Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2004, Az. 1 StR 1/04

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 3848

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[X.]/04vom30. März 2004in der Strafsachegegenwegenunerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln innicht geringer Menge u.a.- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 30. März 2004 beschlossen:Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. September 2003 wird als unzulässig verworfen.Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.Gründe:Der Angeklagte wurde unter Einbeziehung früherer Geldstrafen [X.] zu fünf Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheits-strafe verurteilt. Nach Urteilsverkündung hat er nach mehrfacher Belehrung aufRechtsmittel verzichtet. Mit der danach (innerhalb Wochenfrist; der hierauf be-zogene Wiedereinsetzungsantrag geht ins Leere) eingelegten Revision wirdgeltend gemacht, der Rechtsmittelverzicht sei sowohl deshalb unwirksam, weilder Angeklagte der [X.] nicht hinreichend mächtig sei, als auchdeshalb, weil er Teil einer verfahrensbeendenden Absprache gewesen und [X.] unter Druck gesetzt worden sei.Die Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), weil ein wirksamerRechtsmittelverzicht vorliegt.1. Allerdings können je nach den Umständen des Falles [X.] eines Angeklagten die Wirksamkeit eines von ihm [X.] -benen Rechtsmittelverzichts in Frage stellen (vgl. [X.], Beschlüsse vom25. Februar 1999 - 1 StR 45/99 und 25. Mai 1993 - 1 [X.]; [X.]/[X.] StPO 25. Aufl. § 185 [X.] [X.]. 25). Hierfür bestehen [X.] keine [X.]) Der 1966 geborene Angeklagte lebt seit 1979 ununterbrochen inDeutschland, hat in mehreren Firmen gearbeitet und war seit 1992 mit [X.] etwa zehn Jahre lang selbständiger Gastronom. Der [X.] hat in einer dienstlichen Erklärung (zu deren Bedeutung indiesem Zusammenhang [X.] NStZ 2002, 275, 276) dargelegt, daß ihm bei [X.] der Hauptverhandlung die Polizei auf Anfrage mitgeteilt habe, [X.] seien "keinerlei Sprachprobleme aufgetaucht". So sei [X.] in der Hauptverhandlung gewesen, an der sich der Angeklagte intensivdurch Erklärungen, Fragen und Vorhalte beteiligt habe. Allerdings habe [X.] angeregt, der Bruder des Angeklagten solle neben ihm [X.], um bei etwaigen Sprachproblemen helfen zu können. Auf Nachfrage habeder Angeklagte jedoch (ebenso wie die Verteidigung) erklärt, bisher habe [X.] Verständigungsschwierigkeiten gegeben. Der genannten Anregung [X.] Folge gegeben, der Angeklagte aber aufgefordert worden, sofort [X.], sobald er irgend etwas nicht verstehe. Dies habe er in der ge-samten weiteren Hauptverhandlung nicht getan und sich an ihr im übrigen sointensiv wie zuvor beteiligt. Bestätigt wird all dies durch die [X.] der Staatsanwaltschaft, die noch ergänzend darauf hinweist, daß auchder Haftrichter einen Dolmetscher nicht für erforderlich gehalten hatte.b) Ob der Angeklagte genügend Kenntnisse der [X.] hat,entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Wird gerügt, daßkein Dolmetscher zugezogen wurde, prüft das Revisionsgericht, ob die [X.] 4 -zen des Ermessens eingehalten wurden (vgl. [X.] bei [X.] 1981, 295;G. [X.], Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. [X.]. 1782 m.w.N.). Dies giltauch, wenn es um die Wirksamkeit eines vom Tatrichter zu Protokoll genom-menen mündlichen Rechtsmittelverzichts geht.Anhaltspunkte für eine ermessensfehlerhafte Beurteilung der Sprach-kenntnisse des Angeklagten sind auch unter Berücksichtigung des [X.] nicht erkennbar. Den von der Revision genannten Erfahrungssatz,bei [X.] Angeklagten sei in Verfahren mit nicht unerheblicher [X.] stets ein Dolmetscher erforderlich, gibt es nicht.2. Auch im übrigen bestehen keine Bedenken gegen die [X.]) Soweit in diesem Zusammenhang von Interesse, ergibt das Hauptver-handlungsprotokoll zum Ablauf des Verfahrens folgendes:Am zweiten Verhandlungstag wurde der Verhandlungsbeginn zunächstum eine Stunde verschoben, um der "Verteidigung Gelegenheit" zu geben, "[X.] einer Vereinbarung mit dem Angeklagten zu besprechen". [X.] war - dies ergibt sich nicht aus dem Protokoll, sondern der dienstlichenErklärung des Vorsitzenden - eine Mitteilung des Verteidigers [X.](neben ihm verteidigte noch Rechtsanwalt [X.]aus [X.]) an [X.], die Staatsanwältin fordere eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechsJahren "als Grundlage einer Verständigung". Rechtsanwalt B. erklärte, erkenne "die Linie der Kammer" nicht, da er "selten am [X.] auf-trete" und stellte die "konkrete Frage, wenn der Angeklagte geständig sei, [X.] Strafe er üblicherweise bei Nachweis des [X.] zu erwarten ha-be". Zugleich erklärte er, er strebe die Einstellung eines weiteren gegen den- 5 -Angeklagten geführten Ermittlungsverfahrens gemäß § 154 StPO an. Der [X.] erklärte, im Falle eines Schuldnachweises sei bei einem Geständnismit einer Strafe "so um die fünf Jahre und sechs Monate" zu rechnen. Über dasweiter gegen den Angeklagten anhängige Verfahren wisse er nichts.Bei Verhandlungsbeginn erklärte der Vorsitzende, das Gericht sei über"Gespräche" zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung