Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 19.12.1996, Az. 7 U 96/96

7. Zivilsenat | REWIS RS 1996, 594

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.3.1996 - 5 O 342/95 - wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegenüber dem beklagten Land ein Anspruch auf Ersatz der mit der Klage verfolgten materiellen und immateriellen Schäden nicht zu. Die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG liegen nicht vor.

Es kann dahinstehen, ob Amtsträger des beklagten Landes dadurch schuldhaft gegen ihnen obliegende Amtspflichten verstoßen haben, daß sie die Beschwerden des Klägers nicht oder nicht rechtzeitig an die zuständigen Dienststellen weitergeleitet haben. Denn jedenfalls fehlt es an der notwendigen Kausalität zwischen der angeblichen Amtspflichtverletzung und den behaupteten Schäden des Klägers. Der Kläger wäre auch bei sofortiger Weiterleitung seiner Beschwerden voraussichtlich nicht vor dem 23.1.1992 aus der Haft entlassen worden.

1)

Entgegen der Ansicht des Klägers steht ein anhängiges Individualbeschwerdeverfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EMRK) nach Art. 25 MRK der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht entgegen. Insbesondere stellt ein solches Verfahren kein Vollstreckungshindernis im Sinne des [ref=a73ac4a8-0790-4ac8-9bb8-8591061670da]§ 458 StPO[/ref] dar.

Im Grundsatz entspricht es der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, rechtskräftige Urteile auch zu vollstrecken. Der Staat kann und darf hierauf - abgesehen vom Fall der Amnestie oder der Begnadigung - nicht nach seinem Belieben generell oder im Einzelfall verzichten. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller im Strafverfahren Beschuldigter erfordern grundsätzlich, daß der Strafanspruch durchgesetzt und rechtskräftig verhängte Strafen vollstreckt werden (BVerfGE 46, 214 (222 f.); Wendisch in Löwe-Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung, 24. Aufl., 1989, § 449, Rdnr. 6), sofern nicht ein Vollstreckungshindernis entgegensteht, das die Strafvollstreckung unzulässig macht. Um ein solches Vollstreckungshindernis handelt es sich bei der Anhängigkeit einer Individualbeschwerde vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte, mit der die überlange Dauer eines Strafverfahrens und damit ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK gerügt werden soll, nicht.

Es ist schon unklar, welche innerstaatliche Bedeutung Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich der Vollstreckung eines Rechtsaktes haben, dessen Konventionswidrigkeit festgestellt wurde. Gesichert ist derzeit nur, daß sie - als Feststellungsurteil - den innerstaatlichen Rechtsakt unangetastet lassen und insbesondere die Rechtskraft eines konventionswidrig erlassenen Richterspruchs nicht durchbrechen (BVerfG NJW 1986, 1425 (1426); Frowein/Peukert, Kommentar zur MRK, 1986, Art. 50, Rdnr. 3). Vielmehr ist es Sache des verurteilten Staates, das Urteil umzusetzen (EGMR NJW 1979, 2449 (2453)). Diese begrenzte Wirkung der Urteile des Gerichtshofes zeigt sich nicht zuletzt an Art. 50 MRK, demzufolge der Gerichtshof Entschädigung selbst nur für den Fall zubilligt, daß die innerstaatlichen Gesetze der Mitgliedsstaaten nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestatten. Für die Frage der Fortgeltung und der Wirkung einer für konventionswidrig erklärten Maßnahme ist somit in erster Linie das innerstaatliche Recht ausschlaggebend (Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 53, Rdnr. 3). Daraus ergibt sich, daß die zuständigen innerstaatlichen Stellen angesichts ihrer Pflicht, rechtskräftige Urteile zu vollstrecken, allein aufgrund des Umstandes, daß der Kläger eine Individualbeschwerde vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte anhängig gemacht hat, nicht, auch nicht zeitweise auf die Vollstreckung der gegen ihn verhängten Ersatzfreiheitsstrafe hätten verzichten dürfen.

2.

Selbst wenn man aber dem Kläger darin folgt, die Vorschrift des § 458 ZPO auf Fälle wie den vorliegenden entsprechend anzuwenden, so hätte dies den Fortgang des Verfahrens nicht gehemmt ([ref=7831ae8f-cb4e-4bdc-801b-79931cceb7a9]§ 458 Abs. 3 S. 1 1. Halbsatz StPO[/ref]). Allerdings kann das Gericht im Einzelfall einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen (§ 458 Abs. 3 S. 1 2. Halbsatz StPO). Da es sich dabei um eine Ermessensentscheidung handelt, kommt es für die Frage des Ursachenzusammenhangs nicht darauf an, wie nach Auffassung des über den Ersatzanspruch erkennenden Gerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen (BGH NJW 1986, 1924 (1925)). Es muß vielmehr - in Anwendung des § 287 ZPO - festgestellt werden, daß bei rechtmäßiger Ermessensausübung der Schaden nicht eingetreten wäre. Für einen Anspruch auf Schadensersatz besteht deshalb kein Raum, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde oder das Gericht bei fehlerfreier Ausübung des Ermessens zu demselben Ergebnis gelangt wäre (BGH VersR 1985, 887).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß eine Schadensersatzpflicht nur angenommen werden könnte, wenn das Vollstreckungsgericht in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens auf die Beschwerden des Klägers dahin entschieden hätte, daß die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe aufgeschoben bzw. unterbrochen wird. Eine solche Feststellung kann jedoch nicht getroffen werden.

