Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.01.2018, Az. X B 122/17

10. Senat | REWIS RS 2018, 14882

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Gegenstand

Ladungsfähige Anschrift - "Wohnungsloser" beschrifteter Briefkasten ersetzt nicht tatsächlichen Wohnsitz - Zurückverweisung an das FG wegen Verfahrensfehler durch unterlassene persönliche Anhörung eines Beteiligten


Leitsatz

1. NV: Zur Bezeichnung des Klägers gehört grundsätzlich die Angabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger Anschrift. Das gilt auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist .

2. NV: Die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt nur, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist .

3. NV: Die Angabe ist unmöglich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt .

4. NV: Hierzu kann die persönliche Anhörung des Klägers eine zweckentsprechende Möglichkeit der Sachaufklärung sein .

5. NV: Ein beschrifteter Briefkasten, der nicht zu einem tatsächlichen Wohnsitz gehört, ersetzt diesen nicht .

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 20. Juli 2017  6 K 696/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

[X.]m 11. Mai 2016 erhob der [X.]rozessbevollmächtigte ([X.]) Klage für die Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin). [X.]ls [X.]nschrift der Klägerin war die [X.]dresse [X.] angegeben. Nach einem Schriftsatzaustausch zur Sache lud das Finanzgericht ([X.]) zur mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2017 und ordnete das persönliche [X.]rscheinen der Klägerin an. Die [X.]adung der Klägerin sollte förmlich mit der [X.] zugestellt werden. [X.]uf dem entsprechenden [X.]riefumschlag war unter dem Feld "[X.]ei der Zustellung zu beachtende Vermerke" angekreuzt "Nicht durch Niederlegung zustellen". Die Option "[X.]rsatzzustellung ausgeschlossen" war hingegen nicht angekreuzt. [X.]uf der [X.], die unter dem 5. Mai 2017 (unleserlich) gezeichnet ist, ist der Vermerk angekreuzt "[X.]dressat unter der angegebenen [X.]nschrift nicht zu ermitteln".

2

Die [X.] gelangte am 9. Mai 2017 an das [X.] zurück. [X.]ine Mitarbeiterin des [X.] teilte am selben Tage einer Mitarbeiterin der Kanzlei des [X.] telefonisch mit, die [X.]ost sei als unzustellbar zurückgekommen. [X.]etztere erklärte, bei [X.] sei auch keine andere [X.]dresse gespeichert. Mit Schreiben vom 11. Mai 2017 forderte die [X.]erichterstatterin des [X.] [X.] auf, eine ladungsfähige [X.]nschrift der Klägerin mitzuteilen, da die [X.]adung nicht habe zugestellt werden können und die Klägerin unter der [X.]nschrift in [X.] nicht zu ermitteln sei. [X.]ine [X.]ntwort ging nicht ein. Nach einer Melderegisterauskunft vom 17. Juli 2017 war die Klägerin am 15. [X.]pril 2015 nach [X.] ([X.]usland) verzogen.

3

Weitere [X.]ktivitäten zur Frage der [X.]nschrift der Klägerin sind nicht aktenkundig. [X.]usweislich des [X.]rotokolls und der Feststellungen des Urteils hatte sich [X.] am 19. Juli 2017 bei der [X.]erichterstatterin telefonisch gemeldet und gefragt, ob die [X.]nwesenheit der Klägerin, die Herzprobleme habe, erforderlich sei. Sie könne aber erscheinen. Die [X.]erichterstatterin wies darauf hin, dass die ladungsfähige [X.]nschrift der Klägerin und deshalb die Zulässigkeit der Klage fraglich sei. In einem erneuten Telefonat teilte [X.] mit, er habe mit der Klägerin gesprochen. Unter der [X.]nschrift in [X.] sei sie erreichbar und erhalte [X.]ost wie etwa Steuerbescheide. Sie habe sich im [X.]usland aufgehalten und als Reiseleiterin gearbeitet, zuletzt in [X.] Sie habe vor, sich nächste Woche wieder in [X.] anzumelden. Die [X.]erichterstatterin erklärte, im Termin werde über die Zulässigkeitsproblematik verhandelt. Sollte im Termin mit dem tatsächlichen Wohnort eine ladungsfähige [X.]nschrift genannt werden, müsse diese erst geprüft und die Klägerin geladen werden, so dass zur [X.]egründetheit nicht verhandelt werde. Für die Frage der Zulässigkeit müsse aber die Klägerin bei schlechtem Gesundheitszustand nicht erscheinen.

