Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2018, Az. 1 StR 599/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 6596

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Gegenstand

Berücksichtigung eines ausländischen Urteils bei Gesamtstrafenbildung


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten [X.]und [X.]           wird das Urteil des [X.] vom 1. Juni 2017 jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]           wegen Steuerhinterziehung in 34 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und die Angeklagte [X.]          wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen und Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Die Angeklagte [X.]            beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des [X.] unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2

Allein der Ausspruch über die jeweilige Gesamtstrafe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und war daher mit den entsprechenden Feststellungen aufzuheben. Die Ausführungen der [X.] zu noch nicht eingetretener Rechtskraft der Verurteilung der Angeklagten vom 21. April 2016 durch ein [X.] Gericht sind lückenhaft.

3

1. Zu dieser Vorverurteilung hat das [X.] festgestellt, dass der Angeklagte [X.]            im Zusammenhang mit dem Betrieb sog. [X.] in [X.] wegen „Zuhältereien in jeweils näher bezeichneten besonders schweren Fällen, Menschenhandels unter Anwendung von Bedrohung, Zwang, Gewalt oder anderer Handlungen gegen Opfer oder dessen Umfeld, zum Nachteil mehrerer Personen, zum Nachteil einer besonders schutzbedürftigen Person, zum Nachteil einer Person nach deren direkten Eintreffen auf dem [X.] Staatsgebiet und zum Nachteil einer Person außerhalb des [X.] Staatsgebietes und wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zur Vorbereitung einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren geahndet wird“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und einer Geldstrafe in Höhe von 50.000 [X.] verurteilt wurde. Die Angeklagte [X.]         wurde wegen derselben Delikte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe in gleicher Höhe verurteilt. Dieses Urteil sei „- soweit bekannt - bislang nicht rechtskräftig“ ([X.], 15).

4

2. Im Falle der Rechtskraft hätte das [X.] die genannte Verurteilung bei der jeweiligen Gesamtstrafenbildung zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigen müssen.

5

Ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit zwar nicht gesamtstrafenfähig (vgl. [X.], Beschluss vom 26. März 2014 - 2 [X.] Rn. 15, [X.], 353); liegen aber ansonsten - wie hier - die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung vor, muss der Tatrichter sie im Rahmen der Strafzumessung über den Gesichtspunkt des Härteausgleichs oder des Gesamtstrafübels zugunsten des Angeklagten berücksichtigen (vgl. den Überblick über die Rechtsprechung bei [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1231 mwN). Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aburteilung der Straftaten auch in [X.] möglich gewesen wäre, weil entweder der Täter [X.] war oder die Tat sich gegen ein international geschütztes Rechtsgut richtet (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschlüsse vom 26. März 2014 - 2 [X.] Rn. 15, aaO und vom 27. Januar 2010 - 5 [X.], NJW 2010, 2677 f. mit ausführlicher Begründung und mwN; abweichend für den Fall, dass eine Verurteilung in [X.] nur gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre, vgl. [X.], Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 [X.], [X.], 30 ff.). Dies ist vorliegend für beide Angeklagte gemäß § 6 Nr. 4 StGB und für die Angeklagte [X.]          zudem gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der Fall.

6

Angesichts der vergleichsweise hohen Freiheitsstrafen, die durch das [X.] Gericht verhängt wurden, und des engen sachlichen Zusammenhangs der Taten - es ging jeweils um den Betrieb von [X.], die teilweise in [X.] und teilweise in [X.] gelegen waren - wären die Auswirkungen der Kumulation der Strafen für das künftige Leben der Angeklagten besonders ins Gewicht gefallen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Das mit der Verurteilung der Angeklagten verbundene Gesamtstrafübel wäre daher grundsätzlich zu erörtern (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. November 2010 - 5 [X.], [X.], 225 und vom 2. September 1997 - 1 StR 317/97, [X.], 134). Voraussetzung wäre jedoch die Rechtskraft des [X.] Urteils.

7

3. Das [X.] hätte daher Feststellungen zu der Rechtskraft des [X.] Urteils treffen müssen, da das Revisionsgericht sonst nicht beurteilen kann, ob die [X.] die durch das [X.] Gericht verhängten Strafen im Rahmen der Strafzumessung hätte berücksichtigen müssen. Darin, dass das [X.] davon ausgeht, das Urteil sei - soweit bekannt - nicht rechtskräftig, ohne mitzuteilen, weshalb die entsprechenden Feststellungen zur Rechtskraft nicht getroffen wurden oder werden konnten, liegt ein Erörterungsmangel.

8

Dem steht die Rechtsprechung, wonach bei fehlenden oder nicht vollständigen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung grundsätzlich davon auszugehen sei, dass dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen zu den Vorverurteilungen und zu deren Vollstreckung nicht zugänglich gewesen seien, und dass das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu Recht dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen habe (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4 Rn. 11 mwN), nicht entgegen. Denn vorliegend geht es nur um die Frage der Rechtskraft, die in der Regel auch bei ausländischen Verurteilungen durch die Beiziehung ausländischer Strafregisterauszüge (vgl. [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1288) oder durch eine Nachfrage bei dem ausländischen Gericht schnell geklärt werden kann, so dass fraglich erscheint, ob die Annahme der zuvor genannten Vermutung - auch angesichts der aufgrund der Dauer der Hauptverhandlung in zeitlicher Hinsicht unproblematisch bestehenden Möglichkeit, die notwendige Information zu erlangen - überhaupt sachgerecht erscheint. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da die genannte Rechtsprechung für ausländische Verurteilungen keine Geltung beanspruchen kann, da für diese Konstellationen ein nachträgliches Verfahren entsprechend §§ 460, 462 StPO nicht vorgesehen ist und etwaigen Härten nur noch in engen Grenzen im Rahmen der Exequaturentscheidung gemäß § 54 IRG Rechnung getragen werden kann (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 54 Rn. 8c).

Raum     

        

Fischer     

        

Bär     

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 599/17

04.07.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mannheim, 1. Juni 2017, Az: AK 9/15

§ 46 Abs 1 S 2 StGB, § 55 StGB, § 460 StPO, § 462 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2018, Az. 1 StR 599/17 (REWIS RS 2018, 6596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6596

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