Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 31.05.2017, Az. V R 30/15

5. Senat | REWIS RS 2017, 10161

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Gegenstand

Förmliche Zustellung von Briefsendungen als Teilbereich der Post-Universaldienstleistungen


Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Unternehmer, der die förmliche Zustellung von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften durchführt, ein "Anbieter von Universaldienstleistungen" im Sinne des Artikel 2 Nummer 13 der Richtlinie 97/67/EG vom 15. Dezember 1997, der die Leistungen des postalischen Universaldienstes ganz oder teilweise erbringt, und sind diese Leistungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steuerfrei?

Tenor

A. Dem [X.] wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Unternehmer, der die förmliche Zustellung von Schriftstücken nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften durchführt, ein "Anbieter von Universaldienstleistungen" im Sinne des Artikel 2 Nummer 13 der Richtlinie 97/67/[X.] vom 15. Dezember 1997, der die Leistungen des postalischen Universaldienstes ganz oder teilweise erbringt, und sind diese Leistungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/[X.] des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem steuerfrei?

B. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ausgesetzt.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.]-AG, der Insolvenzschuldnerin (nachfolgend: [X.]). Diese ist Unternehmerin und Organträgerin einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Sie erbringt im Rahmen ihres Unternehmens durch verschiedene Organgesellschaften Postdienstleistungen. Während der [X.] und 2009 (Streitjahre) führte sie durch ein bundesweit strukturiertes Zustellnetz im Wesentlichen [X.] im Gebiet der [X.]undesrepublik [X.] ([X.]) aus, die sie als umsatzsteuerfrei behandelte.

2

Auf Antrag verschiedener Organgesellschaften der [X.] wurden die beantragten Entgelte für förmliche Zustellungen in Höhe von 2,50 € bis 3,44 € (jeweils ohne die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer) durch entsprechende [X.]eschlüsse der [X.]undesnetzagentur vom Mai 2006 bis Mai 2010 genehmigt.

3

Anlässlich einer bei [X.] durchgeführten [X.] für die Zeiträume August 2008 bis Mai 2009 vertrat der Prüfer die Ansicht, die Umsätze aus förmlichen Zustellungen seien nicht von der Umsatzsteuer befreit. Der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) schloss sich dieser Auffassung an und behandelte die Umsätze in geänderten [X.] für die Monate August 2008 bis Mai 2009 als steuerpflichtig. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

4

Während des anschließenden finanzgerichtlichen Klageverfahrens erließ das [X.] für 2008 und 2009.

5

Mit [X.]eschluss des Amtsgerichts [X.] vom 6. Juli 2011 wurde über das Vermögen der [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

6

Das Finanzgericht wies die Klage ab. [X.] habe keinen Anspruch auf die begehrte Steuerbefreiung: Zum einen seien die Voraussetzungen von § 4 Nummer 11b des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (Umsatzsteuergesetz alte Fassung) nicht erfüllt, da nach dieser [X.]estimmung nur die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der [X.] steuerfrei seien. Zum anderen komme auch keine unmittelbare [X.]erufung auf Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in [X.]etracht. Denn bei der förmlichen Zustellung von [X.]riefsendungen handele es sich nicht um eine [X.] im Sinne dieser Regelung.

7

Hiergegen richtet sich die Revision des [X.], der unter anderem vorträgt, dass förmliche Zustellungen in allen [X.] --mit Ausnahme des [X.] von der Umsatzsteuer befreit seien.

Entscheidungsgründe

II.

8

Der Senat legt dem [X.] ([X.]) die im Tenor unter [X.] bezeichnete Frage zur Auslegung des Unionsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des [X.] aus.

