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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 46/12
Verkündet am:
21. November 2012
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 558d Abs. 1, 3
a)
Auf die
Prüfung, ob ein Mietspiegel die Anforderungen des §
558d Abs.
1 BGB erfüllt, kann im Bestreitensfall nicht schon deswegen verzichtet werden, weil der Mietspiegel von seinem Ersteller als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet oder von der Gemeinde und/oder
von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mie-ter als solcher anerkannt und veröffentlicht worden ist.
b)
Die Darlegungs-
und Beweislast für das Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels trägt diejenige Partei, die sich die Vermutung des §
558d Abs.
3 BGB zu Nutze machen will.
BGH, Urteil vom 21. November 2012 -
VIII ZR 46/12 -
LG Berlin
AG Berlin-Mitte
-
2 -
Der VIII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Milger, die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider sowie die Richterin Dr.
Fetzer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin vom 9. Dezember 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom selben Tag aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin-Mitte. Die Grundmiete belief sich seit Juli 2003 auf Mit Schreiben vom 21. De-zember 2009 forderte die Klägerin den Beklagten unter Benennung von vier Vergleichswohnungen auf, der Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1. März
auch Angaben für die Wohnung nach dem Berliner Mietspiegel 2009. Der Beklagte stimmte der Mieterhöhung nicht
zu.
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3 -
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf
Zustimmung zur Mieterhöhung entsprechend ihrem Mieterhöhungsverlangen vom 21. Dezember 2009 in An-spruch. Das Amtsgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehen-den Klage verurteilt, der Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1. März 2010 um ufung der Klägerin zurückgewiesen.
Mit der
vom Berufungsgericht
zugelassenen Re-vision verfolgt
die Klägerin ihr Zustimmungsbegehren im Umfang der Klageab-weisung weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat
Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (LG Berlin, GE 2012, 271) hat zur Begründung seiner Entscheidung
-
soweit für das Revisionsverfahren von Interesse -
im Wesentlichen ausgeführt:
Das Erhöhungsverlangen der Klägerin sei zwar formell wirksam. Der Klägerin stehe aber nach §§ 558 ff. BGB kein Anspruch gegen den Beklagten auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Nettokaltmiete über den vom Amtsge-richt zugesprochenen Betrag hinaus zu.
Da der Beklagte die
Höhe der von der Klägerin geltend gemachten
orts-üblichen Vergleichsmiete bestritten habe, müsse
die Berufungskammer die ortsübliche Vergleichsmiete ermitteln. Hierbei sei sie nicht an das vom Vermie-ter in seinem Erhöhungsverlangen verwendete Begründungsmittel gebunden. Die Kammer dürfe vielmehr
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trotz des Widerspruchs der Klägerin -
den Berliner 2
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4 -
Mietspiegel 2009
verwenden, bei dem es sich um einen qualifizierten
Mietspie-gel im Sinne des §
558d BGB handele. Aufgrund der in § 558d Abs. 3 BGB ent-haltenen Vermutung
sei davon auszugehen, dass die innerhalb der maßgebli-chen
Spanne liegenden Mietspiegelwerte die ortsübliche Miete für die Wohnun-gen des jeweiligen Mietspiegelfeldes darstellten. Diese Vermutungswirkung könne nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden. Erforderlich hier-für sei ein substantieller Angriff gegen die Erstellung des Mietspiegels nach den anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen.
