Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 4 StR 491/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 240

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Gegenstand

Strafverfahren: Betrug durch falsche Tatsachenbehauptungen im Mahnverfahren; Verlesung von eidesstattlichen Versicherungen der Mitangeklagten ohne Einverständnis der Beteiligten


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 29. März 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit die Angeklagte in den Fällen [X.]. [X.]. bis [X.]. [X.]. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insofern bleiben jedoch die Feststellungen zur Tatvorgeschichte ([X.] 1. [X.] 2. und [X.]. der Urteilsgründe), zum äußeren Tatgeschehen und zur Kenntnis der Angeklagten vom Nichtbestehen der geltend gemachten Forderungen bestehen;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Betruges sowie Beihilfe zur Untreue in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer Revision macht die Angeklagte Verstöße gegen das Verfahrensrecht und das materielle Strafrecht geltend. Ihr Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Nach den Feststellungen zum Fall I[X.]. [X.]. der Urteilsgründe beantragte die Angeklagte bei dem zuständigen Amtsgericht den Erlass eines Mahnbescheides gegen die [X.] mbH über eine Hauptforderung von 180.960 Euro. Als [X.] bezeichnete sie dabei einen „Dienstleistungsvertrag gemäß Rechnung vom 2.11.2006“. Sowohl die geltend gemachte Forderung, als auch der zu ihrer Begründung herangezogene Vertrag waren – wie die Angeklagte auch wusste – nicht existent. Die Geschäfte der [X.] mbH wurden von der Mitangeklagten [X.](der Mutter der Angeklagten) und der    AG gemeinsam geführt. Beide waren nach dem Gesellschaftsvertrag nur gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt. Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß erlassen und entsprechend den Angaben der Angeklagten im [X.] der Mitangeklagten [X.]unter deren Wohnanschrift zugestellt. Diese benachrichtigte absprachegemäß die    AG nicht von der erfolgten Zustellung und ließ die Widerspruchsfrist verstreichen. Die Angeklagte erwirkte daraufhin einen Vollstreckungsbescheid, der der [X.] mbH wiederum unter der Wohnadresse der Mitangeklagten [X.]zugestellt wurde. Auch hiervon erlangte die   AG keine Kenntnis. Nach dem Ablauf der Einspruchsfrist beantragte die Angeklagte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Bezug auf ein Konto der [X.] bei der [X.] in W.   und erhielt nach dessen Erlass von der Drittschuldnerin 184.324,60 Euro überwiesen (Fall [X.]. [X.].).

3

In der Folgezeit erwirkte der anderweitig verfolgte [X.](der Vater der Angeklagten) zwei weitere [X.] über 13.710 Euro und 83.520 Euro gegen die [X.] mbH. Auch dabei wurden nicht bestehende Forderungen geltend gemacht und zu deren Rechtfertigung jeweils ein nicht existierender „Dienstleistungsvertrag“ gemäß einer im Einzelnen bezeichneten Rechnung behauptet. Die erforderlichen Zustellungen erfolgten in beiden Fällen wiederum an die Mitangeklagte [X.], die die in der Sache nicht berechtigten Bescheide wie zuvor unbeanstandet ließ und auch die   AG hiervon nicht in Kenntnis setzte. Nachdem sich [X.] auf der Grundlage der [X.] Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen die [X.] mbH verschafft hatte, wurden von der [X.] in W.   von einem Konto der [X.] mbH 13.998,14 Euro und 84.824,29 Euro auf ein Konto der Angeklagten überwiesen, das diese ihren Eltern zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hatte (Fälle [X.]. [X.]. und [X.]. [X.]. der Urteilsgründe).

4

Aus Sicht des [X.] hat sich die Angeklagte durch die Erwirkung der Mahn- und [X.] mittels falscher Angaben (Fall I[X.]. [X.]. der Urteilsgründe) eines Betrugs und durch die zweimalige Bereitstellung eines Kontos (Fälle I[X.]. [X.]. und I[X.]. [X.]. der Urteilsgründe) der Beihilfe zum Betrug (begangen durch den anderweitig verfolgten [X.]) in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue (begangen durch die Mitangeklagte [X.]) schuldig gemacht.

5

2. Die Verurteilung wegen Betrugs im Fall [X.]. [X.]. der Urteilsgründe und wegen Beihilfe zum Betrug in den Fällen [X.]. [X.]. und [X.]. [X.]. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Mahnanträge der Angeklagten und des anderweitig verfolgten [X.]im automatisierten Mahnverfahren bearbeitet worden sind.

