Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.09.2013, Az. 2 C 45/11

2. Senat | REWIS RS 2013, 3004

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Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung einer Kapitalabfindung auf sein Ruhegehalt. Der Kläger war - zuletzt im [X.] - bei der [X.] tätig. Er war von 1983 bis 1993 bei einer Einrichtung der [X.] beschäftigt. Diese zahlte ihm an Stelle einer laufenden Altersversorgung eine Abfindung von 302 495 DM. Anfang 2006 wurde der Kläger in den Ruhestand versetzt.

2

Die Beklagte behielt einen Teil des festgesetzten Ruhegehalts im Hinblick auf die Abfindungen ein. Durch Urteil vom 27. März 2008 - BVerwG 2 [X.] 30.06 - (BVerwGE 131, 29) verpflichtete das [X.] die Beklagte in einem gleichgelagerten Fall, den monatlichen Betrag, in dessen Höhe das Ruhegehalt des dortigen [X.] nicht ausgezahlt worden war (Ruhensbetrag), unter Berücksichtigung des [X.] und der statistischen Lebenserwartung des [X.] neu festzusetzen. Für eine Verzinsung der Abfindungen fehle die gesetzliche Grundlage.

3

Nachdem die Beklagte aufgrund dieses Urteils den monatlich anzurechnenden Betrag für den Kläger zunächst auf 692,19 € festgelegt hatte, erhöhte sie ihn nach rückwirkender Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes ab dem 1. April 2009 auf 1 075,25 €.

4

Die Klage gegen diese neue Berechnung hat in beiden Vorinstanzen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Berufungsurteil Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen über die Verzinsung von [X.] geäußert. Es hat sein Urteil darauf gestützt, dass das Beamtenversorgungsgesetz nach dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht anzuwenden sei, soweit es vorschreibe, die der Berechnung zugrunde liegende statistische Lebenserwartung nach einer nach Geschlechtern differenzierenden Sterbetafel zu ermitteln. Dies verstoße gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Entgeltgleichheit, der die Berechnung aufgrund einer einheitlichen Sterbetafel für Männer und Frauen verlange.

5

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie beantragt,

das Urteil des [X.] vom 15. April 2011 und das Urteil des [X.] vom 12. Mai 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

8

Die mit Schriftsatz vom 25. Mai 2011 eingelegte und am selben Tag beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Revision war nicht wegen eines vorherigen Rechtsmittelverzichts unzulässig. Auch wenn das am 26. Mai 2011 beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Schreiben der Beklagten vom 24. Mai 2011 als Rechtsmittelverzicht zu verstehen wäre, hätte die Beklagte einen solchen Rechtsmittelverzicht mit der früher eingegangenen Revisionseinlegung rechtzeitig widerrufen (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB).

9

Das Urteil des [X.] stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der angefochtene Ruhensbescheid erweist sich als rechtswidrig, weil die Beklagte die Regelungen des § 56 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 3, § 55 Abs. 1 Satz 8 und 9 [X.] in der Fassung des [X.] vom 11. Februar 2009 ([X.], 229) in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft angewandt hat. Daher kommt es nicht darauf an, ob Teile dieser Regelungen gegen Verfassungsrecht oder [X.]srecht verstoßen.

1. Die maßgebenden versorgungsgesetzlichen Regelungen sind Ausdruck des Grundsatzes der Einheit der öffentlichen Kassen. Danach können Versorgungsleistungen, die ein Versorgungsempfänger zusätzlich von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung erhält oder erhalten hat, in der Weise auf seine festgesetzte Versorgung angerechnet werden, dass diese teilweise nicht ausgezahlt wird (vgl. Urteil vom 27. März 2008 - BVerwG 2 [X.] 30.06 - BVerwGE 131, 29 = [X.] 239.1 § 56 [X.] Nr. 6, jeweils Rn. 17). Aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der amtsangemessenen Alimentation muss sichergestellt sein, dass der [X.] monatlich insgesamt 100 % der festgesetzten Versorgung zur Verfügung hat (Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 [X.] 25.09 - [X.] 449.4 § 55b [X.] Rn. 22 f.). Die [X.] stellt eine überstaatliche Einrichtung dar; die Zahlungen aus ihrem Pensionsfonds gelten als aus einer öffentlichen Kasse erbracht, weil die Beklagte laufend erhebliche Beträge aus ihrem Staatshaushalt an die [X.] abführt (Urteil vom 27. März 2008 - BVerwG 2 [X.] 30.06 - a.a.[X.] Rn. 17).

