Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2016, Az. IX ZB 66/15

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 3651

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:201016BIXZB66.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX
ZB
66/15
vom

20.
Oktober 2016

in dem Verbraucherinsolvenzverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

[X.] § 36 Abs. 1 Satz 1; [X.] § 54 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4; [X.] § 56; ZPO §§
850c, 850e Nr. 2 und Nr. 2a
Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung kann als laufende Geld-leistung insgesamt wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

[X.], Beschluss vom 20. Oktober 2016 -
IX [X.]/15 -
LG [X.]

[X.]

-

2

-

Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], die Richterin [X.], die Richter
Prof. [X.], [X.] und die Richterin Möhring

am
20.
Oktober 2016
beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu
1 wird der Beschluss der
Zivilkammer
XI des [X.] vom 6.
August 2015 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin
gegen den Beschluss des Amtsgerichts [X.]
vom 16.
Oktober 2014 wird [X.].

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Schuldnerin zu tra-gen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 2.531,76

Gründe:

I.

Über das Vermögen der am 15.
Februar 1943 geborenen Schuldnerin wurde auf ihren beim Insolvenzgericht am 11.
September 2014 eingegangenen 1
-

3

-

Antrag am 15.
September 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu
1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin bezieht bei der weiteren Beteiligten zu
2 eine gesetzliche Altersrente und bei der weiteren [X.] zu
3 eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Renten liegen jeweils unterhalb der Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkom-men

850c ZPO).

Der Insolvenzverwalter hat beantragt, beide
Renten nach §
36 Abs.
1 [X.], §
850e Nr.
2 und 2a ZPO zusammenzurechnen. Nach Zusammenrech-nung der Renten errechne sich ein
pfändbarer
Betrag in Höhe von monatlich 10,47

der unpfändbare Grundbetrag sei in erster Linie der gesetzlichen Altersrente zu entnehmen. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das [X.] diesen Beschluss aufgehoben. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Insolvenzverwalter die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht im voll-streckungsrechtlichen Rechtszug nach §
567 Abs.
1, §
793 ZPO, §
36 Abs.
4 Satz
1 [X.] die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§
575 ZPO). [X.] ist der weitere Beteiligte zu
1 durch die Aufhebung des Zusammenrech-nungsbeschlusses beschwert, weil aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts
ab dem 16.
Oktober 2014 ein pfändbarer
Betrag in die Insolvenzmasse fiel. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der ange-2
3
-

4

-

fochtenen Entscheidung (§
577 Abs.
5 ZPO) und zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

1. [X.] hat ausgeführt:
Die Pfändbarkeit der gesetzli-chen Unfallrente richte sich allein nach §
54 [X.]
I. Nach §
54 Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I seien Ansprüche auf Geldleistungen, die durch einen Körper-
oder Ge-sundheitsschaden bedingten Mehrbedarf ausglichen, unpfändbar. Die gesetzli-che Unfallrente erfülle verschiedene Funktionen und diene nicht allein dem [X.] wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern solle auch den eingetretenen immateriellen Schaden kompensieren und den durch die Körperschäden entstandenen Mehrbedarf ausgleichen. Wegen dieser verschie-denen Funktionen
sei die Unfallrente insgesamt unpfändbar.

2.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in einem ent-scheidenden Punkt nicht stand.

a)
Nach §
35 Abs.
1 [X.] erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach
§
36 Abs.
1 Satz
1 [X.] nicht zur Insolvenzmasse. §
850e
ZPO gilt entsprechend (§
36 Abs.
1 Satz
2 [X.]). Nach §
36 Abs.
1 Satz
2 [X.], §
850e Nr.
2 Satz
1 ZPO sind mehrere Arbeitseinkommen auf Antrag des Insolvenzverwalters (§
36 Abs.
4 Satz
2 [X.]) vom Insolvenzgericht als dem besonderen
Vollstreckungsgericht bei der Pfändung zusammenzurechnen. Nach §
36 Abs.
1 Satz
2 [X.], §
850e Nr.
2a Satz
1 ZPO sind mit dem Arbeitseinkommen ebenfalls auf Antrag des Insolvenzverwalters auch Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterwor-4
5
6
-

5

-

fen sind. Analog §
850e Nr.
2 und 2a ZPO
werden auch unterschiedliche lau-fende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammengerechnet, soweit sie pfändbar sind
([X.], Beschluss vom 5.
April 2005 -
VII
ZB
20/05, WM
2005, 1369, 1370; vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 247/08, [X.]Z
183, 258 Rn.
2, 11; vom 18.
September 2014 -
IX
ZB 68/13, NZI
2014, 957 Rn.
13).