6

a) Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass auch im Mahnverfahren durch falsche Tatsachenbehauptungen bei der Antragstellung ein Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB begangen werden kann. Der Umstand, dass die Angaben des Antragstellers nicht auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden (§ 691 Abs. 1, § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), schließt die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums auf Seiten des bearbeitenden Rechtspflegers (§ 20 Nr. 1 RPflG) nicht aus. Das Mahnverfahren soll eine vereinfachte Durchsetzung gegebener Ansprüche ermöglichen, nicht aber der Durchsetzung unbegründeter Forderungen dienen ([X.], Urteil vom 24. September 1987 – [X.], [X.]Z 101, 380, 388). Als unabhängiges Rechtspflegeorgan (§ 1 RPflG) ist der Rechtspfleger der materiellen Gerechtigkeit verpflichtet (Art. 20 Abs. 3 GG). Er darf daher nicht sehenden Auges einen unrichtigen Titel schaffen. Hat er – aus welchen Quellen auch immer – Kenntnis davon, dass der zur Rechtfertigung eines [X.]es angebrachte Tatsachenvortrag entgegen der sich auch insoweit aus § 138 Abs. 1 ZPO ergebenden Verpflichtung zu [X.] ([X.], 3. Aufl., § 138 Rn. 1; Musielak/[X.], ZPO 8. Aufl., § 138 Rn. 1) unwahr ist und der geltend gemachte Anspruch deshalb nicht besteht, muss er den Antrag zurückweisen. [X.] er den beantragten Bescheid, geschieht dies daher regelmäßig in der allgemeinen – nicht notwendig fallbezogen aktualisierten – Vorstellung, dass die nach dem Verfahrensrecht ungeprüft zu übernehmenden tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers pflichtgemäß aufgestellt wurden und wahr sind ([X.], Urteil vom 25. Oktober 1971 – 2 StR 238/71, [X.]St 24, 257, 260 f.; offengelassen in [X.], Beschluss vom 25. April 2001 – 1 [X.], [X.]R § 263 Abs. 1 StGB Täuschung 19; [X.], Beschluss vom 1. November 2011 – 31 Ss 29/11, BeckRS 2011, 25862; [X.], Beschluss vom 30. August 1991 – 2 Ws 317/91, [X.], 586; mit abweichender Begründung aber im Ergebnis ebenso NK-StGB/Kindhäuser 3. Aufl., § 263 Rn. 192; Kindhäuser, Strafrecht [X.], 6. Aufl., § 27 Rn. 39; [X.], Rechtskraft und Rechtskraftdurchbrechung von Titeln über sittenwidrige Ratenkreditverträge S. 56 f.; [X.], Das unerlaubte Verhalten beim [X.] ff., 230; a.A. LK/Tiedemann 11. Aufl. § 263 Rn. 90; [X.]/[X.] in: [X.]/[X.] 28. Aufl. § 263 Rn. 52; [X.]/[X.] § 263 Rn. 110 und 215; [X.], 458, 470; [X.]/[X.] 27. Aufl., § 263 Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.], Strafrecht BT Teilband 1, 10. Aufl., § 41 Rn. 66; [X.] 1993, 652, 654 f.). Ist dies nicht der Fall, hat sich der Rechtspfleger in einem Irrtum befunden, der seine Entscheidung für den Erlass der nachfolgenden Bescheide und damit die für das Vermögen des Antragsgegners nachteiligen Verfügungen bestimmt hat.

7

b) Die Schuldsprüche wegen vollendeten Betrugs und Beihilfe zum Betrug können jedoch nicht bestehen bleiben, weil das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Mahnanträge der Angeklagten und ihres [X.], des anderweitig verfolgten [X.], überhaupt von einem Rechtspfleger bearbeitet worden sind. Dies versteht sich hier nicht von selbst. Nach § 1 MBearbMahn – [X.] vom 28. Januar 1999 (GV. [X.].1999 S.43) i.V.m. § 689 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO werden Mahnanträge in [X.] zentral bei den Amtsgerichten [X.] und [X.] im automatisierten Verfahren bearbeitet. Zu einer Bearbeitung durch einen Rechtspfleger kann es bei dieser Sachlage nur noch ausnahmsweise – etwa bei einer deutlichen Überschreitung des [X.] – kommen (vgl. Die maschinelle Bearbeitung der gerichtlichen Mahnverfahren, Informationsschrift der Justizverwaltungen der Bundesländer, Stand 1/2011, [X.]). [X.] die Anträge nur maschinell bearbeitet, scheidet eine Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs aus, weil es an der erforderlichen Täuschung einer natürlichen Person fehlt (SSW-StGB/[X.] § 263 Rn. 31; [X.]/[X.]/[X.], Strafrecht BT Teilband 1, 10. Aufl., § 41 Rn. 66; [X.], 458, 470; [X.], [X.] im automatischen Mahnverfahren, Dissertation [X.] 2000, [X.] ff., 48 f.; [X.] 1993, 652, 654 [X.]. 148).

