Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2018, Az. XII ZB 230/18

12. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 2997

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Gegenstand

Beschwerdeverfahren in Betreuungssachen: Erforderlichkeit einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen; Bestimmung eines Betreuers im Wege der Einheitsentscheidung bei Anordnung einer Betreuung durch das Beschwerdegericht


Leitsatz

1. Zieht das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. August 2018, XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770).

2. Ordnet das Landgericht im Beschwerdeverfahren eine Betreuung an, hat es im Wege der Einheitsentscheidung zugleich auch den Betreuer zu bestimmen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 30. August 2017, XII ZB 16/17, FamRZ 2017, 1866).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 20. April 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerdeverfahren, an eine andere Kammer des [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die inzwischen 85jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Sie hatte einer ihrer Töchter, der Beteiligten zu 1, im Jahr 2011 umfassende notarielle [X.] erteilt. Durch weitere notarielle Urkunde vom 30. Juni 2014 widerrief die Betroffene diese [X.], erteilte ihrer anderen Tochter, der Beteiligten zu 2, Vorsorgevollmacht und errichtete eine Patienten- und Betreuungsverfügung.

2

Die Beteiligte zu 1 hat beim Amtsgericht angeregt, zur Betreuerin für die Betroffene bestellt zu werden. Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil die Betroffene jedenfalls durch eine ihrer Töchter aufgrund erteilter [X.] vertreten werden könne. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das [X.] die Einrichtung einer Betreuung für alle Angelegenheiten angeordnet und dem Amtsgericht die Auswahl des Betreuers aufgegeben. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 - [X.] 36/17 - FamRZ 2017, 1611) und Zurückverweisung der Sache an das [X.] hat dieses nach Bestellung eines Verfahrenspflegers und Einholung eines auf persönlicher Untersuchung der Betroffenen beruhenden Gutachtens eine Entscheidung gleichen Inhalts getroffen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie die Einstellung des Betreuungsverfahrens verfolgt.

II.

3

Die erneute Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

5

Bei bestehendem Unterstützungsbedarf sei die Betreuung nicht angesichts der erteilten [X.]en entbehrlich. Die der Beteiligten zu 2 erteilte [X.] sei nichtig, da die Betroffene im Zeitpunkt der Erteilung geschäftsunfähig gewesen sei. Die Beteiligte zu 1 hingegen sei ungeeignet, auf Grundlage der ihr erteilten [X.] die Angelegenheiten der Betroffenen wahrzunehmen. Bereits die räumliche Entfernung zwischen der in [X.] lebenden Beteiligten zu 1 und der in [X.] lebenden Betroffenen erschwere die rechtliche Vertretung, weil bei der Versorgung eines in allen Bereichen komplett pflegebedürftigen Menschen mit Notsituationen zu rechnen sei, die ein promptes Tätigwerden erfordern, was ein ortsansässiger Vertreter besser leisten könne. Vor allem aber das komplette Zerwürfnis mit ihrer Schwester lasse eine Vertretung durch diese ausgeschlossen erscheinen. Die im Haushalt der Betroffenen lebende Pflegerin drohe im Streit der Schwestern aufgerieben zu werden, weil jede versuche, sie auf ihre Seite zu ziehen. Da auch das Verhältnis der Beteiligten zu 1 zu ihrem Bruder schlecht sei, sei eine Berufsbetreuung einzurichten. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Betroffene mit der [X.]erteilung an die Beteiligte zu 1 zugleich sie als Betreuerin vorgeschlagen habe. Einem solchen Vorschlag wäre auch nicht zu entsprechen, da er dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe.

6

2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das [X.] von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen hat. Diese war bereits deshalb geboten, weil sich das [X.] bei seiner Entscheidung mit dem Sachverständigengutachten vom 18. Januar 2018 sowie den gerichtlich eingeholten Stellungnahmen des Verfahrenspflegers vom 6. September 2017, 3. Januar 2018 und 7. Februar 2018 maßgeblich auf Tatsachen gestützt hat, die nicht Gegenstand der - zudem vor Bestellung des Verfahrenspflegers durchgeführten (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - [X.] 465/17 - FamRZ 2018, 705 Rn. 7 f.) - Anhörung der Betroffenen durch die beauftragte Richterin am 10. März 2015 gewesen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 15. August 2018 - [X.] 10/18 - juris Rn. 11 [X.]). Obwohl das Sachverständigengutachten vom 18. Januar 2018 keine geänderten Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Betroffenen und deren Fähigkeit zur Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten erbracht hat, können jedenfalls die Frage ausreichender anderer Hilfen (§ 1896 Abs. 2 BGB) und der andernfalls anstehenden [X.] nicht ohne Ermittlung des aktuellen Sachverhalts beantwortet werden. Die Aktualisierung der Tatsachengrundlage erfordert auch eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - [X.] 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 und vom 18. Oktober 2017 - [X.] 198/16 - FamRZ 2018, 124 Rn. 9), solange nicht ausgeschlossen ist, dass aus deren Antworten und Verhalten Rückschlüsse auf ihren aktuellen natürlichen Willen gezogen werden können (vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - [X.] 269/16 - FamRZ 2016, 2093 Rn. 12).

