Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.03.2018, Az. 3 StR 63/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 12651

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:080318B3STR63.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 63/15
vom
8.
März 2018
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] am 8.
März 2018
gemäß
§
349 Abs.
2
und 4, §
354 Abs.
1
analog
StPO
einstimmig beschlossen:

1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 8.
August 2014 wird verworfen; jedoch gelten von der verhängten Freiheitsstrafe drei Monate als voll-streckt.
2.
Der
Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner Re-vision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat
lediglich wegen der nach Verkündung des angefochtenen Urteils eingetretenen Verfahrensverzögerung den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen tötete der An-geklagte am Abend des 14.
Dezember 2013 in seiner Wohnunterkunft den Mit-bewohner K.

nach gemeinsamem
Alkoholkonsum durch massive Gewalt-einwirkung auf den Brust-
und Bauchbereich sowie durch Schläge gegen den 1
2
-
3
-
Kopf, die er unter anderem mit einem stumpfen Gegenstand ausführte. Bei [X.] war der weder alkoholkranke noch alkoholüberempfindliche An-geklagte
bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht -
nicht ausschließbar -
auf Grund einer mittelgradigen [X.] in seiner Steuerungsfähigkeit erheb-lich vermindert.
2. Die auf Grund der Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. [X.] ist nur
auf die [X.]:
a) Das [X.] hat die Strafe dem Strafrahmen des §
212 Abs.
1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§
213 Alternative
1 StGB) hat es keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonsti-gen minder schweren Fall (§
213 Alternative
2 StGB) hat es sowohl unter Be-rücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des -
wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zur
Tat-zeit angenommenen -
vertypten Milderungsgrundes des §
21 StGB verneint
und auch von einer Strafrahmenmilderung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB abgesehen. Das [X.]
ist davon ausgegangen, dass im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit eine
Strafrahmenverschiebung nach §
213 Alternative
2 bzw. §§
21, 49 Abs.
1 StGB unterbleiben
könne, wenn der
übermäßige Alkoholkonsum verschuldet
ist. Wegen der -
mangels Alkohol-krankheit oder -überempfindlichkeit
-
vorwerfbaren Trunkenheit hat es eine Mil-derung des Strafrahmens abgelehnt.
Bei der Ablehnung der Strafrahmenmilderung hat das Schwurgericht tat-richterliches Ermessen ausgeübt; es hat nicht die Ansicht vertreten, das selbst-verantwortliche Sich-Berauschen des [X.] vor der Tat führe von Rechts we-gen regelmäßig zur Versagung der Strafrahmenmilderung. Dafür spricht zum 3
4
5
-
4
-
einen der Umstand, dass die [X.] auf den Beschluss des Se-nats vom 2.
August 2012 (3
StR 216/12, [X.], 687, 688) verweisen, dem sich erstgenannter Rechtssatz nicht entnehmen lässt. Sie nehmen gerade nicht auf das Urteil des [X.]s vom 27.
März 2003 (3
StR 435/02, [X.]R StGB §
21 Strafrahmenverschiebung
31) Bezug, in dem er die Ansicht vertreten hat, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB in der Regel [X.], wenn die verminderte Schuldfähigkeit des [X.] auf selbstverantwort-licher Alkoholisierung beruhe. Zum anderen hat das [X.] ausdrücklich seinen rechtlichen Ansatz dergestalt umschrieben, dass bei verschuldeter Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenverschiebung -
nur -
"in Betracht kommt" ([X.] S.
48).
b) Das Absehen von einer Strafrahmenmilderung erweist sich als rechts-fehlerfrei.
aa) Der [X.] hat -
nach Anfrage bei den übrigen Strafsenaten (§
132 Abs.
3 Satz
1 GVG) -
die Frage, ob das
Tatgericht sein Ermessen bei der Ent-scheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§
21, 49 Abs.
1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft ausübt, wenn es
im Rahmen einer Gesamt-würdigung der schuldrelevanten Umstände die Versagung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfä-higkeit des [X.] auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, gemäß §
132 Abs.
2 und
4 GVG dem Großen [X.] für Strafsachen des Bundesge-richtshofs zur Entscheidung
vorgelegt (s. im Einzelnen den in dieser Sache er-gangenen Vorlagebeschluss vom 20.
Dezember 2016, [X.], 135). Der [X.] hat mit Beschluss vom 24.
Juli 2017 ([X.]) unter [X.] der [X.] wie folgt entschieden:
6
7
-
5
-
"Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§
21, 49 Abs.
1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Um-stände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit
die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbar signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzel-falls nicht festgestellt ist."
bb) Nach diesem Maßstab durfte das [X.],
obwohl die tatbe-standlichen Voraussetzungen des §
21 StGB vorlagen, in Ausübung seines Er-messens wegen der [X.] der Alkoholisierung eine Strafrahmenmilde-rung nach §
49 Abs.
1 StGB ablehnen. Anders als der Beschwerdeführer meint, hing die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht von Feststellungen zur
Vorher-sehbarkeit der Tat im [X.]punkt des [X.] ab; dazu, ob der Ange-klagte erkennbar zu Gewalttaten in alkoholisiertem Zustand neigte, brauchten
sich die Urteilsgründe nicht zu verhalten.
Ebenso wenig ist etwas dagegen zu erinnern, dass
das [X.] an-gesichts der [X.] der Alkoholisierung einen sonstigen minder schwe-ren Fall im Sinne von §
213 Alternative
2 StGB verneint hat. Es hat rechtsfehler-frei den für die Strafrahmenverschiebung nach §
49 Abs.
1 StGB geltenden
Maßstab auf den unbenannten minder schweren Fall übertragen. Die Entschei-dung hierüber nimmt das
Tatgericht
ebenfalls auf der Grundlage einer Gesamt-würdigung der Umstände vor, die nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (vgl. [X.], Urteil vom 16.
April 2015 -
3
StR 638/14, [X.], 240 mwN). Soweit es
für die Prüfung den vertypten Milde-rungsgrund des §
21 StGB heranzieht, steht dessen Gewichtung in seinem pflichtgemäßen Ermessen.