Da die Dienstzeiten des [X.] bei der [X.] vor dem Jahre 1999 lagen, richtet sich die Anrechnung der Kapitalabfindung der [X.] auf das Ruhegehalt nach der Übergangsregelung des § 69c Abs. 5 Satz 2 [X.]. Danach ist § 56 [X.] in der bis zum 30. September 1994 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 24. Oktober 1990 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 20. Mai 1994 ([X.] 1078; im Folgenden: [X.] 1992) anzuwenden, es sei denn die Anwendung des § 56 [X.] in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1994 ([X.] 3858), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Versorgungsreformgesetzes 1998 und anderer Gesetze vom 21. Dezember 1998 ([X.] 3834; im Folgenden: [X.] 1994) ist für den Versorgungsempfänger günstiger.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 [X.] 1994 ruht das Ruhegehalt in Höhe des Betrages, um den die Summe aus diesem und einer Versorgung aus der Verwendung im Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung die näher bestimmte gesetzliche Höchstgrenze übersteigt. Nach § 56 Abs. 3 Satz 1 findet Absatz 1 Anwendung, wenn an die Stelle einer Versorgung ein Kapitalbetrag tritt. Besteht kein Anspruch auf laufende Versorgung, so ist der sich bei der Verrentung des [X.] ergebende Betrag zugrunde zu legen. Die sich dabei ergebende fiktive monatliche Rente ist mit dem nach § 56 [X.] 1992 ermittelten Ruhensbetrag zu vergleichen; zu Gunsten des Versorgungsempfängers ist der niedrigere Wert maßgebend (vgl. Urteil vom 27. März 2008 a.a.[X.] Rn. 14 f.). Dabei wird der gesamte von der [X.] ausgezahlte Kapitalbetrag erfasst; Beiträge an deren Pensionsfonds werden nicht abgezogen (Urteil vom 27. März 2008 a.a.[X.] Rn. 20 f.).

Nach § 56 Abs. 3 Satz 3 [X.], der durch das [X.] vom 11. Februar 2009 ([X.], 233) mit Rückwirkung ab dem 28. März 2008 eingeführt worden ist, richtet sich die Anrechnung des [X.] nunmehr nach § 55 Abs. 1 Satz 8 und 9 [X.]. Damit hat der Gesetzgeber die erforderlichen Größen für die Dynamisierung (Verzinsung) des [X.] und dessen anschließende Verrentung nunmehr festgelegt (zum Gesetzesvorbehalt: Urteil vom 27. März 2008 a.a.[X.] Rn. 25). Die Dynamisierung des [X.] geschieht nach § 55 Abs. 1 Satz 8 [X.], indem dieser um die [X.] der allgemeinen Anpassungen nach § 70 [X.] erhöht oder vermindert wird, die sich nach dem Entstehen des Anspruchs auf die [X.] bis zur Gewährung von Versorgungsbezügen ergeben.

Allerdings geht diese Dynamisierungsregelung für diejenigen Ruhestandsbeamten ins Leere, die - wie der Kläger - bei ihrem Inkrafttreten am 28. März 2008 bereits Versorgungsleistungen erhielten. Nach dem eindeutigen und nicht auslegungsfähigen Wortlaut des Satzes 8 des § 55 Abs. 1 [X.] ist die Dynamisierung der [X.] für den [X.]raum zwischen dem Entstehen des Anspruchs auf die [X.] und der Gewährung von Versorgungsbezügen vorzunehmen. Damit liegt der Endzeitpunkt der Dynamisierung bei denjenigen Ruhestandsbeamten, die am 28. März 2008 bereits im Ruhestand waren, vor dem Inkrafttreten der Regelung. Erfasst werden daher nur [X.] von Beamten, die nach dem 28. März 2008 in den Ruhestand getreten sind. Ab diesem [X.]punkt sind vorher ausgezahlte [X.] bis zu dem Beginn des Ruhestandes zu dynamisieren.

