Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.
PDF anzeigenECLI:DE:BGH:2016:230216UVIZR86.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
TEILVERSÄUMNIS-
und SCHLUSSURTEIL
VI ZR 86/15
Verkündet am:
23. Februar 2016
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-
2
-
Der VI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
23. Februar 2016
durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Well-ner und Stöhr und die Richterinnen Dr. Oehler
und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
Auf die Revision des
Klägers
wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Dezember 2014 aufgeho-ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Die Einspruchsfrist wird auf vier Wochen festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der
Kläger (im Folgenden als "die klagende Partei"
bezeichnet)
nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit dem Beitritt zu einem geschlossenen Im-mobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wegen behaupteter Prospektmängel auf Schadensersatz in Anspruch.
1
-
3
-
Mit ihrer Ende des Jahres 2011 bei dem Landgericht eingereichten Klage verlangt
die klagende Partei Zahlung und Freistellung Zug um Zug gegen Über-tragung des Gesellschaftsanteils sowie Feststellung. Die der Klage beigefügten Abschriften
weisen den Stempel "Beglaubigte Abschrift"
auf, sind aber nicht durch Unterschrift des Rechtsanwalts beglaubigt. Unter Verwendung dieser Ab-schriften wurde die Klage den Beklagten zu 1 und 3 bis
8 im Januar 2012
durch Postzustellungsurkunde zugestellt. Dem Beklagten zu 2, der unbekannten Auf-enthalts ist, wurde die Klageschrift durch öffentliche Zustellung zugestellt.
Das Landgericht hat der Klage -
in Bezug auf den Beklagten zu 2 durch Versäumnisurteil
-
im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklag-ten zu 1 und 3 bis 8 hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts inso-weit abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der klagenden Partei, mit der diese die weitergehende Verurteilung aller Beklagten erstrebt hat, hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die klagende Partei ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt, eventuelle Forderungen gegen die Beklagten zu 1
und 3 bis 8 (im Folgen-den Beklagte) seien verjährt. Die Klage sei zunächst nicht rechtshängig gewor-den, weil eine beglaubigte Abschrift nicht zugestellt worden sei. Eine Heilung gemäß §
189 ZPO sei nicht eingetreten. Nach dieser Vorschrift könnten nur Mängel des Zustellungsvorgangs
geheilt werden, nicht aber solche, die dem zuzustellenden Dokument selbst anhafteten. Rechtshängigkeit sei daher erst 2
3
4
-
4
-
-
ex nunc
-
durch die rügelose Einlassung der Beklagten im Termin zur mündli-chen Verhandlung vor dem Landgericht eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt sei die zehnjährige Verjährungsfrist, die gemäß Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 1.
Januar 2002 zu laufen begonnen habe, bereits abgelaufen gewesen.
Die Berufung der klagenden Partei gegen den Beklagten zu 2 habe kei-nen Erfolg, weil die Klage insoweit nicht rechtshängig geworden und daher un-zulässig sei.
Die Wirksamkeit der
öffentlichen Zustellung setze voraus, dass eine beglaubigte Abschrift der Klage in der Zeit des Aushangs der Benachrich-tigung auf der Geschäftsstelle tatsächlich vorhanden sei und eingesehen wer-den könne. Dies sei nicht der Fall gewesen, weil sich lediglich eine einfache, nicht aber eine beglaubigte Abschrift der Klage auf der Geschäftsstelle des Ge-richts befunden habe.
II.
Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel der klagenden Partei ist, soweit es sich gegen den
Beklagten zu 2
richtet, antragsgemäß durch Ver-säumnisurteil zu entscheiden, da er in der mündlichen Verhandlung trotz ord-nungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Ur-teil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (BGH, Ur-teil vom 4.
April 1962
-
V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81
ff.).
1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann eine Verjährung der von der klagenden Partei gegen die Beklagten
geltend gemachten Ansprüche nicht bejaht werden. Die Ansprüche sind durch die im Januar 2012
erfolgte Zu-stellung der Klageschrift
rechtshängig geworden, § 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1, §§
166, 168, 169, 189 ZPO. Die Zustellung der Klage wirkt gemäß § 167 ZPO 5
6
7
-
5
-
auf den Zeitpunkt ihres Eingangs zurück, so dass die gemäß Art. 229 § 6 Abs.
