VG Würzburg, Urteil vom 14.05.2019, Az. W 1 K 18.1277

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Gegenstand

Nachzahlung eines Familienzuschlags bei Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in Ehe


Tenor

I. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 28. Juni 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 7. September 2018 werden aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 31. Dezember 2009 Familienzuschlag der Stufe 1 zu zahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Oktober 2018.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Der Beklagte hat ¾ der Kosten des Verfahrens zu tragen, der Kläger ¼. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

IV. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Für den Beklagten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn der Beklagte nicht zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Nachzahlung eines Familienzuschlags für die Zeit vom 7. November 2005 bis zum 31. Dezember 2009.

Am 7. November 2005 begründete der Kläger eine eingetragene Lebenspartnerschaft.

Mit Schreiben vom 31. August 2010 beantragte er aufgrund der eingetragenen Lebenspartnerschaft die Zahlung eines Familienzuschlags rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Verpartnerung. Mit Schreiben vom 24. Februar 2011 wurde dem Kläger ein Familienzuschlag rückwirkend für die Zeit ab dem 1. Januar 2011 gewährt und darüber informiert, dass bezüglich der rückwirkenden Zahlung eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden müsse. Mit Schreiben vom 27. August 2012 beantragte der Kläger abermals die Nachzahlung des Familienzuschlags für die Zeit ab der Verpartnerung. Mit Schreiben vom 19. Juni 2013 wurde dem Kläger der Familienzuschlag rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 nachgezahlt.

Unter dem 7. November 2017 wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft des Klägers in eine Ehe umgewandelt. Mit Schreiben vom 13. November 2017 zeigte er dies bei dem Beklagten an und beantragte zugleich das Verfahren wieder aufzugreifen und den Familienzuschlag für den Zeitraum ab der Verpartnerung nachzuzahlen. Mit Bescheid vom 29. Juni 2018 wurde dieser Antrag abgelehnt.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5. Juli 2018 Widerspruch, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2018 zurückgewiesen wurde. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass die rückwirkende Heilung des Verfassungsverstoßes der Ungleichbehandlung von Lebenspartnern im Bereich der Beamtenbesoldung auf diejenige Beamten beschränkt werden könne, welche den ihnen von Verfassung wegen zustehenden Alimentationsanspruch zeitnah gerichtlich geltend gemacht hätten. Eine Nachzahlung habe frühestens mit Wirkung ab dem 1. Januar des Haushaltsjahres, in dem der Antrag gestellt wurde, zu erfolgen. Das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts (im Folgenden: Eheöffnungsgesetz) begründe keine Rückwirkung auf den Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft für bereits abgeschlossene Sachverhalte. Die Bestandskraft von Bescheiden werde durch das Eheöffnungsgesetz nicht durchbrochen. Lebenspartnerschaften seien hinsichtlich des Familienzuschlags der Stufe 1 durch Art. 108 Abs. 10 BayBesG bereits rückwirkend zum 1. August 2001 der Ehe gleichgestellt worden.

