Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2011, Az. 3 StR 118/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3346

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 118/11
vom
15. September
2011
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen
Beihilfe zum Bankrott
u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts und der Beschwerdeführer am 15.
September 2011 beschlossen:

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Schafft der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränk-ter Haftung bei drohender Zahlungsunfähigkeit der Gesell-schaft Bestandteile des Gesellschaftsvermögens beiseite, so ist
er auch dann wegen Bankrotts strafbar, wenn er hierbei nicht im Interesse der Gesellschaft handelt.

2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an ent-gegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe:

I.
1. Das Landgericht hatte die
Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Beihilfe zum Bankrott zu Geldstrafen verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat we-gen unzureichender Feststellungen aufgehoben (Beschluss vom 10.
Februar 2009 -
3 StR 372/08, NJW 2009, 2225). Nunmehr hat das Landgericht die An-geklagten wegen Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Beihilfe zum Bankrott zu Geldstrafen in Höhe von 300 Tagessätzen (Angeklagter S.

) und 200 Ta-gessätzen (Angeklagte L.

) verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Beanstandun-gen.

1
-
3
-
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten zu nahezu gleichen Teilen an der nach dem Tode des Vaters übernommenen G.

S.

Gruppe beteiligt. Der Angeklagte C.

S.

war Geschäfts-führer der G.

S.

GmbH mit Sitz in E.

. Diese Ge-sellschaft war Komplementärin der am selben Ort ansässigen G.

S.

GmbH & Co. KG (im Folgenden: S.

KG), deren alleinige Kommanditisten der Angeklagte S.

zu 51% und die Angeklagte L.

, geborene S.

, zu 49% waren. Die S.

KG fungierte als Besitzgesellschaft und hielt die Anteile an der in N.

ansässigen G.

S.

GmbH (im Folgenden: S.

GmbH) sowie an der ebenfalls in N.

ansässigen Se.

Zucht-
und Mastenten GmbH (im Folgenden: Se.

GmbH), die wiederum die Anteile an weiteren Produktionsgesellschaften hielt. Der Angeklagte S.

war auch in der S.

GmbH und der Se.

GmbH jeweils Geschäftsführer, der Ange-klagten L.

war Prokura erteilt.

Die Angeklagten betrieben bis zum Jahr 2002 mit wirtschaftlichem Erfolg u.a. unter der Marke "B.

Enten" die Entenzucht und den weltweiten Vertrieb von Entenprodukten. Ein Umsatzeinbruch führte im Frühjahr 2003 zu einem erhöhten Kreditbedarf. Die beiden Hausbanken drängten auf die Einschaltung einer Unternehmensberatung, die nach einer Analyse der Firmengruppe ange-sichts weiter zu erwartender Verluste von knapp 4 Miobetrieblichen Änderungen die Suche nach einem strategischen Partner für un-bedingt erforderlich hielt. Das Angebot der Banken, weitere Kredite zu verge-ben, sofern die Angeklagten teilweise dafür auch persönlich bürgten und den Banken
einen Auftrag zur Anbahnung einer Fusion oder Übernahme erteilten, nahmen die Angeklagten nicht an, da sie befürchteten, das Interesse der Ban-ken sei in erster Linie auf eine Übernahme ihrer Unternehmen durch einen 2
3
-
4
-
Konkurrenten gerichtet. Sie bemühten sich in der Folgezeit unter Einschaltung externer Berater bei drei Bankhäusern vergeblich um eine Umfinanzierung.

Am 11.
Februar 2004 meldeten die Angeklagten gegenüber ihren Haus-e-stehenden Kredite und über einen ab Juni 2004 erwarteten Kredit zur Überbrü-ckung saisonaler Absatzschwankungen hinausgehenden Kreditbedarf von 4,25 it den Banken am 13.
Februar 2004, bei dem den Kreditwünschen nicht entsprochen wurde, erkannten die Angeklagten, dass der Bestand ihres Unternehmens ernsthaft in Gefahr war. Sie bemühten sich daraufhin erneut um eine Umschuldung und die Gewinnung eines weiteren Gesellschafters, blieben damit aber erfolglos.