4 Satz 1 EGBGB seit dem 1. Januar 2002 laufende zehnjährige (absolute) Ver-jährungsfrist (§
199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB) noch im Jahr 2011 gehemmt wor-den ist, §
204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
a) Zwar geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass zur Erhe-bung der Klage die Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift er-forderlich ist, § 253 Abs. 1, §§ 166 ff. ZPO.
aa) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift), § 253 Abs. 1 ZPO. Zustellung ist die Bekanntgabe eines Doku-ments an eine Person in der in dem Titel 2 des ersten Buches der Zivilprozess-ordnung (§§ 166 ff.
ZPO) bestimmten Form, § 166 Abs. 1 ZPO. Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben ist, sind von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, § 166 Abs. 2 ZPO. Die nach dieser Vorschrift von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dabei ist die Zu-stellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält. Denn eine besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen materiell-
oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2010 -
XII ZB 132/09, BGHZ 186, 22 Rn. 13; BT-Drucks. 14/4554,
S.15
f.).
bb) Die von der Revision dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch. Durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im ge-richtlichen Verfahren vom 25. Juni 2001 (Zustellungsreformgesetz, BGBl. I S.
1206) ist das Erfordernis der Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Kla-ge nicht beseitigt
worden
(BGH, aaO; ebenso Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 169 Rn. 9; PG/Tombrink, ZPO, 7. Aufl., § 169 Rn. 4; Rosen-8
9
10
-
6
-
berg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 75 Rn. 9; Roth in Stein/
Jonas, ZPO, 22. Aufl., §
169 Rn. 7; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., §
169 Rn. 12; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 169 Rn. 9, 20; aA Münch-KommZPO/Häublein, 4. Aufl. 2013, § 169 Rn. 3). Zwar ist seit Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes eine der
Vorschrift des § 170 Abs. 1 ZPO aF
ent-sprechende Regelung, wonach die Zustellung, wenn eine Ausfertigung zuzu-stellen war, in deren Übergabe, in den übrigen Fällen in der Übergabe einer beglaubigten Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks
bestand, im Gesetz nicht mehr enthalten. Gleichwohl lässt der Bedeutungszusammenhang der Vor-schriften
über die Zustellung, ihre Entstehungsgeschichte und ihr Sinn und Zweck nur die Auslegung zu, dass entsprechend dem früheren Rechtszustand die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend,
aber auch erforderlich ist, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält.
(1) Das Gesetz setzt die Notwendigkeit einer Beglaubigung nach wie vor voraus (vgl. Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 169 Rn. 20). Die Kla-geschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zu-stellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen, § 253 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Gemäß § 169 Abs. 2 ZPO in der Fassung des Zustellungs-reformgesetzes wird die Beglaubigung von der Geschäftsstelle vorgenommen. Dies gilt auch, soweit von einem Anwalt eingereichte Schriftstücke nicht bereits
von diesem beglaubigt wurden.
(2) Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber des Zustellungsreform-gesetzes mit der Aufhebung der Regelung des § 170 Abs. 1 ZPO aF bezweck-te, in den
Fällen, in denen das Gesetz keine ausdrückliche Regelung enthält,
die Zustellung einer einfachen Abschrift ausreichen zu lassen, ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte nicht. Die Gesetzesbegründung enthält dazu keine 11
12
-
7
-
Ausführungen, obwohl dies bei einer beabsichtigten Änderung des bisherigen
-
seit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. S. 83) am 1. Oktober 1879 geltenden
(vgl. Hahn, Mat. II, S. 230 f. zu §§
166-168)
-
Rechtszustandes aufgrund der erheblichen
Bedeutung für die Praxis zu erwar-ten gewesen
wäre. Im Gegenteil geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass Schriftstücke (nur)
entweder in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift zuzustellen sind (BT-Drucks. 14/4554,
S. 16). Der Gesetzgeber sah es ferner als erforderlich an, die Beglaubigungsbefugnisse der Geschäftsstelle und des Anwalts weiterhin zu regeln.
Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass bei der Erstellung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes schlicht übersehen worden ist, dass die Vorschrift des §
170 Abs. 1 ZPO aF nicht nur die in
die Re-gelungen
der
§
166 Abs. 1, § 177
ZPO überführte
Definition der Zustellung ent-hielt, sondern zudem bestimmte, dass die
Übergabe mangels anderer materiell-
oder prozessrechtlicher Vorschriften in beglaubigter Abschrift zu geschehen hat.
