Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 48/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4522

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

21. Juli 2011

in dem Zwangsversteigerungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 765a
Das Vollstreckungsgericht muss bei der Durchführung des Zwangsversteigerungs-verfahrens unter Abwägung der Interessen der [X.]teiligten dem Umstand Rechnung tragen, dass die Fortführung des [X.] den Erfolg der [X.]handlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners gefährdet.

[X.], [X.]schluss vom 21. Juli 2011 -
V [X.] -
LG Essen

AG [X.]ttrop

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 21. Juli 2011 durch den [X.] [X.] [X.], [X.], die Richterin [X.] und [X.] Czub
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldner wird der [X.]schluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 3. Februar 2010 auf-gehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.]schwerdegericht zu-rückverwiesen.
Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des [X.] vom 11. März 2009 (16 K 40/07) wird bis zur erneuten Entscheidung über die [X.]schwerde der Schuldner gegen den [X.] eingestellt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

für die Vertretung der Schuldner und der Ersteher 206.000

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Gründe:
I.
Das Amtsgericht -
Vollstreckungsgericht
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ordnete mit [X.]schluss vom 4.
Mai 2007 auf Antrag der Gläubigerin
auf Grund einer vollstreckbaren [X.] die Zwangsversteigerung des eingangs bezeichneten Teileigentums der Schuldner an. Nach einem ersten Versteigerungstermin am 15. April 2008, in dem ein ausreichend hohes Gebot nicht abgegeben wurde, bestimmte es einen neuen Versteigerungstermin auf den 3. März 2009. Die Schuldner beantragten, das Verfahren nach § 765a ZPO, §
30a [X.] einzustellen. Das [X.] führte den Termin durch, in dem die beiden Ersteher mit einem Bargebot von 123.000

Mit dem in einem besonderen Verkündungstermin am 11. März 2009 verkündeten [X.]schluss hat das Vollstreckungsgericht den Erstehern den [X.] erteilt und den [X.] der Schuldner zurückgewiesen. Da-gegen haben die Schuldner sofortige [X.]schwerde eingelegt und diese damit begründet, es sei mutwillig, wenn die Gläubigerin kurz vor einer chemothera-peutischen [X.]handlung der Leukämieerkrankung des Schuldners die Zwangs-vollstreckung betreibe und damit das Gelingen der Therapie und das Leben des Schuldners gefährde. Das Vollstreckungsgericht hat der [X.]schwerde nicht ab-geholfen. Das [X.] hat sie nach Einholung eines schriftlichen Gutach-tens der den Schuldner behandelnden Ärzte zurückgewiesen. Mit der zugelas-senen Rechtsbeschwerde möchten die Schuldner weiterhin die Aufhebung der Zwangsversteigerung erreichen. Die Gläubigerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

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II.
Das [X.]schwerdegericht meint, die Krebserkrankung des Schuldners rechtfertige
die Annahme einer besonderen Härte im Sinne von §
765a ZPO nicht. Zwar seien die Wertentscheidung des Grundgesetzes in Art.
2 Abs.
2 Satz 1 GG und die Grundrechte des Schuldners bei der Anwendung des Voll-streckungsrechts zu berücksichtigen. Das könne auch
zu einer Einstellung des [X.] führen, unter Umständen auch auf [X.]. Hier aber überwögen die gesundheitlichen Interessen des Schuldners die Interessen der Gläubigerin nicht. Die [X.]handlung der Krebser-krankung des Schuldners sei nach dem Gutachten seiner Ärzte erfolgreich ver-laufen. Anhaltspunkte dafür, dass die Fortsetzung der Zwangsversteigerung die Gefahr eines Rückfalls mit lebensbedrohlichen Folgen konkret erhöhe, habe das Gutachten nicht ergeben. Dass die Zwangsversteigerung mit großer Wahr-scheinlichkeit zu einer Verstärkung der bei dem Schuldner bestehenden [X.] und zu einer ungünstigen [X.]einflussung der Krankheit füh-re, stelle ein allgemeines Lebensrisiko dar, das eine Einstellung der Zwangsversteigerung nicht rechtfertigen könne.