Hiergegen ließ der Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 Klage erheben. Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG. Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz stelle eine nachträgliche Rechtsänderung zugunsten der Lebenspartner dar. Der Gesetzgeber habe in der Begründung der Vorschrift betont, dass die Rückwirkung uneingeschränkt bis zum Tag der Verpartnerung wirken solle. Auch das Gesetz zur Umsetzung des Eheöffnungsgesetzes solle Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz nicht ausdrücklich einschränken. Das Eheöffnungsgesetz habe das bayerische Besoldungsrecht zwar nicht geändert, es wirke sich aber über Art. 51 BayVwVfG darauf aus. Auch habe das Finanzgericht Hamburg entschieden, dass Ehegatten, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer auch für bereits bestandskräftige einzelveranlagte Jahre verlangen könnten. Zudem sei in Art. 97 § 9 EGAO geregelt worden, dass § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AO entsprechend anzuwenden seien, soweit die Lebenspartner, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe haben umwandeln lassen, bis zum 31. Dezember 2020 die Änderung eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung an eine eheanknüpfende und bislang nicht berücksichtigte Rechtsfolge beantragt haben. Der Gesetzgeber habe somit die Neuregelung des Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz für den Bereich des Steuerrechts befristet, zugleich habe er aber die Rückwirkung der Regelung für bestandskräftigte Bescheide im Übrigen bestätigt. Der Anspruch auf Familienzuschlag sei auch nicht verjährt. Zudem könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass der Kläger den Anspruch hätte zeitnah geltend machen müssen. Die zeitnahe Geltendmachung von Besoldungsansprüchen sei kein allgemeines, das wechselseitige Verhältnis zwischen Dienstherren und Beamten für jegliche Fallgestaltung geltendes Prinzip, sondern eine Ermächtigung an den Gesetzgeber. Die Ansprüche des Klägers auf Gleichbehandlung ergäben sich auch aus der Richtlinie 2000/78/EG, auf welche er sich unmittelbar berufen könne. Der Ausschluss der Lebenspartner vor Erlass des Eheöffnungsgesetzes von der Gewährung des Familienzuschlags stelle eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung dar. Die Richtlinie sei hinreichend genau und unbedingt sowie unzulänglich in das nationale Recht umgesetzten worden, insbesondere nicht innerhalb der gesetzlichen Frist bis zum 2. Dezember 2003. Auch sei keine vollständige Umsetzung der Richtlinie erfolgt.

Der Kläger beantragt,

  • 1.Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 19. Juni 2013 wird insoweit aufgehoben, als die Nachzahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 für die Zeit vom 7. November 2005 bis zum 31. Dezember 2009 abgelehnt wird.

  • 2.Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen, Dienststelle Würzburg vom 29. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2018, zugegangen am 11. September 2018, Geschäftszeichen 61133-92026866 wird aufgehoben.

  • 3.Dem Antrag des Klägers vom 13. November 2017 auf Nachzahlung des Familienzuschlags für die Zeit vom 7. November 2005 bis 31. Dezember 2009 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Antragstellung wird stattgegeben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die im Verwaltungsverfahren genannten Gründe. Zudem sei das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung in Art. 108 Abs. 10 Satz 2 BayBesG zulässig. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass eine allgemeine Rückwirkung einer nicht verfassungsgemäßen Besoldung nicht geboten sei. Dies habe das BVerfG mit einem weiteren Urteil bei seiner Entscheidung zur Behandlung eingetragener Lebenspartnerschaften konsequent fortgesetzt. Das Erfordernis einer zeitnahen Geltendmachung habe das BVerwG bereits mit Urteilen vom 17. Dezember 2008 und vom 13. November 2008 gebilligt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe sich dieser Rechtsauffassung vorbehaltlos angeschlossen. Danach stehe Unionsrecht einer nationalen Vorschrift nicht entgegen, nach der ein Beamter zeitnah einen Anspruch auf Geldleistung stellen müsse, wenn die Vorschrift weder gegen den Effektivitätsgrundsatz noch gegen den Äquivalenzgrundsatz verstoße. In Bezug auf die Übergangsvorschrift des Art. 108 Abs. 10 S. 1 BayBesG (zum Zeitpunkt der Entscheidung noch Art. 108 Abs. 12 S. 1 BayBesG), habe der BayVGH festgestellt, dass eine Nachzahlung des Familienzuschlags frühestens ab dem 1. Januar des Haushaltsjahres erfolgen könne, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dies widerspräche nicht dem Unionsrecht. Es läge kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor, da der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung sowohl für „nationale Ansprüche“ als auch für den aus dem Unionsrecht abgeleiteten Grundsatz gelte. Der Effektivitätsgrundsatz sei nicht verletzt, weil das Erfordernis keine übermäßige Erschwerung der Durchsetzung des Unionsrechts sei. Mit dem gegenseitigen beamtenrechtlichen Treueverhältnis sei es nicht vereinbar, erst im Nachhinein den Familienzuschlag geltend zu machen, der unter Umständen aus den Haushaltsmitteln der betreffenden Jahre nicht mehr gedeckt werden könnte. Dem Bund stehe kein Regelungsrecht zu bestandskräftige besoldungsrechtliche Entscheidungen zu durchbrechen. Zudem sei die Richtlinie nicht unmittelbar anwendbar. Der europäische Gesetzgeber habe den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Berücksichtigung des Familienstandes einen Ermessensspielraum eingeräumt. Soweit der Kläger die unvollständige Umsetzung der Richtlinie für den geltend gemachten Zeitraum rüge, träfe diese Versäumnis zudem bis zum 1. September 2006 den Bundesgesetzgeber, sodass die Bundesrepublik Deutschland dafür die richtige Beklagte sei. Der Kläger ziehe zudem eine unzutreffende Parallele zum Steuerrecht. Es fehle eine zu § 175 Abs. 1 Satz 1 AO vergleichbare Norm im allgemeinen Verwaltungs- bzw. Verwaltungsprozessrecht. Auch Art. 97 § 9 EGAO habe keine Auswirkungen auf das Besoldungsrecht. Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz führe zudem nicht dazu, dass Rechte, die nicht mehr geltend gemacht werden können, wieder aufleben und begründe auch keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Zahlung von Familienzuschlag. Der Familienzuschlag ergebe sich zudem nicht durch einen Verwaltungsakt, sondern aus dem Gesetz.