4

Im Termin der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2017 wurde ausweislich des [X.]rotokolls festgestellt, dass die [X.]adung der Klägerin unter der [X.]nschrift [X.] nicht habe zugestellt werden können. Nach [X.]rörterung der Sach- und Rechtslage nahm [X.] [X.]insicht in die [X.]-[X.]kte, worauf die Sitzung für 23 Minuten (11:09 Uhr bis 11:32 Uhr) unterbrochen wurde. [X.]nschließend heißt es, der Vorsitzende habe mit [X.], der unter der [X.]nschrift in [X.] lebe, telefoniert. [X.] habe angegeben, dass die Klägerin derzeit nicht bei ihm lebe und keine Wohnung bei ihm habe. [X.]ost für die Klägerin, die in den [X.]riefkasten, auf dem auch ihr Name stehe, eingeworfen werde, sammele er. [X.] melde sich die Klägerin und hole die [X.]ost ab oder nenne eine [X.]dresse, wo er die [X.]ost [X.]. [X.]r wisse nicht, wo sie wohne. Sie könne bei ihm übernachten, wenn sie gelegentlich in [X.] sei. In der letzten [X.] habe er keinen Kontakt zu der Klägerin gehabt.

5

[X.] wiederum habe während derselben Sitzungsunterbrechung mit der Klägerin telefoniert und mitgeteilt, die Klägerin habe sich zuletzt im [X.]usland aufgehalten. Sie sei als Reiseleiterin tätig, zuletzt in [X.] Derzeit sei sie in [X.] und wolle in den nächsten Tagen wieder Wohnsitz in [X.] nehmen. [X.]ine zeitliche Konkretisierung nahm er nicht vor. [X.]inen aktuellen Wohnsitz gab er trotz ausdrücklicher Nachfrage des Vorsitzenden nicht an. Während einer weiteren vierminütigen Unterbrechung der Verhandlung (11:43 Uhr bis 11:47 Uhr) versuchte [X.] erfolglos, die Klägerin nochmals telefonisch zu erreichen. [X.]r erklärte sodann, nachdem ihm die [X.]erichterstatterin in einem Telefonat am 19. Juli 2017 mitgeteilt habe, dass die persönliche [X.]nwesenheit der Klägerin im heutigen Termin nicht erforderlich sei, sei ihm eine weitere [X.]ufklärung des Sachverhalts heute nicht möglich. [X.] beantragte [X.], um zu der am selben Tage durchgeführten [X.]kteneinsicht wegen der Zustellung der [X.]adung und dem [X.]rgebnis des Telefonats des Vorsitzenden mit [X.] Stellung nehmen zu können, sowie Vertagung der mündlichen Verhandlung.

6

Mit am selben Tage verkündetem Urteil wies das [X.] die Klage ab. [X.]in [X.] sei nicht zu gewähren. Nachdem [X.] bereits mit Schreiben vom 11. Mai 2017 auf den [X.]adungsmangel hingewiesen worden sei, habe er hinreichend [X.] gehabt, sich hierzu zu erklären und bereits zuvor [X.]kteneinsicht zu nehmen. Nachdem die Klägerin nie vorgetragen habe, in [X.] ihren tatsächlichen Wohnsitz zu haben, [X.] nichts anderes bestätigt habe, stelle dies keine neue Sachlage dar, zu der eine [X.]rklärung nachgereicht werden müsse. Die Verhandlung sei aus im Wesentlichen denselben Gründen auch nicht zu vertagen. [X.] hätte vor und in der mündlichen Verhandlung den tatsächlichen Wohnsitz der Klägerin benennen können, insbesondere, nachdem er sowohl am 19. als auch am 20. Juli 2017 während der Sitzungsunterbrechung mit der Klägerin telefoniert habe und diese ihn sogleich hätte informieren können. Stattdessen sei die wiederholte ausdrückliche Nachfrage des Vorsitzenden nach dem aktuellen Wohnsitz unbeantwortet geblieben.

