Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2016, Az. 2 C 21/15

2. Senat | REWIS RS 2016, 2234

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Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Freizeitausgleich bei [X.] im Polizeivollzugsdienst.

2

Der Kläger ist [X.] bei der [X.]. Er war in den Jahren 2010 und 2011 für jeweils ca. drei Monate bei den [X.] Botschaften in [X.] und [X.] tätig und hat dort Aufgaben des Personen- und Objektschutzes wahrgenommen. In dieser [X.] war er jeweils an das [X.] abgeordnet und erhielt zusätzlich zu seinen regelmäßigen Bezügen Auslandsbesoldung.

3

Im Rahmen des Dienstes bei den [X.] Botschaften in [X.] und in [X.] - bei dem aus Sicherheitsgründen das [X.] nur im Rahmen von Einsätzen verlassen werden durfte - fielen als Mehrarbeit angeordnete Überstunden an, für die Freizeitausgleich gewährt wurde. Die Beklagte hat Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst dabei zeitlich nur hälftig in Ansatz gebracht; bei der [X.] Botschaft in [X.] als Rufbereitschaftsdienst gewertete [X.]en hat sie zu einem Achtel als Mehrarbeit berücksichtigt.

4

Das Berufungsgericht hat dem Kläger pro Bereitschaftsstunde eine Stunde Freizeitausgleich zuerkannt, weil die streitgegenständlichen [X.]en als Bereitschaftsdienst und nicht nur als Rufbereitschaftsdienst einzuordnen seien. In den über den Dienst der Polizeivollzugsbeamten geführten Stundenlisten seien mit dem Begriff "Bereitschaft 100 %" Volldienst-[X.]en gekennzeichnet, mit dem Begriff "Bereitschaft 50 %" dagegen die Bereitschaftsdienst-[X.]en. Diese [X.] seien als Mehrarbeit angeordnet worden. Hieraus ergebe sich gemäß § 88 Satz 2 [X.] ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich. Eine Differenzierung beim Umfang des Freizeitausgleichs nach der Arbeitsintensität sei weder mit dem Wortlaut der Norm noch mit unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Hingegen könnten weitere Anwesenheitszeiten auf dem [X.] nicht als nach nationalem Recht oder nach Unionsrecht ausgleichspflichtige Arbeitszeiten angesehen werden. Sie seien außerdem nicht als Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden. Des Weiteren hätten die Beamten - wie der Kläger - auch nie die Rechtswidrigkeit dieser [X.]en vorgetragen und Ausgleichsansprüche auch erst nach Beendigung dieser [X.]en geltend gemacht. Schließlich könne für die [X.] des Freizeitausgleichs weder eine Verlängerung der Abordnung noch die Zahlung von Auslandsbesoldung verlangt werden. [X.] setzten einen dienstlichen und tatsächlichen Wohnsitz im Ausland voraus.

5

Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, dass der Freizeitausgleich bei Bereitschaftsdienst geringer ausfallen dürfe als bei Volldienst.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] für das [X.] vom 24. August 2015 und das Urteil des [X.] vom 16. Januar 2014 aufzuheben, soweit die Beklagte verpflichtet wurde, dem Kläger weitere Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) für die streitbefangenen Abordnungszeiträume in Höhe des von den Vorinstanzen zugesprochenen Umfangs zu gewähren.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht. Bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes ist gemäß § 88 Satz 2 Bundesbeamtengesetz ([X.]) in der insoweit unverändert gültigen Fassung vom 5. Februar 2009 ([X.]) voller Freizeitausgleich zu gewähren.

9

1. Nach § 88 Satz 2 [X.] ist Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende [X.] zu gewähren. Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist damit, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet oder genehmigt werden durfte (vgl. [X.], Beschluss vom 8. März 1967 - 6 C 79.63 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 2 [X.]2 f.).

Mehrarbeit im Sinne des § 88 Satz 2 [X.] ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus - d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs - verrichtet (vgl. [X.], Urteil vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - [X.]E 122, 65 <68> = juris Rn. 14 f.).

Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten [X.] bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. [X.], Urteile vom 2. April 1981 - 2 C 1.81 - [X.] 237.7 § 78a [X.] NW Nr. 2 S. 3 f. = juris Rn. 20, vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 38 S. 5 = juris Rn. 14 und vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - [X.]E 122, 65 <69> = juris Rn. 18).

Bereitschaftsdienst ist nach § 88 Satz 2 [X.] abgeltungsfähiger Dienst (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 29. März 1974 - 6 C 21.71 - [X.] 232 § 72 [X.] Nr. 10 S. 24 ff. und vom 25. Oktober 1979 - 2 C 7.78 - [X.]E 59, 45 <46 f.> = juris Rn. 41). Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des [X.] zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist ([X.], Urteil vom 22. Januar 2009 - 2 C 90.07 - [X.] 240.1 [X.] Nr. 31 Rn. 14, 17 m.w.N.; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 12 Arbeitszeitverordnung - AZV - vom 23. Februar 2006 ).