9

1. Rechtlicher Rahmen

a) Unionsrecht

aa) Gemäß Artikel 132 Absatz 1 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer:

        

"a) von öffentlichen [X.] erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen;"

bb) Nach Artikel 2 der Richtlinie 97/67/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des [X.] und die Verbesserung der Dienstequalität (Amtsblatt der Europäischen Union --[X.]-- Nummer L 15 vom 21. Januar 1998, Seite 14; Nummer L 23 vom 30. Januar 1998, Seite 39), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/6/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 zur Änderung der Richtlinie 97/67/[X.] im Hinblick auf die Vollendung des [X.] ([X.] Nummer L 52 vom 27. Februar 2008, Seite 3 [X.]) bezeichnet der Ausdruck

        

"...   

        

Nr. [Nummer] 5 'Zustellung' die [X.]earbeitungsschritte vom Sortieren in den Zustellzentren bis zur Aushändigung der Sendungen an die Empfänger;

        

Nr. [Nummer] 6 'Postsendung' eine adressierte Sendung in der endgültigen Form, in der sie von einem Postdiensteanbieter übernommen wird. Es handelt sich dabei neben [X.]riefsendungen z.[X.]. [zum [X.]eispiel] um [X.]ücher, Kataloge, Zeitungen und Zeitschriften sowie um Postpakete, die Waren mit oder ohne Handelswert enthalten.

        

...     

        

Nr. [Nummer] 9 'Einschreibsendung' eine Postsendung, die durch den Dienstanbieter pauschal gegen Verlust, Entwendung oder [X.]eschädigung versichert wird und bei der dem Absender, gegebenenfalls auf sein Verlangen, eine [X.]estätigung über die Entgegennahme der Sendung und/oder ihre Aushändigung an den Empfänger erteilt wird.

        

...     

        

Nr. [Nummer] 13 'Universaldiensteanbieter' einen öffentlichen oder privaten Postdienstanbieter, der in einem Mitgliedstaat die Leistungen des [X.] ganz oder teilweise erbringt und dessen Identität der [X.] gemäß Artikel 4 mitgeteilt wurde."

cc) Artikel 3 der [X.] sieht vor:

        

"(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung steht, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet.

        

..... 

        

[X.]) Jeder Mitgliedstaat erlässt die erforderlichen Maßnahmen, damit der Universaldienst mindestens folgendes Angebot umfasst:

        

Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg;

Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von [X.] bis 10 kg;

die Dienste für [X.] und Wertsendungen.

        

..... 

        

[X.]) Der in diesem Artikel definierte Universaldienst umfasst sowohl Inlandsleistungen als auch grenzüberschreitende Leistungen."

Nach Artikel 8 der [X.] bleibt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt,

"... Regelungen zu treffen für die Aufstellung von Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen, für die Ausgabe von Postwertzeichen und für den Dienst, der im Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von [X.] im Rahmen von Gerichts– oder Verwaltungsverfahren ausführt".

In den Erwägungsgründen der [X.] in der Fassung vom 15. Dezember 1997 ([X.] Nummer L 15 vom 21. Januar 1998 Seite 14 bis 25) heißt es:

        

"...   

        

(13) Der Universaldienst muss sowohl [X.] als auch grenzüberschreitende Dienste umfassen.

        

...     

        

(20) Die Mitgliedstaaten können aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein legitimes Interesse daran haben, die Aufstellung von Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen einer oder mehreren von ihnen benannten Einrichtungen zu übertragen. Aus den gleichen Gründen sind sie berechtigt, die Einrichtung oder Einrichtungen zu benennen, die Postwertzeichen, aus denen das Ausgabeland hervorgeht, herausgeben dürfen, sowie die Einrichtungen, die für den Dienst zuständig sind, der im Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von [X.] im Rahmen von Gerichts– oder Verwaltungsverfahren ausführt ..."

b) Nationales Recht

aa) Nach § 4 UStG alte Fassung waren von den unter § 1 Absatz 1 Nummer 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei:

        

"Nr. [Nummer] 11b die unmittelbar dem Postwesen dienenden Umsätze der [X.];"

bb) Das [X.] (--PostG-- vom 22. Dezember 1997, [X.], 3294, zuletzt geändert am 31. August 2015, [X.], 1474, 1541) enthält unter anderem folgende Regelungen:

        

"§ 11 [X.]egriff und Umfang des Universaldienstes

        

(1) [X.]en sind ein Mindestangebot an Postdienstleistungen nach § 4 Nummer 1, die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden. Der Universaldienst ist auf lizenzpflichtige Postdienstleistungen und Postdienstleistungen, die zumindest in Teilen beförderungstechnisch mit lizenzpflichtigen Postdienstleistungen erbracht werden können, beschränkt. Er umfasst nur solche Dienstleistungen, die allgemein als unabdingbar angesehen werden.

        

(2) Die [X.]undesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des [X.] und des [X.]undesrates bedarf, nach Maßgabe des Absatzes 1 Inhalt und Umfang des Universaldienstes festzulegen ...

        

...     

        

§ 33 Verpflichtung zur förmlichen Zustellung

        

(1) Ein Lizenznehmer, der [X.] erbringt, ist verpflichtet, Schriftstücke unabhängig von ihrem Gewicht nach den Vorschriften der [X.] und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, förmlich zuzustellen. Im Umfang dieser Verpflichtung ist der Lizenznehmer mit [X.] ausgestattet (beliehener Unternehmer).

        

(2) Die Regulierungsbehörde hat den verpflichteten Lizenznehmer auf dessen Antrag von der Verpflichtung nach Absatz 1 zu befreien, soweit der Lizenznehmer nicht marktbeherrschend ist. Die [X.] ist ausgeschlossen, wenn zu besorgen ist, dass hierdurch die förmliche Zustellung nach Absatz 1 nicht mehr flächendeckend gewährleistet wäre. Die [X.] kann widerrufen werden, wenn der Lizenznehmer marktbeherrschend wird oder die Voraussetzung des Satzes 2 vorliegt. Der Antrag auf [X.] kann mit dem Antrag auf Erteilung der Lizenz verbunden werden.

        

§ 34 Entgelt für die förmliche Zustellung

        

Der verpflichtete Lizenznehmer hat Anspruch auf ein Entgelt. Durch dieses werden alle von dem Lizenznehmer erbrachten Leistungen einschließlich der hoheitlichen [X.]eurkundung und Rücksendung der [X.] an die auftraggebende Stelle abgegolten. Das Entgelt hat den Maßstäben des § 20 Abs. [Absatz] 1 und 2 zu entsprechen. Es bedarf der Genehmigung durch die Regulierungsbehörde. Das [X.]undesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das [X.] sind unverzüglich über beabsichtigte [X.] zu informieren."

cc) § 1 der Post-[X.]sverordnung vom 15. Dezember 1999 ([X.] 1999, 2418), zuletzt geändert am 7. Juli 2005 ([X.] 2005, 1970) enthält folgende Regelung über den Universaldienst:

        

"(1) Als [X.]en werden folgende Postdienstleistungen bestimmt:

        

1. die [X.]eförderung von [X.]riefsendungen im Sinne des § 4 Nr. [Nummer] 2 des Gesetzes, sofern deren Gewicht 2 000 Gramm und deren Maße die im [X.] und den entsprechenden Vollzugsverordnungen festgelegten Maße nicht überschreiten,

        

2. die [X.]eförderung von adressierten Paketen, deren [X.] Kilogramm nicht übersteigt und deren Maße die im [X.] und den entsprechenden Vollzugsverordnungen festgelegten Maße nicht überschreiten,

        

3. die [X.]eförderung von Zeitungen und Zeitschriften im Sinne des § 4 Nr. [Nummer] 1 [X.]uchstabe c des Gesetzes. Hierzu zählen periodisch erscheinende Druckschriften, die zu dem Zwecke herausgegeben werden, die Öffentlichkeit über Tagesereignisse, Zeit- oder Fachfragen durch presseübliche [X.]erichterstattung zu unterrichten.