7

Die Klage sei unzulässig, da eine ladungsfähige [X.]nschrift der Klägerin nicht bekannt sei. [X.]ine ordnungsgemäße Klageerhebung erfordere regelmäßig die [X.]ezeichnung des [X.] unter [X.]ngabe seiner ladungsfähigen [X.]nschrift, d.h. des tatsächlichen Wohnorts, auch wenn eine Vertretung durch einen [X.]rozessbevollmächtigten stattfinde. Das Gericht müsse das persönliche [X.]rscheinen anordnen können, die [X.]nschrift im Rubrum angeben und, wenn dies auch u.U. nachrangig sei, Kosten [X.] können. Tatsächlich sei die ladungsfähige [X.]nschrift der Klägerin nicht bekannt. Die [X.]nschrift in [X.] sei keine solche. Die [X.]adung habe dort nicht erfolgen können. Mängel des Zustellungsversuchs seien nicht ersichtlich. [X.] habe bestätigt, dass die [X.]nschrift nicht der tatsächliche Wohnsitz der Klägerin sei. [X.]ine ladungsfähige [X.]nschrift sei auch nicht ermittelbar gewesen. Die [X.]ngaben des [X.] zu den [X.]ufenthalten der Klägerin vor ihren [X.]ufenthalten in [X.] seien pauschal und zeitlich nicht einzuordnen. Nach [X.]uffassung des [X.] versuche die Klägerin bewusst, ihren Wohnort zu verheimlichen. Dafür, dass die [X.]ngabe einer ladungsfähigen [X.]nschrift wegen besonderer Umstände unzumutbar sei ([X.]), sei nichts ersichtlich.

8

Mit ihrer [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin alle drei Zulassungsgründe nach § 115 [X.]bs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), vornehmlich Verfahrensfehler i.S. des § 115 [X.]bs. 2 Nr. 3 [X.]O, geltend.

9

[X.]s sei bereits eine grundsätzliche Frage, ob die Klägerin überhaupt einen tatsächlichen Wohnsitz haben und angeben müsse, um Klage gegen Steuerbescheide führen zu können. [X.]benso sei es von grundsätzlicher [X.]edeutung, ob besondere Umstände die [X.]ngabe einer ladungsfähigen [X.]nschrift im Sinne einer mehr oder weniger ständigen Wohnanschrift entbehrlich machen könnten.

Das [X.] weiche auch von der [X.]ntscheidung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) vom 18. [X.]ugust 2011 V [X.] 44/10 ([X.]FH/NV 2011, 2084) ab. Die Klägerin dürfe nicht schlechter gestellt werden als eine GmbH, um die es dort gegangen sei. Das [X.] gehe davon aus, dass nur im Falle des Verstoßes gegen die sog. [X.] die [X.]ngabe eines Wohnsitzes verzichtbar sei. [X.]s ergebe sich aber aus der Rechtsprechung des [X.]FH, dass von einem [X.]eteiligten darüber hinaus nicht Unmögliches oder Unzumutbares verlangt werden könne. Die [X.]enennung einer ladungsfähigen [X.]nschrift im Sinne einer mehr oder weniger ständigen Wohnanschrift sei der Klägerin angesichts der besonderen Umstände des Falles unzumutbar. Wenn die ladungsfähige [X.]nschrift, nicht aber der tatsächliche Wohnsitz mitgeteilt worden sei, dann deshalb, weil die Klägerin über keinen festen Wohnsitz im Sinne des [X.] und [X.]bgabenrechts verfügt habe. In [X.], wo sie sich zuletzt aufgehalten habe, gebe es keine Meldepflicht. [X.]ine ladungsfähige [X.]nschrift müsse nicht genannt werden, wenn die Klägerin über eine solche nicht verfüge. Sie sei auch nicht erforderlich, da die Identität der Klägerin feststehe und die Möglichkeit der Zustellung durch einen [X.]evollmächtigten sichergestellt sei.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht habe das [X.] zunächst den [X.]nspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus [X.]rt. 19 [X.]bs. 4 des Grundgesetzes (GG) in mehrfacher Hinsicht verletzt.

