Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.06.2013, Az. 3 StR 435/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 4657

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
435/12
vom
27. Juni 2013
Nachschlagewerk:

ja
[X.]St:

ja
Veröffentlichung:

ja

[X.] §
136 Abs. 1 Satz 2

Der hohe Rang der [X.] gebietet es, dass auch Spontanäuße-rungen -
zumal zum [X.] -
nicht zum Anlass für sachaufklärende Nach-fragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rech-te nach § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Konsultation durch einen benannten [X.] begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

[X.], Urteil vom 27.
Juni 2013 -
3 StR 435/12 -
LG Lüneburg

in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 28.
Mai 2013 in der Sitzung am
27. Juni 2013, an denen
teilgenommen haben:
Präsident des [X.]
Prof. Dr. [X.]

als Vorsitzender,

die [X.] am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
[X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwältin
beim Bundesgerichtshof

-
in der Verhandlung -
,
Bundesanwalt

-
bei der Verkündung -

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung unter Einbeziehung zweier vorangegangener Urteile zur Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Revision des Beschwerdeführers, mit der er eine Verfahrensbeanstandung erhebt und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensbeanstandung Erfolg.

1
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-
I.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Der Angeklagte wurde etwa drei Wochen nach der verfahrensgegen-ständlichen Tat wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag wurde er um ca. 13.30 Uhr der Er-mittlungsrichterin des [X.] vorgeführt, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß, unter anderem nach § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.], belehrte. Der Angeklagte erklärte, dass er seinen Verteidiger Rechtsan-walt K.

beigeordnet bekommen wolle. Die Ermittlungsrichterin unterbrach daraufhin die Vernehmung und versuchte um 13.35 Uhr, den Verteidiger tele-fonisch zu erreichen. Dort meldete sich ein Anrufbeantworter mit der Ansage, dass das Büro während der Mittagspause von 13.00
bis 15.00
Uhr nicht besetzt sei. Sie kehrte in das Vernehmungszimmer zurück und teilte dem Angeklagten mit, dass sie seinen Verteidiger nicht habe erreichen können. Der Angeklagte erklärte nunmehr, er wolle sich zur Sache nicht äußern, und fügte spontan [X.], er kenne -
den im Haftbefehl genannten, ausschließlich in das [X.] verwickelten -

S.

, habe mit diesem aber nichts zu tun. Die Ermittlungsrichterin fragte daraufhin, ob er gesehen habe, wie

S.

auf den Fußweg uriniert habe, was zu einer der Tat vorgelagerten Auseinan-dersetzung zwischen

S.

und dem [X.] geführt hatte, aus der heraus sich im weiteren das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Der Ange-klagte verneinte. Sodann fragte die Ermittlungsrichterin weiter, wie das [X.] verletzt worden sei. Der Angeklagte ließ sich im Folgenden umfassend zur Sa-che ein und räumte auf weitere Nachfragen ein, das Opfer [X.] gegen den Kopf getreten zu haben. Im [X.] vom 18. August 2011 revidierte 3
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der Angeklagte -
nunmehr anwaltlich beraten -
sein Geständnis und gab an, er könne sich nicht erinnern, ob er das Opfer getreten habe.
In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das [X.] die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen; der Verteidiger hat unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Angeklagten im Termin zur [X.] wegen Belehrungsmängeln unverwertbar seien, sowohl der Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch der Verwer-tung ihrer Aussage widersprochen. Die [X.] hat den Verwertungswi-derspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der [X.] im Urteil gegen ihn verwertet.

