Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. II ZR 156/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9611

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Gegenstand

Haftung von Vereinsvorständen für masseschmälernde Zahlungen nach Insolvenzreife: Anforderungen an die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache


Leitsatz

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind .

2. Vereinsvorstände haften nicht analog § 64 Abs. 2 GmbHG in der Fassung vom 5. Oktober 1994 (= § 64 Satz 1 GmbHG in der Fassung vom 23. Oktober 2008), § 93 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 92 Abs. 3 AktG, § 99 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG für masseschmälernde Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife des Vereins. § 42 Abs. 2 BGB enthält keine "planwidrige" Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der genannten Vorschrift möglich oder erforderlich machen würde .

Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der [X.] beabsichtigt, die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 19. Juni 2009 durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO zurückzuweisen.

Streitwert: 186.736,55 €

Gründe

1

Zulassungsgründe liegen nicht vor; die Revision des [X.] hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

2

1. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts geboten.

3

a) aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] hat eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist (siehe grundlegend hierzu [X.], 221, 223 f.; 154, 288, 291 ff.). [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn die durch das Berufungsurteil aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom [X.] bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (s. [X.]/[X.] 3. Aufl. § 543 Rdn. 7; Musielak/Ball, ZPO 7. Aufl. § 543 Rdn. 5 a, [X.]. m.w.Nachw.). Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (s. nur [X.], NJW-RR 2009, 1026 [X.]. 14).

4

bb) Danach hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob Vereinsvorstände analog §§ 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG n.F.), 93 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. 92 Abs. 3 [X.], 99 Abs. 2 i.V.m. 34 Abs. 3 Nr. 4 [X.] für masseschmälernde Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife des [X.], ist - jedenfalls jetzt - nicht mehr klärungsbedürftig, sondern nach dem geltenden Recht eindeutig zu beantworten.

5

Die vereinzelt in der Literatur ([X.], [X.], 176; [X.]. [X.] 2008, 605; [X.], [X.] 2005, 230; ihnen regelmäßig ohne eigene Begründung folgend [X.]/[X.] 5. Aufl. § 64 Rdn. 17; ebenso [X.], [X.] 2009, 366, 369 f.; [X.]/[X.], [X.] 2009, 173, 179 f.; Hirte, FS [X.], 222, 228 - letztere alle für Stiftungsvorstände) reklamierte "planwidrige" Regelungslücke in § 42 Abs. 2 BGB besteht de lege [X.] offensichtlich nicht. Ihr angebliches Vorhandensein war auf der Grundlage des geltenden Rechts vom Gesetzgeber selbst spätestens schon widerlegt worden, als dieser - mit entsprechender Begründung (BT-Drucks. 16/6140 [X.]) - § 42 Abs. 2 BGB unverändert ließ, als § 15 a [X.] geschaffen wurde (s. hierzu auch [X.] in Beuthin/[X.], MünchHdB [X.] Bd. 5, 3. Aufl. § 60 Rdn. 41); erst Recht ist die These von der "planwidrigen" Regelungslücke unvertretbar geworden, als der Gesetzgeber seine gegenteiligen Vorstellungen durch das "Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins- und Stiftungsvorständen" vom 28. September 2009 ([X.], 3161) zum Ausdruck gebracht hat: Der Gesetzgeber hält die ehrenamtliche Tätigkeit der Bevölkerung für das Gemeinwesen für unabdingbar, er will sie fördern und hat zu diesem Zweck als Reaktion auf die negativen Folgen der Haftungsrisiken ehrenamtlich tätiger Vereinsvorstände für die Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements in [X.] mit diesem [X.] geschaffen mit dem Ziel, die Haftungsrisiken der Vorstände auf ein zumutbares Maß zu begrenzen (BT-Drucks. 16/10120, [X.], 6; BT-Drucks. 16/13537, [X.]). Auch wenn der durch das genannte Gesetz mit Wirkung ab 3. Oktober 2009 eingefügte § 31 a BGB die hier zugrunde liegende [X.] nicht unmittelbar betrifft, so spricht doch der darin zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers eine eindeutige Sprache gegen eine Ausdehnung der Haftung von Vereinsvorständen (ebenso [X.], BB 2009, 690; [X.], EWiR 2009, 699; [X.], jurisPR-Ha[X.] 8/2009 [X.]). Denn damit stünde die gesetzlich nicht fundierte Haftung für Masseschmälerungen - sie passt ohnehin schwerlich zur Struktur eines Vereins, der an[X.] als GmbH oder Aktiengesellschaft keine Kapitalschutzregeln kennt - in einen unauflösbaren Wertungswi[X.]pruch. Mit Recht wird deswegen de lege [X.] eine Massesicherungspflicht von Vereinsvorständen und eine Haftung für Masseschmälerungen im Schrifttum abgelehnt (vgl. [X.], [X.] 2008, 98; [X.], EWiR 2009, 331; [X.], [X.], 10; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; eine Analogie ebenfalls ablehnend [X.]/[X.], [X.]. § 42 Rdn. 6; [X.]/Schöpflin in [X.]/[X.], [X.] § 42 Rdn. 9; [X.]/[X.], [X.] Aufl. § 42 Rdn. 4; [X.] in Beuthin/[X.] aaO).

6

Diese klarstellende Wertentscheidung des Gesetzgebers konnte das Berufungsgericht bei seiner Zulassungsentscheidung, die vor dem 28. September 2009 ergangen ist, noch nicht berücksichtigen.

7

Ob de lege ferenda eine Haftung für masseschmälernde Zahlungen nach Insolvenzreife, die allenfalls für sog. "großwirtschaftliche Vereine" und Stiftungen ernsthaft diskutiert werden könnte, sinnvoll sein kann, hat der [X.] nicht zu entscheiden.

8

b) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts scheidet schon deswegen aus, weil die Bejahung einer Analogie zu den gesetzlich geregelten, auf ganz andere Verhältnisse zugeschnittenen Fällen auf eine Rechtsfortbildung contra legem hinausliefe.

9

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg, da das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten für masseschmälernde Zahlungen wegen Fehlens einer Anspruchsgrundlage zutreffend abgelehnt hat.

Goette                       Caliebe                       Drescher

             Löffler                          Bender

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

Meta

II ZR 156/09

08.02.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 19. Juni 2009, Az: 14 U 137/07, Urteil

§ 42 Abs 2 BGB, § 543 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 64 S 1 GmbHG vom 23.10.2008, § 64 Abs 2 GmbHG vom 05.10.1994, § 92 Abs 3 AktG, § 93 Abs 3 Nr 6 AktG, § 34 Abs 3 Nr 4 GenG, § 99 Abs 2 GenG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. II ZR 156/09 (REWIS RS 2010, 9611)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9611

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