Zunächst sei mit der [X.]nschrift in [X.] ordnungsgemäß die ladungsfähige [X.]nschrift der Klägerin benannt worden. Die Zustellung hätte nur postalisch ordnungsgemäß erfolgen müssen. Nach § 155 [X.]O i.V.m. § 171 der Zivilprozessordnung (Z[X.]O) hätte die Zustellung an [X.] erfolgen können, ebenso eine [X.]rsatzzustellung durch [X.]inlegen in den [X.]riefkasten nach § 155 [X.]O i.V.m. § 180 Z[X.]O oder durch Niederlegung nach § 155 [X.]O i.V.m. § 181 Z[X.]O.

Weiter liege in der Versagung des [X.]es eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Zwar habe es kein neues [X.]ngriffs- oder Verteidigungsvorbringen des Gegners gegeben. Wohl aber sei ein [X.]eweismittel, nämlich die [X.], zu beanstanden gewesen.

Da [X.] die [X.]nschrift sei, über die die Klägerin bei ordnungsgemäßer Zustellung auch geladen werden könne, habe [X.] eine andere [X.]nschrift nicht mitteilen können. Da das Gericht von [X.]mts wegen die ordnungsgemäße [X.]adung überprüfen müsse, wäre es nicht zumutbar gewesen, nach jeder nicht zustellbaren [X.]adung o.Ä. [X.]insicht in die Gerichtsakte zu beantragen. Warum die Klägerin unter der angegebenen [X.]nschrift nicht zu ermitteln gewesen sein soll, sei nicht klar, zumal nach allseitigen [X.]ngaben dort ein [X.]riefkasten mit ihrem Namen vorhanden sei. [X.]uch neuere Steuerbescheide, gegen die die Klägerin teilweise im [X.] vorgehe, würden nach [X.] versandt.

[X.]benso habe die fehlende Vertagung rechtliches Gehör verletzt.

Durch [X.]blehnung von [X.] oder Vertagung sei der Klägerin die Möglichkeit abgeschnitten worden darzulegen, dass sie alle [X.]ostsendungen unter der [X.]nschrift in [X.] grundsätzlich erreichen und sie [X.] regelmäßig aufsuche, wenn sie sich im Inland befinde. Die missglückte Zustellung selbst habe folgerichtig ebenfalls ihr rechtliches Gehör verletzt.

Weiter sei die [X.]eweiserhebung durch [X.]nhörung des [X.], auf die sich das Urteil stütze, nicht verfahrensgerecht gewesen. Nach der mündlichen Verhandlung --als [X.] nicht mehr möglich gewesen [X.] habe sich [X.] mit der Klägerin in Verbindung gesetzt. [X.]uf deren Hinweis habe [X.] den [X.] angerufen. Nach [X.]ngabe des [X.] habe ihn am Tag der mündlichen Verhandlung niemand angerufen. Vielmehr habe ein Herr [X.] bei ihm geklingelt, sich als [X.] am [X.] vorgestellt und ihm sein Handy gegeben. Darauf habe er erklärt, dass er regelmäßig die [X.]ost an die Klägerin weiterleite und die Klägerin, wenn sie in [X.] sei, stets bei ihm wohnen könne. Diese Vorgehensweise verstoße gegen § 81 [X.]bs. 2 [X.]O. Zum einen fehle ein [X.]eweisbeschluss, mit dem [X.] hätte beauftragt werden können. Zum anderen gehöre er nicht dem zuständigen Senat an. Damit liege außerdem ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der [X.]eweisaufnahme und gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters vor. [X.]s sei auch davon auszugehen, dass [X.] nicht belehrt worden sei.

