Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.07.2016, Az. 1 BvR 617/12, 1 BvR 618/12

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2016, 8264

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Auf alter Rechtslage beruhende Nichtzulassung einer gesonderten Berücksichtigung der betriebsnotwendigen Investitionskosten - Eigenkapitalzinsen, von Rückstellungen für spätere Investitionen sowie von Pauschalen für Instandhaltungsmaßnahmen - bei der Abrechnung gegenüber Pflegebedürftigen verletzt keine Grundrechte


Tenor

Die [X.] werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die [X.] betreffen die Finanzierung von Pflegeheimen in der [X.] Pflegeversicherung.

2

1. Die Beschwerdeführerin betreibt in [X.] Trägerschaft in mehreren Bundesländern Einrichtungen der Behinderten- und Altenpflege.

3

2. Für die seit 1994 beziehungsweise 2003 betriebenen Einrichtungen in [X.] erhielt die Beschwerdeführerin einen Zuschuss in Höhe von 100 % der vom Land [X.] als zuwendungsfähig angesehenen Baukosten; ein Teil der Baukosten war aus Eigenmitteln zu finanzieren.

4

3. Die Beschwerdeführerin hatte bei der zuständigen Behörde des Landes [X.] ohne Erfolg die Zustimmung zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwendungen gemäß § 82 Abs. 3 Satz 1 Elftes [X.] ([X.]) in der damals geltenden Fassung vom 9. September 2001 ([X.]) unter Berücksichtigung von [X.], [X.] und Rückstellungen für künftige Investitionen in Form von Ersatzbeschaffungen/Neuanschaffungen in Höhe der Absetzung für Abnutzung (AfA) sowie Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen beantragt.

5

4. Mit den angegriffenen revisionsrechtlichen Urteilen vom 8. September 2011 hat das [X.] unter Berufung auf den damaligen Wortlaut des § 82 Abs. 2 und 3 [X.] die versagende Verwaltungsentscheidung der Behörde in letzter Instanz bestätigt, soweit die Zustimmung des Landes [X.] zur gesonderten Berechnung von [X.], von Rückstellungen für spätere Investitionen sowie von Pauschalen für Instandhaltungsmaßnahmen beantragt war. Teilweise stattgegeben hat das [X.] im Hinblick auf den Antrag auf Zustimmung der Behörde zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwendungen für [X.].

6

5. Mit Wirkung zum 28. Dezember 2012 hat der Bundesgesetzgeber durch Art. 2 Nr. 3 des [X.] [X.] in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20. Dezember 2012 ([X.]) in § 82 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 [X.] die Umlagefähigkeit von [X.] (Kapitalkosten) sowie in § 82 Abs. 3 Satz 1 [X.] die Umlagefähigkeit von [X.] explizit aufgenommen. Außerdem hat der Gesetzgeber in § 82 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] die Möglichkeit für den Landesgesetzgeber geschaffen, bei der gesonderten Berechenbarkeit von Aufwendungen pauschalierte Instandhaltungs- und Instandsetzungsaufwendungen zu berücksichtigen, solange die Pauschalen in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Höhe der Aufwendungen stehen (§ 82 Abs. 3 Satz 4 [X.]).

7

1. Mit ihren [X.] rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 1 GG bei der Auslegung und Anwendung des damals geltenden § 82 [X.] durch das [X.].

8

2. Die Auslegung des § 82 Abs. 3 [X.] a.F. durch das [X.], wonach Abschreibungen für Ersatzbeschaffungen, Neuanschaffungen und Instandhaltung/Instandsetzung nicht zulässig und eine Zustimmungsfähigkeit durch die zuständige Behörde erst nach "tatsächlichem Kostenanfall" möglich seien, stelle eine gänzliche Abkehr von sonst im Wirtschaftsverkehr üblichen und auch gesetzlich vorgesehenen Gepflogenheiten dar.

9

3. Die Entscheidungen verletzten die Beschwerdeführerin in ihrer allgemeinen Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit. Die Beschwerdeführerin könne ihren Betrieb nicht frei führen, könne ihre wirtschaftliche Planung nicht an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen orientieren und müsse Wertverluste in einer Art und in einem Ausmaß kompensieren, die im allgemeinen Wirtschaftsleben unüblich seien.