Einen solchen Angriff habe die Klägerin nicht geführt. Ihre Rüge, die Ein-teilung der Wohnlagen im Berliner Mietspiegel sei unzureichend, weil dieser im Gegensatz zu anderen Großstädten nicht zusätzlich die
Kategorie "beste Wohnlage"
vorsehe, begründe nicht die Annahme, die Eingruppierung sei feh-lerhaft erfolgt. Die Klägerin habe
bereits nicht dargelegt, inwiefern der repräsen-tative Charakter der Einordnung in Wohnlagen allein deshalb nicht gewahrt sein solle, weil in verschiedenen Mietspiegeln unterschiedliche Einordnungen exis-tierten. Fehlerhaft wäre die im Berliner Mietspiegel vorgenommene Einteilung nur dann, wenn es lediglich eine einzige statistisch zutreffende Einteilung der Wohnlagen für alle Städte gäbe oder gerade in Berlin die vermisste
Kategorie "beste Wohnlage"
erforderlich wäre. Dafür wiederum bedürfte es eines Ab-gleichs der in der Kategorie
"gute Wohnlage"
erfassten
Wohnungen in Berlin, der zu dem Ergebnis
führen müsste, dass sich in diesem Bestand eine statis-tisch relevante Menge von Wohnungen befände, die sich in ihrem Marktpreis nicht nur unerheblich von den übrigen Wohnungen in guter Wohnlage unter-schieden. Dies sei ausweislich der im GEWOS-Endbericht über die Grundla-gendaten für den empirischen Mietspiegel 2009
enthaltenen Angaben
nicht der Fall. Der Anteil der Wohnungen in guter Wohnlage, für die eine Nettokaltmiete pro Quadratmeter erzielt werde, liege unter 1 % und sei daher zu ver-7
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nachlässigen. Eine -
wie die Klägerin meine -
"willkürliche Einteilung"
in Wohn-lagen weise der Berliner Mietspiegel 2009 damit nicht
auf.
Dass
die Klägerin ihr Erhöhungsverlangen zulässigerweise auf die für die
von ihr benannten Vergleichswohnungen gezahlten Mieten gestützt habe, hin-dere das Gericht nicht daran, auf die Einholung eines Sachverständigengutach-tens zu verzichten und stattdessen die ortsübliche Vergleichsmiete unter Ver-wendung eines qualifizierten Mietspiegels zu bestimmen. Die Verwendung ei-nes qualifizierten Mietspiegels nebst Schätzung der Spanneneinordnung durch das Gericht gemäß § 287 ZPO garantiere im Interesse beider Parteien eine ra-sche Entscheidung und vermeide den Anfall
von Gutachterkosten, die im Falle eines Teilunterliegens den Mieterhöhungsbetrag erheblich schmälern oder so-gar aufzehren könnten.
In Anwendung des Berliner Mietspiegels 2009 sowie der dort vorgesehe-nen Orientierungshilfen ergebe sich vorliegend eine ortsübliche Nettokaltmiete
II.
Diese Beurteilung hält
rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Mit der vom Berufungsgericht
gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin nach §§ 558 ff. BGB auf Zustimmung zu der von ihr verlangten Mieterhöhung nicht verneint werden.
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Klägerin ihr Mieterhöhungsverlangen ordnungsgemäß nach §
558a BGB begründet hat. Die Klägerin hat
sich zur Begründung der beabsichtigten Mieterhöhung auf die Benennung von vier Vergleichswohnungen gestützt (§
558a Abs. 2 Nr. 4 BGB; vgl. auch Senatsurteil vom 28. März 2012 -
VIII ZR 8
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79/11, NJW-RR 2012, 710 Rn. 10 f.) und -
seine Eignung als qualifizierter Miet-spiegel
unterstellend -
zusätzlich die im Berliner Mietspiegel 2009 vorgesehe-nen Angaben zur Wohnung mitgeteilt
(§ 558a Abs. 3 BGB).
2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur materiellen Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens sind hingegen von Rechtsfehlern beeinflusst.
a) Ist ein formell wirksames Mieterhöhungsverlangen gegeben, so ist vom Tatrichter materiell-rechtlich zu überprüfen, ob die konkret vom Vermieter verlangte Mieterhöhung nach § 558 BGB tatsächlich berechtigt ist, insbesonde-re ob die neue Miete innerhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt (Senatsur-teil vom 20. April 2005 -
VIII ZR 110/04, NJW 2005, 2074 unter II 2).