(3) Der Sinn und Zweck der Beglaubigung wird durch das Zustellungsre-formgesetz nicht in Frage gestellt. Der Beglaubigung kommt nach wie vor er-hebliche Bedeutung zu, wenn das Gesetz keine andere Form -
wie etwa die Ausfertigung -
erfordert. Durch den Akt der Beglaubigung soll die Übereinstim-mung zwischen Urschrift und Abschrift hinreichend sichergestellt werden (vgl. Hahn, Mat.
II, S. 231 zu §§ 166-168). Es sollen die Schwierigkeiten vermieden werden, die entstehen, wenn eine Abschrift zugestellt wird, die nicht mit der Ur-schrift übereinstimmt. Deshalb hat der Beglaubigende zu erklären, die zuzustel-lende Abschrift sei von ihm mit der in seinem Besitz befindlichen Vorlage vergli-chen worden und stimme mit dieser völlig überein. Die Beglaubigung ist daher nach wie vor ein wesentliches Erfordernis des Zustellungsaktes. Ohne sie ist die Zustellung unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1971 -
VII ZR 13
-
8
-
111/70, BGHZ 55, 251, 252;
BGH, Urteil vom 12. März 1980 -
VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 227).
b) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht aber, der Mangel der
ord-nungsgemäßen Zustellung der Klageschrift an die Beklagten sei nicht dadurch geheilt worden, dass ihnen
einfache Abschriften
der Klageschrift zugestellt wor-den sind, §
189 ZPO.
Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachwei-sen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschrif-ten zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in der das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerich-tet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist, § 189 ZPO. So liegt es hier hin-sichtlich der an die Beklagten gerichteten Zustellungen.
aa) Die Klageschrift ist den Beklagten tatsächlich zugegangen. Dass und in welchen Teilen die ihnen zugestellten
Abschriften
die Klageschrift nach Inhalt und Fassung nicht vollständig wiedergeben, haben sie nicht geltend gemacht. Jedenfalls ist zugunsten der Revision zu unterstellen, dass die zugestellten Ab-schriften mit der Urschrift der Klage deckungsgleich sind, nachdem das Beru-fungsgericht Feststellungen dazu nicht getroffen hat.
bb) Zu Unrecht geht das Berufungsgericht
davon aus, nach der Vorschrift des §
189 ZPO sei eine Heilung nur möglich, wenn der Empfänger eine beglau-bigte Abschrift der Klageschrift erhalten habe, und lediglich der Zustellungsvor-gang selbst Mängel aufweise. Diese Auslegung wird der
Vorschrift nicht
ge-recht. Sie ist vielmehr nach ihrem Wortlaut, dem Bedeutungszusammenhang, ihrem Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte dahin auszulegen, dass es sich bei der durch die Geschäftsstelle veranlassten Zustellung einer einfa-14
15
16
17
-
9
-
chen statt einer beglaubigten
Abschrift der Klageschrift um eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften handelt, die nach § 189 ZPO geheilt wer-den kann
(so auch MünchKommZPO/Häublein, 4. Aufl., § 169 Rn. 4, §
189 Rn.
7; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl.,
§ 189 Rn. 2; Rosenberg/
Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 75 Rn. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 189 Rn. 6; Zimmermann, ZPO, 9. Aufl., § 189 Rn. 2; aA Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 189 Rn. 16;
PG/Tombrink, ZPO, 7. Aufl., § 189 Rn.
2; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., ZPO §
169 Rn. 20; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl.,
§ 189 Rn. 8; Hartmann in Baum-bach/Lauterbach, ZPO, 73.
Aufl., § 189 Rn. 7).
(1) Die Vorschrift des § 189 ZPO setzt eine Verletzung zwingender Zu-stellungsvorschriften voraus. Welche Vorschriften Zustellungsvorschriften in diesem Sinne sind, ist nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig, son-dern durch Auslegung zu ermitteln.
Nach überwiegender -
allerdings in Zweifel gezogener (BGH, Beschluss vom 24. März 1987 -
KVR
10/85, BGHZ 100, 234, 238 f.)