Das [X.] sei schließlich seiner Sachaufklärungspflicht aus § 76 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]O nicht nachgekommen. Trotz [X.]nhaltspunkten für das unverschuldete Fehlen eines Wohnsitzes habe es nichts unternommen, um dieser aus seiner Sicht wesentlichen Frage nachzugehen. Zudem seien die Überlegungen des [X.], warum die [X.]ngaben der Klägerin nicht ausreichen sollten, unschlüssig. [X.]s könne sich nicht darauf berufen, eine sachgerechte [X.]rozessführung setze die Kenntnis des tatsächlichen Wohnorts voraus, um das persönliche [X.]rscheinen anzuordnen und durchzusetzen. Die Klägerin sei ausdrücklich bereit gewesen, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Das [X.] habe auf Nachfrage durch die [X.]erichterstatterin, der die [X.]rozesssituation bewusst gewesen sei, auf die [X.]nwesenheit der Klägerin verzichtet, sie ausdrücklich als "nicht erforderlich" bezeichnet. Die Klägerin hätte ihre Wohnverhältnisse während der gesamten Verfahrenszeit detailliert dem [X.] erläutern können. Das [X.] setze sich in Widerspruch zu sich selbst, verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, wenn es einerseits die Zulässigkeit der Klage an einem vermeintlich oder tatsächlich fehlenden Wohnsitz der Klägerin scheitern lasse, andererseits die Teilnahme der Klägerin an der mündlichen Verhandlung, die zu einer umfassenden [X.]ufklärung hätte führen können, unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit als nicht erforderlich bezeichnet. [X.]s sei ein Zirkelschluss zu erklären, die [X.]nwesenheit der Klägerin sei nicht erforderlich, die Unzulässigkeit aber damit zu begründen, die [X.]nwesenheit sei nicht gewährleistet.

Der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (das Finanzamt) tritt der [X.]eschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Das [X.] ist in Bezug auf seine Feststellung, die Klägerin habe das Fehlen einer [X.] [X.]nschrift nicht glaubhaft gemacht, sondern verheimliche ihren Wohnort, entgegen § 76 [X.]bs. 1, 2 [X.]O seiner Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Darin liegt ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 [X.]bs. 2 Nr. 3 [X.]O, der den [X.] zur Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 116 [X.]bs. 6 [X.]O veranlasst.

1. Das [X.] hat in Bezug auf die Glaubhaftmachung entgegen § 76 [X.]bs. 1, 2 [X.]O die sich in der Verfahrenslage dieses besonders gelagerten Einzelfalls aufdrängende Möglichkeit der Sachaufklärung durch [X.]nhörung der Klägerin nicht genutzt. Die Sachaufklärung ist ihrerseits auf die Frage gerichtet, ob die Klägerin über einen tatsächlichen Wohnsitz verfügt.

a) Denn nach § 65 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]O muss die Klage u.a. den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des [X.] gehört grundsätzlich die [X.]ngabe des tatsächlichen Wohnorts als ladungsfähiger [X.]nschrift, und zwar auch dann, wenn der Kläger durch einen [X.]rozessbevollmächtigten vertreten ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 30. Juni 2015 X B 28/15, [X.], 1423, unter [X.], m.w.N.). Die [X.]flicht zur [X.]ngabe der [X.]nschrift entfällt nur, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Sie ist unmöglich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche [X.]nschrift nicht verfügt. Dann aber müssen dem Gericht die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der [X.] [X.]nschrift des [X.] verzichtet werden kann (vgl. Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 13. [X.]pril 1999  1 [X.] 24/97, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 2608, [X.] --HFR-- 2000, 382, zu der mit § 65 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]O insoweit identischen Vorschrift des § 82 [X.]bs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO--).

b) Bislang stellt sich folgende Situation dar:

aa) Die [X.]ngabe der [X.]nschrift in [X.] war tatsächlich keine [X.]ngabe einer Wohnanschrift in diesem Sinne. [X.]uch nach den [X.]ngaben des [X.] hatte die Klägerin dort keinen Wohnsitz, sondern hielt sich allenfalls sporadisch besuchsweise bei [X.] auf. Das Vorhalten eines Briefkastens begründet keinen Wohnsitz. Es kann daher offenbleiben, ob es unter der [X.]nschrift in [X.] überhaupt einen Briefkasten mit dem Namen der Klägerin gegeben hat, ob der Vermerk des Zustellers, der [X.]dressat sei unter der angegebenen [X.]nschrift nicht zu ermitteln, gegenteilig zu verstehen ist und ob er deswegen auch keine scheinbar ordnungsgemäße Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten unternommen hat, oder ob der Zusteller vielmehr wusste, dass die Klägerin in [X.] keinen Wohnsitz hat und deshalb pflichtgemäß eine derartige Scheinzustellung nicht unternahm. Selbst ein beschrifteter Briefkasten, der nicht zu einem tatsächlichen Wohnsitz gehört, wäre nur einem [X.]ostfach vergleichbar (zur Rechtslage beim [X.]ostfach eingehend BVerwG-Urteil in NJW 1999, 2608, [X.], 382). Insbesondere erlaubt er von Rechts wegen weder die Ersatzzustellung nach § 178 Z[X.]O durch Übergabe des Schriftstücks an eine dritte [X.]erson noch die Ersatzzustellung nach § 180 Z[X.]O durch Einlegen in den Briefkasten noch die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 181 Z[X.]O, da alle Zustellungsformen das Vorhandensein einer Wohnung voraussetzen. Daran ändert auch nichts, dass ein derartiger wohnungsloser Briefkasten tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, [X.]ost einzuwerfen, und so den Schein einer ordnungsgemäßen Zustellung erzeugen kann. Es bedarf daher im Streitfall keiner näheren Erörterung, dass Einschränkungen der Zustellungsarten durch die Zustellungsanordnung wie im Streitfall in Gestalt des [X.]usschlusses der Ersatzzustellung durch Niederlegung keinen Einfluss darauf haben, ob eine [X.]nschrift eine ladungsfähige [X.]nschrift ist.

