Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 24.01.2013, Az. I ZR 171/10

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8682

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Gegenstand

(Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsstreits zwischen der staatlichen Lottogesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und einem in Gibraltar ansässigen Anbieter von Internet-Glücksspielen und -Sportwetten: Inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat durch landesrechtliche Bestimmungen zum Glücksspielverbot einerseits und einer Genehmigungserteilungspflicht an Unionsbürger und gleichgestellte juristische Personen für den Vertrieb von Sportwetten im Internet andererseits in Ansehung abweichender Regelungen in den Bundesländern nach Neuordnung des Glücksspielwesens) - Digibet


Leitsatz

Digibet  

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 56 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

1. Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar,

- wenn einerseits in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und - ohne Rechtsanspruch - nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken,

- wenn anderseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleichgestellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im Internet erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkung des Glücksspielvertriebs im Internet zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann?

2. Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt?

Falls die erste Frage bejaht wird:

3. Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen, großzügigeren Regelungen des Internetglücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen widerrufen werden könnten?

4. Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird?

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] werden zur Auslegung des Art. 56 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

1. Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar,

- wenn einerseits in einem als [X.] verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im [X.] nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und - ohne Rechtsanspruch - nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken,

- wenn anderseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleichgestellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im [X.] erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen [X.] geltenden Beschränkung des Glücksspielvertriebs im [X.] zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann?

2. Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt?

Falls die erste Frage bejaht wird:

3. Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen, großzügigeren Regelungen des [X.]glücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen widerrufen werden könnten?

4. Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird?

Gründe

1

I. Die Klägerin ist die staatliche Lottogesellschaft des [X.]. Die Beklagte zu 1 mit Sitz in [X.] bietet auf der [X.]seite "    .com" in [X.] Glücksspiele und Sportwetten gegen Geldeinsatz an. Sie ist Inhaberin einer in [X.] erteilten Glücks- und Spiellizenz. Der Beklagte zu 2 ist Geschäftsführer der [X.] zu 1.

2

Die Klägerin hält das Angebot der [X.] zu 1 wegen Verstoßes gegen glücksspiel- und strafrechtliche Bestimmungen für wettbewerbswidrig.

3

Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, hat das [X.] die [X.] unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt,

es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des [X.] über das [X.] in [X.] befindlichen Personen die Möglichkeit anzubieten und/oder zu verschaffen, Glücksspiele, insbesondere Sportwetten zu festen Gewinnquoten sowie Kasinospiele, insbesondere Poker, Videopoker, [X.], Roulette, [X.], Keno, [X.] und virtuelle Slot Machines sowie Kartenspiele und Brettspiele gegen Entgelt einzugehen und/oder abzuschließen und/oder diese Möglichkeit zu bewerben, wie nachstehend beispielhaft wiedergegeben (es folgt die Wiedergabe von 102 Bildschirmausdrucken aus dem [X.]angebot der [X.] zu 1 vom September 2009).

4

Außerdem hat das [X.] die [X.] zur Auskunft verurteilt und ihre Pflicht zum Schadensersatz festgestellt.

5

Das Berufungsgericht hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen und den Unterlassungstenor nach Maßgabe des von der Klägerin in der Berufungsinstanz gestellten Antrags unter Beschränkung auf konkret bezeichnete Spiele so gefasst, dass sich die Unterlassungspflicht der [X.] darauf bezieht,

über das [X.] in [X.] befindlichen Personen die Möglichkeit anzubieten und/oder zu verschaffen, Sportwetten zu festen Gewinnquoten sowie Poker, Videopoker, [X.], Roulette, [X.], Keno, [X.] und Spiele an virtuellen Slot Machines sowie Knobelduell und [X.]-Duell gegen Entgelt einzugehen und/oder abzuschließen und/oder diese Möglichkeit zu bewerben, wie nachstehend wiedergegeben. …

6

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben die [X.] weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

7

II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 56 A[X.] ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 A[X.] eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.

