Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2016, Az. VI ZR 247/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 11678

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:100516U[X.]247.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

10. Mai 2016

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Ac, I
Auch bei der Behandlung eines Tieres durch einen Tierarzt führt ein grober Be-handlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem [X.].
[X.], Urteil vom 10. Mai 2016 -
VI [X.] -
OLG [X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
10. Mai 2016
durch [X.] und [X.], die Richterinnen
von [X.], [X.] und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 14.
Zivilsenats des Oberlan-desgerichts [X.] vom 26.
März 2015 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verlet-zung von Pflichten aus einem tierärztlichen Behandlungsvertrag in Anspruch.
Die Klägerin war Eigentümerin eines Hengstes. Am 8.
Juli 2010 stellte sie das Pferd dem beklagten Tierarzt zur Behandlung vor, nachdem sie an der Innenseite des rechten hinteren Beines eine Verletzung festgestellt hatte. Der Beklagte verschloss die Wunde und gab die Anweisung, das Pferd müsse zwei Tage geschont werden, könne dann aber wieder geritten werden, soweit keine Schwellung im [X.] eintrete. Am 11.
Juli 2010 wurde das Pferd zum Beritt abgeholt. Dabei
ergaben sich
leichte [X.] im Bereich des verletzten Beines,
so dass das Reiten eingestellt wurde. Am 14.
Juli 2010 wur-1
2
-

3

-

de
eine Fraktur der Tibia hinten rechts
diagnostiziert. Die [X.] gelang nicht, das Pferd wurde euthanasiert.
Die Klägerin hat behauptet,
die am 8.
Juli 2010 behandelte
Verletzung sei durch den Schlag einer
Stute verursacht worden. Dieser habe
nicht nur zur Verletzung der Haut, sondern
auch zu einer Fissur des darunterliegenden Kno-chens geführt. Die
Fissur
habe sich innerhalb der folgenden Tage zu der am 14.
Juli 2010 diagnostizierten Fraktur entwickelt. Der Beklagte habe behand-lungsfehlerhaft auf eine Lahmheits-
und Röntgenuntersuchung des Pferdes verzichtet. Dabei hätte die Fissur erkannt werden können.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 114.146,41

zahlen und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden weiterge-henden Schaden zu ersetzen,
der dadurch entstanden ist, dass der Hengst eu-thanasiert werden musste, soweit Ansprüche nicht beziffert oder auf Dritte übergegangen sind. Das [X.] hat durch Grund-
und Teilurteil den auf Schadensersatz gerichteten Klageantrag zu
1 dem Grunde nach für gerechtfer-tigt erklärt und die Ersatzpflicht für darüber hinausgehende Schäden [X.]. Das [X.] hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass auch der auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 2 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Beklagte seinen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.

3
4
-

4

-

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht
der Klägerin ein Anspruch gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung aus einem tierärztlichen Behandlungsvertrag gemäß §
280 Abs.
1 [X.] dem Grunde nach zu. Gegen die Feststellung des
[X.]s, am 8.
Juli 2010 habe eine Fissur der Tibia hinten rechts vorgelegen, die sich bis zum 14.
Juli 2010 zu einer voll-ständigen Fraktur entwickelt habe, und in deren Folge das Pferd habe euthana-siert werden müssen, sei nichts zu erinnern. Dem Beklagten sei ein grober [X.] gegen die Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag zur Last zu legen. Es liege
ein Befunderhebungsfehler vor, weil er keine Lahmheitsuntersu-chung im Trab durchgeführt
habe. Diese hätte mit hinreichender Wahrschein-lichkeit eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hinterhand des Pferdes er-geben, was den Beklagten zu weiterer Diagnostik und entsprechenden Vorkeh-rungen hätte veranlassen müssen. Es wäre nach dem Befund der Funktionsbe-einträchtigung zwingend erforderlich gewesen, strikte [X.] sowie [X.] zu verordnen, die geeignet gewesen wären, ein Hinlegen des Pferdes weitestgehend zu verhindern. Für den Fall, dass noch kein röntgenologischer Nachweis hätte erbracht werden können, hätte die Entwicklung der Lahmheit überwacht und ggf. einige Tage später eine Röntgenuntersuchung nachgeholt werden müssen. Das Unterlassen dieser Maßnahmen sei
grob fehlerhaft gewe-sen. Bei der Fissur habe es sich um eine besonders naheliegende Verletzungs-folge mit der Gefahr schwerwiegender Komplikationen gehandelt, da
eine voll-ständige Tibiafraktur regelmäßig zu einem tödlichen Verlauf führe.
Auch wenn man der Auffassung des Beklagten folgte, am 8.
Juli 2010 sei eine Lahmheitsuntersuchung im Trab nicht indiziert gewesen, ergäbe sich keine 5
6
-