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, daß zum Zeitpunkt der Inhaftierung des Klägers die Zulässigkeit des Verfahrens vor der Kommission noch nicht gesichert war. Diese hat in ihrem Beschluß vom 2.12.1991 ("Decision of the Commission") insoweit weitere Informationen für notwendig gehalten und sich die Entscheidung über die Zulässigkeit offengehalten; zugelassen wurde die Beschwerde erst durch Beschluß vom 8.9.1992. Es war mithin noch vollkommen ungewiß, ob die vom Kläger eingelegte Individualbeschwerde die Zulässigkeitshürde nehmen würde.

Desweiteren tritt hinzu, daß sich die Beschwerde allein gegen die überlange Verfahrensdauer richtete. Sofern es indessen nur um einen Verfahrensfehler geht, kann dieser für die Frage der Vollstreckung des auf diesem Wege zustandegekommenen Urteils nach weitverbreiteter Ansicht nur dann von Bedeutung sein, wenn er dessen Charakter als "ordnungsgemäßen Justizakt" in Frage stellen würde (Stöcker, NJW 1982, 1905 (1908); Klein, in: Mahrenholz/Hilf/Klein, Entwicklung der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarates, Oktober 1987, S. 43 ff. (63); offengelassen von BVerfG NJW 1986, 1425 (1426)). Denn wenn die Konventionsverletzung ausschließlich im innerstaatlichen Verfahren liegt, so stellt die Verurteilung selbst nicht notwendig eine Konventionsverletzung dar. Besonders signifikant ist dies im Falle einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK: Die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe soll deshalb selbst dann konventionsgemäß sein, wenn das Urteil das Ergebnis eines überlangen Verfahrens gewesen ist (Stöcker a.a.O., 1908). Ob dem zu folgen ist, kann hier letztlich auf sich beruhen.

Bei der vom Kläger erhobenen Rüge vor der Europäischen Kommission konnte es überhaupt nur darum gehen, eine Korrektur der Strafzumessung zu erreichen. Diesen Gesichtspunkt hatte aber bereits das Landgericht Augsburg in seinem Urteil vom 29.7.1988 - 7 Ns 12 Js 60231/89 - angesprochen. Zur Strafzumessung wird dort nämlich unter anderem ausgeführt:

"Dem Angeklagten mag zugute gehalten werden, daß die Bearbeitung der Sache sehr zögerlich vor sich gegangen ist. Dies lag aber nicht zuletzt an den vielen Schreiben des Angeklagten, die jeweils eine Aktenzusammenführung notwendig machten.

Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erschien der Kammer eine reduzierte Geldstrafe ... schuldangemessen und ausreichend."

Zwar kann dem Urteil nicht mit Sicherheit entnommen werden, ob die (später) von der Europäischen Kommission gerügte überlange Verfahrensdauer strafmildernd berücksichtigt worden ist. Die gewählte Formulierung "nicht zuletzt" spricht jedoch dafür, daß die nach dem Wortlaut des Vordersatzes zugebilligte Strafmilderung wegen besonderer beim Kläger vorliegender Umstände nur teilweise wieder eingeschränkt werden sollte. So hat dann auch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 27.9.1989 (2 BvR 1822/88 und 602/89) die Verfassungsbeschwerde des Klägers unter anderem deshalb nicht angenommen, weil "die Fachgerichte der langen Verfahrensdauer ... durch Berücksichtigung der Gesamtumstände im Rechtsfolgenausspruch Rechnung getragen (haben)". Daß dies nicht, wie das Bundesverfassungsgericht weiter ausgeführt hat, "in dem verfassungsrechtlich gebotenen Maße geschehen, daß also durch die Verurteilung (der) Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren ... verletzt worden sei, läßt sich gleichfalls nicht feststellen."

Bei Würdigung dieser Umstände lag es aber eher fern, daß sich das Vollstreckungsgericht auf die Beschwerde des Klägers über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt und dem Kläger Strafaufschub gewährt hätte.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den [ref=ca6450f6-5b3a-48e8-9590-62876d93d505]§§ 708 Nr. 10, 713 ZPO[/ref].

Die Beschwer entspricht dem im Beschluß vom 17.7.1996 bereits festgesetzten Streitwert von 14.620,- DM.

Meta

7 U 96/96

19.12.1996

Oberlandesgericht Köln 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 19.12.1996, Az. 7 U 96/96 (REWIS RS 1996, 594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 1996, 594

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 180/10 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Massezugehörigkeit einer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugesprochenen Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und des …


IX ZR 180/10 (Bundesgerichtshof)


X K 11/12 (Bundesfinanzhof)

Vertretungszwang auch bei Entschädigungsklagen - Vereinbarkeit des Vertretungszwangs mit höherrangigem Recht


2 W 108/00 (Oberlandesgericht Köln)


2 BvR 1380/08 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Keine Grundrechtsverletzung durch Versagung von PKH für auf § 580 Nr 7 Buchst b …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.