Bezüglich des weiteren Sachund Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Nachversicherungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Klage ist nur hinsichtlich der Klageanträge 2.) und 3.) zulässig. In ihrem zulässigen Teil ist die Klage überwiegend begründet. Der Bescheid vom 29. Juni 2018 sowie der Widerspruchsbescheid vom 7. September 2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger daher in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags für den Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 31.Dezember 2009 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Oktober 2018, im Übrigen ist der Zinsantrag unbegründet.

I.

Die Klage ist nur in den Klageanträgen zu 2) und 3) zulässig. Der Klageantrag zu 1) ist unzulässig. Bei dem Schreiben vom 19. Juni 2013 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt gem. Art. 35 BayVwVfG, eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO ist daher nicht statthaft.

Vorliegend entfaltet das Schreiben vom 19. Juni 2013 keine Regelungswirkung. Eine solche wäre gegeben, wenn die Maßnahme darauf gerichtet wäre, eine Rechtsfolge zu bewirken (Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 35 Rn. 139).

Gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 BayBesG ist der Familienzuschlag ein Teil der Besoldung. Der Anspruch auf Besoldung wird gem. Art. 3 Abs. 1 BayBesG durch Gesetz geregelt. Gem. Art. 37 Satz 1 BayBesG wird der Familienzuschlag ab dem Ersten des Monats gezahlt, in den das hierfür maßgebende Ereignis fällt. Eines vorherigen Festsetzungs- oder Bewilligungsbescheides bedarf es nicht (Zinner, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, § 39 BBesG Rn. 21 zum vergleichbaren BBesG). In der Regel erhält der Besoldungsempfänger erst über die Besoldungsmitteilung Kenntnis von der Zahlung des Familienzuschlags. Eine solche stellt keinen Verwaltungsakt dar (Zinner, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, § 39 BBesG Rn. 21). Dem Schreiben vom 19. Juli 2013 ist, ebenso wie einer Besoldungsmitteilung, lediglich die Information zu entnehmen, dass dem Kläger nunmehr der Familienzuschlag ab dem 1. Januar 2010 nachgezahlt werde. Zwar geht die Darstellung der rechtlichen Grundlage in dem Schreiben vom 19. Juli 2013 über das hinaus, was sich in einer Besoldungsmitteilung finden lässt. Eine über diese Information hinausgehende Regelung ist jedoch nicht ersichtlich. Auch ist dem Schreiben eine Ablehnung des Antrags des Klägers auf Nachzahlung des Familienzuschlags ab dem Zeitpunkt der Verpartnerung nicht zu entnehmen. Es handelt sich bei dem Schreiben somit um schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln, gegen dass die Anfechtungsklage nicht statthaft ist. Insofern ist die Klage abzuweisen.