5

-

abweichende Beurteilung. Dann hätte
dem Beklagten wegen
des großen Risi-kos späterer Komplikationen und eines
dann letztlich letalen Verlaufs eine be-sondere Beratungs-
und Hinweispflicht oblegen, wenn er auf eine sofortige wei-tere Untersuchung habe verzichten wollen. Er hätte die Klägerin über die zur Vermeidung einer Fraktur zwingend gebotenen Haltungsbedingungen [X.] müssen.

Aufgrund der [X.] des [X.] sei
davon auszuge-hen, dass die fehlerhafte Behandlung des Beklagten kausal für die Ausbildung der vollständigen Fraktur geworden sei. Eine
Beweislastumkehr
zugunsten der Klägerin
für
die haftungsbegründende Kausalität sei geboten. Dies
folge zwar nicht aus einer analogen Anwendung des §
630h Abs.
5 [X.]
auf den veteri-närmedizinischen Behandlungsvertrag,
weil es für die Annahme einer Analogie an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Anhaltspunkte dafür ließen sich der Gesetzesbegründung zum [X.] (BT-Drucks. 17/10488) nicht entnehmen und seien
auch aufgrund der Intention des Gesetzgebers, die Rechte der Patienten zu verbessern, nicht ersichtlich. Zudem sprächen gewich-tige Gründe gegen eine pauschale Übernahme der für den humanmedizini-schen Behandlungsvertrag entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungs-
oder Befunderhebungsfehlers für
eine tierärztliche Behandlung. Anders als bei einem Menschen sei der behandelnde Tierarzt in weit größerem Maß auf indirekte Rückschlüsse zur Krankheits-
bzw. [X.] und zum Behandlungsverlauf angewiesen. Zudem könnten die Haltungsbedingungen sowie das unwillkürliche und -
je nach Art des Tie-res
-
nur begrenzt steuerbare Verhalten den Erfolg von [X.] erheblich erschweren. Es sei
daher
im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Gründe, die beim
humanärztlichen Behandlungsvertrag eine [X.] rechtfertigten, auch im konkreten tierärztlichen Behandlungsvertrag eine Beweislastumkehr zu begründen vermögen. Dies sei hier zu bejahen.

7
-

6

-

II.
Das angefochtene Urteil hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Über-prüfung stand.
1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist sie -
anders als die Revisi-onserwiderung meint -
im Sinne des §
551 Abs.
3
Satz 1
Nr. 2a
ZPO [X.] begründet worden. Nach der genannten Vorschrift muss die Revisions-begründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Erforderlich ist, dass sich die Revisionsbe-gründung mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinandersetzt und konkret darlegt, aus welchen Gründen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf mehrere
voneinander unab-hängige,
selbständig tragende
Erwägungen gestützt, muss der Revisionskläger für jede dieser Begründungen darlegen, warum sie keinen Bestand haben [X.]; anderenfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (vgl. Senatsbe-schluss vom 18.
Oktober 2005 -
VI
ZB 81/04, [X.], 285 Rn. 8; [X.], Urteile
vom 20.
Mai 2011 -
V
ZR 250/10, [X.], 543 Rn.
6;
vom 22. Juni 2015 -
II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 12;
Beschluss vom 15. Juni 2011
-
XII [X.], NJW 2011, 2367 Rn. 10). Diese Anforderungen sind erfüllt, weil sich die Revision allgemein gegen die Bejahung der Kausalität durch das [X.] aufgrund der Annahme einer Beweislastumkehr wendet.
2. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Beweislastumkehr zu Guns-ten der
Klägerin wegen eines groben
Verstoßes gegen die Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag -
im Sinne eines Befunderhebungsfehlers des Beklagten
-
angenommen. Insoweit wendet sich die Revision nicht gegen die diesbezüglichen
Feststellungen
und die Beurteilung, der Behandlungsfehler sei grob. Sie macht aber
geltend, es sei
rechtsfehlerhaft,
eine Beweislastumkehr zu 8
9
10
-

7

-

Gunsten des
geschädigten Tierhalters bzw. Tiereigentümers anzunehmen.
Die für die humanmedizinische Behandlung von der Rechtsprechung entwickelten und nunmehr in §
630h Abs.
5 [X.] übernommenen Grundsätze zur [X.] bei einem groben Behandlungsfehler oder einem Befunderhebungs-fehler
könnten nicht auf die veterinärmedizinische Behandlung übertragen wer-den.