Die Pfändbarkeit von Sozialleistungen ergibt sich aus §
54 [X.]
I. [X.] sind
laufende Geldleistungen unter den Voraussetzungen des §
54 Abs.
3 [X.]
I unpfändbar. Im Übrigen können sie nach §
54 Abs.
4 [X.]
I wie Arbeits-einkommen gepfändet werden. Wie das [X.] richtig gesehen hat, ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung deswegen nur dann unpfändbar, wenn sie nach §
54
Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I dafür bestimmt ist, den durch einen Körper-
oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszu-gleichen.

b)
Die Verletztenrente nach §
56 [X.]
VII ist entgegen der Ansicht des [X.] in voller Höhe nach §
54 Abs.
4 [X.]
I wie Arbeitseinkom-men pfändbar. Sie fällt nicht unter §
54 Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I.
Denn diese [X.] erfasst nicht Leistungen, die den durch Körper-
oder Gesundheits-schäden bedingten Einkommensverlust ausgleichen, weil dadurch kein Mehr-aufwand ausgeglichen wird
([X.]/[X.], [X.], 2009, §
54 [X.]
I Rn.
53; [X.]/Voelzke/[X.], jurisPK-[X.]
I, 2.
Aufl., §
54 [X.]
I Rn.
68; [X.] Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Siefert, 2016, §
54 [X.]
I Rn.
37; [X.]/[X.], 2016,
§
54 [X.]
I Rn.
12; [X.]/[X.], Soziale Kranke[X.]ersicherung, Pflegeversicherung, 2016, §
54 [X.]
I Rn.
27).

aa) Von den Zivilgerichten wurde die gesetzliche Unfallrente bislang als pfändbar angesehen (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Dezember 2005 -
VII ZB 7
8
9
-

6

-

62/05, [X.]; [X.], Beschluss vom 22. Januar 2009 -
8 [X.], BeckRS 2010, 03373 -
jeweils unter Hinweis auf §
850b ZPO; [X.], NZS
2015, 588). Ebenso hat das [X.] entschieden: Die Verletztenrente nach §
56 [X.]
VII stelle keine §
53 Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I un-terfallende Leistung dar ([X.] Aktuell 2014, 760 Rn.
37). Das [X.] hat die Entscheidung zwar abgeändert, zu dieser Frage jedoch keine Stellung genommen, weil es die [X.] im Gegensatz zum [X.] für unzulässig erachtet hat ([X.], Urteil vom 26.
April 2016

B 2 U 13/14 R, [X.] Aktuell 2016, 456 Rn.
16, 18
ff).

Die Literatur stimmt dem ganz überwiegend zu. Die Verletztenrente nach §§
56
ff. [X.]
VII gleiche nur den durch Körper-
und Gesundheitsschäden be-dingten Einkommensverlust aus und falle deswegen nicht unter §
54 Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I ([X.]/[X.], aaO; [X.]/Voelzke/[X.], aaO; Kasse-ler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Siefert, aaO; [X.] Kommen-tar zum Sozialversicherungsrecht/Ricke, 2016, §
56 [X.]
VII Rn.
2; Kohte in [X.]/[X.], Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3.
Aufl., [X.], 3., Rn.
19; vgl. [X.]/Stöber, ZPO, 31.
Aufl., §
850i Rn.
27; Stöber, Forderungspfändung, 16.
Aufl., Rn.
1369a, 1378; vgl. auch [X.], [X.]K
18, 377, 381).
Dem entspricht die Handhabung in der Praxis (vgl. [X.], [X.], 205, 206). [X.] wird allenfalls, ob ein
der Grundrente nach dem [X.]
entsprechender
Teil der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unpfändbar ist ([X.]/[X.]/[X.], [X.], 2010, §
56 [X.]
VII Rn.
8
im Hinblick auf §
18a Abs.
3 Nr.
4 [X.]
IV und §
93 Abs.
2 Nr.
2 [X.]
VI im Unterschied zu heute §§
11, 11a
[X.]
II).