8

Insoweit wird der neue Tatrichter ergänzende Feststellungen zu treffen haben. Dabei wird auch aufzuklären sein, welches Vorstellungsbild insoweit bei der Angeklagten und in den Fällen [X.] 2a. [X.]. und [X.] 2a. [X.]. auch bei dem anderweitig verfolgten [X.]vorgeherrscht hat.

9

Die Aufhebung muss sich in den Fällen [X.]. [X.]. und [X.]. [X.]. der Urteilsgründe auch auf die Schuldsprüche wegen Beihilfe zur Untreue beziehen, da diese jeweils in Tateinheit erfolgt sind und deshalb ein untrennbarer Zusammenhang besteht.

c) Die Feststellungen zur Tatvorgeschichte unter I[X.] 1. I[X.] 2. und I[X.]. der Urteilsgründe, zum äußeren Tatgeschehen und zum Wissen der Angeklagten um das Nichtbestehen der geltend gemachten Forderungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und werden von der nicht aufgeklärten Frage, ob ein automatisiertes Mahnverfahren stattgefunden hat, nicht erfasst. Die von der Angeklagten hierzu erhobenen Verfahrensrügen haben aus den von dem Generalsbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 20. Oktober 2011 angeführten Gründen keinen Erfolg. Ergänzend bemerkt der Senat:

Das [X.] durfte die beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Mitangeklagten [X.]vom 19. Juni 2009 nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 [X.] mit der Begründung ablehnen, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 [X.] möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten [X.]und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen. Der [X.] ist immer zulässig, wenn ihn das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet ([X.], Urteil vom 24. August 1993 – 1 [X.], [X.], 184, 185 mwN.). Schriftliche Erklärungen von Angeklagten, zu denen auch in anderen Verfahren abgegebene eidesstattliche Versicherungen zählen, dürfen daher regelmäßig auch ohne Einverständnis der Beteiligten nach § 249 Abs. 1 [X.] verlesen werden (vgl. [X.]/[X.] 6. Aufl., § 249 Rn. 14; [X.], [X.], 54. Aufl., § 249 Rn. 13 mwN.). Das vom [X.] herangezogene Verbot der vernehmungsetzenden Urkundenverlesung gemäß § 250 Satz 2 [X.] mit den in § 251 [X.] geregelten Ausnahmen gilt nur für Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten, nicht aber für Aussagen von Mitangeklagten (SK-[X.]/[X.] 4. Aufl., § 250 Rn. 7 und § 251 Rn. 10) und war daher schon aus diesem Grund nicht einschlägig. Aus § 254 Abs. 1 [X.] kann in Bezug auf Angeklagte lediglich ein Verbot der Verlesung polizeilicher Protokolle zum Beweis über deren Inhalt ([X.], Urteil vom 31. Mai 1960 – 5 [X.], [X.]St 14, 310, 312; [X.], Beschluss vom 3. Juni 1982 – 1 Ss 323/82, [X.] 1983, 97), nicht aber ein Verbot der Verlesung anderweitiger schriftlicher Erklärungen hergeleitet werden, sodass auch insoweit kein Verlesungshindernis bestand.

Der Senat vermag jedoch auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die nicht zur Verlesung gelangte eidesstattliche Versicherung der Mitangeklagten [X.]enthielt lediglich die pauschale Erklärung, dass die Angeklagte in den Jahren 2005 und 2006 keine Kenntnis von dem Gesellschaftsvertrag zwischen ihr und der    AG hatte. Genau in dieser Weise hat sich die Mitangeklagte [X.]auch in der Hauptverhandlung eingelassen. Das [X.] hat diese Einlassung nach eingehender Würdigung des übrigen Ergebnisses der Beweisaufnahme zurückgewiesen und in diesem Zusammenhang eine zur Verlesung gelangte eidesstattliche Versicherung des anderweitig verfolgten [X.]ausdrücklich als falsch bezeichnet, die den gleichen Inhalt wie die nicht verlesene eidesstattliche Versicherung der Mitangeklagten [X.]hatte und am selben Tag erstellt worden war. Unter diesen Umständen spricht nichts dafür, dass eine Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Mitangeklagten [X.]noch ein anderes Beweisergebnis erbracht hätte.

3. Mit der Aufhebung der Verurteilung in den Fällen I[X.]. [X.].) bis I[X.]. [X.].) kann auch der die Angeklagte betreffende Ausspruch über die Gesamtstrafe keinen Bestand mehr haben.

[X.]Franke

                              Bender                                                  Quentin

Meta

4 StR 491/11

20.12.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 29. März 2011, Az: 33 KLs 5/09

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 263 StGB, § 249 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 4 StR 491/11 (REWIS RS 2011, 240)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 240

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

4 StR 292/13

1 StR 219/17

4 StR 491/11

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