In dieser Situation bestellten die Angeklagten zum 1.
März 2004 den ehemaligen Mitangeklagten K.

zum Geschäftsführer der G.

S.

GmbH in E.

sowie der S.

GmbH und der Se.

GmbH. Der Angeklagte S.

schied als Geschäftsführer aus, die Prokura der Ange-klagten L.

wurde widerrufen. Da der neue Geschäftsführer über keine Er-fahrung in der Branche verfügte, blieben die Angeklagten weiter für
die Gesell-schaften tätig, wofür sie vom neuen Geschäftsführer pauschal jeweils 250.000 vereinbarten die Angeklagten mit dem früheren Mitangeklagten eine rein er-folgsabhängige Geschäftsführervergütung. Es kam indes nur zu einem nach dieser Vereinbarung provisionspflichtigen Geschäftsabschluss mit einem Volu-zustande.

4
5
-
5
-
In einem Gespräch mit Bankvertretern am 8.
März 2004 kündigte K.

an, zur Verbesserung der Liquidität Reserven aufzulösen. Die Bankvertreter untersagten ihm daraufhin weitere Verfügungen über den Banken zustehendes Sicherungsgut ohne deren Zustimmung, weil sie befürchteten, K.

wolle Wa-ren oder Güter verschleudern. Tatsächlich hatte K.

zusammen mit dem An-geklagten S.

schon am 27.
Februar 2004 1.475 Tonnen Entenfleisch zum -
und damit erheblich unter den Gestehungskos-ten -
verkauft und dabei die Bezahlung mit LZB-Schecks vereinbart, die sodann nicht bei den Hausbanken, sondern bei anderen Banken eingelöst wurden. Die Hausbanken wurden davon nicht informiert, der Gegenwert der Schecks wurde nicht an diese abgeführt. Dies verstieß sowohl hinsichtlich der Preisgestaltung als auch hinsichtlich der Entgegennahme des Kaufpreises gegen die mit den Banken bestehende Globalzessionsabrede. Ab 1.
März 2004 ließ sich K.

eingehende Schecks vorlegen und brachte die Schecks unter Umgehung der Buchhaltung auf neu eröffneten Konten gut. Insgesamt reichte er in den fol-genden Wochen Schecks im Wert von rund In Absprache mit den Angeklagten, die auch sonst über alle wesentlichen Vor-gänge informiert waren, verlagerte K.

ab Ende März 2004 das operative Ge-schäft auf die "LM.

GmbH". Diese Gesellschaft, eine 100-prozentige Tochter der Ne.

GmbH, war die einzige innerhalb der S.

-Firmengruppe, die keine unmittelbaren vertragli-chen Beziehungen zu den Hausbanken hatte.

Mit Schreiben vom 9.
März 2004 verlangten die Hausbanken binnen drei Tagen u.a. die Vorlage eines Liquiditätsstatus und eine Übersicht über bereits veräußertes Sicherungsgut und drohten für den Fall des fruchtlosen Verstrei-chens der Frist mit der außerordentlichen Kündigung des Kreditengagements. K.

vertröstete sie auf den 23.
März 2004. Die Banken kündigten daraufhin 6
7
-
6
-
am 15.
März 2004 und am 23.
März 2004 die gesamte Geschäftsverbindung und setzten für die bestehenden Verbindlichkeiten aller Gesellschaften, insge-samt fast 23
Mio.

April 2004. Weder die S.

GmbH noch die S.

-Gruppe in ihrer Gesamtheit waren in der Lage, diese Forderung bei Fälligkeit oder in den folgenden drei Wochen zu begleichen.