III.
Die nach § 96 [X.] i.V.m. §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO statthafte und nach §
575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Schuldner gegen die Zurückweisung des Aufhebungsantrags und gegen den erteilten Zuschlag ist begründet.
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1. Die Schuldner stützen die [X.]schwerde gegen den Zuschlag im Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch darauf, dass der beantragte [X.] nach §
765a ZPO nicht habe zurückgewiesen werden dürfen.
2. Dieser kann den Schuldnern nicht mit der von dem [X.]schwerdegericht gegebenen [X.]gründung versagt werden.
a) Die Gefährdung des unter dem Schutz des Art.
2 Abs.
2 Satz
1 GG stehenden Lebens des Schuldners durch die Versteigerung oder die Fortset-zung des Verfahrens ist ein im [X.] nach §
100 Abs.
1, 3 i.V.m. §
83 Nr.
6 [X.] von Amts wegen zu berücksichtigender [X.] (Senat, [X.]schlüsse vom 24. November 2005 -
V
ZB 99/05, [X.], 505, 507 und vom 9. Juni 2011 -
V
ZB 319/10,
WuM
2011, 475 Rn.
8). Das be-deutet zwar nicht, dass die Zwangsversteigerung ohne Weiteres einstweilen einzustellen oder aufzuheben wäre, wenn die Fortführung des Verfahrens mit einer konkreten
Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist ([X.], [X.]schluss vom 4. Mai 2005 -
I
ZB 10/05, [X.]Z 163, 66, 73; Senat, [X.]schluss vom 15. Juli 2010 -
V
ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649, 1650 f. Rn. 11 f.). Vielmehr ist zur Wahrung der ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen des Vollstreckungsgläubigers und des [X.] zu prüfen, ob der Lebensgefährdung auch anders als durch eine [X.] oder Aufhebung der Zwangsversteigerung wirksam begegnet werden kann (Senat, [X.]schlüsse vom 7. Oktober 2010 -
V
ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421, 422 Rn. 29 und vom 9. Juni 2011 -
V
ZB 319/10, [X.]O). Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichtet die Vollstreckungsgerichte aber dazu, das Verfahren so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird. Kann das Leben des Schuldners durch ei-ne Vollstreckungsmaßnahme in Gefahr geraten, weil dieser unfähig ist, aus [X.] oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsan-5
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gemessen zu bewältigen, muss das Vollstreckungsgericht diesen Umstand be-achten und ihm bei der Durchführung des Verfahrens Rechnung tragen (Senat, [X.]schlüsse vom 7. Oktober 2010 -
V
ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421, 422 Rn.
26). Das gilt nicht nur bei der Gefahr eines Suizids des Schuldners, son-dern auch für den hier zu beurteilenden Fall, dass die Fortführung des [X.] den Erfolg der [X.]handlung einer [X.]n Erkrankung des Schuldners gefährdet.
b) Diesen Anforderungen ist das [X.]schwerdegericht im Ergebnis nicht gerecht geworden.
[X.]) Die Schuldner haben geltend gemacht, der Erfolg der [X.] des Schuldners werde durch die Fortführung des Zwangsversteigerungs-verfahrens gefährdet. Diesem Einwand ist das [X.]schwerdegericht, sachlich richtig, durch Einholung eines Gutachtens der den Schuldner behandelnden Ärzte nachgegangen. Die tatrichterliche Würdigung dieses Gutachtens ist zwar im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt überprüfbar, in diesem Rahmen aber zu beanstanden.
bb) Die Gutachterin kommt zu dem Ergebnis, die Fortführung des [X.] gefährde den [X.]handlungserfolg. Diese [X.] stützt sie darauf, dass der durch die Versteigerung drohende Verlust von Existenz und Wohnung die bei dem Schuldner ohnehin vorhandenen [X.] verstärke und den Krankheits-
und Heilungsverlauf un-günstig beeinflusse. Diese Einschätzung der Gutachterin ist angreifbar, was die Gläubigerin zutreffend einwendet. Durch das vorliegende [X.] werden weder die Existenzgrundlage noch die Wohnung der Schuldner bedroht. Versteigert werden soll ein Teileigentumsrecht der Schuld-ner in [X.]. , nicht das Restaurant des Schuldners in [X.]. oder die Wohnung 8
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der Schuldner in [X.] . Das mag im Endergebnis dazu führen, dass der [X.]-handlungserfolg durch das Verfahren nicht gefährdet ist.
[X.]) Das [X.]schwerdegericht hat seine Entscheidung aber nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt. Es hat die Gefährdung des [X.]handlungserfolgs viel-mehr dem allgemeinen Lebensrisiko des Schuldners zugeordnet und die [X.] vertreten, dieser Gesichtspunkt könne eine Einstellung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung von vornherein nicht rechtfertigen. Das wird dem ver-fassungsrechtlichen Gebot des Lebensschutzes nicht gerecht. Eine [X.] Erkrankung trifft den
Schuldner zwar schicksalhaft. Dass ihre erfolg-reiche [X.]handlung durch ein Zwangsversteigerungsverfahren ernsthaft gefähr-det oder verhindert wird, lässt sich aber durch eine entsprechende Verfahrens-gestaltung vermeiden. Das Vollstreckungsgericht hat dann die Maßnahmen zu ergreifen, die unter angemessener [X.]rücksichtigung der Interessen des Gläu-bigers möglich sind, und beispielsweise das Zwangsversteigerungsverfahren vorübergehend einzustellen. In diese Prüfung ist das [X.]schwerdegericht rechts-fehlerhaft nicht mehr eingetreten.
3. Seine Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
Die Gutachterin ist zwar bei ihrer Einschätzung, wie erwähnt, von der ir-rigen Annahme ausgegangen, dem Schuldner sollten Existenz und Wohnung entzogen
werden. Daraus folgt aber nicht ohne Weiteres, dass ihre Schlussfol-gerung im Ergebnis unzutreffend ist. Die Schuldner haben nämlich in ihren Schreiben vom 28. Dezember 2008 und vom 9. Mai 2009 geltend gemacht, das Versteigerungsobjekt sei ein "in der Familie weitergegebenes Erbteil" des Schuldners, der eine "starke emotionale Bindung daran" habe. Der Verlust einer solchen Immobilie muss nicht so emotional besetzt sein, wie der Verlust von 11
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Existenz und Wohnung und muss deshalb den Erfolg der Krebsbehandlung
des Schuldners nicht gefährden. Dazu fehlen aber die erforderlichen Feststellungen.