Nach § 55 Abs. 1 Satz 9 [X.] errechnet sich der monatliche Verrentungsbetrag für Kapitalabfindungen aus dem Verhältnis zwischen dem nach Satz 8 dynamisierten Kapitalbetrag und dem Verrentungsdivisor, der sich aus dem zwölffachen Betrag des [X.] nach der Anlage 9 zum [X.] ergibt. Nach Satz 1 dieser Anlage ist der Kapitalwert einer lebenslänglichen Leistung oder Nutzung nach der Sterbetafel für die [X.] 1986/88 unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 % zu errechnen. Daraus folgt, dass der dynamisierte Kapitalbetrag für die [X.] der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung des Versorgungsempfängers bei Beginn der Versorgung (Eintritt in den Ruhestand) unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 5,5 % zu verrenten ist.

Die Anlage 9 war bei der Verkündung des [X.] vom 11. Februar 2009 nicht mehr anzuwenden. Seit dem 1. Januar 2009 verweist Satz 9 des § 55 Abs. 1 [X.] auf die Tabelle zu § 14 Abs. 1 des [X.]es (vgl. Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 2010/2011 vom 19. November 2010 - [X.] 2010/2011 - [X.] 1552). Nach Satz 3 des § 14 Abs. 1 [X.] wird der Kapitalwert unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit einem Zinssatz von 5,5 % bis zum Erreichen der statistischen Lebenserwartung verzinst. Nach Satz 4 stellt das [X.] die Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro nach Lebensalter und Geschlecht der Berechtigten in einer Tabelle zusammen. Dabei werden der Berechnung jährlich neue Sterbetafeln zugrunde gelegt, die der steigenden Lebenserwartung Rechnung tragen und so zu einer Streckung der Ruhensberechnung der Versorgungsbezüge über einen längeren [X.]raum führen.

Aufgrund der Änderung des § 55 Abs. 1 Satz 9 [X.] erst mit Wirkung ab 1. Januar 2009 war die auf Anlage 9 verweisende Vorgängerregelung im Rückwirkungszeitraum vom 28. März 2008 bis zum 31. Dezember 2008 in [X.]. Damit gab sie die generellen Kriterien für die Verrentung des [X.] in diesem [X.]raum vor. Gegen die vom [X.] im Jahr 2011 angeordnete rückwirkende Geltung ab dem 28. März 2008 bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die betroffenen Versorgungsempfänger mussten mit einer gesetzlichen Regelung der Dynamisierung von [X.]n rechnen (vgl. Urteil vom 27. März 2008 a.a.[X.] Rn. 35; zur Zulässigkeit derartiger Rückwirkungen: [X.], Beschluss vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 - [X.]E 131, 20 <38 f.>). Erst ab dem 1. Januar 2009 richtet sich die Verrentung nach den Vorgaben des § 14 Abs. 1 des [X.]es.

Damit ist für alle am 28. März 2008 vorhandenen Ruhestandsbeamten und diejenigen, die bis zum 31. Dezember 2008 in den Ruhestand getreten sind, bei der Verrentung von [X.]n auf die Anlage 9 zum [X.] abzustellen. Bei denjenigen Beamten, die ab dem 1. Januar 2009 in den Ruhestand getreten sind und noch treten, ist die Verrentung nach der Tabelle vorzunehmen, die jeweils zum [X.]punkt des Eintritts in den Ruhestand gilt.