Im Übrigen ist die Klage zulässig.

II.

In ihrem zulässigen Teil ist die Klage auch überwiegend begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags für den Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 31. Oktober 2009 zu. Der Bescheid vom 29. Juni 2018 sowie der Widerspruchsbescheid vom 7. September 2018 sind daher rechtswidrig. Da das Schreiben vom 19. Juni 2013 kein bestandskräftiger Verwaltungsakt ist, bedurfte es keines Wideraufgreifens des Verfahrens gemäß Art. 51 BayVwVfG.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung des Familienzuschlags zwar weder aus Art. 108 Abs. 10 BayBesG noch aus einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf zu. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch aus §§ 39 ff. BBesG i.V.m Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz bzw. §§ 39 ff. BBesG i.V.m. § 20a Abs. 5 LPartG.

1.

Art. 108 Abs. 10 BayBesG sieht vor, dass ein Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags für Lebenspartner erst ab Beginn des Jahres besteht, in dem dieser einen Antrag auf Zahlung des Familienzuschlags gestellt hat. Dies wäre für den Kläger der 1. Januar 2010. Für diesen Zeitraum hat der Kläger den Familienzuschlag bereits nachgezahlt bekommen. Ein darüber hinausgehender Anspruch ergibt sich aus Art. 108 Abs. 10 BayBesG nicht. Die Regelung des Art. 108 Abs. 10 BayBesG ist rechtmäßig und verstößt insbesondere nicht gegen Unionsrecht.

Mit Art. 108 Abs. 10 BayBesG soll dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 (BVerfG, B.v. 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - juris) Rechnung getragen werden, wonach der Gesetzgeber verpflichtet ist, rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit Wirkung vom 1. August 2001 eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die allen Beamten und Beamtinnen, die ihre Ansprüche auf Familienzuschlag zeitnah geltend gemacht haben, einen Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags ab dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Beanspruchung einräumt. Auch hinsichtlich des Begriffs „zeitnahe Geltendmachung“ nimmt der bayerische Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug (BVerfG, B.v. 24.11.1998 - 2 BvL 26/91- juris). Unter zeitnaher Geltendmachung sei danach zu verstehen, dass Beamte und Beamtinnen ihre Ansprüche während des laufenden Haushaltsjahres gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend entschieden worden sei (BayVGH, B. v. 23.11.2015 - 3 BV 13.2587 - juris).

Unionsrecht steht einer nationalen Vorschrift, nach der ein Beamter Ansprüche auf Geldleistungen zeitnah, nämlich vor dem Ende des jeweiligen Haushaltsjahrs, geltend machen muss, nicht entgegen, wenn diese Vorschrift weder gegen den Äquivalenzgrundsatz noch gegen den Effektivitätsgrundsatz verstößt (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2014 - Rs. C-501/12 - ZBR 2014, 306 - juris). In der Anwendung des Grundsatzes der zeitnahen Geltendmachung liegt in der vorliegenden Konstellation weder ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz noch eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes (BayVGH, B. v. 23.11.2015 - 3 BV 13.2587 - juris).

Das nationale Recht darf im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Fälle entschieden wird, nicht ungünstiger sein (Diskriminierungsgebot oder Äquivalenzgrundsatz; vgl. Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Auflage 2013 Rn. 258 und Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, Rn. 593). Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz liegt nicht vor, weil der (zunächst richterrechtlich entwickelte) Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung sowohl für nationale Ansprüche (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2011 - 2 C 40/10 - juris) als auch für den hier aus dem Unionsrecht abgeleiteten Anspruch gilt (BayVGH, B. v. 23.11.2015 - 3 BV 13.2587 - juris).