10
-

7

-

bb)
Die Verletztenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung ist nach den Regelungen der §§
56
ff [X.]
VII
nicht dazu bestimmt, den durch einen Körper-
oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen

54 Abs.
3 Nr.
3 [X.]
I), ihr kommt vielmehr eine [X.] zu.

(1)
Auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen wird in der oberge-richtlichen Rechtsprechung diese [X.] der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung betont.

(a)
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem Erwerbsscha-den des Unfallgeschädigten in vollem Umfang kongruent, weil die Zweckbe-stimmung dieser Rente
ausschließlich im Ausgleich des (abstrakt berechneten) Erwerbsschadens
liegt

116 [X.]
X).
Sie stellt
eine gesetzlich geregelte [X.] dafür dar, dass der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, sich einen Erwerb
zu verschaffen. Dabei wird nicht auf den tatsächlich eingetretenen Verdienstentgang abgestellt, sondern nach [X.] der vollen Erwerbsfähigkeit ermittelt, inwieweit der Verletzte mit den ihm verbliebenen Kräften auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar noch in Wettbewerb treten kann. Die Verletztenrente stellt daher eine laufende pau-schale Entschädigung für Erwerbseinbußen dar ([X.], Urteil vom 3.
Dezember 2002 -
VI
ZR 304/01, [X.]Z
153, 113, 120
f).

Auch hat der [X.] nicht im Hinblick auf §
93 Abs.
2 Nr.
2a [X.]
VI
die Kongruenz zwischen dem zivilrechtlichen Erwerbsschaden und der vom Unfallversicherer gezahlten Verletztenrente teilweise verneint
([X.], aaO S.
124). §
93 Abs.
1 [X.]
VI trifft im Rahmen der gesetzlichen Rente[X.]ersiche-rung eine besondere Regelung für den Fall, dass die gesetzliche Rente mit wei-11
12
13
14
-

8

-

teren Sozialleistungen zusammentrifft ([X.], aaO S.
126). Diese Regelung be-zweckt die Verhinderung einer Doppelversorgung durch funktionsgleiche Leis-tungen aus verschiedenen Versicherungssystemen ([X.], aaO S.
127). §
93 Abs.
2 Nr.
2a [X.]
VI regelt davon abweichend, dass bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge ein Teil
der Verletztenrente aus der Unfallversicherung unberücksichtigt bleibt, um eine Besserstellung Schwerverletzter zu erreichen. Doch ist eine Absicht des Gesetzgebers, der Verletztenrente, über die bestehende Rechtslage hinausgehend, eine grund-sätzlich neue Funktion -
und sei es auch nur für einen Teilbetrag -
zuzuweisen, aus dieser Regelung nicht erkennbar
([X.], aaO S.
127, 129).

(b)
Der [X.] hat die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berufung auf die [X.] unterhaltsrecht-lich als Einkommen des Rentenempfängers angerechnet ([X.], Urteil vom 20.
Januar 1982 -
IVb [X.], NJW 1982, 1593; vom 13. April 1983 -
IVb [X.], NJW 1983, 1783, 1784; Dose in [X.]/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9.
Aufl., §
1 Rn.
121). Das [X.] hat die Verletztenrente bei der Ermittlung des wohngeldrechtlich maßgebenden Einkommens insgesamt angerechnet, weil sie eine laufende pauschale Entschädigung für einen abstrakt berechneten Erwerbsschaden durch unfallbedingte Erwerbseinbußen gewährt
(BVerwGE 101, 86, 89
f; [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2002 -
VI ZR 304/01, [X.]Z
153, 113, 123
f). Das Bun-dessozialgericht hat im Verhältnis der nachrangig zu leistenden Hilfe zum Le-bensunterhalt nach dem [X.] zur Verletztenrente nach §
56 [X.]
VII (§
76 [X.], heute §
82 [X.]
XII) den Zweck der Verletztenrente im Lohnersatz gesehen ([X.]E
90, 172, 176).