Um im Falle einer Insolvenz weiter im Entengeschäft verbleiben zu kön-nen, erwarben die Angeklagten am 25.
März 2004 von der Ne.

.

GmbH". Am 31.
März 2004 erwarben sie von der S.

GmbH für .

Enten".

In der Zeit vom 31.
März bis zum 7.
April 2004 stellte K.

in Absprache und nach Vereinbarung mit den Angeklagten der S.

GmbH und der Se.

GmbH drei Rechnungen über insgesam-
ent-gegen der ursprünglichen Vereinbarung -
auch eine erfolgsunabhängige Vergü-tung sowie Erfolgshonorare für tatsächlich nicht zustande gekommene Ge-schäfte zum Gegenstand hatten, und vereinnahmte diesen Betrag aus dem Vermögen
der S.

GmbH. Nach der ursprünglichen Vereinbarung hätte ihm e-klagten waren einverstanden, weil sie sich aus den Beträgen, die K.

erhielt,

mit Hilfe dieser Summe zusammen mit der erworbenen Gesellschaft "LM.

GmbH" und der Marke "B.

Enten" einen Neustart des Familienunternehmens schaffen wollten. Sie kannten die fehlende Berechtigung der Forderungen, wussten zum Zeitpunkt ihrer Zustimmung um die wirtschaftliche Lage der Unternehmens-gruppe, insbesondere, dass eine infolge der Kündigungen erforderliche fristge-rechte Zahlung der bei den Banken bestehenden Verbindlichkeiten nicht geleis-8
9
-
7
-
tet werden konnte und sich die S.

-Gruppe daher im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit befand. K.

zahlte aus dem entnommenen Betrag an die .

GmbH und der Se.

GmbH wurde auf Antrag der Banken das Insolvenz-verfahren eröffnet.

3. Das Landgericht hat das Verhalten des früheren Mitangeklagten K.

-

e-stand -
als Untreue zum Nachteil der S.

GmbH gewertet. Das Einverständ-nis der Angeklagten hat das Landgericht wegen der Gefährdung der wirtschaft-lichen Existenz der Gesellschaft durch die Entnahme als unwirksam angese-hen. Zugleich hat es das Verhalten als Bankrotthandlung nach §
283 Abs.
1 Nr.
1 StGB gewertet. Zwar habe K.

nicht im Interesse der S.

GmbH, son-dern eigennützig gehandelt, hierauf komme es indes nicht an. Das Verhalten der Angeklagten hat das Landgericht als Beihilfe zu den Taten des früheren Mitangeklagten K.

beurteilt.

II.
Die gegen das Urteil von beiden Angeklagten übereinstimmend erhobe-nen Verfahrensrügen sind im Ergebnis unbegründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, die sich zur Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf zahlreiche wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen stützt (vgl. BGH, Be-schluss vom 17. Februar 1993 -
3 StR 474/92, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Zah-lungsunfähigkeit 3 mwN), hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts enthält nach Auffassung des Senats keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.

10
11
-
8
-
1. Für die Annahme einer Untreue (§
266 StGB) durch den früheren Mit-angeklagten K.

gilt Folgendes: Dieser handelte bei der Überweisung von .

GmbH. Das Einverständnis der Angeklagten, die als alleinige Kommanditisten der Besitzgesellschaft S.

KG und -
wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen ist -
als alleinige Gesellschafter der Komplementärin, der G.

S.

GmbH in E.