Die ortsüb-liche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Ge-meinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für
Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren verein-bart oder, von Erhöhungen nach § 560 BGB abgesehen, geändert worden sind (§ 558 Abs. 2 BGB). Nach diesen gesetzlichen Vorgaben ist ein objektiver Maßstab
anzulegen, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgel-te darstellen soll (BVerfGE 53, 352, 358). Die ortsübliche Vergleichsmiete darf im Prozess daher nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt wer-den, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§
286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben (Senatsurteil vom 16. Juni 2010
-
VIII ZR 99/09, NZM 2010, 665
Rn. 9; vgl. BVerfGE 37, 132, 143).
b)
Wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist der Tatrichter im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung nicht auf das im Erhöhungsver-langen des Vermieters genannte Begründungsmittel im Sinne des § 558a Abs.
2 BGB beschränkt. Existiert ein ordnungsgemäßer Mietspiegel, der Anga-12
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ben für die in Rede stehende Wohnung enthält, so darf dieser vom Tatrichter berücksichtigt werden.
aa) Dies folgt für einen Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaft-lichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertre-tern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (§ 558d Abs. 1 BGB; qualifizierter Mietspiegel), bereits aus der in § 558d Abs. 3 BGB vorgesehenen Vermutungswirkung. Der Gesetzgeber misst einem solchen Mietspiegel eine besondere Gewähr für die Richtigkeit und Aktualität der in ihm enthaltenen Da-ten und breite Akzeptanz zu (BT-Drucks. 14/4553, S. 57). Aus diesen Gründen wird von Gesetzes wegen (§ 292 ZPO) vermutet, dass die in einem qualifizier-ten, die zeitlichen Vorgaben des § 558d Abs. 2 BGB einhaltenden Mietspiegel bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben.
Diese Vermutungswirkung kann aber in der Praxis nur zum Tragen kommen, wenn der Tatrichter den qualifizierten Mietspiegel auch in dem Fall berücksichtigen darf, dass
der Vermieter sein Erhöhungsverlangen anderweitig begründet hat. Dass die Wahl eines anderen Begründungsmittels den Tatrichter nicht daran hindert, die ortsübliche Vergleichsmiete unter Verwendung eines qualifizierten Mietspiegels zu bestimmen, ergibt sich schließlich auch daraus, dass der Ge-setzgeber dem Vermieter zwingend aufgibt, in seinem Erhöhungsverlangen auch dann die nach dem qualifizierten Mietspiegel maßgeblichen Angaben zur Wohnung mitzuteilen, wenn er die Mieterhöhung auf eine andere Grundlage stützt
(§ 558a Abs. 3 BGB).
bb) Aber auch ein Mietspiegel im Sinne des § 558c Abs. 1 BGB, der die Voraussetzungen des § 558d Abs. 1 BGB nicht erfüllt (einfacher Mietspiegel), darf in die Überzeugungsbildung des Tatrichters einfließen. Ihm kommt zwar nicht die in § 558d Abs. 3 BGB dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung zu. Er stellt jedoch ein Indiz dafür dar, dass die dort ange-15
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gebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben (Se-natsurteil vom 16. Juni 2010 -
VIII ZR 99/09, aaO Rn. 12). Wie weit diese Indiz-wirkung reicht, hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere der Qualität des Mietspiegels
ab
(Senatsurteil vom 16. Juni 2010 -
VIII ZR 99/09, aaO
Rn.
12 f.; vgl. auch Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn.
IV/216).
c) Voraussetzung für die Berücksichtigung
des Mietspiegels
als Indiz oder als Vermutung im Rahmen der Überzeugungsbildung des Tatrichters ist jedoch, dass der Mietspiegel
die Tatbestandsmerkmale
des § 558c Abs. 1 BGB beziehungsweise des § 558d Abs. 1 BGB erfüllt.
Die Revisionserwiderung ver-kürzt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 558d Abs. 3 BGB, wenn sie für das Eingreifen der dort geregelten Vermutungswirkung allein ausreichen lassen will, dass "die Vorschrift des Abs. 2 eingehalten", also der Mietspiegel im Ab-stand von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst oder nach vier Jahren neu erstellt worden ist (vgl. § 558d Abs. 2 BGB). Sie lässt außer Betracht, dass §
558d Abs. 3 BGB ausdrücklich an die "im qualifizierten Mietspiegel genannten Entgelte"
anknüpft, in § 558d Abs. 2 BGB ebenfalls von einem qualifizierten Mietspiegel die Rede ist und sich damit beide Absätze auf die in § 558d Abs. 1 BGB enthaltene Legaldefinition des qualifizierten Mietspiegels beziehen.