8

1. Weil die Klägerin einen auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichteten Unterlassungsanspruch verfolgt, kommt es im Streitfall auch auf das im [X.]punkt der Entscheidung geltende Recht an. Der Glücksspielstaatsvertrag 2008 ist mit Ablauf des 31. Dezember 2011 außer [X.] getreten (§ 28 Abs. 1 GlüStV 2008). Zum 1. Januar 2012 erfolgte in [X.] eine Liberalisierung des [X.]. Anders als § 5 Abs. 3 GlüStV 2008 lässt § 26 des [X.] [X.] vom 20. Oktober 2011 (GVOBl. Schl.-H. S. 280 - GlSpielG [X.]) Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen oder im [X.] grundsätzlich zu. Auch ein Verbot des [X.] und [X.] öffentlicher Glücksspiele im [X.] (§ 4 Abs. 4 GlüStV 2008) ist dem Glücksspielgesetz [X.] fremd. Veranstaltung und Vertrieb öffentlicher Glücksspiele und Wetten bedürfen zwar weiterhin der Genehmigung der zuständigen [X.]behörde (vgl. §§ 4, 5, 22 und 23 GlSpielG [X.]); die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten ist aber bei Vorliegen bestimmter objektiver Zulassungsvoraussetzungen jedem Bürger und jeder juristischen Person aus der [X.] zu erteilen (§ 23 Abs. 2 GlSpielG [X.]).

9

Im gesamten übrigen [X.] gilt dagegen inzwischen der Glücksspielstaatsvertrag 2012 (1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag - GlüStV 2012). Nach § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV 2012 sind das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im [X.] sowie die Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im [X.] sowie über Telekommunikationsanlagen grundsätzlich weiterhin verboten. Gemäß § 4 Abs. 5 und § 5 Abs. 3 Satz 2 und 3 GlüStV 2012 kann die Verwendung des [X.]s zu diesen Zwecken nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen für Lotterien und Sportwetten erlaubt werden, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken. Auf die Erteilung der Erlaubnis besteht kein Rechtsanspruch.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte zu 1 mit ihrem [X.]angebot gegen die §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 3 GlüStV 2008 verstoßen hat.

Nach der Rechtsprechung des [X.] sind die Bestimmungen des § 4 Abs. 4 und des § 5 Abs. 3 GlüStV 2008 Marktverhaltensregelungen, deren Anwendbarkeit keine unions- oder verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen (vgl. nur [X.], Urteil vom 28. September 2011 - [X.], [X.], 193 Rn. 21, 30 ff. = [X.], 201 - Sportwetten im [X.] II, zu § 4 Abs. 4 GlüStV; Urteil vom 28. September 2011 - [X.], juris Rn. 78 f., zu § 5 Abs. 3 GlüStV).

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision geben dem Senat keinen Anlass zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Auch die übrigen Erwägungen der Revision lassen im Hinblick auf die Beurteilung der bis zum 1. Januar 2012 geltenden Rechtslage durch das Berufungsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.

3. Aufgrund der seit dem 1. Januar 2012 eingetretenen Rechtsänderungen kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die Revision hinsichtlich des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsantrags und der für die [X.] nach dem 31. Dezember 2011 zugesprochenen Auskunfts- und Schadensersatzansprüche im Hinblick auf einen Verstoß gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 A[X.]) Erfolg haben könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] sind Ausnahmen und Einschränkungen zu einer die Glücksspieltätigkeit beschränkenden Regelung dahingehend einer Kohärenzprüfung zu unterziehen, ob sie deren Eignung zur Verfolgung legitimer [X.] beseitigen (vgl. [X.], Urteil vom 8. September 2010 - C46/08, [X.]. 2010, [X.] = [X.] 2010, 1422 Rn. 106 ff. - [X.]). Vor diesem Hintergrund könnte eine gegenüber dem übrigen [X.] unterschiedliche Rechtslage in einem einzelnen [X.]land dazu führen, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im [X.] für Glücksspiele in den anderen [X.]ländern wegen Verstoßes gegen das [X.]srecht unanwendbar sind, so dass für ein Verbot der Online-Vermittlung und Veranstaltung von Glücksspielen keine Grundlage mehr bestünde.

a) Nach geltendem Recht bestehen wesentliche Unterschiede in der rechtlichen Behandlung des [X.]glücksspiels zwischen [X.] und dem übrigen [X.].