a) Im humanmedizinischen Bereich führt ein grober
Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizufüh-ren,
regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zu-sammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden (vgl. etwa Senat, Urteile vom 27.
April 2004 -
VI
ZR 34/03, [X.]Z 159, 48, 54; vom 16.
November 2004 -
VI
ZR 328/03, [X.], 228, 229; vom 8.
Januar 2008 -
VI
ZR 118/06, [X.], 490 Rn.
11).
Bei einem Befunderhebungs-fehler tritt
eine
Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kau-salität ein, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebote-nen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl.
Senat, Urteile vom 13.
Januar 1998 -
VI
ZR 242/96, [X.]Z 138, 1, 5
f.;
vom 29.
September 2009 -
VI
ZR
251/08, [X.], 115 Rn.
8; vom 13.
September 2011 -
VI
ZR 144/10, [X.], 1400 Rn.
8; vom 2.
Juli 2013 -
VI
ZR 554/12, [X.], 1174 Rn.
11; vom 21.
Januar 2014 -
VI
ZR 78/13, [X.], 374 Rn.
20; vom 24.
Februar 2015 -
VI
ZR 106/13, [X.], 712 Rn.
15). Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktions-pflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses [X.] als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft [X.] würden, und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich [X.]
-

8

-

tretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. Senat, Urteile vom 13.
Februar 1996 -
VI
ZR 402/94, [X.]Z 132, 47, 52
ff.; vom 27.
April 2004 -
VI
ZR 34/03,
[X.]Z 159, 48, 56; vom 13.
September 2011 -
VI
ZR 144/10, [X.], 1400 Rn.
8; vom 2.
Juli 2013 -
VI
ZR 554/12, [X.], 1174 Rn.
11; vom 21.
Januar 2014 -
VI
ZR 78/13, [X.], 374 Rn.
20; vom 24.
Februar 2015 -
VI
ZR 106/13, [X.], 712 Rn.
15). Die beweisrechtli-chen Konsequenzen aus einem grob fehlerhaften Behandlungsgeschehen fol-gen
nicht aus dem Gebot der prozessrechtlichen Waffengleichheit. Sie knüpfen vielmehr daran an, dass die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen [X.] wegen des besonderen Gewichts des [X.] und seiner Bedeutung für die Behandlung in einer Weise erschwert ist, dass der Arzt nach Treu und Glauben -
also aus Billigkeitsgründen
-
dem Pati-enten den vollen [X.] nicht zumuten kann. Die [X.] soll einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädi-gung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung
des
Fehlers
besonders verbreitert oder verschoben worden ist (vgl. Senat, Urteile vom 21.
September 1982 -
VI
ZR 302/80, [X.]Z 85, 212, 216 f.; vom 3.
Februar 1987 -
VI
ZR 56/86, [X.]Z 99, 391, 396
ff.; vom 13.
Februar 1996 -
VI
ZR 402/94, [X.]Z 132, 47, 52; vom 6.
Oktober 2009 -
VI
ZR 24/09, [X.], 1668 Rn.
14 mwN; vom 26. März 2013 -
VI
ZR 109/12, [X.], 1000 Rn.
31).
b) Die Rechtsprechung
der [X.]e
geht nahezu einhellig davon aus, dass die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hin-sichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere auch bei Befunderhebungsfehlern, auf
die
tierärztliche Behandlung zu
übertra-gen
sind (vgl. [X.], Urteil vom 13.
Februar 1989 -
1 [X.], [X.], 714; [X.], Urteil vom 9.
März 1989 -
24 [X.], [X.], 714
f.; [X.], Urteil vom 14.
Juni 1995 -
14 [X.], [X.], 1029, 1030; 12
-