Da an einen qualifizierten Mietspiegel bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind (Hinweispflicht im Rahmen des Mieterhöhungsverlangens nach §
558a Abs. 3 BGB, Vermutungswirkung nach § 558d Abs. 3 BGB), muss die Frage, ob es sich um einen -
ordnungsgemäß erstellten und anerkannten -
qualifizierten Mietspiegel handelt, für die
betroffenen Parteien auch überprüfbar sein
(vgl. BT-Drucks. 14/4553, aaO
zum Merkmal der Anwendung anerkannter wissenschaft-licher Methoden). Diese Überprüfung erfolgt nicht im Verwaltungsprozess (BVerwG, NJW 1996, 2046 ff. [für einen einfachen Mietspiegel]; OVG Münster, 17
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NZM 2006, 906 [für einen qualifizierten Mietspiegel]), sondern inzident im Rah-men eines Zivilprozesses über die Berechtigung einer Mieterhöhung (vgl. LG Bochum, DWW 2007, 298; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 10.
Aufl., §
558d
BGB Rn. 106; Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 558d Rn. 2).
aa)
Auf die Prüfung, ob ein Mietspiegel die Anforderungen des § 558d Abs. 1 BGB erfüllt, kann im Bestreitensfall nicht schon deswegen verzichtet werden, weil der Mietspiegel von seinem Ersteller als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet oder von der Gemeinde und/oder von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter als solcher anerkannt
und veröffentlicht worden ist. Denn diese Umstände beweisen noch nicht, dass die Voraussetzungen des §
558d Abs. 1 BGB auch tatsächlich erfüllt sind, insbesondere der Mietspiegel nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist (vgl.
Kinne in Beierlein u.a., Der Mietprozess, 2006, Kap.
4 Rn.
41; Staudinger/
Emmerich, BGB, Neubearb. 2011, § 558d Rn. 20; Langenberg, WuM 2001, 523, 525). Das Gericht muss vielmehr -
gegebenenfalls unter
Einholung amtli-cher Auskünfte gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 2
oder § 358a Nr. 2 ZPO -
über das Vorliegen der in §
558d Abs.
1 BGB genannten Voraussetzungen Beweis erhe-ben. Die Einhaltung/Nichteinhaltung
anerkannter
wissenschaftlicher
Grundsätze wird sich, sofern sie sich nicht bereits -
etwa aufgrund der im Mietspiegel oder den hierzu veröffentlichten
Erläuterungen enthaltenen (aussagekräftigen) An-gaben zum Verfahren der Datengewinnung und -auswertung sowie zu den ein-zelnen Bewertungsschritten -
als offenkundig darstellt oder vom
Gericht in eige-ner Sachkunde beurteilt werden kann, häufig nur durch ein Sachverständigen-gutachten klären
lassen (vgl. Staudinger/Emmerich, aaO Rn. 15, 18; Börsting-haus, NZM 2000, 1087, 1092; Mersson, ZMR 2002, 806, 809).
Es wird aber durchaus auch Fälle geben, in denen eine ausreichende Klärung durch die An-hörung von sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) -
etwa von Experten, die an der Erstellung des Mietspiegels maßgeblich beteiligt waren -
herbeigeführt wer-19
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den kann. Ob im Bestreitensfall ein Sachverständigengutachten erforderlich ist, hängt vorrangig von der Art der gegen den Mietspiegel vorgebrachten Einwen-dungen, der Aussagekraft der vorhandenen und zugänglichen Dokumentation
der Datenerhebung und Datenauswertung,
dem Inhalt der Erläuterungen zu der im Mietspiegel angewandten Methodik und der eigenen Sachkunde des Ge-richts
ab.