, Inhaber des zu betreuenden Vermögens waren, än-dert an der Pflichtwidrigkeit seines Handelns nichts. Zwar können der Gesell-schaft mit beschränkter Haftung mit Zustimmung ihrer Gesellschafter grund-sätzlich Vermögenswerte entzogen werden, weil sie gegenüber ihren Gesell-schaftern keinen Anspruch auf ihren ungeschmälerten Bestand hat. Ein Einver-ständnis
der Gesellschafter ist allerdings unwirksam und die Vermögensverfü-gung des Geschäftsführers deshalb missbräuchlich, wenn -
wie hier -
unter Verstoß gegen Gesellschaftsrecht die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird, etwa durch Beeinträchtigung des Stammkapitals entgegen §
30 GmbHG, durch Herbeiführung oder Vertiefung einer Überschuldung oder durch Gefährdung der Liquidität (BGH, Urteil vom 13.
Mai 2004 -
5 StR 73/03, BGHSt 49, 147, 157 ff.; Beschluss vom 10.
Februar 2009 -
3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2227; Beschluss vom 31.
Juli 2009 -
2 StR 95/09, BGHSt 54, 52, 57 ff.; Beschluss vom 30.
August 2011 -
3 StR 228/11).

2. Zutreffend hat das Landgericht auch angenommen, dass sich der frühere Mitangeklagte K.

wegen Bankrotts strafbar gemacht hat, obwohl er allein eigennützig und zum Schaden der Gesellschaft, der S.

GmbH, han-delte.

a) Die Vorschrift des § 283 StGB stellt ein Sonderdelikt dar, dessen Tä-ter nur der Schuldner sein kann, also die (natürliche oder juristische) Person, 12
13
14
-
9
-
die für die Erfüllung einer Verbindlichkeit haftet. Ist der Schuldner -
wie hier -
eine juristische Person, die nur durch ihre Organe/Vertreter handeln kann, so gilt §
14 StGB. Diese Vorschrift setzt für die strafrechtliche Zurechnung voraus, dass die
handelnde Person "als" Organ oder Vertreter (Abs.
1) bzw. "auf Grund dieses Auftrags" (Abs.
2) agiert. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs und der wohl herrschenden Auffassung in der Literatur ist es da-nach für eine Strafbarkeit des Vertreters nach § 283 StGB erforderlich, dass er zumindest auch im Interesse des Geschäftsherrn handelt. Liegen ausschließ-lich eigennützige Motive vor, so kann eine Strafbarkeit wegen Untreue nach §
266 StGB in Betracht kommen; eine Verurteilung wegen Bankrotts scheidet hingegen aus (sog. Interessentheorie -
vgl. BGH, Urteil vom 20.
Mai 1981
-
3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 f.; Urteil vom 6.
November 1986 -
1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223; Urteil vom 17.
Dezember 1991 -
5 StR 361/91, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Konkurrenzen 3; Beschluss vom 14.
Dezember 1999 -
5 StR 520/99, NStZ 2000, 206, 207; zustimmend LK/Schünemann, StGB,
12.
Aufl.,
§
14 Rn. 50; im Ergebnis auch NK-StGB-Kindhäuser,
3. Aufl.,
vor §
283 Rn. 56; aA LK/Tiedemann, StGB,
12.
Aufl.,
vor § 283 Rn. 85;
SK-StGB/Hoyer,
§
283 Rn. 103 f.
[Stand: März 2002]; S/S-Perron
StGB,
28.
Aufl.,
§
14 Rn. 26; Fischer, StGB,
58. Aufl.,
§ 283 Rn. 4d; differenzierend Münch-KommStGB/Radtke,
vor §
283 Rn. 55).