informiertworden. Die Staatsanwältin erklärte, bei einer Verurteilung zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten werde sie das andere [X.] gemäß § 154 StPO einstellen und bei einem noch zu voll-streckenden Strafrest von zwei Jahren eine Zurückstellung gemäß §§ 35, 36BtMG vornehmen. Die Verteidigung erklärte, "unter diesen Bedingungen einUrteil unter Rechtsmittelverzicht zu akzeptieren", das Gericht solle jedoch "ü-berdenken, ob auch eine Gesamtfreiheitsstrafe von nur fünf Jahren in [X.]". Nach umfangreichem weiterem Verfahrensgeschehen - z.B. [X.] drei Zeugen und ein Sachverständiger gehört, das Gericht gab einen in15 Punkte gegliederten Hinweis gemäß § 265 StPO, der Angeklagte gab eineBegründung zu einer Beschwerde gegen eine Disziplinarmaßnahme zu Proto-koll - beantragte die Staatsanwältin eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs [X.], die Verteidigung schloß sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft zumSchuldspruch ausdrücklich an, Rechtsanwalt [X.]stellte keinen Antrag zumStrafmaß, Rechtsanwalt [X.]beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe vonvier Jahren. Nach der Urteilsverkündung wurde Rechtsmittelbelehrung erteilt.Beide Verteidiger erklärten: "Wir werden auf Rechtsmittel verzichten und [X.] annehmen". Daraufhin belehrte der Vorsitzende den Angeklagten, daß er"ungeachtet eines Rechtsmittelverzichts seiner beiden Verteidiger ... sich dies-bezüglich frei entscheiden könne". Auf Wunsch des Angeklagten und [X.] konnten sie dann in einem gesonderten Raum einen [X.] 6 -verzicht des Angeklagten "in Ruhe miteinander besprechen". Als sie nach fasteiner halben Stunde in den Sitzungssaal zurückkamen, erklärte [X.], er fühle sich "an die Vereinbarung gebunden". Beide Verteidiger erklär-ten sodann Rechtsmittelverzicht. Auf die Frage des Vorsitzenden an den Ange-klagten, "ob er eine Erklärung abgeben wolle", überlegte dieser nochmals underklärte dann ("nach Zögern") ebenfalls Rechtsmittelverzicht. Zuletzt verzich-tete auch die Staatsanwältin auf [X.]) Es ist schon fraglich, ob die letztlich ohne Einbeziehung des Gerichtserzielte Übereinkunft von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, bei einer be-stimmten Strafhöhe auf Rechtsmittel zu verzichten, überhaupt eine "verfah-rensbeendende Absprache" ist oder dadurch wird, daß das Gericht von [X.] entsprechender Gespräche und später von deren Ergebnis unterrichtetwird. Die Auffassung der Revision, der dargelegte Protokollinhalt sei für eineAbsprache mit dem Gericht ein unumstößlicher Beweis, vermag dies nicht zuverdeutlichen. Gegen die Annahme einer solchen Absprache könnte immerhinsprechen, daß die Staatsanwältin eine höhere und Rechtsanwalt [X.]eineniedrigere Strafe als fünf Jahre und sechs Monate beantragt hat. Auch der [X.], daß etwa die Behandlung des dem Gericht unbekannten Ermittlungs-verfahren durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 StPO als "Bedingung"bezeichnet wurde, spricht eher gegen eine Vereinbarung mit dem [X.]) Daß aus der Sicht der Staatsanwaltschaft die Rechtskraft des [X.] für die von Rechtsanwalt [X.]für zentral erachtete Verfah-renseinstellung gemäß § 154 StPO war, und daß er sich an die entsprechendeVereinbarung mit der Staatsanwaltschaft "gebunden fühlte", mag nahe liegen.Die Annahme, daß er - oder gar Rechtsanwalt [X.] im Hinblick auf eineVereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt B. - ge-- 7 -glaubt habe, rechtlich an der Einlegung einer Revision gehindert zu sein und- sei es deshalb, sei es auch aus einem anderen Grund - den Angeklagten [X.] als pflichtgemäß beraten und so eine "Willensbeeinträchtigung" [X.] hätte, liegt nicht nahe und wird von der Revision auch nicht [X.]) Der [X.] braucht hier jedoch weder den genannten [X.] der Frage einer Unwirksamkeit eines im Rahmen einer verfahrensbeen-denden Absprache vereinbarten Rechtsmittelverzichts in irgend einer Richtungnachzugehen. Der Angeklagte wurde - mehrfach - über die Möglichkeit einesRechtsmittels belehrt und er wurde sogar ausdrücklich darauf hingewiesen,daß ein Rechtsmittelverzicht der Verteidiger ihn selbst nicht binden würde. [X.] deshalb ist für die Annahme eines im Hinblick auf vorangegangenesVerfahrensgeschehen rechtserheblichen Willensmangels des Angeklagten beider Abgabe des Rechtsmittelverzichts kein Raum.e) Schließlich sind auch von alledem unabhängige sonstige Gründe, diegegen die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sprechen könnten, nicht er-sichtlich. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang lediglich, daß für die Be-hauptung, das Gericht habe (ebenso wie die Verteidiger) den Angeklagten indiesem Zusammenhang "massiv unter Druck gesetzt", noch dazu "in [X.] mangelnden Sprachkenntnisse" (vgl. demgegenüber oben 1), jeder An-haltspunkt fehlt.[X.]Wahl Schluckebier Kolz Elf

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1 StR 1/04

30.03.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2004, Az. 1 StR 1/04 (REWIS RS 2004, 3848)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 3848

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