Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.03.2008, Az. VIII ZR 68/07

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 4885

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/07 Verkündet am: 19. März 2008 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja ZPO § 170 Abs. 1 Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstre-ckungsbescheids an eine - aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar - pro-zessunfähige [X.] setzt die Einspruchsfrist in Gang (Bestätigung von [X.] 104, 109). [X.], Urteil vom 19. März 2008 - [X.]/07 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2008 durch den Vorsitzenden [X.], [X.] sowie die Richterinnen [X.] und [X.] für Recht erkannt: Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 29. Januar 2007 wird [X.]. Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand: Der Kläger hat gegen den Beklagten einen [X.] über 900 • nebst Zinsen erwirkt, der dem Beklagten am 24. September 2003 zuge-stellt worden ist. Am 6. März 2006 hat der Beklagte Einspruch eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei von Mitte des Jahres 2002 bis Ende des Jahres 2004 infolge einer Alkohol-erkrankung geschäftsunfähig gewesen. 1 - 3 - 2 Das Amtsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] und seinen Einspruch als unzulässig verworfen. Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zuge-lassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt: 3 Das Amtsgericht habe den Einspruch des Beklagten im Ergebnis zu Recht verworfen. Auf die vom Beklagten behauptete Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt der Zustellung des [X.]s komme es nicht an, denn die Einspruchsfrist werde auch durch die Zustellung des [X.] an eine - aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar - geschäftsun-fähige [X.] ausgelöst. Die prozessunfähige [X.] sei durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage ausreichend geschützt. Das [X.] des Ver-fahrens bei Zustellungen vom 25. Juni 2001 habe daran mit § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der lediglich klarstellenden Charakter habe, nichts geändert. 4 Die Einspruchsfrist sei mithin bei Eingang des Einspruchs längst abge-laufen gewesen. Einer Wiedereinsetzung stehe schon § 234 Abs. 3 ZPO entge-gen. 5 - 4 - I[X.] 6 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Der am 6. März 2006 eingelegte Einspruch des Beklagten gegen den ihm am 24. September 2003 zugestellten [X.] ist mangels Einhaltung der zweiwöchigen Einspruchsfrist unzulässig. 1. Einer Beweisaufnahme über die Geschäftsfähigkeit des Beklagten im Zeitpunkt der Zustellung des [X.]s bedurfte es, wie das Be-rufungsgericht richtig gesehen hat, nicht. Die Zustellung des [X.] an den Beklagten am 24. September 2003 hat die zweiwöchige Ein-spruchsfrist gemäß § 700 Abs. 1, § 339 Abs. 1 ZPO auch dann in Gang gesetzt, wenn der Beklagte zu diesem Zeitpunkt geschäfts- und damit auch prozessun-fähig war. 7 a) Zwar ist bei nicht prozessfähigen Personen gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO an den gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Hieraus folgt, dass eine an den Geschäftsunfähigen selbst erfolgte Zustellung unwirksam ist. Dieser Grundsatz entsprach bereits unter der Geltung des § 171 Abs. 1 ZPO aF allge-meiner Ansicht ([X.], ZPO, 21. Aufl., § 171 Rdnr. 15; MünchKomm ZPO/[X.], 2. Aufl., § 171 Rdnr. 1; vgl. auch Häublein in [X.]/[X.], [X.] 2002, § 170 Rdnr. 3) und ist in § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO (nF) nunmehr ausdrücklich normiert. 8 b) Dem Gebot der Rechtssicherheit und der Ausgestaltung der Nichtig-keitsklage wegen mangelhafter Vertretung (§ 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 3 ZPO) ist jedoch für die Fälle der als prozessfähig behandelten, tatsächlich aber prozessunfähigen [X.] eine Ausnahme zu entnehmen, so dass in diesen Fällen die Zustellung von Urteilen und [X.] an die prozessunfähige [X.] den Lauf der Rechtsmittel- bzw. Einspruchsfrist 9 - 5 - auslöst. Dies entsprach unter der Geltung des § 171 ZPO aF der Rechtspre-chung des [X.] ([X.] 104, 109, 111 f.; vgl. ferner - für die Zu-stellung des [X.] - [X.], Beschluss vom 5. November 2004 - [X.] - [X.] 2005, 77, unter [X.] a). Mit dieser Rechtsprechung hat der [X.] die bereits vom [X.] ([X.], 63, 64; 162, 223, 225) sowie vom [X.] (NJW 1970, 962 f.) in diesen Fällen für die Zustellung von Urteilen an die prozessunfähige [X.] anerkannte Ausnahme fortgeführt und auf die Zustellung von [X.] ausgedehnt. Hierfür war die Überlegung maßgeblich, dass für die Auslösung der Rechtsmittelfrist durch die Zustellung in diesen Fällen ein noch dringende-res Bedürfnis besteht als bei Urteilen, die gemäß § 517 ZPO auch ohne Zustel-lung rechtskräftig werden können ([X.] [X.]O). Hieran ist auch unter der Geltung des § 170 Abs. 1 ZPO festzuhalten ([X.], ZPO, 22. Aufl., § 170 Rdnr. 5; [X.]/Schütze/Rohe, ZPO, 3. Aufl., § 170 Rdnr. 17; Musielak/[X.], ZPO, 5. Aufl., § 339 Rdnr. 1; a.