Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2011, Az. 1 StR 21/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5891

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Strafbarkeit und Strafzumessung bei gewerbsmäßiger Einfuhr unverzollt und unversteuert über Polen eingeführter Zigaretten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2010 im Strafausspruch aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO), die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Steuerhinterziehung, zu drei Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die mit der Behauptung einer Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s erhielt der Angeklagte in [X.] entsprechend vorab geführter Verhandlungen mit dem anderweitig Verfolgten [X.]  , der „seit mindestens 2005 mit Zigaretten, die von außerhalb der [X.] über [X.] unversteuert und unverzollt nach [X.] eingeführt wurden“ ([X.]), von unbekannt gebliebenen Lieferanten derartige Zigaretten. Am 24. April 2008 übernahm er 1.000 Stangen (zu je 200 Zigaretten), die er an [X.]  weitergab, und am 3. Juni 2008 weitere 7.000 Stangen, die er an unbekannt gebliebene Abnehmer gewinnbringend weiterveräußerte. Nach den Berechnungen der [X.] betrug die den Hehlereitaten des Angeklagten zugrunde liegende Verkürzung von Einfuhrabgaben (Zoll sowie [X.] Verbrauchsteuer [Akzise] und Einfuhrumsatzsteuer) in der Republik [X.] 21.530,- Euro bzw. 150.710,- Euro und die nach dem Verbringen der Zigaretten in das Steuergebiet der [X.] [X.] durch Nichtanmeldung bei den Zollbehörden verkürzte [X.] Tabaksteuer 25.410,- Euro bzw. 177.870,- Euro.

3

2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch.

4

a) Der Angeklagte hat sich der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, Abs. 2 [X.]) schuldig gemacht.

5

Zutreffend weist allerdings die Revision darauf hin, dass Verbrauchsteuern [X.]. § 374 Abs. 1 [X.] nur inländische Steuern sind (§ 374 Abs. 4 [X.] verweist nur auf § 370 Abs. 6 Satz 1 [X.]) und dass der Begriff der Einfuhrabgaben - in § 374 Abs. 1 [X.] gleichermaßen wie in § 373 Abs. 1 [X.] - einen Einfuhrvorgang voraussetzt. Einfuhr ist dabei nur das unmittelbare Verbringen von Ware aus einem Drittland in das Gebiet der [X.], nicht jedoch das Verbringen von Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in einen anderen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Januar 2011 - 1 StR 561/10, [X.], 191; [X.] in Franzen/Gast/[X.], Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 Rn. 225 und § 373 Rn. 6 ff. sowie in [X.], [X.], 10. Aufl., § 373 Rn. 25). Deshalb können Verbrauchsteuern wie die in [X.] zu entrichtende Akzise überhaupt nur dann zu den Einfuhrabgaben [X.]. § 374 Abs. 1 [X.] zählen, wenn sie bei der unmittelbaren Einfuhr aus einem Drittland in das Gebiet der [X.] entstehen. Hierzu bedarf es in Fällen des [X.] - will man die Verfolgung nicht gemäß § 154a StPO auf die vom [X.] hinterzogene Tabaksteuer beschränken - entsprechender Feststellungen.

6

Im vorliegenden Fall ist hinreichend belegt, dass die verfahrensgegenständlichen Zigaretten „von außerhalb der [X.] über [X.]“ nach [X.] verbracht wurden ([X.]). Der [X.] kann dies schon dem Umstand entnehmen, dass es sich - u.a. - um Zigaretten der Marke „[X.]“ handelte. Die [X.] stützt sich überdies auf die Angaben eines aufgrund „seiner beruflichen Erfahrung mit dem Sprachgebrauch in der Szene“ vertrauten ([X.]), also sachkundigen Zeugen, wonach illegale Zigaretten „in der Regel aus Ländern der früheren [X.] über Osteuropa in die [X.] geschafft“ werden ([X.]). Anhaltspunkte dafür, dass abweichend hierzu gerade die verfahrensgegenständlichen Zigaretten nicht in das Gebiet der [X.] eingeführt, sondern etwa innerhalb der [X.] hergestellt worden sein könnten, bestehen nicht. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch weder aus der Einlassung des Angeklagten noch aus dem Vortrag der Revision. Eine Aufklärungsrüge mit dem Ziel, insoweit vom Urteil abweichende Feststellungen zu ermöglichen, hat der Angeklagte nicht erhoben.

7

b) Die Feststellungen belegen auch eine zugleich vom Angeklagten als Empfänger [X.]. § 19 [X.] (in der für den Tatzeitraum maßgeblichen Fassung) durch Unterlassen begangene Hinterziehung von Tabaksteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Die Annahme von Tateinheit (statt Tatmehrheit, vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2008 - 1 [X.], [X.], 470; [X.]/[X.], [X.] 2009, 44 ff.) beschwert den Angeklagten nicht.

8

3. Indes kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, denn das [X.] hat den straferschwerend berücksichtigten Umfang der vom Angeklagten verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 StGB) nicht zutreffend bestimmt.