8
9
-
6
-
cc) Die Darstellung der [X.] in den Urteilsgründen hält revi-sionsgerichtlicher Überprüfung stand. Das [X.] hat im Rahmen seines
Rechtsfolgenermessens neben der verschuldeten Trunkenheit ersichtlich die
-
unmittelbar zuvor dargelegten (s. [X.] S.
47
f.) -
übrigen bestimmenden schuld-relevanten Strafzumessungsgesichtspunkte in Bedacht genommen und der selbstverantworteten
Alkoholisierung
bei der gebotenen Gesamtwürdigung aus-schlaggebende Bedeutung beigemessen. Der [X.] vermag daher dem [X.] nicht darin zu folgen, dass das [X.] keine Einzelfallab-wägung, sondern eine pauschale Bewertung von
Fällen
verminderter Schuldfä-higkeit infolge vorwerfbarer Trunkenheit vorgenommen habe.
Ermessensfehler lässt die Entscheidung nicht erkennen.
3. Die -
mittlerweile eingetretene -
zu einer rechtsstaatswidrigen [X.] führende Verletzung des Beschleunigungsgebots gebietet eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 135 ff.), die der [X.] auf drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe bemisst. Eine [X.] und [X.] an das [X.] scheidet aus, weil weder das landgerichtliche Verfahren noch dessen Urteil an einem Rechtsfehler leidet (vgl. [X.], Urteil vom 25.
Oktober 2017 -
2
StR 495/12, juris Rn.
33).
a) Art.
6 Abs.
1 Satz
1 MRK fordert eine Erledigung des Strafverfahrens in angemessener [X.]. Wird das hieraus folgende Beschleunigungsgebot in rechtsstaatswidriger Weise verletzt, ist eine Kompensation angezeigt.
Nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung führt zu einer derartigen Verletzung des Beschleunigungsgebots. Dies gilt auch für besondere Verfahrensvorgänge, die das Gesetz vorsieht, wie das in §
132 GVG geregelte
Verfahren (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
März 2011 -
1
StR 429/09, [X.], 10
11
12
13
-
7
-
407
f.). Die für die
Anfrage, die
Vorlage
und die Entscheidung des [X.] für Strafsachen benötigten [X.]räume sind für sich genommen keine
Grün-de
für eine Kompensation.
Etwas anderes gilt bei überlanger
Verfahrensdauer, die das Maß des Angemessenen überschreitet.
Ob ein solcher Fall vorliegt, ist durch eine auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalles bezogene Gesamtwürdigung zu prüfen. Dabei sind vor allem die durch Verhalten der [X.] verursachten
Verzö-gerungen, aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des [X.], der Umfang und die Schwierigkeit des Prozessstoffs sowie das Aus-maß der mit dem Andauern des Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (vgl. [X.], Urteil vom 25.
Oktober
2017 -
2
StR 495/12, juris Rn.
35; Beschluss vom 17.
Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 147).
b) Hieran gemessen war das nunmehr mehr
als drei Jahre währende Revisionsverfahren überlang.
Das angefochtene Urteil ist am 8.
August 2014 ergangen. Zu diesem [X.]punkt befand sich der Angeklagte bereits nahezu
acht Monate in Untersu-chungshaft, die bis zum heutigen Tag vollzogen wird. Am 24.