9

-

[X.], Urteil vom 3.
Dezember 2003 -
3 [X.], [X.] 2004, 62, 64 f.
mit Zurückweisungsbeschluss des [X.]
vom 5.
April 2005 -
VI
ZR 23/04; [X.], Urteil vom 14.
Januar 2011 -
4 [X.], [X.] 2011, 234, 230; [X.], Urteil vom 1.
Februar 2011 -
8 [X.], NJW-RR 2011, 1246; [X.], Urteil vom 14.
Februar 2011 -
20 U 2/09, NJW-RR 2011, 1357, 1358;
OLG [X.], Urteil vom 26.
April 2012 -
12 [X.], juris Rn.
17; [X.],
Urteil vom 21.
Februar 2014 -
26
U 3/11, [X.], 158, 159; [X.], Beschluss vom 18.
Dezember 2008 -
10 [X.], [X.], 1503, 1504; offenlassend [X.], Beschluss vom 21. [X.] 2014 -
5 U 554/14, [X.], 29 f.). Diese Auffassung wird im Schrifttum geteilt (vgl. Adolphsen in [X.]/[X.]/[X.], [X.] Medizinrecht, 2.
Aufl.,
§ 16
Rn.
305; [X.], [X.], 406; Bleckwenn, Die Haftung des Tierarztes im Zivilrecht, 2014, S.
414
ff., 425
f.; [X.], [X.],
6. Aufl.,
§
823 Rn.
736, 848; [X.], Pferdekauf Tierarzthaftung, 1992, [X.]; [X.]/[X.], Forensische Probleme der Tierarzthaftung, 2007, S.
35
f.; [X.], Die zivilrechtliche Haftung des Tierarz-tes, 1991, S.
144
f.; [X.]/[X.] (2009) [X.], §
823 Rn.
I 13).
c) Die Frage, ob die
Grundsätze über die
Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern auch im Bereich der Veterinärmedizin gelten, hat der er-kennende Senat noch nicht abschließend geklärt. Er hat allerdings in seinem Zurückweisungsbeschluss vom 5.
April 2005 ([X.]) zum Urteil des [X.] vom 3.
Dezember 2003 (3 [X.], OLGR
Hamm 2004, 62) ausge-führt, nach
den
im Senatsurteil vom 15.
März 1977 (VI
ZR 201/75, [X.], 546) dargelegten Grundsätzen begegne die vom Berufungsgericht angenom-mene Umkehr der Beweislast infolge groben tierärztlichen Versagens für den Streitfall keinen Bedenken. In diesem Urteil hat er ausgeführt, nur ein Vergleich der Funktionen könne ergeben, inwieweit Tierarzt und Humanmediziner recht-lich verschieden oder gleich zu behandeln seien. Einerseits stimme die Tätigkeit 13
-

10

-

des Tierarztes als solche, die Erhaltung und Heilung eines lebenden Organis-mus, mit derjenigen des Humanarztes weitgehend überein. Andererseits sei die wirtschaftliche und rechtliche Zweckrichtung dieser Tätigkeit verschieden, weil sie sich beim Tierarzt auf Sachen
(so das damalige Recht, vgl. jetzt § 90a [X.]), ja vielfach "Waren" beziehe, und deshalb -
begrenzt nur durch die [X.] und sittlichen Gebote des Tierschutzes
-
weithin nach wirtschaftlichen Erwägungen richten müsse, die in der Humanmedizin im Rahmen des [X.] zurückzudrängen seien.
d) Nach dem
vorzunehmenden
Vergleich der Funktionen ist
-
wie bereits im Beschluss vom 5.
April 2005 aufgezeigt
-
die Auffassung richtig, dass auch bei der veterinärmedizinischen Behandlung bei einem groben Behandlungsfeh-ler, insbesondere auch bei einem Befunderhebungsfehler, die für die human-medizinische Behandlung entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr An-wendung finden.
aa)
Beide Tätigkeiten
beziehen sich auf einen lebenden Organismus, bei dem der Arzt zwar das Bemühen um Helfen und Heilung, nicht aber den Erfolg schulden kann. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden [X.] des lebenden Organismus
kann ein Fehlschlag oder [X.] nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizie-ren (vgl. Senatsurteil vom 15.
März 1977 -
VI
ZR 201/75, aaO, 547). Im Hinblick darauf kommt dem Gesichtspunkt, die Beweislastumkehr solle
einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommen-den Ursachen wegen der elementaren Bedeutung
des
Fehlers
besonders ver-breitert oder verschoben worden ist, auch bei der tierärztlichen Behandlung ei-ne besondere Bedeutung zu. Auch der grob fehlerhaft handelnde Tierarzt hat durch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tier-ärztlichen Kunst [X.] in das Geschehen hineingetragen 14
15
-