-
Ansicht zu dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes war
die Rege-lung des §
170 Abs. 1 ZPO aF
als Zustellungsvorschrift anzusehen
(BGH, Urtei-le
vom 11. März 1954 -
III ZR 377/52, BeckRS 2015, 10045;
vom 8. Oktober 1964 -
III ZR 152/63, NJW 1965, 104;
vom 25. Januar 1980 -
V ZR 161/76, NJW 1980, 1754, 1755; vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember 2013 -
21 U 23/11, juris Rn. 54). Begründet wurde dies zum einen mit ihrer Stel-lung bei den Zustellungsvorschriften
sowie zum anderen damit, dass
das zuzu-stellende Schriftstück im Sinne von § 187 ZPO aF die Klageschrift (selbst) sei
und die Beglaubigung der Abschrift nur zur Wahrung der vorgeschriebenen Form der Zustellung gehöre
(BGH, Urteil vom 11. März 1954
-
III ZR 377/52, aaO).
18
19
-
10
-
Dem schließt sich der Senat für den Fall der Zustellung der Klageschrift auch für den heutigen Rechtszustand nach Inkrafttreten des Zustellungsreform-gesetzes an. Das Erfordernis, bei dem Zustellungsakt eine beglaubigte Ab-schrift der Klageschrift zu verwenden, stellt eine Zustellungsvorschrift im Sinne von § 189 ZPO (§
187 ZPO aF) dar. Zuzustellendes
Dokument
ist gemäß § 253 Abs. 1 in Verbindung mit § 166 Abs. 1 ZPO
(§ 170 Abs. 1 ZPO aF) die Klage-schrift. Wie und in welcher Form ihre Zustellung zu erfolgen hat
-
durch Über-gabe
einer beglaubigten Abschrift, deren Einlegung in den Briefkasten oder Niederlegung gemäß § 166 Abs. 1, §§
177 ff. ZPO
-
ist Teil des in den Zustel-lungsvorschriften festgelegten Zustellungsvorgangs
(vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember 2013 -
21 U 23/11, juris Rn. 54; MünchKommZPO/Häublein, 4. Aufl., § 169 Rn. 4, § 189 Rn. 7).
(2) Nur diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Hei-lungsvorschrift des § 189 ZPO. Allgemein
hat § 189 ZPO den Sinn, die förmli-chen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen, son-dern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungs-zweck anderweitig erreicht wird. Der Zweck der Zustellung ist es, dem Adressa-ten angemessene Gelegenheit zu
verschaffen, von einem Schriftstück
Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren (BGH, Urtei-le
vom 27.
Januar 2011 -
VII ZR 186/09, BGHZ 188, 128 Rn. 47; vom 19. Mai 2010 -
IV ZR 14/08, VersR 2010, 1520
Rn. 16; BT-Drucks. 14/4554,
S. 24; vgl. auch BVerwGE 104, 301, 313 f.; BFHE 192, 200, 206;
jeweils zu § 9 Abs. 1 VwZG aF).
Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme -
wie hier
-
gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang fest, bedarf es besonderer Gründe, die Zustel-lungswirkung entgegen dem Wortlaut der Regelung in § 189 ZPO nicht eintre-ten zu lassen (BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 -
VII ZR 166/09, aaO). Solche 20
21
22
-
11
-
sind bei der Zustellung einer Klageschrift -
anders als in den Fällen, in denen beispielsweise durch die Zustellung einer Ausfertigung von vornherein jegliche Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit des zugestellten Schriftstücks aus-geschlossen sein sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1987 -
KVR 10/85, BGHZ 100, 234, 237, 241,
zu einer Untersagungsverfügung des Bundeskartell-amts; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2010 -
XII ZB 132/09, BGHZ 186, 22, Rn.
7
ff.)
-
nicht ersichtlich.
Soweit eingewendet wird, es sei dem Empfänger nicht zuzumuten, die Authentizität der bei der Zustellung verwendeten Abschrift selbst zu prüfen
(Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., ZPO § 169 Rn. 20, §
189 Rn.
14), greift das zu kurz.
Der Empfänger ist allerdings nicht gehalten, die Überein-stimmung der ihm zugestellten Abschrift mit der Urschrift der Klageschrift selbst zu überprüfen. Stellt er die
fehlende Beglaubigung der ihm übergebenen Ab-schrift fest, steht es ihm frei, dies zu rügen, gegebenenfalls Fristverlängerung zu beantragen und von der Geschäftsstelle, die die zuzustellenden Schriftstü-cke gemäß §
169 Abs. 2 ZPO zu beglaubigen hat, die Klärung zu verlangen, ob die ihm zugestellte Abschrift der Urschrift in Fassung und Inhalt vollständig ent-spricht. Auf diesem Weg tritt im Interesse aller Prozessbeteiligten möglichst schnell zutage, ob die Verletzung der Zustellungsvorschriften gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist, oder die Zustellung wiederholt werden muss.