Die Bestimmungen der § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV 2012 enthalten weiterhin Verbote des [X.] und [X.] öffentlicher Glücksspiele im [X.] sowie der Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im [X.] sowie über Telekommunikationsanlagen. Zwar kann nach § 4 Abs. 5 und § 5 Abs. 3 Satz 2 und 3 GlüStV 2012 die Verwendung des [X.]s zu diesen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr erlaubt werden, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken. Auf die Erlaubniserteilung besteht aber kein Rechtsanspruch. Demgegenüber gibt es in [X.] gemäß § 23 Abs. 2 GlSpielG [X.] grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Vertriebsgenehmigung für öffentliche Wetten, der sich aufgrund des Zusammenhangs mit § 23 Abs. 1 GlSpielG [X.] zweifelsfrei auch auf den Fernvertrieb und damit den Absatz im [X.] erstreckt. Für die Glücksspielwerbung im [X.] ist gemäß § 26 GlSpielG [X.] keine Erlaubnis erforderlich.

b) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Liberalisierung von [X.]vertrieb und -werbung für Glücksspiele in [X.] die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen [X.]ländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen [X.] mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.

So ist fraglich, ob sich die Teilnahmemöglichkeit an Glücksspielen über das [X.] wirksam auf das [X.]land [X.] beschränken lässt. Auch die nunmehr in [X.] unbeschränkt mögliche Werbung für Glücksspiele in Fernsehen, Rundfunk und [X.] kann aufgrund der Natur dieser Medien nicht wirksam auf dieses [X.]land begrenzt werden.

4. Die unionsrechtliche Bewertung der seit 1. Januar 2012 in [X.] bestehenden unterschiedlichen Regelungen für Online-Glücksspiel ist umstritten. Teilweise wird angenommen, dass der [X.] zu einer fehlenden Kohärenz des [X.]verbots für Glücksspiele im übrigen [X.] führt ([X.]/[X.], [X.] 1/2012, 1, 9 ff.; [X.], [X.], 517, 524). Insbesondere wird ein Verstoß gegen das aus dem Kohärenzgebot resultierende Konterkarierungsverbot im Sinne einer wesentlichen Effektivitätseinbuße hinsichtlich der von den anderen Ländern verfolgten Ziele für sehr wahrscheinlich gehalten. Demgegenüber haben die mit der Frage befassten Verwaltungsgerichte eine [X.] des [X.] [X.] ungeachtet der in [X.] geltenden abweichenden Regelungen bisher verneint (vgl. [X.], Urteil vom 19. Januar 2012 - 6 K 521/10, juris; [X.], Urteil vom 26. April 2012 - 3 K 330/10, juris; Urteil vom 27. August 2012 - 3 K 882/12, juris).

5. Es ist fraglich, ob eine unionsrechtliche Kohärenzprüfung der unterschiedlichen Ausgestaltung des [X.] innerhalb der [X.]republik [X.] schon deshalb ausscheidet, weil sie Ausfluss der bundesstaatlichen Ordnung ist (so [X.], NJW 2012, 2918, 2924). Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dazu - soweit ersichtlich - keine eindeutige Antwort zu entnehmen.

a) Der Gerichtshof hat in der Sache [X.] ([X.] 2010, 1422) ausgeführt:

69 Was den Umstand betrifft, dass die verschiedenen Glücksspiele zum Teil in die Zuständigkeit der Länder und zum Teil in die des [X.] fallen, ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung seiner aus dem [X.]srecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen. Die interne Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaats, namentlich zwischen zentralen, regionalen und lokalen Behörden, kann ihn unter anderem nicht davon entbinden, den genannten Verpflichtungen nachzukommen …

70 Dementsprechend müssen, auch wenn das [X.]srecht einer internen Zuständigkeitsverteilung, nach der für bestimmte Glücksspiele die Länder zuständig sind und für andere der [X.], nicht entgegensteht, in einem solchen Fall die Behörden des betreffenden [X.]landes und die [X.]behörden gleichwohl gemeinsam die Verpflichtung der [X.]republik [X.] erfüllen, nicht gegen Art. 49 [X.] zu verstoßen. Soweit die Beachtung dieser Bestimmung es erfordert, müssen diese verschiedenen Behörden dabei folglich die Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeit koordinieren.