Allerdings sind bei jeder Neuberechnung eines monatlichen Verrentungsbetrages von [X.]n aufgrund gesetzlicher Änderungen diejenigen monatlichen Beträge in Abzug zu bringen, die bereits vor diesem [X.]punkt wegen der Anrechnung auf die Versorgung einbehalten wurden. Die neue Ruhensberechnung ist auf der Grundlage eines [X.] vorzunehmen, der um die Summe der bisherigen monatlichen Ruhensbeträge zu vermindern ist. Dieser Betrag stellt den neuen Gesamtruhensbetrag dar, der für den [X.]raum bis zum Erreichen der statistischen Lebenserwartung zu verrenten ist. Dies folgt aus dem Zweck der Ruhensregelungen: Diese begründen [X.] für einen Teil der festgesetzten Versorgung, um zu verhindern, dass Ruhestandsbeamte aus öffentlichen Kassen insgesamt mehr als die Versorgung erhalten, die sie erdient haben. Ruhensregelungen dürfen nicht dazu führen, dass ein Teilbetrag der festgesetzten Versorgung einbehalten wird, obwohl die so herbeigeführte Versorgungslücke nicht durch eine anderweitige Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse ausgeglichen wird. Ein Ruhen ohne derartige vollständige Kompensation stellt eine Kürzung der festgesetzten Versorgung dar, die nicht vom Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation nach Art. 33 Abs. 5 GG gedeckt wird. Das Ruhen ist kein Mittel zur dauerhaften Absenkung des [X.] (vgl. § 56 Abs. 6 Satz 1 [X.]; früher § 56 Abs. 1 Satz 3 [X.] 1992 und 1994). Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt sich auf die Berechnungsmodalitäten der Anrechnung. Dies gilt gleichermaßen für die Verrentung von [X.]n, die an Stelle einer laufenden Versorgungsleistung gezahlt werden (Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 2 [X.] 25.09 - a.a.[X.] Rn. 27).

Nach der gesetzlichen Systematik des Ruhens wird ein Kapitalbetrag bei der Verrentung Monat für Monat solange abgeschmolzen, bis der Beamte die sich aus der Sterbetafel ergebende statistische Lebenserwartung erreicht. Daher muss die Ruhensberechnung diesen [X.]punkt als den Endzeitpunkt für die Anrechnung des [X.] auf das Ruhegehalt zugrunde legen. Je kürzer der [X.]raum, desto höher sind die monatlichen Ruhensbeträge. Ein davon abweichender früherer Endzeitpunkt kann sich daraus ergeben, dass der Kapitalbetrag aufgrund eines gesetzlich vorgegebenen [X.] vorher durch die Anrechnung abgegolten ist.

2. Bei Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben erweist sich der angefochtene Ruhensbescheid bereits deshalb als rechtswidrig, weil die Ruhensberechnung der Beklagten nach § 56 [X.] 1994 aus mehreren Gründen rechtsfehlerhaft ist. Daher kann die nach § 69c Abs. 5 Satz 2 [X.] vorgesehene Vergleichsbetrachtung nicht vorgenommen werden.

Zum einen hat die Beklagte einen erheblich überhöhten Gesamtruhensbetrag zugrunde gelegt, weil sie die Kapitalabfindung des [X.] nicht um diejenigen Ruhensbeträge vermindert hat, die sie vor dem 28. März 2008 einbehalten hat.

Auch durfte die Beklagte die Kapitalabfindung des [X.] für die [X.] von der Auszahlung bis zum Eintritt in den Ruhestand nicht dynamisieren, weil § 55 Abs. 1 Satz 8 [X.] keine Regelung für diejenigen Ruhestandsbeamten trifft, die am 28. März 2008 bereits versorgungsberechtigt waren. Hier ist der Verrentung lediglich der nicht dynamisierte Kapitalbetrag abzüglich der bereits einbehaltenen Ruhensbeträge zugrunde zu legen.