Auch dann, wenn -
wie hier
-
die fehlende Beglaubigung erst im Laufe des Prozesses erkannt wird, hat der Zustellungsempfänger durch die Heilung keine Rechtsnachteile zu befürchten. Denn eine Heilung tritt nur ein, wenn ihm die Klageschrift tatsächlich zugegangen war, § 189 ZPO
(vgl. BGH, Urteil vom 11. März 1954 -
III ZR 377/52, BeckRS 2015, 10045). Im Übrigen können
Ab-weichungen einer zugestellten Abschrift
oder Ausfertigung von der Urschrift
nicht zu Lasten des Zustellungsempfängers gehen (Hahn, Mat. II, S. 231, zu 23
24
-
12
-
§§
166-168; vgl. auch Senat,
Urteil vom 26. Oktober 1976 -
VI ZR 249/75, BGHZ 67, 284, 288,
zur Zustellung einer Urteilsausfertigung; BAG,
NZA 2015, 701 Rn. 39; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22.
Aufl., § 169 Rn. 15).
(3) Aus der Entstehungsgeschichte des Zustellungsreformgesetzes er-geben sich
keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Aufhe-bung der Regelung des § 170 Abs. 1 ZPO aF bezweckte, die Möglichkeit der Heilung einzuschränken
(vgl. aber Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 189 Rn. 16).
Eine solche Einschränkung verträgt sich weder mit dem Ziel des Zu-stellungsreformgesetzes, die Zustellung zu vereinfachen und die
Heilungsmög-lichkeit gemäß dem Vorbild des § 9 Abs. 1 VwZG aF auch auf Zustellungen auszudehnen, die den Lauf einer Notfrist in Gang setzen (BT-Drucks. 14/4554,
S.
13
f., 24 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 30. Dezember 2013 -
21 U 23/11, juris Rn. 54), noch damit, dass zwischenzeitlich durch die Einfügung von § 169 Abs.
3 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsver-kehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) zur Vereinfa-chung der Geschäftsabläufe die Möglichkeit der zentralen maschinellen Ferti-gung beglaubigter Abschriften eingeführt worden ist.
Auch
dem Umstand, dass die Gesetzesbegründung zu der Vorschrift des § 189 ZPO auf Mängel bei der "Ausführung der Zustellung"
abhebt
(BT-Drucks. 14/4554,
S. 24), lässt sich nicht
entnehmen, dass eine Heilung von Mängeln des zuzustellenden Schriftstücks nach dem Willen des Gesetzgebers nicht möglich sein sollte (vgl. aber Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl.,
§ 189 Rn.
14). Die Ausführung der Zustellung kann vielmehr ebenso wie
der Begriff des Zustellungsvorgangs auch die Frage umfassen, welche Form das in Aus-führung der Zustellung zu
übergebende Schriftstück
aufzuweisen hat.
25
26
-
13
-
(4) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht einer Heilung gemäß § 189 ZPO schließlich nicht entgegen,
dass dadurch das grundsätzliche Erfordernis der Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift auf Umwegen wieder aufgegeben würde. Die Aufgabe zwingender Zustellungsvor-schriften in jenen
(Einzel-)Fällen, in denen es -
aus welchen Gründen auch im-mer
-
zu ihrer Verletzung gekommen ist, ist jeder Heilung immanent. Sie findet ihre Begründung in der Prozesswirtschaftlichkeit und der materiellen Gerechtig-keit; Verfahrensvorschriften -
auch Zustellungsvorschriften
-
sind kein Selbst-zweck (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April 1979
-
GmS
-
OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 348; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 73. Aufl., § 189 Rn. 2, Einl III Rn. 10, 36 ff.; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Oktober 1954 -
III ZR 327/52, BGHZ 15, 142, 144). Das bedeutet indes nicht, dass kein Wert auf eine korrekte Zustellung zu legen wäre (Hartmann, aaO, § 189 Rn. 2). Denn nur so kann im Regelfall die Über-einstimmung zwischen Urschrift und Abschrift sichergestellt und die Zustellung von der Urschrift abweichender
Abschriften möglichst vermieden
werden.
c) Die gemäß Art. 229 § 6 Abs.
