Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.03.2012, Az. 1 StR 43/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7950

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
43/12

vom
21. März 2012
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 21. März 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am Bundesgerichtshof
Nack

und der
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Elf,
die [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. [X.],

[X.] am [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

und
Rechtsreferendar

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts Weiden [X.]OPf. vom 6. Oktober 2011 wird verwor-fen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tra-gen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Revision. Das Rechtsmittel hat keinen [X.]. Die auf die allgemeine Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. [X.] Erör-terung bedarf allein die im Ergebnis nicht durchdringende Verfahrensrüge, das [X.] habe die §§ 261, 252, 52 StPO verletzt.

1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen begann die nicht berufstä-tige Angeklagte am 14. Februar
2011 in der gemeinsamen Wohnung einen Streit mit ihrem Ehemann M.

H.

, einem Sergeant der [X.], weil dieser entgegen seiner Zusicherung nach der Rückkehr von seinem Dienst die Wohnung nicht gereinigt hatte. Im Verlauf der Auseinandersetzung schrie die
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-
beruhigen. Stattdessen begab sich die Angeklagte in die Küche und ergriff aus dem dortigen Messerblock ein spitz zulaufendes, einseitig geschliffenes [X.] mit einer Gesamtlänge von 18,5 Zentimetern und einer Klingen-länge von acht Zentimetern.

Nach einem kurzen Gerangel, in dessen Verlauf M.

H.

ver-geblich versucht hatte, seiner Frau das Messer wegzunehmen, standen sich Angeklagte ihrem Ehemann -
ohne Tötungsvorsatz -
einen wuchtigen Stich mit dem Küchenmesser in den linken Halsbereich. Der drei Zentimeter breite Ein-stich führte zu einem acht Zentimeter tiefen Stichkanal, womit die Angeklagte gerechnet hatte. Wäre die nur wenige Millimeter daneben verlaufende große Halsvene getroffen worden, wäre M.

H.

infolge des dann hohen Blutverlustes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch vor dem Eintreffen des Notarztes verstorben. So musste die Wunde zwar in einer [X.] behandelt werden; der Geschädigte konnte aber noch gemeinsam mit der Angeklagten die
in der Küche befindlichen Blutspuren wegwischen. Er hat vor, die Ehe fortzusetzen.

2. Der Verfahrensrüge, das [X.] habe gegen die §§ 261, 252, 52 StPO verstoßen, liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Der geschädigte Ehemann der Angeklagten hat in der Hauptverhandlung sich im Übrigen auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Das [X.] hat daher den Ermittlungsrichter zeugenschaftlich dazu gehört, was M.

H.

ihm gegenüber im Rahmen der am Tag nach der Tat durchgeführten Vernehmung -
als mit der Angeklagten verheirateter Zeuge 3
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5
-
ordnungsgemäß belehrt -
angegeben hat. Dieser hat zwar ausgesagt, keine genaueren Erinnerungen
an den ihm berichteten Geschehensablauf mehr zu haben. Neben den äußeren Umständen der Vernehmung konnte er aber noch das [X.]geschehen schildern, nämlich dass es sich um eine eheliche Ausei-nandersetzung gehandelt habe, in deren Verlauf die Angeklagte ein
Messer geholt und ihr Ehemann ihr dies wegzunehmen versucht habe. Nach der Dar-stellung M.

H.

e-Zeuge ausgesagt hat. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung M.

H.

´ war dem Ermittlungsrichter in der Hauptverhandlung vorge-halten, aber nicht verlesen worden. Dennoch hat das [X.] die Ansicht vertreten, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden -
Ermittlungsrichter erinnert sich an das [X.]geschehen und gibt an, dass das [X.] auch so ausgesagt wurde -
eine ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage (zumindest teilweise [[X.]]) zulässig sei ([X.]). Es hat sich insbesonde-hrten Aussage des Zeugen H.

3. a) Die Revision hält dies vor allem deswegen für rechtsfehlerhaft, weil der Inhal
i-che im Übrigen nicht aus, wenn der [X.] bekunde, dass die damalige [X.] richtig aufgenommen worden sei.

b) Auch der [X.] sieht die Verfahrensrüge als begrün-det an. Denn das Geschehen direkt nach der Tat, während dessen M.

H.

seine Frau zu Boden ringen konnte, so dass diese sich in gebückter Haltung vor ihm befand und sich Blut auf ihren Kopf-
und Brustbereich ergoss, 6
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6
-
habe das [X.] bei der bestehenden Beweislage nur aufgrund der proto-kollierten Angaben des Geschädigten beim Ermittlungsrichter feststellen kön-nen.

4. Die Verfahrensrüge ist zwar zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2001 -
5 [X.], [X.], 386), aber im Ergebnis unbegründet. Denn das Urteil beruht auf dem geltend ge-machten Verfahrensfehler jedenfalls nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).