Schließlich hat die Beklagte keinen Endzeitpunkt für das Ruhen nach Maßgabe der statistischen Lebenserwartung festgelegt. Dem lag - wie auch die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat - die Fehlvorstellung der Beklagten zugrunde, dass die Versorgungsbezüge dauerhaft, d.h. bis zum Tod des [X.]n ruhen. Dieser Endzeitpunkt ist im vorliegenden Fall aufgrund des Lebensalters des [X.] bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 28. März 2008 und der Sterbetafel für Männer 1986/88 (§ 55 Abs. 1 Satz 9 [X.] i.V.m. der Anlage 9 zu § 14 des [X.]es) zu bestimmen.

3. Erweist sich der angefochtene Ruhensbescheid bereits bei Anwendung der einschlägigen Ruhensregelungen des geltenden Versorgungsgesetzes als rechtswidrig, kommt es auf deren Vereinbarkeit mit Verfassungs- und [X.]srecht nicht entscheidungserheblich an. Daher beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise:

Es erscheint fraglich, ob die von § 55 Abs. 1 Satz 9 [X.] (in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) angeordnete Anwendung der Anlage 9 zu § 14 des [X.]es mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation nach Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist, soweit ein Zinssatz von 5,5 % für die Verrentung vorgeschrieben wird. Entsprechendes gilt für die Anwendung von § 14 Abs. 1 des [X.]es seit dem 1. Januar 2009. Die Vereinbarkeit der gesetzlichen Zinsregelungen mit Art. 33 Abs. 5 GG setzt voraus, dass die Verrentung des mit 5,5 % zu verzinsenden [X.] nicht zu einer Kürzung der festgesetzten Versorgung führt. Dies wäre der Fall, wenn die Ruhestandsbeamten bis zum Eintritt der statistischen Lebenserwartung aufgrund der Anrechnung des [X.] wirtschaftlich deutlich weniger Versorgung erhielten, als wenn ihnen monatlich das volle Ruhegehalt ausgezahlt würde (Urteil vom 27. Januar 2011 a.a.[X.] Rn. 27).

Entsprechend dem Zweck des [X.], den Beamten in den Stand zu versetzen, seine Altersversorgung zu vervollständigen, ist auf dessen bestimmungsgemäße Verwendung abzustellen. Diese besteht in der [X.] ab Eintritt in den Ruhestand darin, den Kapitalbetrag im [X.]raum der statistischen Lebenserwartung nach und nach [X.]. Auch in dieser Phase kann dem Beamten durch eine entsprechende gesetzliche Regelung zugemutet werden, erst zu einem späteren [X.]punkt benötigte Teile der Kapitalabfindung mündelsicher anzulegen. Anders als in der [X.] zwischen der Auszahlung des [X.] und dem Beginn des Ruhestandes kann hier jedoch nicht auf den durchschnittlichen Zinssatz für langfristige, mündelsichere Anlagen abgestellt werden (Urteil vom 27. Januar 2011 a.a.[X.] Rn. 42). Vielmehr muss für die [X.] berücksichtigt werden, dass der Kapitalbetrag nach und nach als Ergänzung der laufenden Versorgungsbezüge zur Sicherstellung der amtsangemessenen Versorgung benötigt wird. Daher dürfen Beträge nur mit einem durchschnittlich erzielbaren Zinssatz für kurz- oder mittelfristige mündelsichere Anlagen verzinst werden.

Die Verrentung nach den Vorgaben des § 14 des [X.]es erscheint grundsätzlich nicht geeignet, die amtsangemessene Alimentation sicherzustellen. Sie begründet die ernsthafte Möglichkeit einer auf Dauer angelegten Absenkung des festgesetzten [X.].

§ 14 [X.] regelt die Ermittlung eines [X.] für lebenslängliche Nutzungen und Leistungen zu dem Zweck ihrer steuerlichen Bewertung. Daher kommt ein hoher Zinssatz den Steuerpflichtigen zugute. Demgegenüber erweist sich ein hoher Zinssatz für Versorgungsempfänger als ungünstig, weil er zu einer höheren Anrechnung eines zu Versorgungszwecken erhaltenen [X.] auf die laufende Versorgungsleistung führt. Erhöht der Gesetzgeber den Zinssatz, um die Steuerpflichtigen zu entlasten, belastet er wegen der Verweisung des § 55 Abs. 1 Satz 9 [X.] zwangsläufig die Versorgungsempfänger. Dies begründet die Gefahr, dass die Folgewirkungen der Änderungen für die Versorgungsempfänger eintreten, obwohl der Gesetzgeber deren Belange nicht im Blick hat.