II.
1. Die von der Revision zulässig erhobene Verfahrensrüge zeigt auf, dass bei der Vernehmung des Angeklagten durch die Ermittlungsrichterin in unzulässiger Weise in dessen Rechte, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§
136 Abs. 1 Satz 2 [X.]), eingegriffen worden ist. Im Einzelnen:
a) Nach § 136 Abs. 1 Satz
2 [X.] ist der Beschuldigte zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wäh-lenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung -
als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens
-
in ihren Grundlagen. Die Verteidigerkon-5
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sultation hat dabei insbesondere auch den Zweck, dass sich der Beschuldigte beraten lassen kann, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will oder nicht ([X.], Urteile vom 29. Oktober 1992 -
4 [X.], [X.]St 38, 372, 373 und vom 22. November 2001 -
1
[X.], [X.]St 47, 172, 174).
Die [X.] des § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] schützen mithin die [X.], die im Strafverfahren von überragender Bedeu-tung ist: Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen
Strafverfahrens. Er ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art.
1, 2 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Men-schenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ([X.], Beschluss vom 13.
Januar 1981 -
1 BvR 116/77, [X.]E 56, 37, 43 ff.) und gehört zum Kernbereich des von Art. 6 [X.] garantierten Rechts auf ein faires Strafverfah-ren ([X.], Urteil vom 5.
November 2002 -
48539/99 -
Fall [X.], [X.], 257, 259; [X.], Beschluss vom 31. März 2011 -
3 [X.], [X.], 596, 597). Aus diesem Grund wiegt ein Verstoß gegen die Beleh-rungspflicht schwer ([X.], Beschluss vom 27. Februar 1992 -
5 [X.], [X.]St 38, 214, 221; Urteil vom 22. November 2001 -
1 [X.], [X.]St 47, 172, 174).
b) Einen [X.] stellt es aber auch dar, wenn der Beschul-digte vor seiner ersten Vernehmung zwar nach §
136 Abs. 1 Satz 2 [X.] worden ist, ihm die Rechte, die Gegenstand der Belehrung sind, aber ver-wehrt werden: Entscheidet sich der Beschuldigte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, ist dies von den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu respektieren ([X.], Urteil vom 26. Juli 2007 -
3 [X.], [X.]St 52, 11, 19); stetige Nachfragen ohne zureichenden Grund können das Schweigerecht ent-8
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werten ([X.], Beschluss vom 10. Januar 2006 -
5
StR 341/05, [X.], 1008, 1009).
Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger zu konsultieren wünscht ([X.], Urteil vom 29. Oktober 1992 -
4
[X.], [X.]St 38, 372). Insoweit ist anerkannt, dass die Vernehmung sogleich zu unterbrechen ist, um eine Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu ermöglichen ([X.], Urteile vom 29. Oktober 1992 -
4 [X.], [X.]St 38, 372, 373 und vom 12. Januar 1996 -
5 StR 756/94, [X.]St 42, 15, 18 f.; [X.] in Festschrift [X.], 2007, S.
913, 917 mwN; [X.], [X.], 56. Aufl., § 136 Rn. 10 mwN); der Be-schuldigte darf nicht bedrängt werden, weitere Angaben zu machen ([X.], [X.] vom 18.
Dezember 2003 -
1 [X.], [X.], 450, 451 und vom 10. Januar 2006 -
5
StR 341/05,
[X.], 1008, 1009 f.).
c) Allerdings kann die Vernehmung auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zu-stimmt ([X.], Urteil vom 21. Mai 1996 -
1 [X.], [X.]St 42, 170; LR/Gleß, [X.], 26. Aufl., §
136 Rn. 101; [X.], aaO, [X.]), wobei eine solche Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden kann (vgl. Klein, Inhalt und Reichweite der Belehrungsvorschrift des § 136 [X.], 2005, S.
145 f.; LR/Gleß aaO; aA [X.],
Urteil vom 12.