15
-

9

-

(c)
Allerdings hat das Beschwerdegericht mit Recht
auf den tatsächlichen Funktionswandel der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufmerksam gemacht (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2002, aaO S.
121
f., 124
ff). Das [X.] betont
in seiner Rechtsprechung, dass die Verletztenrente neben der Funktion des Einkommensersatzes auch die der Kompensation immaterieller Schäden (vgl.
[X.]E
82, 83, 93; 90, 172, 176)
und des Mehrbedarfsausgleichs
([X.]E
71, 299, 301
f; [X.], [X.] Aktuell 2008, 888, 894)
erfülle. Das bedeute
jedoch nicht, dass diese Funktionen einer "Zweckbestimmung"
im Sinne des §
77 Abs.
1 [X.] aF (§
83 Abs.
1 [X.]
XII)
gleichzuachten wären. Die von der Rechtsprechung aufgezeigten
Funktionen ergäben sich nicht -
wie dies §
77 Abs.
1 [X.]

83 Abs.
1 [X.]
XII)
voraus-setzten
-
unmittelbar aus dem Gesetz oder dem Gewährungszusammenhang
(vgl. auch [X.], [X.] Aktuell 2008, 888, 894; [X.]E
90, 172, 176).

(2)
Diese Überlegungen gelten auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung nach §
54 [X.]
I ge-pfändet werden kann.

(a)
Dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung lässt sich nicht ent-nehmen, dass die Verletztenrente auch nur teilweise nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sein soll. Dort ist
nicht geregelt, dass durch die Ren-tenzahlung immaterielle Schäden kompensiert und der Mehraufwand
ausgegli-chen werden soll. §§
56
ff [X.]
VII klären nur den Beginn, die Dauer und die Höhe sowie die Berechnungsmodalitäten der Verletztenrente. Nach dieser [X.] Konzeption handelt es sich daher bei der Verletztenrente um eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung, die ebenso wie der Arbeitslohn selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient
([X.],
16
17
18
-

10

-

[X.]K
18, 377, 384; [X.], [X.] Aktuell 2008, 888, 894; vgl. BVerwGE 101, 86, 89; [X.]E
90, 172, 176).

Auch wenn der gesetzlichen Unfallversicherung zusätzlich
die Funktion zukommt, Nichterwerbsschäden abzugelten, ergibt sich dies nicht aus der ge-setzlichen Regelung der Verletztenrente in §§
56
ff [X.]
VII, sondern folgt aus der tatsächlichen Änderung der wirtschaftlichen, technischen und [X.] Rahmenbedingungen, die dazu geführt hat, dass eine Minderung der [X.] bei leichten oder mittelschweren Unfällen keine oder fast keine Lohn-einbußen und auch bei schweren Unfällen nur teilweise Lohneinbußen [X.]. Dieser "tatsächliche"
oder "wirtschaftliche Funktionswandel"
ist jedoch nicht mit einer Zweckbestimmung durch den Gesetzgeber selbst
gleichzusetzen ([X.], [X.]K
18, 377, 384, 385; [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2002 -
VI
ZR 304/01, [X.]Z 153, 113, 121
f).

(b)
Die generelle Unpfändbarkeit der Ansprüche der Schuldnerin gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wäre auch aus verfassungs-rechtlichen Gründen nicht zu rechtfertigen. Zu den Eigentumsrechten im Sinne von Art.
14 Abs.
1 GG gehören auch schuldrechtliche Forderungen. Der verfas-sungsrechtlich gewährleistete Schutz erstreckt sich insbesondere auf das
Befriedigungsrecht des Gläubigers. Der Staat, der selbst das Zwangsvoll-streckungsmonopol ausübt, darf den davon betroffenen Gläubigern das Ein-kommen bestimmter Schuldnerkreise
nicht generell als Haftungsgrundlage ent-ziehen. Pfändungsverbote sind nur aus Gründen des Sozialstaatsprinzips (Art.
20 Abs.
1, Art.
28 Abs.
1 GG) gerechtfertigt, um die eigene Lebensgrund-lage des Schuldners durch Pfändungsfreibeträge (§§
850
ff ZPO) zu sichern ([X.], Beschluss vom 25.
August 2004 -
IXa
ZB 271/03, [X.]Z 160, 197, 200).