[X.]/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 52 Rdnr. 13; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl., § 170 Rdnr. 3). Aus den Gesetzesmaterialien, in denen von [X.] bloßen Klarstellung die Rede ist (vgl. [X.]. 14/4554, [X.]), ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage. Die für die Anerkennung der Ausnahme maßgeblichen Gründe bestehen unverändert fort. 10 [X.]) Die Zivilprozessordnung geht - wie sich aus der Systematik von § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 3 und § 584 Abs. 2 ZPO ergibt - von der Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage gegen einen [X.] aus. Für den Fall der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung setzt dies wiederum voraus, dass auch ein [X.] rechtskräftig werden kann, obwohl der Geschäftsunfähige im Verfahren nicht vertreten ist 11 - 6 - und dementsprechend der [X.] nicht an den gesetzlichen Vertreter, sondern an die [X.] selbst zugestellt wird. 12 [X.]) Im Interesse von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit ist es geboten, Prozesse möglichst bald durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der Ent-scheidung zu beenden. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der formelle Akt der Zustellung in seiner Wirkung, die Rechtsbehelfsfrist in Lauf zu setzen, durch Mängel, die bei der Zustellung nicht erkennbar sind und erst in einem längeren Verfahren geprüft werden müssten, in Frage gestellt würde ([X.] [X.]O). Auch der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es nicht, der Zustellung an den Prozessunfähigen jede Wirkung zu versagen, denn das rechtliche Gehör wird dem Prozessunfähigen im Verfahren über die Nichtigkeitsklage nachträglich gewährt. cc) Entgegen der Auffassung der Revision ist eine Änderung der [X.] Rechtsprechung auch nicht im Hinblick auf den Schutz des [X.] geboten. Der Geschäftsunfähige wird im Prozessrecht in erster Linie [X.] geschützt, dass der Mangel der Prozessfähigkeit gemäß § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Das Gericht ist verpflichtet, [X.] für eine fehlende Prozessfähigkeit nachzugehen und gegebenenfalls Beweis zu erheben; dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel der ZPO gebunden ([X.], Urteil vom 9. Januar 1996 - [X.], NJW 1996, 1059, unter [X.]). Stellt sich heraus, dass eine [X.] wegen Geschäftsunfähigkeit der gesetzlichen Vertretung bedarf, so hat das Gericht Gelegenheit zur Abhilfe zu geben (z.B. durch Bestellung eines Pflegers, vgl. [X.], Urteil vom 9. April 1986 - [X.] - NJW-RR 1986, 1119, unter [X.]); anderenfalls ist die [X.] als unzulässig abzuweisen (vgl. [X.] 143, 122, 126 f.). Für den Fall der im Verfahren unerkannt gebliebenen Geschäftsunfähigkeit ist die davon betroffene [X.] durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage ausreichend geschützt. Die 13 - 7 - einmonatige Frist für die Erhebung dieser Klage beginnt mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter bzw. im Falle der Wiedererlangung der Prozessfähigkeit nach vorübergehender [X.] mit der erneuten Zustellung an die wieder prozessfähige [X.]. Da eine solche erneute Zustellung hier nicht erfolgt ist, steht dem Beklagten die Mög-lichkeit der Nichtigkeitsklage noch zur Verfügung. Die Ausschlussfrist von fünf Jahren ab Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung (§ 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO) gilt für die Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung nicht (§ 586 Abs. 3 ZPO). [X.]) Zu Unrecht meint die Revision, für die Rechtssicherheit wäre nicht viel gewonnen, wenn die Entscheidung nach der Zustellung an die unerkannt prozessunfähige Person zwar formell rechtskräftig werden könne, aber in ihrem Bestand durch die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage dauerhaft bedroht wäre (vgl. [X.], 3. Aufl., § 170 Rdnr. 4). Diese Argumentation übersieht, dass die formelle Rechtskraft in diesem Fall nicht bereits durch die Behauptung in Frage gestellt wird, dass der Zustellungsempfänger im Zeitpunkt der - gegebenenfalls lange zurück liegenden - Zustellung prozessunfähig gewe-sen sei. Vielmehr bedarf es eines förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens, in dessen Rahmen es erst dann zu einer Durchbrechung der Rechtskraft kommt, wenn der - von Amts wegen zu prüfende - Wiederaufnahmegrund nachgewie-sen ist. 14 - 8 - 15 2. Dem Berufungsgericht ist ferner darin beizupflichten, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung schon deshalb nicht entsprochen werden konnte, weil die Jahresfrist seit Ablauf der versäumten Frist (§ 234 Abs. 3 ZPO) abgelaufen war. [X.] [X.] [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.][X.], Entscheidung vom 29.01.2007 - 5 S 166/06 -

Meta

VIII ZR 68/07

19.03.2008

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.03.2008, Az. VIII ZR 68/07 (REWIS RS 2008, 4885)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 4885

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