Januar 1996 -
5 StR 756/94, [X.]St 42, 15). Dieses kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine [X.]konsultation noch nicht möglich war.
Bei der Prüfung, ob in [X.] des Beschuldigten zugleich die eigenverantwortliche und von einem freien Willensentschluss getragene Zustimmung zu einer solchen Fortsetzung der Vernehmung zu sehen ist, muss aber der enge Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und dem Recht 10
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auf [X.] in den Blick genommen werden. Dient die Ermögli-chung der Beratung durch einen Verteidiger gerade dazu, eine sachgerechte Entscheidung des Beschuldigten über den Umgang mit seinem Schweigerecht zu ermöglichen, sind an das Vorliegen einer -
noch dazu konkludent erklärten -
Zustimmung zur Fortsetzung der Vernehmung hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist die bloße Entgegennahme spontaner Äußerungen regelmäßig un-bedenklich; diese und die spätere Verwertung solcher Angaben sind auch bei einem nicht über seine Rechte belehrten Beschuldigten zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belehrungspflicht des §
136 Abs. 1 Satz 2 [X.] -
und damit letztlich die dadurch geschützten Beschuldigtenrech-te
-
gezielt umgangen werden sollten, um den Betroffenen zu einer Selbstbelas-tung zu verleiten ([X.], Beschluss vom 9.
Juni 2009
-
4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 mwN). Der hohe Rang der [X.]
gebietet es in-des, dass auch [X.] -
zumal zum [X.] -
nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden,
wenn der Be-schuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu
machen.
d) Nach diesen Maßgaben erweist sich das Vorgehen der [X.] als verfahrensfehlerhaft.
aa) Zwar unterbrach sie zunächst prozessordnungsgemäß die Verneh-mung, um den vom Angeklagten gewünschten Verteidiger zu erreichen und so eine Konsultation durch diesen zu ermöglichen. Angesichts des kurzen [X.], in dem der Verteidiger wegen der Mittagspause seiner Kanzlei [X.] war, bestand indes auch unter Berücksichtigung eines Interesses der Ermittlungsbehörden, möglichst frühzeitig Angaben des Beschuldigten zu erhal-13
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ten (vgl. dazu [X.], aaO, [X.]) -
dem hier angesichts der etwa drei [X.] zurückliegenden Tat und des Umstandes, dass bereits ein Haftbefehl er-gangen war, allerdings ohnehin keine hohe Bedeutung zukommt -
kein nach-vollziehbarer Grund, mit der Vernehmung nicht bis nach der Mittagspause zu-zuwarten. Es waren in der Zwischenzeit auch weder weitere Erkenntnisse [X.] worden noch war eine neue prozessuale Situation eingetreten, aufgrund derer zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte (vgl. zu diesen Kriterien bei der Fortsetzung der [X.] eines Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat [X.], Beschluss vom 10. Januar 2006 -
5
StR 341/05, [X.], 1008, 1009). Es hätte damit bereits jetzt Veranlassung bestanden, die unterbrochene [X.] nicht fortzusetzen.
Die Fortführung der Vernehmung ohne vorherige [X.] war auch nicht deshalb zulässig, weil der Angeklagte dem zugestimmt hätte: Eine ausdrückliche Zustimmung hat er nicht erteilt. Von einer konkludent erklär-ten kann hier ebenfalls nicht ausgegangen werden, weil er sich nach der Mittei-lung über die Versuche, den gewählten Verteidiger zu erreichen, ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat. In diesem Moment hätte die [X.] die Vernehmung nicht fortsetzen dürfen.
[X.]) Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte im [X.] an seine Erklärung, er wolle nichts zur Sache sagen, spontan erklärte, er kenne

