Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.07.2012, Az. V ZR 2/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4200

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V ZR
2/12
Verkündet am:

27. Juli 2012

Mayer

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juli 2012 durch [X.] Dr.
Krüger, [X.]
Lemke
und
Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr.
Stresemann und den Richter Dr.
Czub

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 9.
Zivilsenats des [X.]s [X.] vom 6.
Dezember 2011 wird auf Kosten der [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Parteien sind Eigentümer nebeneinander liegender Grundstücke, welche mit aneinandergrenzenden Gebäuden mit einer gemeinsamen Giebel-wand bebaut waren. Die Beklagte ließ ihr Gebäude abreißen. Hierdurch wurde die Giebelwand des Hauses der Klägerin freigelegt. Bereits vorher hatte die Beklagte angeboten, die Kosten für das Aufbringen eines
zweilagigen Außen-putzes
an dem Giebel zu übernehmen. Dies lehnte die Klägerin ab, weil sie zu-sätzlich die Anbringung einer Wärmedämmung für erforderlich hielt. Während des Rechtsstreits ließ sie die Wärmedämmung und den Außenputz herstellen
sowie Risse im [X.] und im Boden des Treppenhauses sanieren.

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Die Klägerin hat die Erstattung der dafür aufgewandten Kosten, von [X.] und von Rechtsanwaltskosten verlangt. Das [X.] hat die Beklagte zur Erstattung von Kosten für den Außenputz, für die Risssanierung, von Gutachterkosten und von Rechtsanwaltskosten verurteilt. Das [X.] hat die Verurteilung auf die Kosten der Wärmedämmung sowie auf hö-here Gutachter-
und Rechtsanwaltskosten erweitert. Mit der von ihm zugelas-senen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen, soweit die Verurteilung über die Verpflich-tung zur Erstattung der Kosten für die Risssanierung hinausgeht.

Entscheidungsgründe:
I.
Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei der Giebelwand um eine gemeinsame Wand im Sinne von §
921 BGB
handelt, weil die Grenze zwischen den Grundstücken der Parteien in der Mitte der Wand verläuft, kann
die Kläge-rin nach Ansicht des Berufungsgerichts verlangen, dass ihr Recht auf ungehin-derte Benutzung der Wand unangetastet bleibt. Weil das abgerissene Gebäude der Beklagten für das Haus der Klägerin auch eine wärmeisolierende Funktion gehabt habe, schulde die Beklagte die nach dem Stand der Technik erforderli-che Anbringung einer Wärmedämmung. Die dafür von ihr aufgewendeten Kos-ten habe die Klägerin
ebenso wie die Kosten für den Außenputz, welche die Beklagte ebenfalls erstatten müsse, weil die Klägerin deren Angebot auf An-bringung des [X.]es wegen des Anspruchs auf vorherige Anbringung der [X.] nicht habe annehmen müssen
nachvollziehbar belegt.
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II.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Klägerin kann von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die
Herstellung
der Wärmedämmung und des [X.] nach §§
683, 670
BGB oder nach §
812 Abs.
1 Satz
1 Alt.
2, §
818 Abs.
2 BGB verlangen.
a) Im Ergebnis zutreffend bejaht das Berufungsgericht die Aktivlegitima-tion der Klägerin. Sie folgt aus der Regelung in §
10 Abs.
6 Satz
3 Alt.
1 oder 3 WEG.
b) Zu Recht
und von der Beklagten unbeanstandet
geht das [X.] davon aus, dass es sich bei der Giebelwand um eine gemein-schaftliche Grenzeinrichtung im Sinne von §
921 BGB handelt. Denn die Grundstücksgrenze verläuft in der Mitte der Wand; diese steht jeweils zur Hälfte auf den Grundstücken der Parteien, und von dem Grundstück der Beklagten aus wurde an sie angebaut. Es handelt sich deshalb um eine Nachbarwand, die auch als halbscheidige Giebelmauer oder [X.] bezeichnet wird, [X.] dazu bestimmt ist, von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt zu werden; das hierdurch begründete Rechtsver-hältnis der Nachbarn ist durch die §§
921, 922 BGB sowie -
gegebenenfalls
-
durch landesrechtliche Vorschriften besonders geregelt (Senat, Urteil vom 18.
Februar 2011
V
ZR 137/10, [X.] 2011, 515, 516 Rn.
8).
c) Mit dem Abriss des Hauses der Beklagten ist die Giebelwand freige-legt und dadurch ungeschützt der Witterung ausgesetzt worden. Sie hat auch die wärmeisolierende Funktion des abgerissenen Gebäudes für das Haus der Klägerin verloren. Ein solcher
wovon mangels anderen Vortrags und anderer
Anhaltspunkte auszugehen ist
ohne Zustimmung der Klägerin vorgenomme-4
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-
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-
ner Eingriff verstößt gegen §
922 Satz
3 BGB. Diese Vorschrift schützt nicht nur die Substanz einer Grenzeinrichtung; sie will auch die Aufhebung oder Minde-rung des Bestimmungszwecks der Einrichtung und deren Brauchbarkeit in dem bisherigen Umfang für diesen Zweck zum Nachteil des Nachbarn verhindern. Dem widerspricht es, wenn der Abriss des Nachbarhauses die Bestands-
und Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Giebelmauer derart beeinträchtigt, dass der andere Nachbar gezwungen wird, sich durch bauliche Maßnahmen erst wieder die Nutzungsmöglichkeit zu verschaffen, die ihm die Mauer bisher bot (Senat, Urteil vom 28.
November 1980
V
ZR 148/79, BGHZ
78, 379, 398
f.; Urteil vom 21.
April 1989
V
ZR 248/87, NJW
1989, 2541).
d) Anders als die Beklagte meint, kommt es somit nicht darauf an, dass die Giebelwand als solche erhalten geblieben ist; entscheidend ist vielmehr, dass ihr durch den Abriss des angebauten Hauses der bisherige Schutz gegen Witterungseinflüsse genommen wurde und sie folglich in dem freigelegten Zu-stand für die Klägerin nicht mehr ausreichend als [X.] nutzbar war (vgl. Senat, Urteil vom 28.
November 1980
V
ZR 148/79, BGHZ
78, 397, 399).
e) Die Vorschrift des §
922 Satz
3 BGB beschränkt allerdings nicht das Recht des Grundstückseigentümers, sein Haus abzureißen. Er muss jedoch diejenigen Maßnahmen treffen, die zur Verhinderung oder Beseitigung der Auswirkungen des Abrisses auf das [X.] des Nachbarn geboten sind (Senat, Urteil vom 28.
November 1980
V
ZR 148/79, aaO; Urteil vom 21.
April 1989
V
ZR 248/87, aaO). Bei den dafür nötigen Aufwendungen han-delt es sich nicht etwa um Unterhaltungskosten im Sinne von §
922 Satz
2 BGB, die
unter der Voraussetzung fortbestehenden Miteigentums an der Wand
von beiden Nachbarn gleichmäßig zu tragen wären (Senat, Urteil vom 28.
November 1980
V
ZR 148/79, aaO). Die Beklagte war deshalb verpflichtet, 9
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-
außer für das Aufbringen des [X.] auch für das Anbringen der