b) Die von der Rechtsprechung entwickelte Interessentheorie ist in der Literatur auf Ablehnung gestoßen, weil sie für die Insolvenzdelikte nur einen geringen Anwendungsbereich lässt, wenn Schuldner im Sinne des § 283 StGB eine Handelsgesellschaft ist (LK/Tiedemann aaO vor § 283 Rn. 80; SK-StGB/Hoyer aaO §
283 Rn. 103; MünchKommStGB/Radtke aaO vor § 283 Rn.
55; Labsch,
wistra 1985, 1, 6 ff.; jeweils mwN). Dieser Kritik ist zuzugeben, dass die in § 283 StGB aufgezählten Bankrotthandlungen ganz überwiegend 15
-
10
-
dem wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft widersprechen und der vom Gesetzgeber intendierte Gläubigerschutz in der wirtschaftlichen Krise insbe-sondere von Kapitalgesellschaften bei Anwendung der Interessentheorie weit-gehend leerläuft (vgl. Winkler,
jurisPR-StrafR 16/2009 Anm.
1). Besonders au-genfällig wird dies in Fällen der Ein-Mann-GmbH, in denen der Gesellschaf-ter/Geschäftsführer der Gesellschaft angesichts der drohenden Insolvenz zur Benachteiligung der Gläubiger Vermögen entzieht und auf seine privaten Kon-ten umleitet, nach wirtschaftlicher Betrachtung also aus eigennützigen Motiven handelt. Nach der Interessentheorie ist er nicht des Bankrotts schuldig, obwohl er die Insolvenz gezielt herbeigeführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 20.
Mai 1981 -

3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 f.; kritisch dazu LK/Tiedemann aaO vor
§ 283 Rn. 80, 85).

Während Einzelkaufleute in vergleichbaren Fällen regelmäßig wegen Bankrotts strafbar sind, entstehen so Strafbarkeitslücken für Vertreter oder Or-gane von Kapitalgesellschaften. Angesichts der besonderen Insolvenzanfällig-keit von in der Rechtsform der GmbH betriebenen Unternehmen wird der Schutzzweck der Insolvenzdelikte dadurch konterkariert (vgl.
SK-StGB/Hoyer aaO; MünchKommStGB/Radtke aaO). Dies gilt insbesondere, wenn man die Interessenformel konsequent auch auf die Bankrotthandlungen anwendet, die die Verletzung von Buchführungs-
oder Bilanzierungspflichten sanktionieren (§
283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB): Entfällt wegen des fehlenden Interesses der Ge-sellschaft die Bankrottstrafbarkeit, scheitert eine Verurteilung wegen Untreue regelmäßig am nicht festzustellenden oder nicht nachzuweisenden Vermö-gensschaden der Gesellschaft (vgl. Arloth,
NStZ 1990, 570, 572; LK/Tiedemann aaO vor § 283 Rn. 84). Über diese nicht gerechtfertigte Privile-gierung von GmbH-Geschäftsführern gegenüber Einzelkaufleuten hinaus wird der Zweck der §
283 Abs.
1 Nr. 5-7, § 283b StGB unterlaufen, der Verstöße 16
-
11
-
gegen Buchführungs-
und Bilanzierungsvorschriften wegen der besonderen Gefahr von Fehleinschätzungen mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen als eigenständiges Unrecht erfassen will (vgl. Arloth,
NStZ 1990, 570, 572).