bb) Die Klägerin hat bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie über einen tatsächlichen Wohnort nicht verfügt, was die [X.]ngabe der entsprechenden [X.]nschrift entbehrlich gemacht hätte.

(1) Der [X.] lässt dabei (noch) dahingestellt, ob nicht die [X.]ngabe, die Klägerin habe als Reiseleiterin gearbeitet und sich an verschiedenen Orten im [X.]usland aufgehalten, wo es keine Meldepflicht gebe, für sich genommen glaubhaft ist. Diese Sachverhaltsgestaltung ist jedenfalls plausibel. Es ist nicht zwingend und wäre sogar unökonomisch, bei einer berufsbedingten ständigen Reisetätigkeit eine nur selten aufgesuchte Wohnung vorzuhalten. Konkrete [X.]nhaltspunkte dafür, dass die Schilderung der Klägerin nicht der Wahrheit entspricht, sind nicht ersichtlich. Es liegt auch in der Natur der Sache, dass derartige [X.]ngaben pauschal und zeitlich vage sind. Unterstellt, die Klägerin habe tatsächlich als Reiseleiterin gearbeitet, wären ihr präzisere [X.]ngaben nur möglich, wenn sie ein detailliertes Reisetagebuch geführt haben sollte, was nicht [X.]flicht und auch nicht festgestellt ist. In der Sache wären derartige Darlegungen zudem überflüssig, da es bei der Frage der [X.] [X.]nschrift nur darum geht, ob die Klägerin dem Grunde nach überhaupt über einen hinreichend festen Wohnsitz verfügt hat, nicht darum, wo sie sich an bestimmten Tagen genau aufgehalten hat. Ob hingegen übermäßige Vagheit der [X.]uskunft auf insgesamt unzutreffende [X.]uskunft schließen lässt, ist eine Frage der tatsächlichen Würdigung.

(2) Zu unkonkret ist aber die [X.]uskunft der Klägerin auf die Frage, wo sie sich anschließend in [X.] aufgehalten hat. Zwar lässt sich grundsätzlich die Behauptung, ein fester Wohnsitz fehle, als negative Tatsache nur schwer glaubhaft machen. Es ist aber jeder [X.]erson möglich anzugeben, wo sie sich aktuell aufhält und übernachtet, und zwar auch dann, wenn diese [X.]ufenthalts- und Übernachtungsorte nicht die Qualität eines ständigen Wohnsitzes haben und regelmäßig oder häufig wechseln. Wenn solche genauen [X.]ussagen über vergangene Zeiträume auch schwierig sein können, sind sie aber umso leichter, je näher die betreffenden Zeiträume an die Gegenwart heranrücken, und gänzlich unproblematisch, soweit sie die Gegenwart selbst betreffen. Kurz vor und während der mündlichen Verhandlung wäre eine [X.]uskunft über die aktuellen Verhältnisse jedenfalls möglich und auch erforderlich gewesen.

cc) Da folglich bislang nicht geklärt ist, ob die Klägerin einen tatsächlichen Wohnsitz im Inland hat, war das [X.] gehalten, dies aufzuklären. Dies hätte durch eine [X.]nhörung der Klägerin erfolgen können und auch müssen.