        

(2) Die [X.]riefbeförderung umfasst auch die Sendungsformen

        

1. Einschreibsendung ([X.]riefsendung, die pauschal gegen Verlust, Entwendung oder [X.]eschädigung versichert ist und gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt wird),

        

2. Wertsendung ([X.]riefsendung, deren Inhalt in Höhe des vom Absender angegebenen Wertes gegen Verlust, Entwendung oder [X.]eschädigung versichert ist),

        

3. Nachnahmesendung ([X.]riefsendung, die erst nach Einziehung eines bestimmten Geldbetrages an den Empfänger ausgehändigt wird),

        

4. Sendung mit Eilzustellung ([X.]riefsendung, die so bald wie möglich nach ihrem Eingang bei einer Zustelleinrichtung durch besonderen [X.]oten zugestellt wird)."

dd) Die Zivilprozessordnung (ZPO) enthält unter anderem folgende Regelungen zur förmlichen Zustellung:

(1) [X.] nach § 176 ZPO:

        

"(1) Wird der Post, einem Justizbediensteten oder einem Gerichtsvollzieher ein [X.] erteilt oder wird eine andere [X.]ehörde um die Ausführung der Zustellung ersucht, übergibt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereitetes Formular einer [X.]. ... ".

(2) [X.] nach § 182 ZPO:

        

"(1) Zum Nachweis der Zustellung ... ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen. Für diese [X.] gilt ...

        

(3) Die [X.] ist der Geschäftsstelle in Urschrift oder als elektronisches Dokument unverzüglich zurückzuleiten."

2. Vorbemerkung

a) Nationales Recht

Nach nationalem Recht waren die von [X.] erbrachten streitbefangenen Leistungen nicht von der Steuer befreit. Denn in § 4 Nummer 11b UStG alte Fassung ist lediglich vorgesehen, dass von den unter § 1 Absatz 1 Nummer 1 UStG alte Fassung fallenden Umsätzen nur die unmittelbar dem Postwesen der [X.] dienenden Umsätze steuerfrei sind. [X.] erfüllt ersichtlich nicht diese personenbezogene Voraussetzung des Steuerbefreiungstatbestandes.

b) Unionsrecht

[X.] kann sich als privater [X.]etreiber insoweit aber ggf. unmittelbar auf die Steuerbefreiung in Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a MwStSystRL berufen (vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen der [X.]erufbarkeit zuletzt [X.]-Urteil [X.]ritish Film Institute vom 15. Februar 2017 [X.]/15, [X.]:C:2017:117, [X.] 13, mit weiteren Nachweisen).

Gemäß Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von öffentlichen [X.] erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen von der Steuer. Nach der Rechtsprechung des [X.] sind "öffentliche [X.]" in diesem Sinne öffentliche oder private [X.]etreiber, die sich verpflichten, in einem Mitgliedstaat den gesamten --dem Allgemeinwohl zugutekommenden-- Universalpostdienst, wie er in Artikel 3 der [X.] geregelt ist, oder einen Teil desselben zu gewährleisten ([X.]-Urteil [X.] vom 23. April 2009 [X.]/07, [X.]:[X.], Leitsatz 1, [X.] 36, 40, und [X.]/ [X.] vom 21. April 2015 [X.], [X.]:[X.], [X.] 28). Danach kommt für [X.] als privater [X.]etreiber grundsätzlich eine [X.]erufung auf den unionsrechtlichen Steuerbefreiungstatbestand in [X.]etracht.