Diese Ausführungen legen die Annahme nahe, dass ebenso wie [X.] und [X.]länder gegebenenfalls auch die [X.]länder untereinander ihre Politik im Glücksspielbereich in der Weise abzustimmen haben, dass die Verpflichtung der [X.]republik [X.] zur Beachtung der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 A[X.], zuvor Art. 49 [X.]) eingehalten wird.

Danach bleiben zwar unterschiedliche Regelungen in den [X.]ländern auch im Bereich des [X.] grundsätzlich möglich. Jedoch könnte es geboten sein, jede in einem [X.]land bestehende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit für sich genommen darauf zu überprüfen, ob ihre Eignung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels dadurch entfällt, dass ein anderes [X.]land eine abweichende Regelung trifft (vgl. [X.]/[X.] aaO S. 7).

b) Andererseits hat der Gerichtshof der [X.] in der Rechtssache "[X.]" klargestellt, dass Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des [X.] gegenüber im Ausland ansässigen Veranstaltern die Vereinbarkeit eines solchen Monopols mit dem [X.]srecht nicht beeinträchtigen ([X.], Urteil vom 8. September 2010 - [X.]/07, [X.]. 2010, [X.] = [X.], 1409 Rn. 84 ff.). Es fragt sich, ob dieser Grundsatz auf die Nutzung von [X.]angeboten aus [X.] durch dazu nicht befugte Spieler anderer [X.]länder übertragbar ist.

c) Nach Auffassung des Senats sollte diese Frage bejaht und die erste Vorlagefrage verneint werden. Dagegen spricht insbesondere nicht schon die Erwägung, anders als bei Auswirkungen aus dem Ausland habe es der Mitgliedstaat grundsätzlich selbst in der Hand, regional unterschiedliche Bestimmungen innerhalb seines Staatsgebiets zu verhindern, die die Wirksamkeit eines [X.]verbots beeinträchtigen (vgl. [X.]/[X.] aaO S. 10 f.).

Die [X.] bildet eine Rechtsgemeinschaft, in der für das Verhältnis zwischen der [X.] und den Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 [X.] (bislang Art. 5 [X.]) der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gilt. Dieser Grundsatz verpflichtet nicht nur die Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und Wirksamkeit des [X.]srechts zu gewährleisten, sondern legt auch der [X.] entsprechende Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten auf ([X.], Beschluss vom 13. Juni 1990 - C2/88, [X.]. 1990, [X.] = NJW 1991, 2409 Rn. 17 - Zwartveld; vgl. [X.], Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der [X.], 1996, S. 157 f.; Zuleeg in von der [X.], Kommentar zum EU-/[X.]-Vertrag, 6. Aufl., Art. 10 [X.] Rn. 11; Wölker in von der [X.] aaO Protokoll Nr. 24 Rn. 41). Daraus folgt für die [X.] ein Gebot der Rücksichtnahme auf verfassungsrechtliche Schwierigkeiten und - im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.] - auf bundesstaatliche Strukturen in den Mitgliedstaaten. Zudem gilt für die Auslegung und Anwendung des [X.]srechts der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der nunmehr ebenfalls in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 [X.] ausdrücklich verankert ist. Danach dürfen die den Mitgliedstaaten durch das [X.]srecht auferlegten Pflichten nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 1970 - 25/70, [X.]. 1970, 1162 Rn. 31 f. - [X.] und [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., Art. 5 [X.] Rn. 36).

Es erschiene aus der Sicht des Senats wenig angemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kaum vereinbar, wenn die Mehrzahl der [X.]länder - im Streitfall 15 Länder - ihr vom [X.]srecht anerkanntes Recht, selbst zu beurteilen, ob es erforderlich ist, bestimmte Glücksspieltätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollen vorzusehen (vgl. [X.], [X.], 1422 Rn. 58 - [X.]), schon deshalb nicht ausüben könnte, weil ein einzelnes [X.]land eine abweichende Regelung einführen will (zum Kriterium der Angemessenheit im Zusammenhang mit der Berücksichtigung föderaler Strukturen im [X.]srecht vgl. [X.], [X.] 1994, 301, 319 ff.). Dabei ist zu beachten, dass in einer bundesstaatlichen Verfassung ein [X.]land weder vom [X.] noch von den anderen [X.]ländern gezwungen werden kann, eine bestimmte Regelung in einem der Kompetenz der Länder unterliegenden Bereich zu treffen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich in nicht harmonisierten Sektoren wie dem Glücksspielwesen die praktische Auswirkung einer durch Unterschiede zwischen den Ländern eines [X.]staats bewirkten [X.] für den Binnenmarkt nicht von abweichenden Regelungen unterscheiden dürfte, die zwischen kleineren und größeren Mitgliedstaaten bestehen und unionsrechtlich hinzunehmen sind.