(1) Die Notwendigkeit, bei
Bestreiten des Vorliegens
eines qualifizierten Mietspiegels hierüber Beweis zu erheben, birgt allerdings die Gefahr in sich, dass die in § 558d Abs. 3 BGB vorgesehene
Vermutung ihre verfahrensverein-fachende Funktion (vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. April 2005 -
VIII ZR 110/04, aaO unter II 2 c cc) im Ergebnis weitgehend einbüßt. Denn die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Mietspiegel nach anerkann-ten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde, ist in aller Regel kosten-
und zeitaufwändig.
(2) Diese Auswirkungen sind jedoch als unvermeidbar hinzunehmen, denn das Gesetz knüpft die -
verfahrenserleichternde -
Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 BGB nur an einen Mietspiegel, der den Anforderungen des §
558d Abs. 1 BGB unstreitig, offenkundig (§ 291 ZPO) oder nachweislich ge-nügt
(Staudinger/Emmerich, aaO Rn. 15). Sie lassen sich zudem
durch eine sachgerechte Anwendung zivilprozessualer Grundsätze auf ein für die beteilig-ten Parteien vertretbares Maß verringern.
(a) Von der Partei, die das Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels in Abrede stellt, ist zunächst zu verlangen, dass sie im Rahmen des Möglichen substantiierte Angriffe gegen den Mietspiegel vorbringt, sofern die Erstellung des Mietspiegels in allgemein zugänglichen Quellen dokumentiert ist (vgl.
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11 -
Staudinger/Emmerich, aaO Rn.
15, 19; großzügiger dagegen
Schmidt-Futterer/Börstinghaus, aaO Rn. 99).
Der Gesetzgeber des Mietrechtsreformgesetzes ist bei Einführung des qualifizierten Mietspiegels davon ausgegangen, dass dessen Erstellung doku-mentiert wird (BT-Drucks. 14/4553, S. 57). Auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen hat im Rahmen seiner -
in den Gesetzes-materialien in Bezug genommenen -
"Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln"
aus dem Jahr 2002 ausgeführt, dass ein qualifizierter Mietspiegel "zwingend zu dokumentieren"
ist, "um die Ergebnisse nachvollziehen und überprüfen zu kön-nen". Hierzu sollen "insbesondere die angewandten Methoden ausführlich und möglichst verständlich"
dargestellt werden (S. 33; vgl. auch S. 34). Geschieht dies -
wie die "Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln"
ebenfalls vorausset-zen (S. 34) -
in allgemein zugänglicher Form, lassen sich manche Fragestellun-gen (wie beispielsweise die der einer Wohnlageneinordnung zugrunde gelegten Kriterien) ohne weiteres
klären. Informationen, die sich aus einer derartigen Do-kumentation ergeben, kann die Partei, die den qualifizierten Mietspiegel nicht anerkennen
will, nicht mehr mit Nichtwissen bestreiten. Sie muss sich vielmehr mit dem Inhalt der Dokumentation substantiiert auseinandersetzen, soweit dies ohne Fachkenntnisse -
etwa auf dem Gebiet der
Statistik -
möglich ist.
(b) Liegt ein substantiiertes Bestreiten vor, wird
sich in manchen Fällen die richterliche Überzeugung über die Einhaltung/Nichteinhaltung wissenschaft-lich anerkannter Grundsätze bei der Erstellung des Mietspiegels auf einfachere Weise als durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gewinnen las-sen, etwa aufgrund ergiebiger Erläuterungen im Mietspiegel und ergänzend eingeholter amtlicher Auskünfte, durch Anhörung sachverständiger Zeugen
oder kraft ausreichender eigener Sachkunde des Gerichts.