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Interessentheorie bei Vertretern von Personengesellschaften für die praktisch relevanten Fälle, dass die Gesellschafter der Bankrotthandlung zustimmen (vgl. dazu Labsch,
wistra 1985, 1, 7), zudem nicht durchgehalten worden; ein Handeln, das aus wirtschaftlicher Sicht im vollständigen Widerstreit zu den Interessen der vertre-tenen Gesellschaft steht, soll etwa bei der Kommanditgesellschaft gleichwohl von dem durch das Einverständnis erweiterten Auftrag des Schuldners -
also der Gesellschaft -
gedeckt sein, wenn der Komplementär zustimmt (BGH, Urteil vom 6.
November 1986 -
1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223 f. = BGH StV 1988, 14, 15 m. Anm. Weber). Die Einschränkung der Interessentheorie sei insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes geboten (BGH, Urteil vom 6. November 1986 -
1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 224). Diese Rechtspre-chung hat der Bundesgerichtshof in der Folge auch auf Fälle der GmbH & Co. KG erstreckt, in denen der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH die Bankrotthandlungen mit Zustimmung der Gesellschafter dieser Kapitalgesell-schaft und damit der Komplementärin vorgenommen hatte (BGH, Urteil vom 12.
Mai 1989 -
3 StR 55/89, wistra 1989, 264, 267; aA BGH, Urteil vom 29.
November 1983 -
5 StR 616/83, wistra 1984, 71; BGH, Urteil vom 17.
März 1987 -
5 StR 272/86, JR 1988, 254, 255 f. m. abl. Anm. Gössel; offen gelassen von BGH, Urteil vom 3.
Mai 1991 -
2 StR 613/90, NJW 1992, 250, 252). Der Gläubigerschutz hat aber bei den in der Rechtsform der GmbH betriebenen Gesellschaften kein geringeres Gewicht als bei Personengesellschaften oder insbesondere der Mischform der GmbH & Co. KG, so dass mit dieser Argumen-tation nicht nachvollziehbar erscheint, warum die Zustimmung der Gesellschaf-17
-
12
-
ter einer Komplementär-GmbH den Auftrag des Geschäftsführers erweitern kann, das Einverständnis der Gesellschafter bei einer reinen Kapitalgesell-schaft für die Frage, ob der Geschäftsführer als Organ oder im Auftrag der Ge-sellschaft handelt, hingegen bedeutungslos sein soll.

Der Senat will deshalb von der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs zur Strafbarkeit eines Vertreters wegen Bankrotts abweichen und die Abgrenzung zwischen den Insolvenzdelikten der §§ 283 ff. StGB und insbe-sondere der Untreue nach § 266 StGB, aber auch den Eigentumsdelikten ge-mäß §§ 242, 246 StGB nicht mehr nach der Interessenformel vornehmen, zu-mal das Abstellen auf das Interesse des Vertretenen und damit auf ein subjek-tives Element vom Wortlaut des § 14 StGB nicht gefordert wird (Arloth,
NStZ 1990, 570, 574; LK/Tiedemann aaO vor § 283 Rn. 84). Er will vielmehr für die Zurechnung der Schuldnereigenschaft im Sinne der §§ 283 ff. StGB maßgeb-lich daran anknüpfen, ob der Vertreter im Sinne des §
14 StGB im Geschäfts-kreis des Vertretenen tätig geworden ist. Dies wird bei rechtsgeschäftlichem Handeln zu bejahen sein, wenn der Vertreter entweder im Namen des Vertre-tenen auftritt oder letzteren wegen der bestehenden Vertretungsmacht jeden-falls im Außenverhältnis die Rechtswirkungen des Geschäfts unmittelbar treffen (vgl. MünchKommStGB/Radtke
vor § 283 Rn. 58; Radtke,
GmbHR 2009, 875, 876; Radtke,
JR 2010, 233, 237; S/S-Perron aaO § 14 Rn. 26; Labsch,
wistra 1985, 59, 60). Gleiches gilt, wenn sich der Vertretene zur Erfüllung seiner au-ßerstrafrechtlichen, aber gleichwohl strafbewehrten Pflichten (vgl. §
283 Abs.
1 Nr. 5-7 StGB) eines Vertreters bedient (LK/Tiedemann aaO vor § 284 Rn. 84, S/S-Perron aaO; MünchKommStGB/Radtke
vor § 283 Rn. 58; Arloth,
NStZ 1990, 570, 572; Winkelbauer,
JR 1988, 33, 34). Bei faktischem Handeln muss die Zustimmung des Vertretenen -
unabhängig von der Rechtsform, in der die-ser agiert -
ebenfalls dazu führen, dass der Vertreter in seinem
Auftrag handelt 18
-
13
-
und ihm die Schuldnerstellung zugerechnet wird (MünchKommStGB/Radtke,
vor § 283 Rn. 58; SK-StGB/Hoyer aaO § 283 Rn. 106).