Der Effektivitätsgrundsatz besagt, dass die Anwendung der nationalen Vorschriften nicht darauf hinauslaufen darf, „dass die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich wird“. Die nationalen Verwaltungsverfahren dürfen insbesondere „die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“ (vgl. Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Auflage 2013 Rn. 258 und Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, Rn. 593). Der Effektivitätsgrundsatz ist hier nicht verletzt, weil in der zeitnahen Geltendmachung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine übermäßige Erschwerung der Durchsetzung von Unionsrecht liegt (vgl. U.v. 29.9.2011 - 2 C 32.10 - juris Rn. 20). Der zeitnahe Antrag ist erforderlich, damit der Dienstherr sich auf zukünftige Ansprüche einstellen kann. Eine übermäßige Erschwerung der Durchsetzung von Unionsrecht liegt darin ebenso wenig wie beispielsweise in der normativen Festsetzung angemessener Ausschluss- und Verjährungsfristen (vgl. EuGH, U.v. 19.6.2014 - Rs. C-501/12 - ZBR 2014, 306 - juris Rn. 114 mit weiteren Nachweisen; BayVGH, U.v. 23.11.2015 - 3 BV 13.2587 - juris; VG Hannover, U.v. 8.10.2013 - 2 A 6560/13 - juris).

2.

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG.

Die Richtlinie ist hinreichend genau, inhaltlich unbestimmt und der Geltungsbereich ist eröffnet (VG Ansbach, U.v. 12.11.2013 - AN 1 K 13.01386 - juris). Ein Bürger kann sich auch unmittelbar auf eine Richtlinie berufen, wenn diese nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt ist (u.a. VG Ansbach, U.v. 12.11.2013 - AN 1 K 13.01386 - juris). Vorliegend ist dies jedoch nicht der Fall. Die Richtlinie wurde ausreichend in das deutsche Recht umgesetzt, da Art. 108 Abs. 10 BayBesG, wie dargestellt, nicht gegen Unionsrecht verstößt (BayVGH, B.v. 23.11.2015 - 3 BV 13.2587 - juris). Auch kann sich der Kläger für die unmittelbare Anwendbarkeit nicht auf eine zu spät erfolgte Umsetzung der Richtlinie berufen, da mittlerweile eine Umsetzung der Richtlinie erfolgt ist (OVG Niedersachsen, U.v. 24.11.2015 - 5 LB 83/15- juris).

3.

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags für den streitgegenständlichen Zeitraum aus §§ 39 ff. BBesG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz bzw. §§ 39 ff. BBesG i.V.m. § 20a Abs. 5 LPartG.

Nach Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz und § 20a Abs. 5 LPartG soll für Rechte und Pflichten der Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe der Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft maßgebend sein. Nach der Gesetzesbegründung zu Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz (BGBl. 2017/2787) sollen sie daher die gleichen Rechte und Pflichten haben, als ob sie an dem Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft geheiratet hätten. Die bestehende Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerinnen und Lebenspartner mit Ehegatten, auf die bereits mehrmals sowohl europäische als auch deutsche Gerichte hingewiesen und sie als europarechts- und verfassungsrechtswidrig bewertet haben, soll rückwirkend beseitigt werden.

Hätte der Kläger am 7. November 2005 eine Ehe geschlossen und wäre nicht eine Lebenspartnerschaft eingegangen, so hätte ihm gemäß § 40 Abs. 1 BBesG in dem streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch auf Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 zugestanden.

In dem Gesetzesentwurf zu dem Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts, im Folgenden Eheöffnungsumsetzungsgesetz, (BT-Drs. 19/4670), heißt es zwar, dass das Eheöffnungsgesetz keine Rückwirkung auf den Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft für in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Sachverhalte entfalten soll. Die Bestandskraft von Bescheiden oder die Verjährung von Ansprüchen sollen nicht durchbrochen werden. Der Gesetzesentwurf zu dem Eheöffnungsumsetzungsgesetz ist nach Ansicht der Kammer auch bei der Auslegung der Intention des Gesetzesgebers bei Erlass des Eheöffnungsgesetzes zu berücksichtigen. Allerdings wird vorliegend kein bestandskräftiger Bescheid durchbrochen. Entsprechend obiger Ausführungen handelt es sich bei dem Schreiben vom 19. Juni 2013 gerade nicht um einen Verwaltungsakt, der in Bestandskraft erwachsen kann. Auch liegt, aufgrund des Umstandes, dass vor Erlass des Bescheids vom 29. Juni 2018 nicht mittels bestandskräftigen Bescheids über die Nachzahlung für den streitgegenständlichen Zeitraum entschieden wurde, kein abgeschlossener Sachverhalt vor. Insoweit stellt sich vorliegend auch nicht die Frage, ob von Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz tatsächlich eine vollumfassende Rückwirkung - auch unter Durchbrechung der Bestandskraft von Bescheiden - gewollt war.