1. Die [X.] sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Den [X.] kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die Annahme der [X.] ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

2. Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind Sache der Fachgerichte; das [X.] beanstandet nur die Verletzung von Verfassungsrecht. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das [X.] zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung oder Anwendung des Rechts durch die Fachgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. [X.] 89, 1 <9 f.>; 99, 145 <160>). Die hier angegriffenen Entscheidungen des [X.]s lassen in diesem Sinne einen Verfassungsverstoß nicht erkennen.

3. Beide Entscheidungen kommen zum Ergebnis, dass nur tatsächlich angefallene Kosten, die weder durch Vergütungen oder Entgelte nach § 82 Abs. 1 [X.] a.F. noch mittels Förderung durch das Land nach § 9 [X.] abgegolten sind, gesondert dem Pflegebedürftigen nach § 82 Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. berechnet werden können, Rücklagen für künftige Investitionen und Instandhaltungen, Abschreibungen und [X.] jedoch nicht umgelegt werden dürften. Solche Berechnungspositionen besäßen nur kalkulatorischen Charakter, ohne schon tatsächlich angefallen zu sein oder mit Sicherheit unmittelbar bevorzustehen. Sie könnten im Rahmen der Leistungen nach § 82 Abs. 1 [X.] a.F. berücksichtigt werden. Die zusätzliche Möglichkeit einer Einrechnung in die gesonderte Berechnung nach § 82 Abs. 3 Satz 1 [X.] a.F. beschwöre das Risiko einer Doppelfinanzierung herauf.

4. Beide Urteile des [X.]s sind in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender methodisch einwandfreier Weise aus dem damaligen Gesetzeswortlaut des § 82 [X.] sowie mit historischen und systematischen Erwägungen begründet worden. Ob deren Ergebnis für die alltägliche Verwaltungspraxis praktikabel ist oder unnötigen weiteren Verwaltungsaufwand verursacht, bleibt für die hier allein am Maßstab des Verfassungsrechts vorzunehmende Kontrolle der Urteile unerheblich. Künftig wird die novellierte Fassung des § 82 [X.] vom 20. Dezember 2012 ([X.]) zu berücksichtigen sein, die betriebswirtschaftlich-kalkulatorische Ansätze bei den hier streitigen Positionen nach Maßgabe des Landesrechts zulässt (vgl. BTDrucks 17/11396, S. 17).

5. Die Entscheidungen des [X.]s entsprechen auch im Übrigen den Vorschriften des Grundgesetzes. Entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerin wird Art. 14 GG nicht durch die von ihr beanstandete Auslegung des damaligen Gesetzeswortlauts hinsichtlich der Bilanzpositionen ihrer Unternehmen verletzt, denn dadurch wird keines ihrer konkreten Eigentumsrechte geschmälert, sondern allenfalls anders bewertet. Das würde auch gelten, wenn der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in den Schutz des Art. 14 GG einbezogen sein sollte.

6. Eine Verletzung von Art. 12 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die beiden Urteile des [X.]s erlauben - allerdings an anderer Stelle - eine Einbeziehung aller drei streitbefangenen Aufwendungen in die Kalkulation der Unternehmen und berühren insoweit die Berufsausübung nicht. Die Notwendigkeit des jährlichen Ansatzes nachgewiesener und tatsächlich entstandener Kosten verursacht zwar zusätzlichen Verwaltungsaufwand, wird aber vom Ziel einer Vermeidung der Doppelfinanzierung gerechtfertigt. In keinem Fall wird die Führung der Unternehmen dadurch unmöglich oder ökonomisch sinnlos (vgl. zum Steuerrecht [X.] 31, 8 <22 f.>; 123, 1 <36 f.>).

7. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht zu erkennen. Zur denkbaren Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital oder zwischen geförderten und nicht geförderten Pflegeeinrichtungen haben die [X.] weder hinreichend vorgetragen noch deren sachliche Rechtfertigung durch das Ziel der Vermeidung einer Doppelfinanzierung erwogen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 617/12, 1 BvR 618/12

13.07.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 8. September 2011, Az: B 3 P 3/11 R, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 12 GG, Art 14 GG, § 82 Abs 3 SGB 11 vom 20.12.2012, § 82 Abs 3 S 3 Halbs 1 SGB 11 vom 09.09.2001, § 82 Abs 3 S 3 Halbs 2 SGB 11 vom 09.09.2001

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.07.2016, Az. 1 BvR 617/12, 1 BvR 618/12 (REWIS RS 2016, 8264)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8264

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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L 6 P 54/14 (LSG München)

Zustimmung gem. § 82 Abs. 3 SGB XI


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