwachsenen oder im Großeltern-[X.]ind-Verhältnis können verwandtschaftliche Bindungen für die personale Existenz von herausgehobener Bedeutung sein, wie deren besonderer Schutz durch Art 6 Abs 1 GG belegt (vgl dazu nur [X.] vom 2[X.] - 1 BvR 2926/13 - [X.]E 136, 382 Rd[X.]). Dem ist bei der Auslegung der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 [X.] Rechnung zu tragen. Das verfassungsrechtlich zu gewährleistende [X.] hat außer der physischen Seite wegen der notwendigen Existenz des Menschen in [X.] Bezügen neben einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen zu sichern ([X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 223 = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]35; zum Verhältnis von Eltern und volljährigen [X.]indern vgl nur [X.] vom 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 - [X.]E 80, 81, 90 f; [X.] <[X.]ammer> vom 21.7.2005 - 1 BvR 817/05 - NVwZ-RR 2005, 825, 826). Hierbei kann verwandtschaftlichen Bindungen auch außerhalb des Schutzbereichs von Art 6 Abs 2 Satz 1 GG besonderer Stellenwert zukommen, wenn sie als tatsächlich gelebte Beziehung von besonderer Nähe, familiärer Verantwortlichkeit füreinander sowie [X.] geprägt sind (vgl zu Art 6 Abs 1 GG und dem [X.]reis der davon umfassten Verwandtschaftsbeziehungen [X.] vom 2[X.] - 1 BvR 2926/13 - [X.]E 136, 382 Rd[X.]3 mwN) und deshalb für die individuelle personale Existenz herausgehobene Bedeutung haben. Unter Berücksichtigung dessen kann in Sondersituationen zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein [X.] nicht anders als beim Umgangsrecht anzuerkennen sein.

e) Eine solche Bedarfslage kommt in Betracht bei einer dem Einfluss des zu Besuchenden entzogenen außergewöhnlichen - bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigten (vgl [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 254 = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]07 f) - Situation, in der einem Leistungsberechtigten gemessen am personalen Sicherungszweck des verfassungsrechtlich zu gewährleistenden [X.]s unter Berücksichtigung der Intensität der konkreten verwandtschaftlichen Beziehung (vgl [X.] vom 2[X.] - 1 BvR 2926/13 - [X.]E 136, 382 Rd[X.]3 [X.]) sowie aller weiterer Umstände des Einzelfalls (zum Umgangsrecht vgl nur BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.]/14 R - [X.] 117, 240 = [X.]-4200 § 21 [X.]9, Rd[X.]1, 23 mwN) ein Verzicht auf die Begegnung mit dem iS von Art 6 Abs 1 GG nahen Angehörigen nicht zugemutet werden kann; sei es, um die Beziehung in einer ihrer Bedeutung gerecht werdenden Weise aufrechterhalten oder Beistand leisten zu können. Angenommen werden kann das insbesondere bei erheblichen Notlagen oder einer ungewollten - rechtlich oder tatsächlich nicht änderbaren - Trennung familienrechtlich nicht getrennt lebender Eheleute, die über längere [X.] anhält und einen als erheblich anzusehenden Wunsch nach kontinuierlicher Begegnung begründet (vgl etwa [X.] Sachsen-Anhalt vom [X.] AS 196/15 - info also 2017, 30: Regelmäßige Besuche beim dauerhaft in einer stationären Einrichtung untergebrachten Ehemann). Ist eine [X.]ommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder erscheint sie nachvollziehbar als nicht ausreichend (vgl zur Bedeutung der - allerdings durch Art 6 Abs 2 Satz 1 GG geschützten - elterlichen Umgangsentscheidung [X.] <[X.]ammer> vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 - FamRZ 1995, 86 f), können danach Notlagen von erheblichem Gewicht oder eine ungewollte und nicht behebbare räumliche Trennung naher Angehöriger (zu einem Sonderfall familienrechtlich nicht getrennt lebender Eheleute vgl BSG vom 11.2.2015 - [X.] AS 27/14 R - [X.] 118, 82 = [X.]-4200 § 21 [X.]1, Rd[X.]5 f) über einen längeren [X.]raum hinweg einen existenzsicherungsrechtlich beachtlichen Besuchsanlass bilden, wenn dies dem gelebten Verhältnis der Beteiligten und seiner Bedeutung für die personale Existenz des Leistungsberechtigten entspricht.