6. Für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Frage bejaht, sollte nach Auffassung des Senats die zweite Frage in der Weise beantwortet werden, dass es nicht zu einer [X.] der im übrigen [X.] für das [X.]glücksspiel geltenden Beschränkungen führt, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen, kleineren [X.]land nur unerheblich beeinträchtigt wird. Jedenfalls die Anerkennung einer Erheblichkeitsschwelle bei der Kohärenzprüfung erscheint unter dem unionsrechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit geboten, wenn die uneinheitliche Regelung auf die bundesstaatliche Ordnung eines Mitgliedstaats zurückzuführen ist und einen unionsrechtlich nicht harmonisierten Dienstleistungsbereich betrifft.

7. Die dritte Frage stellt der Senat für den Fall, dass sich die Rechtslage in [X.] bis zur Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens erneut ändern sollte.

a) Die neue [X.]regierung in [X.] hat einen Gesetzentwurf eingebracht (Entwurf zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze, [X.]ischer Landtag Drucks. 18/104). Danach ist beabsichtigt, den Sonderweg des [X.] im Glücksspielbereich zu beenden und dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 beizutreten. Allerdings sollen die Genehmigungen, die privaten Anbietern bisher erteilt worden sind, in [X.] bleiben (vgl. Art. 4 des Entwurfs). Nach § 4 Abs. 3 GlSpielG [X.] sind diese Genehmigungen, die den [X.]vertrieb umfassen, für die Dauer von sechs Jahren erteilt worden. Für die [X.] soll das jetzige Glücksspielgesetz [X.] so lange fortgelten. Das gilt auch für § 26 GlSpielG [X.], der [X.]werbung für erlaubte Glücksspiele zulässt.

b) Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit einer Regelung des Pensionsalters für Beamte ausgeführt, das Gesetz eines Mitgliedstaats oder eines [X.] sei nicht schon deshalb inkohärent, weil es im Hinblick auf die Anhebung der Regelaltersgrenze zu einem anderen [X.]punkt geändert werde als das entsprechende Gesetz eines anderen Mitgliedstaats oder [X.]. Der Rhythmus der Änderung kann also von [X.]land zu [X.]land unterschiedlich sein, um regionale Besonderheiten zu berücksichtigen und es den zuständigen Behörden zu ermöglichen, die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen ([X.], Urteile vom 21. Juli 2011 - [X.]/10 und [X.]/10, NVwZ 2011, 1249 Rn. 96 f. - [X.] und [X.]). Wie sich aus Randnummer 94 dieses Urteils ergibt, hatte das [X.] dort eine den Beamtengesetzen des [X.] und mehrerer Länder ähnliche Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre beabsichtigt, aber noch nicht eingeführt.

c) Nach Auffassung des Senats lassen sich diese Grundsätze auch im Zusammenhang mit legitimen Zielen dienenden Beschränkungen des Glücksspiels in Mitgliedstaaten mit bundesstaatlicher Verfassung anwenden.

aa) Sind sich die Länder eines [X.]staats darüber einig, in Verfolgung legitimer Ziele des Allgemeinwohls Glücksspieltätigkeiten in systematischer und kohärenter Weise zu begrenzen, sollte es in Anwendung der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit und der Verhältnismäßigkeit nicht zu einer unionsrechtlichen [X.] führen, wenn ein [X.]land die entsprechenden Regelungen aufgrund einer abweichenden Ausgangslage zwar so rasch wie zumutbar, aber erst nach einer mehrjährigen Übergangszeit in [X.] setzen kann.

