Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2010, Az. VI ZR 249/09

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1613

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Gegenstand

Streit über die Prozessfähigkeit des Klägers: Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde; Hinwirken auf ordnungsgemäße Vertretung des Klägers


Leitsatz

1. Die mögliche mangelnde Prozessfähigkeit des Klägers führt nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei als prozessfähig anzusehen .

2. Das Gericht muss dafür Sorge tragen, dass einem prozessunfähigen Kläger ermöglicht wird, für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 28. Mai 2009, 6 AZN 17/09, NJW 2009, 3051) .

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 9. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 25.000 €

Gründe

1

1. Der Kläger nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Arzt für Radiologie, wegen vermeintlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer Angiographie in Anspruch. Der Beklagte ist den Vorwürfen entgegengetreten und hat unter anderem die Prozessfähigkeit des [X.] bestritten. Durch Zwischenurteil hat das Landgericht die Prozessfähigkeit des [X.] festgestellt. Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] das Zwischenurteil des [X.] aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Da es gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat, beantragt der Kläger mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht, um sein Klagebegehren weiterzuverfolgen.

2

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es die Klage wegen mangelnder Prozessfähigkeit des [X.] als unzulässig abgewiesen hat, ohne ihm Gelegenheit zu geben, die Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht nach § 1896 BGB zu erwirken und dadurch seine prozessualen Rechte wahrzunehmen.

3

a) Die mögliche mangelnde Prozessfähigkeit des [X.] führt nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene [X.] als prozessfähig anzusehen (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 1990 - [X.], [X.]Z 110, 294, 295; [X.], Urteil vom 20. Januar 2000 - 2 [X.], [X.]E 93, 248, 251).

4

b) Die Prozessfähigkeit ist zwingende Prozessvoraussetzung. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] prozessunfähig sein könnte, hat deshalb das jeweils mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Prozessunfähigkeit vorliegt. Dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des [X.]. Verbleiben nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit, so gehen nach ständiger Rechtsprechung etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten der betroffenen [X.] (vgl. Senatsurteil vom 9. Januar 1996 - [X.], NJW 1996, 1059, 1060; [X.], Urteil vom 4. November 1999 - [X.], [X.]Z 143, 122, 124; [X.], Urteil vom 20. Januar 2000 - 2 [X.], [X.]E 93, 248, 251 und [X.], Beschluss vom 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09, [X.], 3051 Rn. 4).

5

c) Das Berufungsgericht ist im Streitfall zwar zutreffend von den Grundsätzen des [X.] vom 9. Januar 1996 - [X.], aaO ausgegangen. Es hatte aufgrund der realitätsfernen Angaben des [X.] zu seiner Lebensgeschichte und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung begründeten Anlass, an der Prozessfähigkeit des [X.] zu zweifeln und hat daraufhin versucht, von Amts wegen die Prozessfähigkeit des [X.] durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären. Das in Auftrag gegebene Gutachten konnte jedoch nicht erstellt werden, weil der Kläger auf mehrfache Einladungen des Gutachters zu einem [X.] nicht erschienen ist. Deshalb hat das Berufungsgericht schließlich "die zur Beurteilung der Prozessfähigkeit des [X.] erschließbaren Erkenntnisquellen als erschöpft angesehen" und die Klage als unzulässig abgewiesen.

6

Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde war das Berufungsgericht im Rahmen des [X.] nicht verpflichtet, statt der Aufklärung der Prozessfähigkeit des [X.] mittels eines Sachverständigengutachtens jedes noch so unglaubhafte Detail aus dessen angeblicher Lebensgeschichte auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus gründeten sich die Zweifel des Berufungsgerichts an der Prozessfähigkeit des [X.] nicht lediglich auf dessen unglaubhaften Angaben zu seiner Lebensgeschichte, sondern auch auf seinem auffälligen Verhalten in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 2009.

7

d) Die weitere Verfahrensgestaltung des Berufungsgerichts verletzt jedoch den Kläger in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Ist eine [X.] prozessunfähig, kann sie sich nicht eigenverantwortlich äußern. Ihr kann rechtliches Gehör wirksam deshalb nur durch die Anhörung eines gesetzlichen Vertreters gewährt werden. Die Beteiligung allein des Prozessunfähigen reicht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht aus. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt von den Gerichten, die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachzuholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 2 BvR 1390/95, NJW 1998, 745; [X.], Urteil vom 5. Mai 1982 - [X.], [X.]Z 84, 24, 29 f. und [X.], Beschluss vom 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09, aaO Rn. 5). Nachdem das Berufungsgericht aufgrund der objektiven Beweislage von einer Prozessunfähigkeit des [X.] ausging, hätte es durch die weitere Verfahrensgestaltung dafür Sorge tragen müssen, dass ihm das bisher fehlende rechtliche Gehör gewährt wird.

8

Die Nichtzulassungsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] mit Schriftsatz vom 25. September 2008 hilfsweise beantragt hat, diesem einen Prozesspfleger zur Seite zu stellen. Dies ließ erkennen, dass der Kläger jedenfalls insoweit an seiner ordnungsgemäßen Vertretung im Rechtsstreit mitwirken wollte, sich aber im Rechtsirrtum darüber befand, wie und durch [X.] ein Vertreter zu bestellen war.

9

Das Berufungsgericht hätte dem Kläger daraufhin einen Hinweis geben müssen, dass er für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen habe und sich deshalb selbst um die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB bemühen müsse, der nur vom Vormundschaftsgericht, nicht aber vom Prozessgericht bestellt werden könne. Es hätte ihm dafür vor Erlass des [X.] die nötige Zeit einräumen müssen (vgl. [X.], Urteil vom 23. Februar 1990 - [X.], NJW 1990, 1734, 1736, insoweit nicht abgedruckt in [X.]Z 110, 294 und [X.], Beschluss vom 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09, aaO Rn. 6).

Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, dies - falls sich der Kläger nicht doch noch einer Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen stellt - im Rahmen einer neuen Verhandlung nachzuholen.

[X.]                                   Zoll                             Wellner

                Diederichsen                          [X.]

Meta

VI ZR 249/09

09.11.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 9. Juli 2009, Az: I-8 U 132/07, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 52 ZPO, § 139 ZPO, § 104 BGB, § 1896 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2010, Az. VI ZR 249/09 (REWIS RS 2010, 1613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1613

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