6. Dass der besuchte Angehörige sich im Ausland aufhält, steht der Anerkennung eines [X.] wegen der [X.] nicht entgegen. Zwar sind Mobilitätsausgaben mit Auslandsbezug im Regelbedarf insoweit nicht berücksichtigt, als in Abteilung 07 fremde Verkehrsdienstleistungen nur eingegangen sind, soweit sie nicht im Luftverkehr anfallen (vgl Schwabe, [X.], 145, 150). Ähnlich außer Ansatz geblieben sind in der Abteilung 09 "Freizeit, Unterhaltung, [X.]ultur" die Aufwendungen für "Pauschalreisen" und in der Abteilung 11 "Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen" für "Übernachtungen" (vgl BT-Drucks 17/3404 [X.] f). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass Mobilitätsaufwendungen mit Auslandsbezug im [X.] selbst schlechthin nicht bedarfsrelevant sind und deshalb nach der Regelungskonzeption des Gesetzgebers bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach § 73 [X.]II ggf vom zuständigen Sozialhilfeträger zu decken wären.

Das hat das BSG zum Umgangsrecht bereits entschieden (vgl BSG vom 11.2.2015 - [X.] AS 27/14 R - [X.] 118, 82 = [X.]-4200 § 21 [X.]1; zur instanzgerichtlichen Rspr vgl ebenso etwa nur [X.] Nordrhein-Westfalen vom 17.3.2014 - L 7 AS 2392/13 [X.] - ZFSH/SGB 2014, 296). Anderes ist auch im Übrigen nach der ratio des § 21 Abs 6 [X.] und der Maßgabe des [X.] nicht zu erkennen, in Sonderfällen auftretende zusätzliche Bedarfe im Leistungssystem des [X.] selbst zu decken (vgl [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 259 f = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]0). Angesichts dessen kann den Entscheidungen gegen die Berücksichtigung von Aufwendungen für Urlaubsreisen wie für Flugverkehrsausgaben bei der Regelbedarfsbemessung keine grundsätzlich systemabgrenzende Wirkung beigemessen werden; sie lassen sich nur dahin verstehen, dass solchen Aufwendungen keine existenznotwendige Bedeutung beigemessen worden ist.

7. Ob und ggf in welchem Umfang die [X.]lägerin im [X.]raum zwischen Februar 2010 und Januar 2011 (zu Januar 2010 unter 8.) Anspruch auf höheres [X.] unter Anerkennung eines Mehrbedarfs zunächst auf Grundlage der Anordnung des [X.] in der [X.] ([X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 259 f = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]0; zur Begründung eines Leistungsanspruchs unmittelbar hieraus gegen den [X.] vgl BSG vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - [X.] 116, 86 = [X.]-4200 § 21 [X.]8, Rd[X.]4) und ab Inkrafttreten auf der Grundlage von § 21 Abs 6 [X.] hat, kann der Senat nach den Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden. Zwar erscheint ein solcher Anspruch zumindest dem Grunde nach nicht ausgeschlossen angesichts dessen Einschätzung, dass die [X.]lägerin mit den Besuchen einer sittlichen Verpflichtung nachgekommen und ein gesteigertes Bedürfnis nachvollziehbar sei, ihrer Tochter in einer Ausnahmesituation beizustehen. Für die Entscheidung darüber, ob die [X.]lägerin im Hinblick auf ihr persönliches Verhältnis zu ihrer Tochter und deren persönlicher Situation unter Berücksichtigung der sonstigen [X.]ommunikationsmöglichkeiten nachvollziehbar monatliche Besuche in der Haftanstalt zunächst in [X.] und dann in [X.] als erforderlich ansehen durfte, sind jedoch noch nähere Feststellungen insbesondere zu den Umständen der Inhaftierung und den Auswirkungen auf die Tochter notwendig.

8. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren besteht wegen des geltend gemachten Anspruchs für Januar 2010 Gelegenheit, den zuständigen Sozialhilfeträger als möglichen anderen Leistungsverpflichteten gemäß § 75 Abs 2 Alternative 2 [X.] (unechte notwendige Beiladung) beizuladen. Nach dieser Vorschrift ist ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe, ein Träger der Leistungen nach dem [X.] oder in Angelegenheiten des [X.] Entschädigungsrechts ein Land (notwendig) beizuladen - und kann nach § 75 Abs 5 [X.] nach Beiladung verurteilt werden -, wenn sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs dieser Leistungsträger als leistungspflichtig in Betracht kommt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es für das [X.] als erkennendes Gericht bereits feststeht, dass der Beklagte nicht leistungspflichtig ist; vielmehr genügt die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Leistungsverpflichteten (vgl nur BSG vom [X.] [X.] 16/11 R - Rd[X.]0 mwN).

Jedenfalls als solche Möglichkeit ist die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers nach § 73 [X.]II in Betracht zu ziehen, nachdem Ansprüche gegen den [X.] auf Grundlage des Urteils vom [X.] des [X.] erst für die [X.] ab dessen Verkündung bestehen ([X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175, 259 f = [X.]-4200 § 20 [X.] Rd[X.]0) und das Urteil Ansprüche nach § 73 [X.]II gegen den Sozialhilfeträger nicht ausschließt (vgl nur BSG vom 19.8.2010 - [X.] AS 13/10 R - [X.]-3500 § 73 [X.] Rd[X.]3). Inwieweit hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.]II ([X.]enntnisgrundsatz) erforderlichen [X.]enntnis des Sozialhilfeträgers auf die diesem zuzurechnende [X.]enntnis des beklagten Jobcenters von der Anspruchsberechtigung der [X.]lägerin dem Grunde nach zu verweisen (vgl BSG vom 3.12.2015 - [X.] [X.]4/15 R - [X.] 120, 149 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]9; BSG vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 7 [X.] Rd[X.]3; BSG vom 30.8.2017 - [X.] [X.]/16 R - [X.]-4200 § 7 [X.] RdNr 55-56, vorgesehen auch für [X.]) oder erst auf die spätere Information des [X.] durch das Schreiben vom 7.6.2010 abzustellen ist (vgl BSG vom 20.4.2016 - B 8 [X.] 5/15 R - [X.] 121, 139 = [X.]-3500 § 18 [X.]), kann für die Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 2 [X.] offenbleiben.

9. Die Verfahrensrüge der [X.]lägerin wegen fehlender Beiladung des Sozialhilfeträgers kann im Hinblick auf die ohnehin erforderliche Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dahinstehen.

Meta

B 14 AS 48/17 R

28.11.2018

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Leipzig, 10. Januar 2014, Az: S 20 AS 3257/10, Urteil

§ 21 Abs 6 S 1 SGB 2, § 21 Abs 6 S 1 SGB 2 vom 27.05.2010, § 21 Abs 6 S 2 SGB 2, § 21 Abs 6 S 2 SGB 2 vom 27.05.2010, Art 1 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 20 Abs 1 SGB 2 vom 20.07.2006, § 2 Abs 2 RSV, § 73 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 28.11.2018, Az. B 14 AS 48/17 R (REWIS RS 2018, 1153)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1153

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1 BvL 1/09

1 BvR 2926/13

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