Bei Beachtung dieser Grundsätze kann die trotz gleichartiger Verhal-tensweisen mit der Interessentheorie verbundene Ungleichbehandlung zwi-schen Einzelkaufleuten und GmbH-Geschäftsführern ebenso vermieden wer-den (vgl. Radtke aaO) wie Strafbarkeitslücken bei Verstoß gegen Buchfüh-rungs-
und Bilanzierungspflichten, wodurch der Gläubigerschutz verbessert wird (vgl. Schwarz,
HRRS 2009, 341, 343; Floeth,
EWiR 2009, 589, 590; Link,
NJW 2009, 2228; Bittmann,
wistra 2010, 8). Soweit der Vertreter eigennützig handelt, wird häufiger als bisher eine Verurteilung wegen Bankrotts in Tatein-heit mit Untreue oder einem Eigentumsdelikt in Betracht kommen, insbesonde-re wenn die Zustimmung der Gesellschafter (oder des alleinigen Gesellschaf-ters/Geschäftsführers) einer GmbH wegen des damit verbundenen existenzge-fährdenden Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen kein tatbestandsausschlie-ßendes Einverständnis mit der nachteiligen Vermögensverfügung darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 24.
August 1988 -
3 StR 232/88, BGHSt 35, 333; BGH, Urteil vom 13.
Mai 2004
-
5 StR 73/03, BGHSt 49, 147, 158; BGH, Urteil
vom 11.
September 2003 -
5 StR 524/02, wistra 2003, 457, 460; BGH, Urteil vom 22.
März 2006 -
5 StR 475/05, wistra 2006, 265). Dieses Ergebnis ist jedoch gerechtfertigt, weil in diesen Fällen durch dieselbe Handlung unterschiedliche Rechtsgüter -
der Schutz der Gläubiger einerseits und das Vermögen bzw. das Eigentum der Gesellschaft andererseits -
beeinträchtigt werden.

Der Senat gibt deshalb seine entgegenstehende Rechtsprechung (Urteil vom 20.
Mai 1981 -
3 StR 94/81, BGHSt 30, 127) auf.

19
20
-
14
-
c) Der beabsichtigten Verwerfung der Revision stehen jedoch Entschei-dungen anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs
entgegen (u.a. 1.
Strafsenat: Beschluss vom 21.
Oktober 1980 -
1 StR 407/80; Urteil vom 6.
November 1986 -
1 StR 327/86, BGHSt 34, 221; 2.
Strafsenat: Urteil vom 3.
Mai 1991 -
2 StR 613/90, NJW 1992, 250; 4.
Strafsenat: Beschluss vom 10.
Juli 1979 -
4 StR 270/79; 5.
Strafsenat: Urteil vom 29.
November 1983
-
5 StR 616/83, wistra 1984, 71; Urteil vom 17.
Dezember 1991 -
5 StR 361/91, BGHR StGB §
283 Abs.
1 Konkurrenzen 3; Beschluss vom 14.
Dezember 1999 -
5 StR 520/99, NStZ 2000, 206). Der Senat fragt an, ob an der diesen und ge-gebenenfalls weiteren Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsansicht fest-gehalten wird.

Becker Pfister

Schäfer

RiBGH Mayer befindet sich

im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

Becker Menges
21

Meta

3 StR 118/11

15.09.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.09.2011, Az. 3 StR 118/11 (REWIS RS 2011, 3346)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3346

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 118/11 (Bundesgerichtshof)


3 StR 118/11 (Bundesgerichtshof)

Anfrage an die Strafsenate des BGH: Strafbarkeit wegen Bankrotts bei Beiseiteschaffen des Gesellschaftsvermögens ohne Handeln …


3 StR 118/11 (Bundesgerichtshof)

Strafbarkeit eines GmbH-Geschäftsführes wegen Bankrotts


3 StR 372/08 (Bundesgerichtshof)


5 StR 122/11 (Bundesgerichtshof)

Buchführungs- und Bilanzdelikte: Anwendung der Interessentheorie


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.