Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2018, Az. 4 StR 269/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 1966

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Gegenstand

Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe


Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 7. November 2017

a) in den [X.] gegen die Angeklagten [X.]und T.    und

b) im Strafausspruch gegen den Angeklagten B.

mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]    wegen schweren Raubes unter Auflösung einer Gesamtstrafe und Einbeziehung der Strafen aus drei Vorverurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den [X.]     hat es wegen schweren Raubes die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Den Angeklagten [X.]hat es des schweren Raubes und des [X.]s schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Schließlich hat es gegen alle Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, die vom [X.] vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten [X.]    und [X.]sowie den von der [X.] bei der Bemessung der Freiheitsstrafe gegen den [X.]     vorgenommenen [X.].

2

Die Revisionen haben Erfolg.

I.

3

1. Nach den Feststellungen begingen die drei Angeklagten am 20. August 2014 gemeinschaftlich einen schweren Raub. Der Angeklagte [X.]verübte des Weiteren am 12. Mai 2016 einen [X.]. Nach dem 20. August 2014 traten sämtliche Angeklagten mehrfach mit weiteren Verurteilungen strafrechtlich in Erscheinung.

4

a) Gegen den Angeklagten [X.]    verhängte das [X.] am 29. Juni 2015 wegen Diebstahls, versuchten Diebstahls und Körperverletzung die Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es für drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Wegen eines am 21. August 2014 begangenen Diebstahls wurde der Angeklagte vom [X.] am 10. September 2015 zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, die er durch Ratenzahlung teilweise bezahlte. Schließlich erkannte das [X.] mit Strafbefehl vom 10. April 2017 wegen eines weiteren am 16. Dezember 2016 verübten Diebstahls auf die Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Die Vollstreckung dieser Geldstrafe ist bislang zurückgestellt.

5

b) Den [X.]     verurteilte das [X.] am 8. September 2014 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach dem Widerruf der Vollstreckungsaussetzung verbüßte der Angeklagte einen Teil der Strafe vom 26. September 2017 bis 2. November 2017. Die Reststrafe wurde im Zuge der jährlichen [X.] erlassen. Am 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 erkannte das [X.] gegen den Angeklagten wegen Körperverletzung bzw. unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Nötigung jeweils auf Geldstrafen zu 60 Tagessätzen, die durch Vollstreckung der jeweiligen [X.] erledigt sind.

6

c) Gegen den Angeklagten [X.]verhängte das [X.] mit Strafbefehl vom 9. Oktober 2014 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen die Freiheitsstrafe von drei Monaten und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wurde die Vollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt. Schließlich verurteilte das [X.] den Angeklagten am 30. November 2015 wegen Sachbeschädigung zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen, die durch Ratenzahlung erledigt ist.

7

2. Das [X.] hat gegen den Angeklagten [X.]    wegen der [X.] am 20. August 2014 eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt und unter Einbeziehung der Einzelstrafen von vier Monaten und zweimal drei Monaten aus der Entscheidung des [X.] vom 29. Juni 2015, der Geldstrafe von 60 Tagessätzen aus der Entscheidung des [X.] vom 10. September 2015 und der Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 10. April 2017 eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gebildet.

8

Gegen den [X.]     hat es auf die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt, wobei es für die infolge Erledigung nicht mehr mögliche Einbeziehung der drei Strafen aus den Entscheidungen des [X.] vom 8. September 2014, 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 in eine nachträgliche Gesamtstrafe einen [X.] von drei Monaten vorgenommen hat.

9

Schließlich hat die [X.] gegen den Angeklagten [X.]Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten für die [X.] am 20. August 2014 und acht Monaten für den [X.] am 12. Mai 2016 verhängt und aus diesen Einzelstrafen und der Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Strafbefehl des [X.] vom 9. Oktober 2014 die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Für die durch Bezahlung erledigte Geldstrafe von 40 Tagessätzen aus dem Erkenntnis des [X.] vom 30. November 2015 hat es bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe einen [X.] von einem Monat gewährt.

II.

Die die Angeklagten [X.]    und [X.]betreffenden Revisionen sind wirksam auf die jeweiligen Gesamtstrafenaussprüche beschränkt.

Das Rechtsmittel bezüglich des [X.]     richtet sich gegen den Strafausspruch. Zwar hat der [X.] in seiner Antragsschrift auch die Revision hinsichtlich des [X.]     ausdrücklich auf den [X.] beschränkt. Die Bedeutung dieser Erklärung ist aber bereits deshalb unklar, weil das [X.] gegen diesen Angeklagten nicht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat. Sie ist zudem nicht mit den weiteren Ausführungen in der Antragsschrift in Einklang zu bringen, mit denen sich der [X.] gegen den von der [X.] vorgenommenen [X.] bei der Bemessung der für die [X.] verhängten Freiheitsstrafe wendet. Auch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft hat in ihrer Revisionsbegründung unter anderem die fehlende Nachvollziehbarkeit des gewährten [X.]s beanstandet. Die bei sich widersprechenden Ausführungen zum Angriffsziel zur Bestimmung der Reichweite des Revisionsangriffs gebotene Auslegung der Rechtsmittelerklärungen (vgl. [X.], Urteile vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, [X.], 105, 106; vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, [X.], 88; Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 [X.], NJW 2014, 871; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 344 Rn. 9 f. mwN) ergibt, dass sich die den [X.]     betreffende Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch richtet. Diese Beschränkung ist wirksam.

