AG Augsburg, Urteil vom 24.01.2018, Az. 73 C 4417/17

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Gegenstand

Zusammenstoß eines fünfjährigen Fahrradfahrers mit geparktem Auto


Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung jedoch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in selber Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Schadenersatzanspruch aufgrund eines Verkehrsunfalls.

Am 27.05.2017 stand der Pkw Mercedes des Klägers auf der Straße geparkt vor dem Anwesen ... (Lichtbild Anlage B1). An beiden Seiten der Fahrbahn befindet sich ein Gehweg, ein Radweg ist nicht vorhanden.

Der damals fünfjährige Sohn des Beklagten fuhr von hinten mit seinem Mountainbike (mit Scheibenbremsen vorne und hinten) gegen die hintere Stoßstange des klägerischen Pkw, da er einen Augenblick unaufmerksam war und auf den Warnruf seines Vaters (“..., stopp!“ oder „Pass auf!“) zwar noch bremste, aber nicht rechtzeitig zum Stehen kam. Am Pkw entstand dadurch ein der Höhe nach streitiger Schaden von ca. 2.000 bis 3.000 € (siehe Anlagen K1 und B2).

Zum Unfallzeitpunkt war der Beklagte mit seinen beiden Söhnen im Alter von fünf und acht Jahren unterwegs. Wie der Beklagte glaubhaft angab, fuhr vorne weg der Ältere, dann folgten der Jüngere und zum Schluss er selbst, um beide im Blick zu haben. Der ältere Sohn sei dem Pkw ausgewichen. Die Abstände hätten jeweils etwa drei Meter betragen, so dass sein Abstand zum vorne fahrenden 8-jährigen Sohn Radfahrer ca. fünf bis sechs Meter betragen habe.

Die genaue Gehwegbreite ist zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger trägt vor, der Gehweg sei an der Unfallstelle ca. 93 cm breit. Der Beklagte habe seine Aufsichtspflicht verletzt, da er den fünfjährigen Sohn auf der Fahrbahn habe fahren lassen, obwohl Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr gemäß § 2 Abs. 5 StVO auf dem Gehweg Fahrrad fahren müssen. Auf die Gehwegbreite komme es dabei letztlich nicht an. Im Übrigen hätten gegebenenfalls der gegenüberliegende Gehweg benutzt werden können, da dieser etwas breiter sei. Außerdem gäbe es besser geeignete Umfahrungswege.

Der Kläger, der neben den Reparaturkosten noch Sachverständigenkosten und eine Unkostenpauschale geltend macht, beantragt,

  • 1.Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.712,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.

  • 2.Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von 413,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

wie entschieden.

Die Benutzung des schmalen Gehweges sei riskanter als auf der Straße zu fahren. Da der Gehweg nicht breiter als 50 bis 60 cm sei, habe er seine Aufsichtspflicht nicht verletzt.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2017 Bezug genommen. Kläger und Beklagter wurden angehört.

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB, da der Beklagte seiner Aufsichtspflicht genügt hat, § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB.

a) Aufsichtspflicht

Die Aufsichtspflicht ist dann erfüllt, wenn der Aufsichtspflichtige zur Verhinderung der Schädigung alles getan hat, was von einem verständigen Aufsichtspflichtigen in seiner Lage, also unter Berücksichtigung von Alter, Eigenart und Charakter des Aufsichtsbedürftigen, der zur Rechtsgutsverletzung führenden Situation, sowie der Zumutbarkeit vernünftiger- und billigerweise verlangt werden kann. Die Aufsicht ist dem Alter und Leistungsvermögen des Kindes anzupassen und dient dem Zweck, dass aufgrund des unberechenbaren und einem Erwachsenen noch nicht vergleichbaren, also kindestypischen Verhaltens entstehende Gefahren für den Straßenverkehr im Rahmen des Zumutbaren verhütet werden (vgl. Urteil des OLG München vom 24.3.2016, Aktenzeichen 10 U 3730/14, Beck RS 2016, 06076).

aa) Im Straßenverkehr müssen Eltern ihren Kindern daher ein verkehrsgerechtes Verhalten, Verkehrsregeln und Verkehrszeichen erklären und ihre Überwachung einüben sowie eine ausreichende Beaufsichtigung im konkreten Fall gewährleisten. Der Beklagte hat seinem Sohn die Verkehrsregeln erklärt und diesen in den Straßenverkehr eingewiesen. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus glaubhaft angegeben hat, dass sein Sohn mit dem Fahrrad fahre, seit er etwa 3 1/2 Jahre alt ist; die Familie fahre viel Fahrrad und es sei das erste Mal gewesen, dass sein fünfjähriger Sohn „gepennt“ habe. Sein Sohn sei grundsätzlich ein sicherer Fahrradfahrer.

Dass der Beklagte einige Meter hinter seinen beiden Söhnen fuhr, um diese im Blick zu haben und gegebenenfalls - wie geschehen - warnen zu können, ist nicht zu beanstanden, sondern entspricht einer ordnungsgemäß wahrgenommenen Aufsichtspflicht. Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass sein 5-jähriger Sohn, ebenso wie sein vorausfahrender älterer Bruder, ohne Weiteres auf der gerade verlaufenden Straße an dem geparkten Auto des Klägers vorbeifahren würde. Der 5-jährige Sohn war mit der Örtlichkeit vertraut und äußere Einflüsse, die ihn zu Unbedachtsamkeiten hätten verleiten können, lagen nicht vor. Es war zu erwarten, dass er - schon aus eigenem Interesse - dem Pkw ausweichen würde. Es handelte sich daher um ein nicht vorherzusehendes „Augenblicksversagen“.