Der Senat hat Zweifel, ob ein Unternehmer, der --wie im [X.] im Wesentlichen förmliche Zustellungen für Gerichte und Verwaltungsbehörden ausführt, ganz oder teilweise Leistungen des [X.]es erbringt und deshalb als Anbieter von steuerbefreiten [X.]en im Sinne von Artikel 2 Nummer 13 der [X.] gelten kann. Denn nach Artikel 3 Absatz 1 der [X.] soll den Nutzern ein Universaldienst zur Verfügung stehen, der ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet. Diese Voraussetzung ist möglicherweise nicht erfüllt, wenn Auftraggeber bei förmlichen Zustellungen nicht "alle Nutzer" sind, sondern Gerichte und Verwaltungsbehörden, so dass diese Form der Zustellung den Nutzern nur mittelbar zugutekommt. Der Klärung dieser Rechtsfrage dient die --für den Streitfall entscheidungserhebliche-- Vorlagefrage.

3. Zur Vorlagefrage

Den unionsrechtlichen Vorgaben lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob die von [X.] als möglicher Anbieter im Sinne von Artikel 2 Nummer 13 der [X.] erbrachten Leistungen nach Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit sind. Dies hängt davon ab, ob [X.] angeboten werden.

a) Zur Rechtslage nach der [X.]

aa) Ein "Universaldienstanbieter" ist nach Artikel 2 Nummer 13 der [X.] eine öffentliche oder private Stelle, die in einem Mitgliedstaat die Leistungen des postalischen Universaldienstes ganz oder teilweise erbringt und der [X.] gemäß Artikel 4 mitgeteilt wurde. Es erscheint denkbar, dass [X.] mit der Ausführung von förmlichen Zustellungen Anbieter eines Teils von postalischen [X.]en ist.

bb) Förmliche Zustellungen von Postsendungen können gemäß Artikel 3 Absatz 4 der [X.] [X.]en bilden. Nach Artikel 3 Absatz 4 der [X.] gehören die Zustellung von Postsendungen bis 2 kg (erster Spiegelstrich) und die Zustellung von [X.] bis 10 kg (zweiter Spiegelstrich) zu den [X.]en.

(1) [X.]ei einer förmlichen Zustellung wird das mit [X.] zuzustellende Dokument oder Schriftstück an die Post oder einen entsprechenden Dienstleister in einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereiteter Vordruck einer [X.] übergeben, die nach der Zustellung wieder an die Stelle [X.], die den [X.] erteilt hat (vergleiche zum [X.]eispiel § 176 Absatz 1 ZPO und § 182 Absatz 3 ZPO).

(2) Auch eine förmliche Zustellung ist eine Zustellung von Postsendungen oder [X.], so dass die Voraussetzungen von Artikel 3 Absatz 4 der [X.] erster und zweiter Spiegelstrich dem Grunde nach erfüllt sein können. Es kann sich bei der förmlichen Zustellung um den "Spezialfall" einer Zustellung von Postsendungen oder [X.] handeln, der sich vom Grundtatbestand der Postsendung nur durch das Hinzutreten der aufgezeigten weiteren Merkmale, wie zum [X.]eispiel die [X.]eurkundung der Übergabe und Rückgabe der [X.], unterscheidet.

(3) Dies gilt aber nicht, wenn Artikel 2 Nummer 5 der [X.], wonach eine "Zustellung" die [X.]earbeitungsschritte vom Sortieren in den Zustellzentren bis zur Aushändigung der Sendungen an die Empfänger umfasst, eine abschließende Regelung darstellt. Die Norm würde dann dem Vorliegen einer [X.] entgegenstehen, weil bei einer förmlichen Zustellung --wie aufgezeigt-- weitere Anforderungen zu erfüllen sind.

cc) Es erscheint stattdessen auch nicht als ausgeschlossen, dass förmliche Zustellungen zu den vom [X.] umfassten Diensten für [X.] im Sinne von Artikel 3 Absatz 4 dritter Spiegelstrich der [X.] gehören können.

Obschon bei förmlichen Zustellungen anders als dies Artikel 2 Nummer 9 der [X.] voraussetzt, keine pauschale Versicherung durch den Dienstanbieter stattfindet, ist eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich dieser Regelung denkbar, weil in Artikel 8 der [X.] und dem 20. Erwägungsgrund der [X.] von der "Zustellung von [X.] im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren" die Rede ist.