4 Satz 1 EGBGB seit dem 1. Januar 2002 laufende zehnjährige (absolute) Verjährungsfrist wurde durch die Einreichung der Klage noch im Jahr 2011 gehemmt, § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, §
204 Abs. 1 Nr. 1 BGB
in Verbindung mit § 167 ZPO. Nach dieser Vorschrift treten
die Wir-kung der Zustellung und damit die Hemmung der Verjährung bereits mit Ein-gang des Antrags ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
aa) Die Vorschrift des § 167 ZPO will die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellung schützen, die innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs liegen und von den Parteien nicht beeinflusst werden können.
Bei der Frage, ob eine Klagezustellung "dem-nächst"
im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist, können dem Kläger Versäumnisse 27
28
29
-
14
-
deshalb nur insoweit zugerechnet werden, wie sich feststellen lässt, dass die geforderte Handlung den Verfahrensgang verkürzt hätte (BGH,
Urteil vom 5.
Februar 2003 -
IV ZR 44/02, VersR
2003, 489, 490
mwN). Ein solches Ver-säumnis kann zwar auch darin bestehen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers es schuldhaft unterlässt, die für die Klagezustellung erforderlichen be-glaubigten Abschriften der Klageschrift einzureichen (BGH, Urteil vom 24. Juni 1974 -
III ZR 105/72, VersR 1974, 1106, 1107).
bb) Das in der fehlenden Beifügung einer beglaubigten Abschrift liegende Versäumnis der klagenden Partei hat den Verfahrensgang in dem hier vorlie-genden besonderen Fall aber nicht verzögert. Auf den von der Revisionserwide-rung geltend gemachten hypothetischen Geschehensablauf kommt es nicht an. Die Zustellung erfolgte ohne weitere Verzögerung unter Verwendung der von den Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei beigefügten Abschriften in Verkennung des Umstands, dass diese die erforderliche Beglaubigung nicht aufwiesen. Die Verletzung der Zustellungsvorschriften wurde -
wie oben ausge-führt
-
durch die Übergabe der einfachen Abschriften sogleich geheilt. Für die Annahme, die Zustellung sei wegen des Versäumnisses der klagenden Partei nicht "demnächst"
im Sinne von § 167 ZPO erfolgt, ist deshalb kein Raum.
2. Mit der von dem Berufungsgericht
gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der öffentlichen
Zustellung der Klageschrift an den Beklagten zu 2 nicht verneint werden.
a) Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist, §
185 Nr. 1 ZPO. Die öffentliche Zustellung erfolgt nach Bewilligung durch das Prozessgericht durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel 30
31
32
-
15
-
oder durch Einstellung in ein elektronisches
Informationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist, § 186 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Benachrichtigung muss die Person,
für die zugestellt wird, den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten, das Datum, das Aktenzeichen des Schriftstücks und die Bezeichnung des Prozessgegenstandes sowie die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann, erkennen lassen, § 186 Abs. 2 Satz 3
ZPO.
b) Schon dem eindeutigen Wortlaut dieser
Vorschriften lässt sich nicht entnehmen, dass -
wie das Berufungsgericht ohne Begründung annimmt
-
zu-sätzlich zu der auf der Geschäftsstelle vorhandenen und dort einsehbaren Ur-schrift der Klage eine beglaubigte Abschrift hätte vorgehalten werden müssen. Im Gegensatz zu dem vor dem Zustellungsreformgesetz geltenden Rechtszu-stand (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1980 -
VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 223, 227 ff.) ist der Aushang einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr vorgese-hen
(BT-Drucks. 14/4554,
S. 24).
III.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist auf-zuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-fungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO).
33
34
-
16
-
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen dieses Teilversäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von vier
Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch Einrei-chung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Galke
Wellner
Stöhr
Oehler
Roloff
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 23.05.2013 -
4 O 505/11 Me -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom
11.12.2014 -
9 U 98/13 -
Meta
23.02.2016
Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.02.2016, Az. VI ZR 86/15 (REWIS RS 2016, 15792)
Papierfundstellen: REWIS RS 2016, 15792
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VI ZR 79/15 (Bundesgerichtshof)
Zivilrechtsstreit: Zustellungsmangel bei Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift und dessen Heilung
VI ZR 85/15 (Bundesgerichtshof)
VI ZR 107/15 (Bundesgerichtshof)
VI ZR 110/15 (Bundesgerichtshof)
VI ZR 95/15 (Bundesgerichtshof)