notwendigen, was die Beklagte nicht in Abrede stellt
ärmedämmung Sorge zu tragen. Weil sie dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, kann die Klä-gerin die Erstattung der dafür angefallenen
Kosten verlangen (§§
683, 670
BGB oder §§
812, 818 Abs.
2 BGB).
f) Dem kann die Beklagte die "Entstehungsgeschichte" der Giebelwand nicht mit Erfolg entgegenhalten. Zwar wurde
nach sachverständiger Auskunft

zunächst das auf dem Grundstück der Klägerin stehende Gebäude mit der mittig auf der Grundstücksgrenze stehenden Giebelwand errichtet; das nun-mehr abgerissene Haus auf dem Grundstück der Beklagten wurde später an-gebaut. Aber die Errichtung des Gebäudes mit der halbscheidigen Giebelwand erfolgte "entsprechend den damaligen Festlegungen".
Daraus folgt, dass von vornherein ein
Anbau des Nachbarhauses und somit die Funktion der Wand als Nachbarwand vorgesehen war. Dies schließt es aus, die von dem Senat entwi-ckelten Grundsätze zu dem nachträglichen Anbau an eine vollständig auf dem Nachbargrundstück stehende [X.] (siehe dazu Urteil vom 18.
Februar 2011
V
ZR 137/10, [X.] 2011, 515
f. Rn.
6; Urteil vom 16.
April 2010

V
ZR 171/09, NJW
2010, 1808 Rn.
8) auf den hier vorliegenden Fall zu über-tragen.
g) Schließlich macht die Beklagte ebenfalls erfolglos geltend, dass die Wärmedämmung ausschließlich der Klägerin einen Vorteil bringe und diese daraus den alleinigen Nutzen ziehe, so dass sie die gesamten Herstellungskos-ten tragen müsse. Zwar hat der Senat in diesem Sinn den Fall entschieden, dass der Teilhaber einer Giebelwand, an die (noch) nicht (vollständig) angebaut ist, die Kosten für das Anbringen einer Wärmedämmung auf dem freien Teil der Wand allein tragen muss (Urteil vom 11.
April 2008
V
ZR 158/07, NJW
2008, 2032, 2033 Rn.
17). Aber hier liegt es anders. An die Giebelwand war von dem 11
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7
-
Grundstück der Beklagten aus vollständig angebaut worden. Der Anbau hatte für das Gebäude
der Klägerin eine wärmeisolierende Funktion. Diese hat die Beklagte mit dem Abriss ihres Hauses beseitigt. Deshalb ist sie zur Wiederher-stellung des ursprünglichen Zustands auf ihre Kosten verpflichtet.
2. Wegen der unberechtigten Weigerung der Beklagten, die [X.] anzubringen, hat sie der Klägerin auch die vorgerichtlichen Sachver-ständigen-
und Rechtsanwaltskosten in der von dem Berufungsgericht ausgeur-teilten, von der Beklagten nicht angegriffenen Höhe zu erstatten (§
280
Abs.
1 und
2, §
286 BGB).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.
Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch

Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.07.2010 -
5 O 590/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 06.12.2011 -
9 U 1345/10 -

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Meta

V ZR 2/12

27.07.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.07.2012, Az. V ZR 2/12 (REWIS RS 2012, 4200)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4200

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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