IV.
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). [X.] weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Für die erneute Entscheidung ist nur noch dem Gesichtspunkt der Ge-fährdung der [X.]handlung des Schuldners nachzugehen.
b) Die Gutachterin wird unter Hinweis auf den tatsächlichen Gegenstand der Zwangsversteigerung um eine ergänzende Stellungnahme auch unter [X.]-rücksichtigung des zwischenzeitlich erreichten Fortschritts der [X.]handlung zu bitten sein. Das Ergebnis der ergänzenden [X.]fassung der Gutachterin wird [X.] mit den Interessen der Gläubigerin abzuwägen sein.
2. Da aus
dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der [X.] vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des [X.]-schwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis
zur erneuten Entscheidung des [X.]-schwerdegerichts gemäß §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 3 ZPO auszusprechen (Se-

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nat, [X.]schluss vom 7. Oktober 2010 -
V
ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421, 423).
Krüger
[X.]
Schmidt-Räntsch

Stresemann
Czub
Vorinstanzen:
AG [X.]ttrop, Entscheidung vom 11.03.2009 -
16 K 40/07 -

LG Essen, Entscheidung vom 03.02.2010 -
7 T 161/09 -

Meta

V ZB 48/10

21.07.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 48/10 (REWIS RS 2011, 4522)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4522

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Wird zitiert von

V ZB 115/15

Zitiert

V ZB 48/10

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