S.

, habe mit ihm aber nichts zu tun.
Diese Äußerung betraf lediglich seine Beziehung zu einer am [X.] der Tat beteiligten Person; er machte keine Angaben zu deren Verhal-ten und keine zum eigentlichen Tatgeschehen. Die zu seiner Überführung ver-wertete Einlassung gab er erst ab, nachdem die Ermittlungsrichterin ihm -
von 15
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seiner Äußerung ausgehend -
gezielte Nachfragen zum Verhalten von

S.

und zum Tatgeschehen gestellt hatte. Damit ging die Ermittlungsrichterin über die bloße Entgegennahme seiner Äußerung hinaus; dies stellt nach den dargelegten Maßstäben einen unzulässigen Eingriff in die [X.] dar.
Seine Äußerung kann hier auch nicht dahin verstanden werden, dass er in freier Entscheidung seinen unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebrachten Ent-schluss, sich nicht zur Sache einzulassen, revidiert hätte. Seine Angaben [X.] inhaltlich vom Tatvorwurf so weit entfernt, dass ihnen nicht die konkludente Erklärung entnommen werden konnte, er wolle entgegen seiner zuvor [X.] geäußerten Absicht doch umfassend aussagen.
Jedenfalls hätte es der Ermittlungsrichterin in dieser Situation -
wollte sie nicht den Eindruck erwecken, die Berufung des Angeklagten auf sein Schwei-gerecht zu übergehen -
aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht oblegen, durch ausdrückliche Befragung zu klären, ob der Angeklagte nunmehr gleichwohl bereit war, Angaben zur Sache zu machen, gegebenenfalls auch ohne vorherige [X.] ([X.], aaO, S.
922). Auch dies ist nicht geschehen.
2. Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der [X.].
Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung al-ler maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu ent-18
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scheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen [X.] sowie das Gewicht des in Rede ste-henden [X.]es, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird
(st. Rspr.;
vgl. [X.], Urteil vom 20. Dezember 2012 -
3 [X.], zur Veröffentlichung in [X.]St vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfah-rensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern ([X.], Beschluss vom 27. Februar 1992 -
5 [X.], [X.]St 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 -
4 [X.], [X.]St 38, 372, 373
f.).
So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1
Satz 2 [X.] geschützten [X.] gehören -
wie dargelegt -
zu den wichtigsten verfahrens-rechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf
dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann ([X.], Urteil vom 29. Okto-ber 1992 -
4 [X.], [X.]St 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich [X.] selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne [X.] und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht [X.] ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem -
wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt -
selbst bei einer späteren Änderung des [X.] eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des [X.] von erheblicher Bedeutung ist ([X.], Beschluss vom 27. Februar 1992 -
5 [X.], [X.]St 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des [X.] entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Vertei-22
-
12
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digerkonsultationsrecht entsprechend ([X.], Urteil vom 22. November 2001
-
1 [X.], [X.]St 47, 172, 174).
Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen
Beweisverwer-tungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der [X.] der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige-
als auch von seinem [X.]s-recht erlangt hatte (vgl. dazu [X.], aaO und [X.], Beschluss vom [X.] 2003 -
1 [X.], [X.], 450, 451). Grundsätzlich mag der Be-schuldigte, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem [X.]s-
und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach [X.] zum Ausdruck gebracht, dass er der [X.] bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sa-che, was zum A[X.]ruch der Vernehmung hätte führen müssen.
Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen und dem Revisi-onsvorbringen zum Gang der Vernehmung ist zudem nicht ersichtlich, dass sich
der Angeklagte im Zeitpunkt seiner ihn belastenden Einlassung dieser Beleh-rung noch bewusst war, etwa weil er differenziert damit umgegangen wäre. Vielmehr befand er sich im Unklaren darüber, ob und gegebenenfalls wann sein Verteidiger erreichbar sein würde,
und konnte
er
die wiederholten Nach-fragen der Ermittlungsrichterin dahingehend verstehen, dass seinem geäußer-ten Wunsch, sich jedenfalls nicht ohne vorherige Befragung seines Verteidigers zur Sache einzulassen, nicht entsprochen werden würde. Etwas anderes [X.] allenfalls gelten, wenn der Angeklagte erneut über seine Rechte belehrt wor-23
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-
den wäre (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 10. Januar 2013 -
1 [X.], [X.], 299, 300). Das ist indes nicht geschehen.
Schließlich sprechen auch die Schwere des [X.] und der Grund-satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisauf-nahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, nicht gegen die Annahme eines [X.]; insoweit ist in die Abwägung auch einzustellen, dass die Wahrheit nicht um je[X.] Preis erforscht werden muss ([X.], Beschluss vom 27. Februar 1992
-
5 [X.], [X.]St 38, 214, 220 mwN).
3. Das Urteil beruht auf der Verwertung der Angaben des Angeklagten aus seiner Vernehmung anlässlich der [X.]. Ausweislich der Urteilsgründe hat keiner der Zeugen bekundet, dass der Angeklagte auf das Opfer eingetreten habe; die [X.] hat sich diese Überzeugung vielmehr aufgrund der
Verwertung seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren gebildet.
Der Verteidiger musste in der Hauptverhandlung nicht auch der Verneh-mung des [X.] und der Verwertung von dessen Aussage wider-sprechen. Der erhobene Verwertungswiderspruch bezüglich der Aussage der Ermittlungsrichterin bezog sich nach seiner Begründung eindeutig auf das [X.] -
Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung -, so dass für die Verfahrensbeteiligten ungeachtet des protokollierten Wortlauts

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des Widerspruchs kein Zweifel bestehen konnte, dass auch der Verwertung etwaiger Angaben des später vernommenen [X.] zu diesem [X.] widersprochen werden sollte (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 3.
Dezember 2003 -
5 [X.], [X.]R [X.] § 136 Abs.
1 [X.]).
[X.] [X.]Schäfer

[X.] Spaniol

Meta

3 StR 435/12

27.06.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.06.2013, Az. 3 StR 435/12 (REWIS RS 2013, 4657)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4657

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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