Hinzu kommt, dass in der [X.] der abschmelzende Kapitalbetrag durch den Zinssatz von 5,5 % tendenziell deutlich höher aufgestockt wird als in der [X.] zwischen Auszahlung und Beginn des Ruhestandes. Nach den - im vorliegenden Fall allerdings nicht anwendbaren - § 55 Abs. 1 Satz 8, § 70 [X.] liegen in der [X.] die Steigerungsraten seit längerer [X.] durchschnittlich bei rund 2 %.

Was die vom Oberverwaltungsgericht beanstandete Verwendung unterschiedlicher Sterbetafeln für Männer und Frauen zur Ermittlung der statistischen Lebenserwartung angeht, hat der Senat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Entgeltgleichheit (Art. 157 AEUV).

Dieser Grundsatz verbietet [X.]; er begründet als unmittelbar geltendes Primärrecht der [X.] Rechte, die die Betroffenen vor den nationalen Gerichten durchsetzen können (st[X.]pr; [X.], Urteil vom 2. Oktober 1997 - [X.]. [X.]-1/95, [X.] - Slg. 1997, [X.] Rn. 17). Der Grundsatz findet auch für Beamte Anwendung (st[X.]pr; [X.], Urteil vom 2. Oktober 1997 a.a.[X.] Rn. 18 f.). Nach Art. 157 Abs. 2 AEUV gilt er für alle Leistungen, die ihre Rechtsgrundlage im Dienstverhältnis haben; hierzu gehört auch die Altersversorgung der Beamten (st[X.]pr; [X.], Urteil vom 1. April 2008 - [X.]. [X.]-267/06, [X.] - Slg. [X.] Rn. 43).

Das den Ruhensvorschriften des § 56 [X.] in seinen verschiedenen Fassungen zugrunde liegende System der Verrentung einer zu Versorgungszwecken gezahlten Kapitalabfindung fingiert, dass die Versorgungsempfänger ihre Kapitalabfindung bis zum Erreichen der statistischen Lebenserwartung aufzehren. Demnach müssen sich Männer monatlich höhere Beträge anrechnen lassen als Frauen, weil sie statistisch eine kürzere Lebenserwartung haben. Erreichen Männer und Frauen die statistische Lebenserwartung ihres Geschlechts, endet die Anrechnung des verrenteten [X.]; ihnen wird die festgesetzte Versorgung in voller Höhe ausgezahlt. Daher wird ein anzurechnender Gesamtruhensbetrag in gleicher Höhe bei Männern und Frauen über einen unterschiedlich langen [X.]raum angerechnet. Der monatliche Einbehalt des Ruhegehalts ist bei Männern höher; dafür ist der Ruhenszeitraum kürzer.

Durch die Anwendung unterschiedlicher Sterbetafeln soll eine wirtschaftliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen erreicht, Geschlechterdiskriminierung gerade vermieden werden. Allerdings handelt es sich um eine rein statistische Gleichbehandlung, weil sich die Regelung in jedem Einzelfall je nach der Lebensdauer vorteilhaft oder nachteilig auswirkt. Bei Männern, die vor ihrem "statistischen Lebensende" versterben, führt sie regelmäßig dazu, dass bei ihnen bis zu diesem [X.]punkt ein höherer Gesamtbetrag zum Ruhen gebracht worden ist als bei im selben Alter versterbenden Frauen.

Eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen [X.] zur Vereinbarkeit dieses Ruhenssystems mit Art. 157 AEUV liegt noch nicht vor.

Meta

2 C 45/11

05.09.2013

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 15. April 2011, Az: 10 A 11140/10, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.09.2013, Az. 2 C 45/11 (REWIS RS 2013, 3004)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3004

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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