Denn der Richtliniengeber konnte nicht für alle in den Mitgliedstaaten vorgesehenen nationalen Regelungen für Zustellungen "im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren", wozu die streitbefangenen förmlichen Zustellungen im Geltungsbereich [X.], gehören, [X.] vorsehen. Die aufgezeigte Formulierung kann deshalb bedeuten, dass der Richtliniengeber eine "Parallele" zwischen "[X.]" und förmlichen Zustellungen "im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren" erkennt. Unter [X.]erücksichtigung dieses Umstandes können möglicherweise auch förmliche Zustellungen unter den [X.]egriff einer besonderen Einschreibsendung in diesem Sinne fallen.

dd) Gegen die [X.]ehandlung von förmlichen Zustellungen als "Spezialfall" einer Postsendung oder als Einschreibsendung im Sinne von Artikel 3 Absatz 4 der [X.] könnte sprechen, dass die in Artikel 8 der [X.] vorgesehene Ermächtigung an die Mitgliedstaaten betreffend die "Zustellung von [X.] im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren" nicht zum Kapitel 2 der [X.] gehört, welches den Universaldienst vom Grundsatz her regelt, sondern erst im anschließenden Kapitel 3 enthalten ist, das die "Harmonisierung der reservierbaren Dienste" erfasst. Dies könnte bedeuten, dass förmliche Zustellungen von Postsendungen nach dem Willen des [X.] und des nationalen Gesetzgebers von vornherein nicht zu den [X.] als Mindestangebot gehören sollen.

Dem könnte entgegenstehen, dass die in Artikel 8 der [X.] und im 20. Erwägungsgrund der [X.] getroffene Regelung aufgrund der aufgezeigten zusätzlichen [X.]esonderheiten dieser Zustellungsart gesetzestechnisch als sachgerechte Ergänzung erscheint und es deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen ist, eine förmliche Zustellung dem Grunde nach als [X.]estandteil des Universaldienstes anzusehen.

ee) Ferner könnte gegen die Annahme eines Universaldienstes für förmliche Zustellungen die Regelung in Artikel 3 Absatz 7 der [X.] angeführt werden, wonach der Universaldienst sowohl Inlandsleistungen als auch grenzüberschreitende Leistungen umfasst, nach dem 13. Erwägungsgrund der [X.] sogar umfassen muss.

Für förmliche Zustellungen als eigenständiger Teilbereich erscheint es als zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, da öffentliche Zustellungen jedenfalls in [X.] ausschließlich im Hoheitsgebiet erbracht werden.

b) Zur Rechtslage nach der MwStSystRL

aa) Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a MwStSystRL sieht eine Steuerbefreiung für von öffentlichen [X.] erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme von Personenbeförderungs- und Telekommunikationsdienstleistungen von der Steuer vor.

Nach der Rechtsprechung des [X.] umfasst diese Steuerbefreiung Dienstleistungen, welche die [X.] als solche ausführen, nämlich in ihrer Eigenschaft als [X.]etreiber, der sich verpflichtet, in einem Mitgliedstaat den gesamten Universalpostdienst oder einen Teil davon zu gewährleisten; nicht davon berührt sind Dienstleistungen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegenständen, deren [X.]edingungen individuell ausgehandelt wurden ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 44 bis 49, Leitsatz 2). Öffentliche [X.] in diesem Sinne sind öffentliche oder private [X.]etreiber, die sich verpflichten, postalische Dienstleistungen zu erbringen, die den grundlegenden [X.]edürfnissen der [X.]evölkerung entsprechen und damit in der Praxis den gesamten Universalpostdienst in einem Mitgliedstaat, wie er in Artikel 3 der [X.] beschrieben ist, oder einen Teil davon zu gewährleisten ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], [X.] 36).

bb) Daraus ergibt sich nicht zweifelsfrei, ob die von [X.] ausgeführten streitbefangenen förmlichen Zustellungen nach Artikel 132 Absatz 1 [X.]uchstabe a MwStSystRL von der Steuerbefreiung erfasst sind.