a) Allerdings trifft es zu, dass frühere Vernehmungen eines die Aussage gemäß § 52 StPO verweigernden Zeugen grundsätzlich nicht verwertet werden dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] darf dann nur das herangezogen werden, was ein vernehmender [X.] über die vor ihm gemachten Angaben des über sein Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsge-mäß belehrten Zeugen aus seiner Erinnerung bekundet. Hierzu darf ihm sein Vernehmungsprotokoll -
notfalls durch Verlesen -
vorgehalten werden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, den Inhalt der Niederschrift selbst für die Beweis-würdigung heranzuziehen. [X.] ist vielmehr nur das, was auf den Vorhalt hin in die Erinnerung des [X.]s zurückkehrt, und es genügt nicht, wenn er lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen ([X.], Urteil vom 2.
April 1958 -
2 StR 96/58, [X.]St 11, 338, 341; [X.], Urteil vom 7. Oktober 1966 -
1 [X.], [X.]St 21, 149, 150; [X.], Urteil vom 30. März 1994
-
2 StR 643/93, [X.] 1994, 413; [X.], Beschluss vom 4. April 2001 -
5 [X.], [X.], 386).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] bei seiner Beweiswür-digung ohne Rechtsfehler berücksichtigt, woran sich der Ermittlungsrichter bei seiner eigenen Zeugenvernehmung erinnern konnte. Hierzu gehörten insbe-8
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sondere wesentliche Teile des [X.]geschehens, nämlich dass die Angeklagte im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung ein Messer geholt habe und sie sowie ihr Ehemann sich gegenüber gestanden hätten, als es zu dem
Messerstich kam.

c) Soweit das [X.] für die vorliegende Fallgestaltung eine diese Erinnerung ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage als (zumindest teilweise) zulässig angesehen hat, steht diese Auffassung mit der dargestellten Rechtsprechung des [X.] zwar nicht im Einklang. Der [X.] kann aber ausschließen, dass sich dies auf das gefällte Urteil ausgewirkt hat. Denn das [X.] hat allenfalls die Darstellung M.

H.

´, nach dem Stich habe er seine Frau zu Boden gerungen und diese habe sich dann in gebückter Haltung vor ihm befunden ([X.]; oben 3. b), und somit einen für die Gesamtwürdigung der Beweise wenig bedeutsamen Umstand dem ermitt-lungsrichterlichen Vernehmungsprotokoll entnommen.

Dem Urteil liegt eine insgesamt sorgfältige und umfassende Beweiswür-digung zugrunde. Das [X.] hat alle wesentlichen Gesichtspunkte ge-geneinander abgewogen. Dabei ist es zutreffend von der Einlassung der Ange-klagten ausgegangen. Diese hat in ihren Vernehmungen bei der Polizei, beim Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der Sachver-ständigen stets eingeräumt, ihren Ehemann mit einem Messerstich verletzt zu hat sie dabei in den wesentlichen Punkten konstant geschildert (UA S.
15 ff.).

Die Angeklagte hat allerdings jeweils angegeben, [X.] habe sich hinter ihr befunden, als sie den Stich ausgeführt habe. In der Hauptverhandlung hat sie insofern -
anders als zuvor -
nicht mehr behauptet, sie habe zu diesem 11
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Zeitpunkt am Boden gekniet. Im [X.] hat sie sich damit aber stets auf eine rechtfertigende oder zumindest die Schuld mindernde Lage berufen. Das [X.] hat dies erkannt und seine Prüfung daher auf die Frage [X.], in welcher Situation sich die beiden an der Auseinandersetzung Betei-ligten unmittelbar vor dem Messerstich befanden. Es hat letztlich der -
rechts-fehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführten (oben b) -
Darstellung M.

H.

´ geglaubt, er und seine Frau hätten sich gegenüber gestanden. Dabei hat das [X.] plausibel darauf abgestellt, dass der Geschädigte der [X.] verziehen hat und an deren Strafverfolgung vom Beginn der Ermitt-lungen an keinerlei Interesse hatte ([X.], 33). Vor allem hat es die mehr-fach erfolgte Schilderung
der Angeklagten, sie habe bei der Tatbegehung ge-kniet, überzeugend als widerlegt angesehen. Denn wie die Beweisaufnahme durch entsprechenden [X.] erbracht hat, konnte weder die vom Geschädigten erlittene Verletzung, d.h. der konkrete Stichkanal, noch das entstandene [X.] durch einen in dieser Position nach hinten geführ-ten Stich verursacht worden sein ([X.], 28 ff.).

Angesichts dieser klaren Beweislage besorgt der [X.] nicht, dass sich das Nachtatgeschehen maßgeblich auf
die landgerichtliche Überzeugungsbil-dung ausgewirkt hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das [X.] in diesem Zusammenhang zudem festgestellt hat, M.

H.

habe we-nige Minuten nach der Tat gegenüber der zu Hilfe gekommenen Nachbarin C.

M.

Ergänzend bemerkt der [X.]: Ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge wird regelmäßig deshalb durch den Ermittlungsrichter vernommen, weil bei einer späteren -
aus welchen Gründen auch immer erfolgten -
Zeugnisver-14
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weigerung nur die Aussage des Ermittlungsrichters über die Angaben des [X.] verwertbar ist. In derartigen Fällen, erfahrungsgemäß oft Gewalt-
und/oder Sexualdelikte zum Nachteil von Frauen oder Kindern, hat der Ermittlungsrichter daher die Pflicht, sich schon während der von ihm durchgeführten Vernehmung intensiv darum zu bemühen, sich den Aussageinhalt einzuprägen. Ausfluss dieser Pflicht des Ermittlungsrichters ist es auch, dann, wenn seine Verneh-mung als Zeuge ansteht, die [X.] einzusehen, um sich erforderlichenfalls die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen (vgl. hierzu zusammenfassend [X.],
StPO,
54. Aufl.,
§ 69 Rn. 8 mwN).

Nack

Wahl Elf

Jäger [X.]

Meta

1 StR 43/12

21.03.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.03.2012, Az. 1 StR 43/12 (REWIS RS 2012, 7950)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7950

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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