c) Deshalb hätte das [X.] der Klägerin ausrichten lassen müssen, dass sie nach Möglichkeit erscheine, um ihr durch persönliche Befragung die Gelegenheit zu geben, ihre [X.]ebensverhältnisse zu schildern, auf konkrete Vorhaltungen des [X.] entsprechend zu erwidern und so das Fehlen eines tatsächlichen Wohnsitzes glaubhaft zu machen. Dies zu unterlassen, stellte in der aktuellen Verfahrenssituation eine unzureichende [X.]ufklärung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Dadurch bestand auch keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Feststellung, die Klägerin wolle ihren Wohnort verheimlichen.

d) Es bestand im Streitfall [X.]ussicht, die Klägerin persönlich hören zu können. Die ausdrückliche Nachfrage des [X.], ob die gesundheitlich angegriffene Klägerin erscheinen müsse, war ersichtlich so zu verstehen, dass die Klägerin erschienen wäre, wenn das [X.] darum gebeten hätte. Umgekehrt war die [X.]uskunft des [X.], die Klägerin brauche für die [X.] nicht zu erscheinen, so zu verstehen, dass es das Erscheinen für unnötig hielt. Das [X.] hat sich damit ohne Notwendigkeit einer [X.]ufklärungsmöglichkeit begeben.

e) Die [X.]nhörung der Klägerin war auch nicht deshalb von minderer Bedeutung oder gänzlich überflüssig, weil [X.] für die Klägerin ausreichend [X.]uskunft über deren persönliche Verhältnisse geben konnte. Der [X.] kann offenlassen, wie nachhaltig [X.] im Vorfeld der mündlichen Verhandlung die Klägerin hätte befragen müssen, um seinerseits den [X.]nforderungen des [X.] an die Glaubhaftmachung möglichst genügen zu können. Ein vermittelnder Dritter, auch ein Bevollmächtigter, kann selten so genau [X.]uskunft erteilen wie derjenige, für den der Inhalt der [X.]uskunft Gegenstand eigener Wahrnehmung ist und der ihn sogar als [X.]erson selbst betrifft.

f) Zwar hätte die Klägerin aus eigenem [X.]ntrieb zur mündlichen Verhandlung erscheinen können, nachdem das [X.] bereits im Vorfeld mitgeteilt hatte, dass die Frage der [X.] [X.]nschrift problematisch ist. Jedoch enthebt dies das [X.] nicht seiner Verantwortung für die [X.]ufklärung der Sache, zumal die Klägerin nicht wissen konnte, ob die über [X.] erteilten [X.]uskünfte dem [X.] genügen würden.

g) Der [X.] stellt klar, dass die persönliche [X.]nhörung des Beteiligten, dessen ladungsfähige [X.]nschrift fehlt oder zweifelhaft ist und dessen [X.]adung tatsächlich auch misslungen ist, lediglich in [X.]usnahmefällen verlangt werden kann. In derartigen Fällen kann das [X.] den Beteiligten regelmäßig schon nicht zu einer [X.]nhörung laden, so dass eine derartige Verpflichtung meist ins [X.]eere ginge. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte anderweit tatsächlich zur Verfügung steht. Das gilt also insbesondere dann, wenn er trotz fehlgeschlagener [X.]adung zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, weil er von seinem Bevollmächtigten oder einem anderen [X.]rozessbeteiligten über den Termin informiert wurde. Dann darf aber auch das [X.] das über einen Dritten durchgestellte [X.]nerbieten des Beteiligten, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, nicht ausschlagen.

Für das weitere Verfahren bedeutet das, dass das [X.] die Klägerin zu der Frage ihres Wohnsitzes persönlich nur anhören kann und muss, wenn die Klägerin von sich aus, ggf. vermittelt durch [X.], zu einer neuerlichen mündlichen Verhandlung erscheint.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 [X.]bs. 2 [X.]O.

Meta

X B 122/17

29.01.2018

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 20. Juli 2017, Az: 6 K 696/16, Urteil

Art 19 Abs 4 GG, § 65 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 82 Abs 1 S 1 VwGO, § 178 ZPO, § 180 ZPO, § 181 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.01.2018, Az. X B 122/17 (REWIS RS 2018, 14882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14882


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X B 122/17

Bundesfinanzhof, X B 122/17, 29.01.2018.


Az. 6 K 696/16

FG Nürnberg, 6 K 696/16, 04.09.2017.


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