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(c) Schließlich kann auch in den Fällen, in denen
für eine ausreichende Klärung der Streitfragen ein Sachverständigengutachten unverzichtbar ist, unter Umständen die Möglichkeit
bestehen, auf bereits existierende Gutachten zu-rückzugreifen. Ein in einem anderen Verfahren über die Frage der Einhaltung anerkannter wissenschaftlicher Methoden erhobenes
Gutachten kann gegebe-nenfalls entweder nach §
411a ZPO als Sachverständigenbeweis oder nach §§
415 ff. ZPO als Urkundenbeweis verwertet werden.
bb) Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen hätte das Berufungs-gericht im Streitfall die ortsübliche Vergleichsmiete nicht allein unter Verweis auf die in
§ 558d Abs. 3 BGB einem qualifizierten Mietspiegel zugeschriebene Vermutung feststellen dürfen. Denn die Klägerin hat bestritten, dass der Miet-spiegel 2009 der Stadt Berlin nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsät-zen erstellt wurde. Dieses Bestreiten war -
unabhängig von der Frage, ob der
vom Berufungsgericht herangezogene GEWOS-Endbericht über die Grundla-gendaten für den Mietspiegel 2009
nicht, so die Rüge der Revision, allgemein zugänglich ist -
auch hinreichend substantiiert. Die Klägerin hat moniert, die Einordnung der Wohngebiete
im Berliner Mietspiegel 2009 beruhe -
anders als etwa beim
Münchner Mietspiegel -
nicht auf überprüfbaren anerkannten wis-senschaftlichen Erkenntnissen und Erhebungen, sondern auf einer willkürlichen und realitätsfremden, nicht am tatsächlichen Mietniveau orientierten
Einteilung einzelner Straßen und Gebiete in die drei Wohnlagen "einfach", "mittel"
und "gut", wobei die im Münchner Mietspiegel vorgesehene Kategorie "beste Wohn-lage"
gar nicht vorgesehen sei.
Hierbei hat sie insbesondere die im Straßenver-zeichnis zum Mietspiegel 2009 vorgenommene Einordnung der streitgegen-ständlichen Wohnung in die Kategorie
"einfache Wohnlage"
bemängelt und da-zu vorgetragen, die Wohnung liege in einem
-
vor allem wegen seiner
Infra-struktur -
besonders beliebten Innenstadtgebiet
(Berlin-Mitte), in dem
deutlich über dem einschlägigen Höchstwert des Berliner Mietspiegels 2009 liegende
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13 -
Mieten erzielt würden. Dies werde exemplarisch dadurch belegt, dass von 30 Wohnungen im Bestand der Klägerin
nur drei innerhalb der im einschlägigen Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne lägen. Die Klägerin hat damit die Rich-tigkeit und
Repräsentativität des
dem Mietspiegel zugrunde
gelegten Datenma-terials
substantiiert in Frage gestellt. Mit diesen Einwänden hat sich das Beru-fungsgericht in seinen Urteilsgründen nicht hinreichend befasst. Es ist lediglich auf die Rüge der Klägerin eingegangen, der Berliner Mietspiegel
2009 sehe nicht die Kategorie "beste Wohnlage"
vor. Dass das Berufungsgericht sämtliche Einwendungen der Klägerin aus eigener Sachkunde und ausschließlich unter Verwertung ordnungsgemäß in den Prozess eingeführter Unterlagen hat wider-legen können, ist weder dem Berufungsurteil zu entnehmen noch sonst ersicht-lich.
Das Berufungsgericht hätte daher den Berliner Mietspiegel 2009 nicht ohne Klärung der strittigen Punkte als qualifizierten Mietspiegel im Sinne des §
558d BGB bewerten dürfen.
3.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
a) Zwar hätte das Erhöhungsbegehren der Klägerin nach ihrem bisheri-gen Vortrag
auch dann keinen Erfolg gehabt, wenn das Berufungsgericht nicht oder jedenfalls
nicht unter Heranziehung der Vermutungswirkung des §
558d Abs. 3 BGB auf den Berliner Mietspiegel 2009 zurückgegriffen hätte. Denn die Klägerin hat für ihre vom Beklagten
in Abrede gestellte
Behauptung, die be-gehrpro Quadratmeter sei ortsüblich, keinen Beweis ange-boten. Sie hat sich insofern lediglich auf die bereits im Erhöhungsverlangen ge-nannten vier Vergleichswohnungen bezogen. Abgesehen davon, dass der Be-klagte die Vergleichbarkeit der benannten Wohnungen bestritten hat, stellen vier Wohnungen im Regelfall
eine zu geringe Datengrundlage dar, um im Pro-zess die ortsübliche Vergleichsmiete zu beweisen (vgl. LG Düsseldorf, WuM 27
28
-
14 -
1990, 393; LG Berlin, GE 2004, 482; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, aaO, §
558a BGB Rn. 149;
"Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln"
des Bundes-ministeriums für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen, S. 15).