7

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an eine andere Kammer des [X.] zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG), damit diese die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

8

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

9

Ausgehend von der tatrichterlich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung, wonach Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zwar im Zeitpunkt des Widerrufs und der [X.]erteilung im Jahr 2014 bestand, für den Zeitpunkt der [X.]erteilung im Jahr 2011 jedoch nicht festgestellt werden kann, verkennt das [X.] mit seiner weiteren, gegenüber seinem früheren Beschluss weitgehend unverändert gegebenen Begründung den Maßstab für die Beurteilung der Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten und damit der Frage, ob dem Unterstützungsbedarf der Betroffenen durch ausreichende andere Hilfen Genüge getan ist (§ 1896 Abs. 2 BGB).

Die [X.]erteilung vom 19. Dezember 2011 ist an die bereits seinerzeit in großer räumlicher Entfernung lebende Beteiligte zu 1 erfolgt. Sie ist in Kenntnis dieses Umstands von der Betroffenen vorgenommen worden und deshalb Gegenstand ihrer selbstbestimmt getroffenen Entscheidung. Die damit verbundenen Einschränkungen in den Möglichkeiten einer jederzeitigen persönlichen Kontaktaufnahme sowie des sofortigen Eingreifens im Bedarfsfalle sind von der Betroffenen bewusst in Kauf genommen worden. Sie stellen auch die grundsätzliche Eignung der Beteiligten zu 1 zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der Betroffenen jedenfalls solange nicht in Frage, wie deren tägliche Bedürfnisse durch die mit ihr in Hausgemeinschaft lebende Pflegekraft im Wege der „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ befriedigt werden.

Ebenso führt ein Geschwisterstreit für sich genommen nicht zur Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten, sondern nur dann, wenn er sich zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirkt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - [X.] 141/16 - FamRZ 2017, 1712 Rn. 23 und vom 15. September 2010 - [X.] 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 22, zum Betreuungsvorschlag).

Sollte sich nach genügender Aufklärung des aktuellen Sachverhalts ein durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerter Verdacht ergeben, dass durch die Ausübung der [X.] dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird, so wäre als milderes Mittel gegenüber einer Vollbetreuung zunächst zu erwägen, im Wege der sogenannten [X.] (§ 1896 Abs. 3 BGB) den selbstbestimmten Willen des [X.]gebers zur Geltung zu bringen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 - [X.] 413/17 - FamRZ 2018, 1188 Rn. 23 ff. [X.]). Nur wenn dies von vornherein keinen Erfolg verspricht, kommt die Anordnung der Vollbetreuung durch einen [X.] in Betracht.

Für den Fall der Einrichtung entweder einer [X.] oder einer Vollbetreuung wäre das [X.] zudem gehalten, im Wege der dann zu treffenden Einheitsentscheidung (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juni 2018 - [X.] 39/18 - FamRZ 2018, 1533 Rn. 8 [X.]) nicht nur die Betreuung als solche anzuordnen, sondern auch den Betreuer selbst zu bestimmen (§ 69 Abs. 1 Satz 1 FamFG; vgl. Senatsbeschluss vom 30. August 2017 - [X.] 16/17 - FamRZ 2017, 1866 Rn. 15).

Dose     

      

[X.]     

      

Schilling

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 230/18

10.10.2018

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 20. April 2018, Az: 8 T 221/15

§ 1896 Abs 1 BGB, § 1896 Abs 2 BGB, § 1896 Abs 3 BGB, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 69 Abs 1 S 1 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2018, Az. XII ZB 230/18 (REWIS RS 2018, 2997)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1456 REWIS RS 2018, 2997

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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