Dem steht auch nicht Art. 108 Abs. 10 BayBesG entgegen. Art. 108 Abs. 10 BayBesG gilt ausschließlich für Lebenspartner. Die Rückwirkung des Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetz bzw. § 20a Abs. 5 LPartG gilt hingegen nur für den Fall, dass eine Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt wird. Insofern verbleibt Art. 108 Abs. 10 BayBesG ein eigenständiger Regelungsbereich.

Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Da der Familienzuschlag ein Teil der Besoldung ist, richtet sich die Verjährung nach Art. 13 BayBesG. Danach verjähren Ansprüche auf Besoldung in drei Jahren. Gemäß Art. 13 S. 2 BayBesG beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Gem. Art. 13 S. 3 BayBesG gelten die §§ 194 - 218 BGB entsprechend. Auf die Kenntnis kommt es nach dem Wortlaut des Art. 13 BayBesG hingegen nicht an (VG München, U. v. 20.2.2018 - M 5 K 17.3172 - juris). Diese Auslegung wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung zum Neuen Dienstrecht in Bayern, in dessen Zuge unter anderem das Besoldungsrecht geändert wurde (LT-Drs. 16/3200, S. 365: „Nach Satz 2 wird der Verjährungsbeginn im Unterschied zur bisherigen Regelung künftig kenntnisunabhängig ausgestaltet“; vgl. auch Ziffer 13.2 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten vom 22. Dezember 2010 - BayVwVBes).

Der Anspruch des Klägers auf Nachzahlung des Familienzuschlags ist erst mit der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe entstanden. Zuvor bestand für den Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Anspruch auf Familienzuschlag. Die Rückwirkung des Art. 3 Abs. 2 Eheöffnungsgesetzes bzw. § 20a Abs. 5 LPartG entstand erst im Zeitpunkt der Umwandlung der Lebenspartnerschaft. Insofern ist auch Art. 108 Abs. 6 BayBesG nicht anwendbar. Die Verjährung begann daher erst mit Ablauf des 31. Dezember 2017 zu laufen. Der Anspruch ist daher nicht verjährt.

Dem Kläger steht daher ein Anspruch auf Zahlung des Familienzuschlages für den Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 31. Dezember 2009 zu.

III.

Ein Anspruch auf Verzugszinsen seit der Antragstellung des Klägers besteht nicht. Gemäß Art. 4 Abs. 4 BayBesG besteht kein Anspruch auf Verzugszinsen, wenn Bezüge nach dem Tag der Fälligkeit gezahlt werden. Insoweit ist die Klage unbegründet.

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Gewährung von Prozesszinsen. Dieser beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 90 Rn. 14). Entscheidend hierfür ist der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit im Sinne des § 90 VwGO (BayVGH, B.v. 27.2.2003 - 3 B 02.1968 - juris). Der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit war vorliegend der 9. Oktober 2010, sodass dem Kläger ab diesem Zeitpunkt Prozesszinsen zustehen. Der Kläger beantragt Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten, nicht jedoch gem. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Da der Basiszinssatz derzeit negativ ist, ist der Wert von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz geringer als die beantragten 5 Prozentpunkte, die Klage ist in Höhe dieser Differenz unbegründet.

IV.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten ist aufgrund der Schwere und Komplexität des Falles als notwendig anzusehen.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

W 1 K 18.1277

14.05.2019

VG Würzburg

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Würzburg, Urteil vom 14.05.2019, Az. W 1 K 18.1277 (REWIS RS 2019, 7308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7308

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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