Dieses Ergebnis erscheint gerade in einem Bereich wie dem Glücksspielsektor geboten, in dem es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache jedes Mitgliedstaats ist zu beurteilen, ob es erforderlich ist, bestimmte Glücksspieltätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollen vorzusehen ([X.], [X.], 1422 Rn. 58 - [X.]). Es handelt sich also nicht etwa um die Umsetzung einer Richtlinie der [X.], bei der ein bestimmtes Regelungsziel den Mitgliedstaaten durch die [X.] verbindlich vorgegeben wird (vgl. Art. 288 A[X.]) und deshalb insoweit von vornherein kein Koordinierungsbedarf zwischen den [X.]ländern eines Mitgliedstaats besteht. Demgegenüber erfordert die Erfüllung der sich aus Randnummer 70 der Entscheidung "[X.]" ergebenden Pflicht der [X.]länder, ihre Zuständigkeiten zur Schaffung einer kohärenten Regelung des [X.] zu koordinieren, von vornherein eine gewisse [X.]. Der Senat gibt zu bedenken, ob es nicht Sache der nationalen Gerichte sein sollte, im Einzelfall zu beurteilen, ob die bis zur Herstellung einer kohärenten Regelung des [X.] in einem Mitgliedstaat in Anspruch genommene [X.]spanne den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit entspricht. Der Senat hielte es jedenfalls für geboten, aus dem Umstand einer Übergangszeit für einen Teil des Gebiets eines Mitgliedstaats auch dann keine [X.] der Regelung des [X.] abzuleiten, wenn die im überwiegenden Teil dieses Mitgliedstaats geltenden Beschränkungen des Glücksspiels dadurch vorübergehend in ihrer Wirksamkeit nicht unerheblich beeinträchtigt werden könnten.

bb) Der Senat gibt weiter zu bedenken, ob es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspräche, wenn die Mehrzahl der [X.]länder ihr unionsrechtlich anerkanntes Recht zur Regelung des [X.] schon deshalb nicht mehr ausüben könnte, weil aufgrund besonderer Umstände ein einzelnes [X.]land entsprechende Regelungen erst nach einer Übergangszeit einführen kann.

cc) Die unionsrechtliche Zulässigkeit einer auch mehrjährigen Übergangszeit ist nach Ansicht des Senats insbesondere dann anzuerkennen, wenn aufgrund der besonderen Rechtslage in einem [X.]land die sofortige Herstellung der Kohärenz im Glücksspielsektor nicht möglich ist, weil von diesem [X.]land erteilte Genehmigungen während ihrer Geltungsdauer aus Gründen des Vertrauensschutzes auch bei einer Änderung der Rechtslage nicht oder nur gegen für die öffentliche Hand schwer tragbare Entschädigungszahlungen zurückgenommen werden können. So stellt sich die Rechtslage in [X.] dar (vgl. § 117 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 6 VwG [X.]), falls es zu der dort in Aussicht genommenen Gesetzesänderung kommt.

8. Nach Auffassung des Senats sollte die vierte Frage gegebenenfalls in der Weise beantwortet werden, dass jedenfalls eine unerhebliche Beeinträchtigung der Eignung von Beschränkungen des [X.]glücksspiels, die im übrigen [X.] gelten, während der Übergangszeit nicht als unionsrechtlich relevante [X.] anzusehen ist.

[X.]Büscher                        Schaffert

                     [X.]                         [X.]

Meta

I ZR 171/10

24.01.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 3. September 2010, Az: 6 U 196/09, Urteil

Art 56 AEUV, Art 267 Abs 1 Buchst a AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, Art 4 Abs 3 EUVtr, Art 5 Abs 1 S 2 EUVtr, § 4 Abs 4 GlüStVtr SH, § 4 Abs 5 GlüStVtr SH, § 5 Abs 3 GlüStVtr SH, § 4 GlSpielG SH, § 5 GlSpielG SH, § 22 GlSpielG SH, § 23 GlSpielG SH, § 26 GlSpielG SH, § 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 4 Abs 4 GlSpielWStVtr 2008, § 5 Abs 3 GlSpielWStVtr 2008, § 28 Abs 1 GlSpielWStVtr 2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 24.01.2013, Az. I ZR 171/10 (REWIS RS 2013, 8682)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8682

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