Der Beklagte hat seine Aufsichtspflicht auch nicht deshalb verletzt, weil er nicht sofort und unmittelbar eingreifen konnte. Dies würde die Anforderungen an die Aufsichtspflicht aufgrund der normalen Verkehrssituation und der bereits längeren Fahrpraxis des Sohnes überspannen. (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 24.08.2011, Az: 5 U 433/11). bb))

Dass der Beklagte seinen Sohn mit einem Mountainbike mit Scheibenbremsen fahren ließ, stellt keinen Verstoß gegen die Aufsichtspflicht dar. Der Sohn des Beklagten war in der Handhabung geübt und der Wirkungsgrad von Scheibenbremsen (was dem Gericht aus eigener Anschauung bekannt ist) ist besser als der von Felgenbremsen.

b) Fahrbahn statt Gehweg

Der Beklagte hat seiner Aufsichtspflicht im konkreten Fall gerade dadurch genügt, dass er seinen Sohn auf der Fahrbahn und nicht auf dem Gehweg fahren ließ:

aa) Gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 StVO müssen fahrradfahrende Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr, also auch der fünfjährige Sohn des Beklagten, den Gehweg benutzen. Dabei wird die Ansicht vertreten, dass es dabei nicht auf die Gehwegbreite ankomme (Hentschel in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 2 StVO Randnummer 29 a). Wouska (DAR 82,108,112) vertritt dagegen die Ansicht, dass die Fahrradbenutzung wegfalle, sofern die Gehwege für fahrradfahrende Kinder nicht geeignet seien, also z.B. bei zu schmalen Gehwegen (a.A. LG Mönchengladbach, Urteil vom 14.10.2003, Az: 5 S 75/03 bei beck-online).

Letztendlich kann dies dahingestellt bleiben, da eine sinnvolle, an den Verkehrsbedürfnissen orientierte Auslegung der Vorschrift ergibt, dass Kinder bis zum achten Lebensjahr entgegen des Wortlauts von § 2 Abs. 5 StVO jedenfalls dann in Begleitung Erwachsener auf der Fahrbahn fahren dürfen (so LG Oldenburg, Beschluss vom 15.01.2013, Aktenzeichen 9 S 570/12 bei beck-online mit weiteren Nachweisen), wenn im konkreten Fall das Befahren des Gehwegs gefährlicher wäre als die Benutzung der Straße. Dies ist hier der Fall: Auch wenn sich aus den Lichtbildern Anlage K4 die exakte Breite des Gehwegs nicht exakt ablesen lässt, so ergibt sich doch aus den einzelnen auf dem Meterstab erkennbaren unterschiedlichen Farbkennzeichnungen für die jeweiligen 10 cm-Abschnitte, dass die Breite ca. 90 cm beträgt (was durch eine Ortsbesichtigung des Gerichts bestätigt wurde). Dennoch ist diese Breite (die, was das Gericht ebenfalls feststellte, auf der anderen Straßenseite allenfalls ganz geringfügig höher ist) dennoch zum Befahren ungeeignet: Zum einen besteht, wie der Beklagte zutreffend erklärt hat, eine gewisse Gefährdung dadurch, dass ein Abrutschen von der Bordsteinkante auf die Straße möglich ist, zum anderen bleibt kein Spielraum mehr für Lenkmanöver/Ausweichmanöver, wenn Fahrzeuge geparkt sind. Hinzu kommen von den Fahrzeugen auf den Gehweg überstehende Außenspiegel sowie von den Grundstücken auf den Gehweg hineinragende Ausbuchtungen/Sträucher.

bb) Darüber hinaus ist es Sinn und Zweck des § 2 Abs. 5 StVO, die fahrradfahrenden Kinder vor schnelleren Verkehrsteilnehmern zu schützen. Dies gilt für den gleichgerichteten oder entgegenkommenden Verkehr. Es soll eine Entmischung und Entflechtung des Fahrzeugverkehrs gewährleistet werden (siehe LG Mönchengladbach a.a.O. sowie LG Oldenburg, Beschluss vom 15.01.2013, Aktenzeichen 9 S 570/12 bei beck-online). Vor diesem Hintergrund ist der Kläger nicht vom Schutzbereich des § 2 Abs. 5 StVO umfasst, da sein Fahrzeug auf dem dem fließenden Verkehr dienenden Fahrstreifen stand.

c) Umweg

Eine Verpflichtung des Beklagten, seinen Sohn auf einer möglicherweise „sicherer“ zu befahrenden Parallelstraße oder einem Feldweg fahren zu lassen, bestand nicht, da die konkrete Unfallsituation objektiv keinerlei Gefährlichkeit aufwies, die es geboten erscheinen ließe, prophylaktisch Umwege zu fahren.

Da der Sohn des Beklagten daher unter Aufsicht des Beklagten die Straße benutzen durfte und der Beklagte seiner Aufsichtspflicht genügt hat, steht dem Kläger kein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

II.

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 i.V.m. 709 Satz 2 ZPO.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

73 C 4417/17

24.01.2018

AG Augsburg

Urteil

Sachgebiet: C

Zitier­vorschlag: AG Augsburg, Urteil vom 24.01.2018, Az. 73 C 4417/17 (REWIS RS 2018, 15061)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15061

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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