11

-

und dadurch
die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten
vertieft. Mithin sind bei grob fehlerhaften tiermedizinischen Behandlungen die
gleichen
Sachprobleme gegeben wie bei solchen Maßnahmen der Humanmedizin. Die im Senatsurteil vom 15.
März 1977 angesprochenen wirtschaftlichen Erwägungen spielen
-
anders als bei der tierärztlichen Aufklärungspflicht (vgl. dazu Senatsurteil vom 18.
März 1980 -
VI
ZR 39/79, [X.], 652, 653)
-
bei der Frage einer [X.] nach
einem groben Behandlungsfehler keine Rolle, weil es hier nicht darum geht,
dass der Auftraggeber abwägen kann, welche der vorge-schlagenen Behandlungsmaßnahmen für ihn aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen wünschenswert sind
und in welche Eingriffe des Tierarztes er [X.] einwilligen will.
bb) Das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und [X.] vom 20.
Februar 2013 ([X.]l. I S.
277) steht dem
nicht entgegen. Zwar fallen [X.] mit [X.] über die Behandlung von Tieren nicht unter die §§
630a
ff. [X.], weil Patient im Sinne des §
630a Abs.
1 [X.] nur ein Mensch ist und die §§
630a
ff. [X.] speziell auf die besonderen Bedürfnisse des Menschen und des Schutzes seines Selbstbestimmungsrech-tes zugeschnitten sind (BT-Drucks. 17/10488 S.
18). In der [X.] zu §
630a [X.] wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tä-tigkeit des Tierarztes mit der medizinischen Behandlung durch einen Human-mediziner vergleichbar sei, soweit es um die Heilung und Erhaltung eines [X.] Organismus gehe. Nach der Rechtsprechung des [X.], fortgeführt von [X.]en, würden deshalb die im Bereich der [X.] entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung auch im Bereich der Veterinärmedizin angewendet. Die Rechtsprechung bleibe durch die ge-setzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag insoweit nicht gehindert, [X.] festzuhalten (vgl. BT-Drucks. 17/10488 S.
18). Für eine Gleichbehandlung in dem hier entschiedenen Umfang spricht im Übrigen auch das Gesetz zur 16
-

12

-

Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20.
August 1990 ([X.]l. [X.]), durch das der zentrale Grundgedanke eines ethisch fundierten Tierschutzes, dass der Mensch für das Tier als einem Mitge-schöpf und schmerzempfindenden Wesen Verantwortung trägt, auch im bürger-lichen Recht, u.a. durch §
90a, §
251 Abs.
2
Satz
2 [X.] deutlicher hervorge-hoben werden sollte (vgl. BT-Drucks. 11/7369 S.
1, 5).
cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
führt ein grober Be-handlungsfehler bei einer veterinärmedizinischen Behandlung grundsätzlich zu einer Beweislastumkehr, ohne dass dem Tatrichter insoweit ein Ermessen im Einzelfall zukäme. Zwar ist richtig, dass der behandelnde Tierarzt anders als bei einem Menschen bei einem Tier in weit größerem Maß auf indirekte Rück-schlüsse zur Krankheits-
bzw. [X.] und
zum Behandlungsver-lauf angewiesen ist. Zudem können die Haltungsbedingungen sowie das unwill-kürliche und -
je nach Art des Tieres
-
nur begrenzt steuerbare Verhalten die
Behandlung erschweren. Dies
ist
indes
bereits
bei der Wertung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, also ein Fehler, der aus objektiv tierärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Tierarzt schlechterdings nicht [X.] darf, zu berücksichtigen. Dadurch wird eine flexible und angemessene Lösung unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ge-währleistet. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann hingegen bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers entgegen der Auffassung des Berufungsge-richts nicht erneut hinsichtlich
der Entscheidung, ob
eine Beweislastumkehr
er-folgt,
auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abgestellt werden. Ein "Er-messen" des Tatrichters würde bei der Anwendung von Beweislastregeln dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen. Danach müssen
der Rechtssuchen-de bzw. sein Anwalt in der Lage sein, das Prozessrisiko in tatsächlicher Hinsicht abzuschätzen (vgl. Senatsurteil vom 27.
April 2004 -
VI
ZR 34/03, [X.]Z 159, 48, 55
f.).

17
-

13

-

e) Da die [X.] des Berufungsgerichts die Entscheidung trägt, kommt es auf die Hilfsbegründung nicht an.
[X.]
[X.]
von [X.]

Oehler
Roloff

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.09.2014 -
3 O 1494/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 26.03.2015 -
14 [X.] -

18

Meta

VI ZR 247/15

10.05.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2016, Az. VI ZR 247/15 (REWIS RS 2016, 11678)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11678

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VI ZR 247/15

II ZR 166/14

XII ZB 572/10

3 U 108/02

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