III.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in vollem Umfang Erfolg. Sowohl die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten [X.]    und [X.]als auch der [X.] bei der den [X.]     betreffenden Strafzumessung begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1. Nach der Vorschrift des § 55 StGB ist unter Anwendung der §§ 53 und 54 StGB nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein bereits rechtskräftig Verurteilter vor Erledigung der gegen ihn erkannten Strafe wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Diese Regelung soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach den §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, sodass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 16. Dezember 1954 - 3 StR 189/54, [X.]St 7, 180, 181; Beschlüsse vom 7. Dezember 1983 - 1 [X.], [X.]St 32, 190, 193; vom 9. November 2010 - 4 [X.], [X.], 158; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 55 Rn. 2). Hierbei kommt es maßgeblich allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Dezember 1983 - 1 [X.], aaO; vom 22. Februar 2012 - 4 StR 22/12, [X.], 221). Folgen der Beendigung der neu abgeurteilten Tat mehrere Verurteilungen des [X.] nach, ist bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe von der frühesten nicht erledigten Verurteilung auszugehen. Dieser Verurteilung kommt regelmäßig - von hier nicht vorliegenden Ausnahmekonstellationen abgesehen - eine Zäsurwirkung zu (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. November 2003 - 2 [X.], [X.], 137; vom 28. Juli 2006 - 2 [X.], [X.], 28; vom 11. April 2018 - 4 StR 53/18 Rn. 4; [X.], StGB, 65. Aufl., § 55 Rn. 11 mwN).

2. Nach diesen Grundsätzen können die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten [X.]    und [X.]nicht bestehen bleiben.

a) Hinsichtlich des Angeklagten [X.]    hat das [X.] neben der Freiheitsstrafe für die am 20. August 2014 begangene [X.] zu Recht die (Einzel-)Strafen aus den Entscheidungen des [X.] vom 29. Juni 2015 und des [X.] vom 10. September 2015 zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe herangezogen, weil sämtliche Taten vor dem noch nicht erledigten Erkenntnis des [X.] vom 29. Juni 2015 beendet wurden. Dagegen besteht hinsichtlich der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 10. April 2017 - wie die [X.] ausweislich der Urteilsgründe selbst erkannt hat - keine Gesamtstrafenlage. Denn die dort abgeurteilte Tat wurde erst am 16. Dezember 2016 und damit nach der zäsurbildenden Entscheidung des [X.] vom 29. Juni 2015 begangen. Die Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des [X.] vom 10. April 2017 hätte daher bestehen bleiben müssen. Dies hat die Aufhebung des [X.]s zur Folge, die, da der Angeklagte durch die Einbeziehung der Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe beschwert ist, auch zugunsten des Angeklagten wirkt.

b) Bei dem Angeklagten [X.]hat die [X.] übersehen, dass der [X.] am 12. Mai 2016 zeitlich nach der noch nicht erledigten Verurteilung durch das [X.] vom 9. Oktober 2014 erfolgte. Sie hätte daher die für den [X.] verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten nicht in die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe einbeziehen dürfen. Ferner war - selbst für den Fall, dass die Verurteilungen durch das [X.] vom 9. Oktober 2014 und 30. November 2015 untereinander gesamtstrafenfähig waren - kein [X.] veranlasst, weil die Geldstrafe durch Zahlung erledigt worden ist (vgl. [X.], Urteile vom 5. November 2013 - 1 StR 387/13, [X.], 30; vom 15. September 2004 - 2 [X.]; vom 2. Mai 1990 - 3 StR 59/89, [X.], 436).

3. a) Bezüglich des [X.]     hat das [X.] zutreffend von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen. Denn die drei der abgeurteilten [X.] zeitlich nachfolgenden Verurteilungen durch das [X.] sind sämtlich erledigt und entfalten daher keine Zäsurwirkung (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 [X.], aaO; [X.], StGB, aaO Rn. 10 mwN). Auch der Erlass einer Strafe im [X.] führt zur Erledigung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, [X.], 445, 448; [X.] in [X.], aaO Rn. 23).

b) Die Erwägungen der [X.] zu dem für die unterbliebene Gesamtstrafenbildung zu gewährenden [X.] halten indes einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Scheitert eine nach § 55 Abs. 1 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so fordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, [X.]St 31, 102, 103; vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, [X.]St 33, 131, 132; vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97, [X.]St 43, 79, 80). Bezugspunkt für den zu gewährenden [X.] ist die Gesamtstrafenbildung, wie sie ohne die eingetretene Erledigung der früheren Verurteilungen vorzunehmen gewesen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 17. August 2011 - 5 StR 301/11, [X.], 596). Für die Bemessung des [X.]s ist der Tatrichter daher gehalten, sich Klarheit über die ohne Berücksichtigung der Erledigung an sich gegebene Gesamtstrafenlage zu verschaffen. Das [X.] hat mit Blick auf sämtliche Strafen aus den drei Erkenntnissen des [X.] vom 8. September 2014, 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 einen [X.] von drei Monaten gewährt. Dies wäre im Ansatz nur zutreffend, wenn die drei Verurteilungen untereinander gesamtstrafenfähig gewesen sind, weil alle Taten vor dem 8. September 2014 beendet wurden. Ob dies der Fall ist, lässt sich auf der Grundlage der Urteilsgründe, welche sich zu den [X.] der jeweils abgeurteilten Taten nicht verhalten, nicht abschließend beurteilen.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

        

Bender     

        

Feilcke     

        

Meta

4 StR 269/18

08.11.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 8. November 2018, Az: 4 StR 269/18, Beschluss

§ 318 StPO, § 344 StPO, § 53 StGB, § 54 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.11.2018, Az. 4 StR 269/18 (REWIS RS 2018, 1966)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1966


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 269/18

Bundesgerichtshof, 4 StR 269/18, 08.11.2018.


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