2. "Entsprechende [X.]" in § 88 Satz 2 [X.] heißt bei Bereitschaftsdienst - ebenso wie bei Volldienst - voller Freizeitausgleich im Verhältnis "1 zu 1". Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bestimmung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte.

Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus, zur Bestimmung des Umfangs des zu gewährenden Freizeitausgleichs auf das Maß und die Intensität der Inanspruchnahme während der geleisteten Mehrarbeit abzustellen, legt aber wegen des Fehlens der Benennung dieses Kriteriums gleichwohl nahe, dass allein an den zeitlichen Umfang der geleisteten Mehrarbeit angeknüpft und damit ohne Unterscheidung nach der Art des Dienstes - Volldienst oder Bereitschaftsdienst - voller Freizeitausgleich gewährt wird.

Entscheidend für die Auslegung, dass auch bei Bereitschaftsdienst ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich besteht, sprechen Sinn und Zweck des § 88 Satz 2 [X.]. Nach besonderer dienstlicher Beanspruchung dient der Freizeitausgleichsanspruch nicht in erster Linie der Regeneration des durch Mehrarbeit überobligationsmäßig herangezogenen Beamten. [X.] für Mehrarbeit soll vielmehr die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit - jedenfalls im Gesamtergebnis - gewährleisten. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen (vgl. [X.], Urteile vom 10. Dezember 1970 - 2 C 45.68 - [X.]E 37, 21 <24 f.> = juris Rn. 31 und vom 26. Juli 2012 - 2 C 70.11 - NVwZ 2012, 1472 Rn. 29). Auf die sich aus der gesetzlichen Arbeitszeitregelung ergebende Freizeit hat der Beamte auch dann einen Anspruch, wenn er sie nicht zur Wiederherstellung seiner Kräfte benötigt.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Begriff der "entsprechenden" [X.] wurde 1965 in den damals den Freizeitausgleichsanspruch regelnden § 72 Abs. 2 [X.] eingefügt. Zurück ging diese Formulierung auf einen Vorschlag aus der Mitte des [X.], wonach dem Mehrarbeit leistenden Beamten "dem Umfang der Mehrleistungen entsprechend" [X.] zu gewähren sein sollte ([X.]. IV/2214 [X.] und 3). Beabsichtigt war eine "klare gesetzliche Regelung ... des Umfanges der als Äquivalent für die gegenüber der regelmäßigen Arbeitszeit erhöhten Dienstleistungen zu gewährenden [X.]". Ohne dass damit eine Inhaltsänderung beabsichtigt war, erhielt der Freizeitausgleichsanspruch in § 72 Abs. 2 [X.] sodann die auch heute in § 88 Satz 2 [X.] enthaltene Fassung, wonach "entsprechende [X.]" gewährt wird ([X.]. IV/3624, [X.] ff.). "Entsprechend" meint damit dem (zeitlichen) Umfang - nicht: der Intensität der Mehrleistung - entsprechend.

3. Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) ist Bereitschaftsdienst hinsichtlich der Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ohne Einschränkung wie Volldienst zu behandeln (vgl. [X.], Urteile vom 3. Oktober 2000 - C-303/98 [[X.]: [X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2000, [X.] Rn. 48 und 52, vom 9. September 2003 - [X.]/02 [[X.]:[X.]:C:2003:437], Jaeger - Slg. 2003, [X.] Rn. 71, 75 und 103 und vom 1. Dezember 2005 - [X.]/04 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2005, [X.] Rn. 46; Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 27). Art. 2 Nr. 1 der [X.] 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - Arbeitszeitrichtlinie - definiert den Begriff der Arbeitszeit, der autonom, d.h. unabhängig von nationalstaatlichen Erwägungen und Besonderheiten auszulegen ist, weil nur so die einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05, [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 26). Die Anwendung dieses Arbeitszeitbegriffs ist zwar auf den Regelungsbereich der Richtlinie beschränkt und erstreckt sich deshalb nicht auf Fragen der Vergütung (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2007 - [X.]/05, [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 32) oder des Schadensersatzes (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2010 - [X.]/09 [[X.]:[X.]:C:2010:717], Fuß - Slg. 2010, [X.] Rn. 44). Beim Anspruch auf Freizeitausgleich für Mehrarbeit steht aber der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit selbst in Rede. Würde Bereitschaftsdienst nicht in vollem Umfang ausgeglichen, müssten die betroffenen Beamten ggf. mehr als die in der Arbeitszeitrichtlinie festgelegten 48 Wochenstunden arbeiten.

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

2 C 21/15

17.11.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. August 2015, Az: 1 A 419/14, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2016, Az. 2 C 21/15 (REWIS RS 2016, 2234)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2234

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B 5 E 18.1023

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