9

a) Allerdings konnte die [X.] ohne Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen, dass der von diesem begangenen Steuerhehlerei mehrere Vortaten zugrunde lagen, nämlich nicht nur die Hinterziehung [X.]r Tabaksteuer, sondern auch die Hinterziehung von Einfuhrabgaben in [X.] ([X.], Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 [X.], [X.], 226). Das Tatunrecht der nach § 374 [X.] strafbaren Steuerhehlerei besteht in der Aufrechterhaltung des von einem oder mehreren [X.]n geschaffenen steuerrechtswidrigen Zustandes (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2007 - 5 [X.], [X.], 105; [X.] in Franzen/Gast/[X.], Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 374 Rn. 2). Die in [X.] verkürzten Abgaben sind auch nicht nachträglich durch das Verbringen der Zigaretten nach [X.] entfallen.

Gleichwohl könnte es sich empfehlen - worauf der [X.] bereits hingewiesen hat (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 [X.], aaO; [X.], Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 294/10) - in Fällen der vorliegenden Art die Strafverfolgung hinsichtlich der verkürzten Abgaben gemäß §§ 154, 154a StPO auf den bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Zoll und (oder gar nur) auf die bei dem Verbringen in das [X.] Verbrauchsteuergebiet hinterzogene [X.] Tabaksteuer zu beschränken. Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwendung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer (vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 19. April 2007 - 5 [X.], [X.], 595; siehe auch [X.] NStZ 2008, 21, 24).

b) Soweit das [X.] hier - ohne Beschränkung der Verfolgung - bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten den ganz erheblichen Steuer- und Abgabenschaden berücksichtigt hat ([X.]), hätte es dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass in den durch die Vortaten verkürzten Abgaben sowohl [X.] Tabaksteuer als auch [X.] Akzise enthalten waren, mithin in den tatbestandlichen Schuldumfang für dieselben Waren die zweifache Verkürzung von Verbrauchsteuern einfloss (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 [X.], aaO; [X.], Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 294/10). Insoweit hätte die [X.] in den Blick nehmen müssen, dass das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem - jedenfalls für den Fall normgemäßen Verhaltens - davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundsätzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Unionsrecht sieht deshalb grundsätzlich die Möglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor (vgl. Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie [X.] vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [ABl. EG Nr. L 76/1 – „[X.]“] sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der [X.] sowie die dortigen Erwägungsgründe Nr. 12, 30 und 31; ABl. [X.] 2009 Nr. L 9/12).

Daran fehlt es hier; vielmehr hat die [X.] die durch die Vortaten verkürzten Verbrauchsteuern wie von einander unabhängige [X.] nebeneinander aufgeführt. Angesichts der Höhe der [X.]n Verbrauchsteuern (die von der [X.] errechnete [X.] Akzise beträgt etwa ein Drittel des von ihr angenommenen „Steuerschadens“) kann der [X.] trotz der in den Taten des Angeklagten zum Ausdruck kommenden kriminellen Energie nicht ausschließen, dass das [X.] bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung zu milderen [X.] und zu einer geringeren Gesamtfreiheitsstrafe gelangt wäre (vgl. demgegenüber [X.], Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 294/10). Er hebt daher den gesamten Strafausspruch auf und verweist die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurück.

c) Die vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden von dem [X.], der zur Aufhebung des Strafausspruchs führt, nicht berührt; sie können daher bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehende, ergänzende Feststellungen treffen. Es wird auch Gelegenheit haben, die beim Verbringen der Zigaretten von [X.] nach [X.] verkürzte Tabaksteuer neu zu berechnen. Wie in der Antragsschrift des [X.] zutreffend ausgeführt ist, hat das [X.] bei Berechnung der verkürzten Tabaksteuer nicht berücksichtigt, dass sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der zu den [X.] geltenden Fassung ein Mindeststeuersatz ergibt, der dann anzuwenden ist, wenn er höher ist als der sich § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergebende Steuersatz.

4. Im Hinblick auf die [X.] sieht der [X.] davon ab, bereits im Revisionsverfahren zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die von der Revision geltend gemachte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu kompensieren ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 - [X.], [X.]St 52, 124). Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] aber auf Folgendes hin: Die Antwort auf die Frage, ob das Verfahren ausreichend zügig geführt oder ob das sog. Beschleunigungsgebot verletzt worden ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. [X.] NJW 2003, 2897 mwN). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt regelmäßig dann nicht zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, wenn die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2007 - 3 [X.], [X.], 150 mwN). Hier ist zu berücksichtigen, dass das am 15. Januar 2010 verkündete Urteil der Verteidigung erst am 26. Juli 2010 zugestellt wurde und die Akten sodann erst Anfang des Jahres 2011 dem [X.] vorgelegt wurden. Hierin liegen jeweils vom Angeklagten nicht zu vertretende, allein auf justizinternen Gründen beruhende Verfahrensverzögerungen. Bei deren Bewertung wird das neue Tatgericht in den Blick nehmen, dass sich aus § 347 StPO auch die Verpflichtung ergibt, die Akten so zügig dem Revisionsgericht zur Entscheidung vorzulegen (vgl. [X.], Urteil vom 9. Dezember 1987 - 3 [X.], [X.]St 35, 137; vgl. auch Nr. 167 RiStBV).

Nack                          Wahl                                Hebenstreit

               [X.]                             [X.]

Meta

1 StR 21/11

09.06.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 15. Januar 2010, Az: 6 KLs 6 Js 93/08 - 18/09, Urteil

§ 374 Abs 1 AO, § 374 Abs 2 AO, § 46 Abs 2 StGB, § 4 Abs 1 TabStG, § 19 TabStG, § 154 StPO, § 154a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2011, Az. 1 StR 21/11 (REWIS RS 2011, 5891)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5891

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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