Allerdings ist die Klägerin -
wie die Revision auch rügt -
auf diesen Umstand entgegen §
139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
ZPO
bislang nicht hingewiesen worden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986 -
III
ZR 121/85, NJW 1987, 591 unter III 2; OLG Köln, NJW 1995, 2116; Musielak/Stadler, ZPO, 9. Aufl., § 139 Rn. 14). Ihr darf daher nicht die Gelegenheit abgeschnitten werden, einen entsprechenden
Beweisan-tritt nachzuholen.
b)
Bei der Würdigung eines zur Ortsüblichkeit der verlangten Miete ein-geholten Sachverständigengutachtens wird der Tatrichter zu berücksichtigen haben, dass in den Fällen, in denen ein qualifizierter Mietspiegel für das be-troffene Wohngebiet vorliegt, diesem eine besondere Gewähr für die Richtigkeit und Aktualität der in ihm enthaltenen Daten zukommt (vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 57).
Sofern der Mieter diese gesteigerte Richtigkeitsgewähr für sich in An-spruch nehmen und sich die Vermutungswirkung des § 558d Abs.
3 BGB zu Nutze machen will, muss er entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (vgl. auch schon LG Berlin, GE
2004, 1296)
darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der verwendete Mietspiegel die Voraussetzungen des § 558d
Abs. 1 BGB erfüllt und es sich somit um einen qualifizierten Mietspiegel handelt (Palandt/
Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 558d Rn. 6; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, aaO § 558d BGB Rn.
95 ff.; Staudinger/Emmerich, aaO Rn.
20 f.; MünchKomm
BGB/Artz, 6. Aufl., § 558d Rn.
7; Soergel/Heintzmann, aaO
Rn. 4; Bamberger/
Roth/Schüller, BGB, 3. Aufl., § 558d Rn. 20 f.; Erman/Dickersbach, BGB, 13.
Aufl., § 558d Rn.
6; NK-BGB/Scheff, 2. Aufl., §
558d Rn. 9; Kinne, aaO; Börstinghaus, NZM 2002, 273, 276 f.; Rips, WuM 2002, 415, 419; Langenberg, aaO; Mersson, aaO; Kniep/Gratzel, WuM 2008, 645, 646).
29
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15 -
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif
ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Parteien ihren Vortrag ergänzen können und das Berufungsgericht die
da-nach
gegebenenfalls
erforderlichen Feststellungen treffen kann
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ball
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
AG Berlin-Mitte, Entscheidung vom 22.03.2011 -
2 C 252/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 09.12.2011 -
63 S 220/11 -
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Meta
21.11.2012
Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.11.2012, Az. VIII ZR 46/12 (REWIS RS 2012, 1170)
Papierfundstellen: REWIS RS 2012, 1170
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VIII ZR 46/12 (Bundesgerichtshof)
Zustimmungsprozess zum Mieterhöhungsverlangen bei Wohnraummiete: Tatrichterliche Prüfung des Vorliegens eines qualifizierten Mietspiegels; Darlegungs- und Beweislast
VIII ZR 346/12 (Bundesgerichtshof)
Erhöhung der Wohnraummiete: Anforderungen an einen qualifizierten Mietspiegel
VIII ZR 346/12 (Bundesgerichtshof)
VIII ZR 263/12 (Bundesgerichtshof)
Mieterhöhung bei Wohnraum: Unverwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens; Berücksichtigung eines einfachen Mietspiegels
VIII ZR 269/12 (Bundesgerichtshof)
Mieterhöhung bei Wohnraum: Unverwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens; Berücksichtigung eines einfachen Mietspiegels