Februar 2015 sind die Akten mit dem Verwerfungsantrag des [X.] beim Bun-desgerichtshof eingegangen. Am 28.
Februar 2015 hat der Beschwerdeführer die Begründung der Sachrüge nachgereicht. Nachdem der [X.] die Sache zweimal vorberaten hatte, ist am 15.
Oktober 2015 der [X.], der am 10.
November 2015 an die anderen Strafsenate abgesandt worden ist. Deren
Antworten sind am 15.
März 2016 (5.
Strafsenat),
28.
Juni 2016 (1.
Strafsenat), 22.
August 2016 (4.
Strafsenat) sowie
20.
Januar 2017 (2.
Strafsenat) eingegangen. Noch bevor sämtliche Antworten vorlagen, hat der 14
15
16
-
8
-
[X.] am 20.
Dezember 2016 den Vorlagebeschluss erlassen; er
ist dem Gro-ßen [X.] für Strafsachen am 22.
Februar 2017 übermittelt worden. Dieser hat über die Vorlage am 24.
Juli 2017 beraten
und beschlossen; anschließend sind die Gründe abgesetzt worden. Der Beschluss ist beim [X.] am 1.
März 2018 eingegangen.
Die Prüfung der geschilderten Abläufe ergibt, dass
-
trotz der für die [X.] aller Strafsenate und des Großen [X.]s erforderlichen zeitintensiven Befassung mit der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage -
die [X.]räume
zwischen der Absendung der Anfrage an die anderen Strafsenate und der Übermittlung der Vorlage an den Großen [X.] (mit fast 15
Monaten)
sowie zwischen
dieser Übermittlung und dem Eingang dessen Beschlusses (mit knapp 13
Monaten)
unangemessen groß waren. Darüber hinaus ist bei der [X.] insbesondere auch die Gesamtdauer des Revisionsverfahrens von mehr als drei Jahren in den Blick zu nehmen, die es unter den gegebenen [X.] im Ganzen als (um ein Jahr)
zu lang erscheinen lässt.
c) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung nicht mit dem Aus-maß
der Verfahrensverzögerung gleichzusetzen, sondern sie hat nach den Um-ständen des Einzelfalls grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17.
Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 147; vom 7.
Juni 2011 -
4
StR 643/10, [X.]R MRK Art.
6 Abs.
1 Satz
1 Verfahrensverzögerung
41; vom 12. Februar 2015 -
4
StR 391/14, [X.], 241, 242). Um jede Benachteiligung auszuschließen, erklärt der [X.] unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere auch der gegen den Angeklag-ten vollzogenen Untersuchungshaft, drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt.
17
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-
9
-
4. Angesichts des geringen Erfolges der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§
473 Abs.
4 StPO).
Becker
Ri[X.] Gericke befindet Berg

sich im Urlaub und ist

daher gehindert zu

unterschreiben.

Becker

Hoch Leplow
19

Meta

3 StR 63/15

08.03.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.03.2018, Az. 3 StR 63/15 (REWIS RS 2018, 12651)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12651

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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