19
20
-

11

-

(c)
Schließlich ist den Anrechnungsvorschriften der §
18a Abs.
3 Satz
1 Nr.
4 [X.]
IV und §
93 Abs.
2 Nr.
2 [X.] VI nicht zu entnehmen, dass die [X.] nach §
56
[X.]
VII zumindest in Höhe der Grundrente unpfänd-bar sein müsse. Der Gesetzgeber lässt schon nicht einen der Grundrente nach dem [X.] entsprechenden
Betrag bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung in allen sozialrechtlichen Anrechnungsvorschriften unberücksichtigt. Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist eine Privilegierung der
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe der Grundrente nach §
31 [X.] vielmehr nach §§
11, 11a [X.]
II nicht vorgesehen. Eine dahin erweiterte Auslegung des §
11a Abs.
1 Nr.
2 [X.]
II kommt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift grundsätzlich nicht in [X.] ([X.], [X.]-4200 §
7 Nr.
4
Rn.
20; Eicher/[X.], [X.]
II, 3.
Aufl., §
11a Rn.
7; [X.]/[X.], [X.]
II/[X.]
III, 2016, §
11a [X.]
II
Rn.
11 [X.]; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2015, §
11a [X.]I Rn.
83). Im Übrigen folgt aus der teilweisen Privilegierung der Verletztenrente in Höhe der Grund-rente im Recht der Sozialleistungen noch nicht die entsprechende [X.]. Diese hätte der Gesetzgeber in §
54 [X.]
I ausdrücklich regeln müssen.

Von Verfassungs
wegen ist die Unpfändbarkeit eines Teils der Ver-letztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht geboten. Schüt-zenswerte Interessen der Schuldnerin werden durch die Möglichkeit der Pfän-dung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in vollem Um-fang, der Zusammenrechnung ihrer beiden Renten und der sich daraus [X.] ergebenden teilweisen Pfändbarkeit nicht berührt. Wegen ihrer ([X.]) krankheitsbedingten Mehraufwendungen kann sie nämlich nach §
850f Abs.
1 Buchst.
b ZPO, auf den §
54 Abs.
4 [X.]
I verweist (Zöl-ler/Stöber, ZPO, 31.
Aufl., §
850i Rn.
35), eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages verlangen, wenn die Voraussetzungen dieser Regelung vorliegen (vgl. 21
22
-

12

-

zur Erhöhung des [X.] wegen der Kosten einer medizinischen Behandlung [X.], Beschluss vom 23.
April 2009 -
IX
ZB 35/08, [X.], 2313
Rn.
10).

c)
Ebenso ist die gesetzliche Altersrente
nach §
54 Abs.
4
[X.]
I wie [X.] pfändbar (vgl. [X.], Beschluss vom 10.
Oktober 2003 -
IXa
ZB 180/03, NJW
2003, 3774, 3775).
Dies wird von der Schuldnerin auch nicht in Frage gestellt.

Kayser [X.] Pape

[X.] Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.10.2014 -
G1 [X.] 826/14 (2) E -

LG [X.], Entscheidung vom 06.08.2015 -
11 [X.] -

23

Meta

IX ZB 66/15

20.10.2016

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2016, Az. IX ZB 66/15 (REWIS RS 2016, 3651)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3651

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 66/15 (Bundesgerichtshof)

Verbraucherinsolvenzverfahren: Pfändbarkeit der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung


VII ZB 31/12 (Bundesgerichtshof)


VII ZB 47/11 (Bundesgerichtshof)


VII ZB 74/11 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 68/13 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZB 66/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.