Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 11.01.2020, Az. 1 BvQ 2/20

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 2616

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA gegen die räumliche Verlegung einer Demonstration - "Rote Flora" - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die räumliche Verlegung einer Versammlung, die vom 11. Januar 2020, 15 Uhr, bis zum 12. Januar 2020, 7 Uhr, stattfinden soll. Das Motto der Versammlung lautet: "[X.] - ein Ort undemokratischer Denkweise und Verfassungsfeindlichkeit". Der angemeldete Versammlungsort befindet sich in einer Entfernung von ca. 20 m von der "[X.]", einem besetzten Gebäude im [X.] [X.], auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

2

Der Antrag des Antragstellers auf verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz blieb im Ergebnis erfolgslos.

3

Wegen der besonderen Dringlichkeit hat die Kammer gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 [X.] davon abgesehen, der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

4

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

5

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

6

Dabei haben die Gründe, welche der Antragsteller für die Verfassungs-widrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Erkennbare Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung sind zu berücksichtigen, wenn ein Abwarten den Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte (vgl. [X.] 111, 147 <153>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. März 2018 - 1 BvQ 18/18 -, Rn. 5). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr).

7

2. Ausgehend davon kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

8

a) Eine Verfassungsbeschwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere lässt sich im Rahmen des Eilrechtsschutzes nicht klären, ob die von der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens zum Vorliegen der Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands angestellte Prognose, dass auch unabhängig von der Zahl der eingesetzten Polizeibeamten kein näher an der "[X.]" im [X.] gelegener sicherer Alternativstandort zur Verfügung stehe, auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht.

9

b) Die danach gebotene Folgenabwägung geht zum Nachteil des Antragstellers aus.

Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich nach Durchführung eines Hauptsacheverfahrens jedoch herausstellte, dass die versammlungsbeschränkende Auflage mit der Verfassung nicht vereinbar ist, so wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt, das grundsätzlich auch die Bestimmung des Versammlungsorts umfasst. Der von dem Antragsteller ins Auge gefasste Versammlungsort in unmittelbarer Nähe der "[X.]" ist für die geplante Versammlung und ihr gerade auf die "[X.]" bezogenes kommunikatives Anliegen von erheblicher Bedeutung. Der Antragsteller hätte aber die Möglichkeit gehabt, die Versammlung - wenngleich an einem etwa einen Kilometer entfernten anderen Ort - unter dem vorgesehenen Motto und in der vorgesehenen Form überhaupt durchzuführen.

Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass die Versammlung am ursprünglich vorgesehenen Ort - oder an vom Antragsteller hilfsweise ins Auge gefassten Alternativstandorten in Sichtweite der "[X.]" - wegen der von der Versammlungsbehörde befürchteten, nicht anders abwendbaren gewalttätigen Ausschreitungen nach § 15 Abs. 1 [X.] hätte untersagt werden dürfen, so wäre es zu einer Gefährdung und gegebenenfalls auch Schädigung auch höchstwertiger Rechtsgüter einer ganz erheblichen Zahl von Personen gekommen, obwohl der Auslöser hierfür - die Versammlung an dem ursprünglich vorgesehenen oder einem alternativ gewünschten Ort - wegen Vorliegens der Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands rechtmäßigerweise hätte verhindert werden können.

Bei Gegenüberstellung dieser Folgen muss das Interesse des Antragstellers an einer uneingeschränkten Durchführung der Versammlung zurücktreten. Ihm entsteht kein so schwerer Nachteil, dass er den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das [X.] nach den dafür geltenden strengen Anforderungen rechtfertigen könnte. Sein Einwand, die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens trage aufgrund ihres Agierens in der Vergangenheit Mitverantwortung an der Sicherheitsproblematik rund um die "[X.]", verfängt schon deshalb nicht, weil sich hierdurch die Schutzwürdigkeit der durch etwaige Gewalttätigkeiten aktuell bedrohten Rechtsgüter Dritter nicht minderte.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 2/20

11.01.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend VG Hamburg, 7. Januar 2020, Az: 21 E 6010/19, Beschluss

Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 15 Abs 1 VersammlG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 11.01.2020, Az. 1 BvQ 2/20 (REWIS RS 2020, 2616)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2616

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