(1) Einerseits spricht für eine elementare dem Gemeinwohl dienende Postdienstleistung der Umstand, dass förmliche Zustellungen beispielsweise im behördlichen Postverkehr der nachprüfbaren Zustellung von amtlichen Schreiben dienen; ferner ermöglichen sie die nachprüfbare Zustellung von Klage- und [X.] oder die Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen, wodurch [X.] in Lauf gesetzt werden. Förmliche Zustellungen sind zudem unabdingbar für ein geordnetes Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren und tragen damit zu einer verlässlichen und ordnungsgemäßen Rechtspflege bei.

Auch erschiene es sinnwidrig, einen entsprechenden Dienstleister zwar einerseits --wie bei § 33 PostG-- zu verpflichten, auch förmliche Zustellungen von [X.]riefsendungen vorzunehmen, andererseits diese Teilleistung --im Gegensatz zu den anderen [X.] aber als steuerpflichtig zu behandeln, obwohl gerade die förmliche Zustellung von [X.]riefsendungen im [X.]esonderen seit jeher --auch wegen der dabei gebotenen Übertragung hoheitlicher [X.] als öffentliche Postdienstleistung anerkannt ist. Ein Ausschluss der förmlichen Zustellung von [X.]riefsendungen vom Anwendungsbereich der Steuerbefreiung könnte vor diesem Hintergrund und dem gesetzlich geregelten Erfordernis eines "einheitlichen Leistungsangebots" der Unternehmer dem Neutralitätsprinzip im Sinne der gebotenen [X.]elastungsgleichheit zuwider laufen ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], [X.] 45).

[X.]ei der förmlichen Zustellung von [X.]riefsendungen handelt es sich auch nicht um Dienstleistungen, deren [X.]edingungen "individuell ausgehandelt" würden, so dass der vom [X.] in seiner Rechtsprechung ausdrücklich genannte Ausschlussgrund nicht eingreift ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], [X.] 44 bis 49, Leitsatz 2). Vielmehr sind die Maßstäbe für die Entgelte gesetzlich geregelt und bedürfen einer Genehmigung durch die Regulierungsbehörde (vgl. § 34 PostG).

(2) Dieser Auslegung könnte andererseits entgegenstehen, dass der Einzelne die förmliche Zustellung nicht bei der Post oder einem anderen Dienstleister in Auftrag geben kann, sondern dies regelmäßig nur mittelbar über ein Gericht oder über eine Verwaltungsbehörde stattfindet (vergleiche zum [X.]eispiel § 176 Absatz 1 ZPO). Dieser Umstand widerspricht möglicherweise entscheidend dem Charakter einer allen Nutzern zur Verfügung stehenden [X.] im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der [X.].

4. Zum Rechtsgrund der Vorlage

Die Vorlage beruht auf Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

5. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 in Verbindung mit § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Meta

V R 30/15

31.05.2017

Bundesfinanzhof 5. Senat

EuGH-Vorlage

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 17. August 2015, Az: 9 K 403/12, Urteil

§ 4 Nr 11b UStG 2005 vom 19.12.2008, Art 132 Abs 1 Buchst a EGRL 112/2006, Art 2 Nr 13 EGRL 67/97, Art 3 Abs 1 EGRL 67/97, Art 3 Abs 4 EGRL 67/97, Art 8 EGRL 67/97, § 11 PostG, § 33 PostG, § 34 PostG, § 1 Abs 1 PUDLV, § 1 Abs 2 PUDLV, § 4 Nr 11b UStG 2005 vom 08.04.2010, UStG VZ 2008, UStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, EuGH-Vorlage vom 31.05.2017, Az. V R 30/15 (REWIS RS 2017, 10161)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10161

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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