Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.08.2015, Az. StB 7/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 6369

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anordnung zur Auskunftserteilung über dynamische IP-Adressen: Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Telekommunikationsdienstleisters; Filterung nach den Merkmalen "Browserversion" und "Sub-URL" als den Ermittlungsbehörden obliegende Überwachung


Tenor

1. Auf die Beschwerde der [X.] wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 25. März 2015, berichtigt durch Beschluss vom 8. April 2015 und geändert durch Beschluss vom 29. April 2015, aufgehoben.

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschwerdeführerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Mit dem angefochtenen Beschluss in der Fassung vom 29. April 2015 (1 [X.]) hat der Ermittlungsrichter des [X.] auf Antrag des [X.] in einem von diesem gegen Unbekannt geführten Ermittlungsverfahren eine Anordnung nach § 100a Abs. 1 [X.] getroffen. Mit dieser zunächst auf drei Monate, durch [X.] vom 23. Juli 2015 bis zum 1. September 2015 befristeten Maßnahme ist die Beschwerdeführerin verpflichtet worden, den Ermittlungsbehörden die dynamischen [X.] Adressen derjenigen Personen mitzuteilen, die innerhalb dieses Zeitraums unter Nutzung einer bestimmten Browserversion eine näher bezeichnete [X.] einer Internetseite aufrufen. Dazu soll die Beschwerdeführerin in einem ersten Schritt diejenigen Anfragen an die von ihr betriebenen [X.], die sich auf die Hauptseite beziehen, auf einen speziell eingerichteten Proxy-Server umleiten; in einem zweiten Schritt hat die Beschwerdeführerin die umgeleiteten Daten auf die weiteren Merkmale - [X.] sowie Browserversion - zu untersuchen. Hinsichtlich der auf diese Weise erlangten [X.]Adressen der Anfragenden hat der [X.] mit Verfügung vom 25. März 2015 gemäß § 100j Abs. 1 und 2 [X.] i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 3 [X.] angeordnet, dass die Beschwerdeführerin schriftlich Auskunft über die jeweils vorhandenen Bestandsdaten zu erteilen hat.

2

Die Beschwerdeführerin hält den Beschluss des [X.] für rechtswidrig und deshalb für einen unzulässigen Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit sowie in ihre Rechtsstellung nach § 88 Abs. 2 [X.]. Der [X.] meint, die Prüfung habe sich mangels weitergehender Beschwer darauf zu beschränken, ob eine formal rechtmäßige Anordnung nach § 100a [X.] ergangen und deren Umsetzung technisch möglich sei. Da beides zu bejahen sei, sei das Rechtsmittel unbegründet. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

3

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

4

1. Die Beschwerde ist jedenfalls im Umfang ihrer Begründung zulässig.

5

a) Da es sich bei der Anordnung nach § 100a Abs. 1 [X.] um eine Maßnahme gemäß § 101 Abs. 1 [X.] handelt, ist das Rechtsmittel auch gegen einen entsprechenden Beschluss des [X.] des [X.] statthaft, § 304 Abs. 5 [X.].

6

b) Als von der Anordnung in die Pflicht genommener Telekommunikationsdienstleister ist die Beschwerdeführerin durch die Maßnahme sowohl betroffen als auch beschwert (§ 304 Abs. 2 [X.]). Der [X.] muss vorliegend nicht entscheiden, ob zur Vermeidung von [X.] zusätzlich eine Beschwerdebefugnis dahingehend zu verlangen ist, dass der Dienstleister nur solche Rechtsfehler der Anordnung rügen kann, die seine eigene Sphäre unmittelbar tangieren (so [X.], Ermittlungsrichter, Beschluss vom 7. September 1998 - 2 [X.] 211/98, [X.] 1998, 738, 739; Bär, Handbuch zur EDV- Beweissicherung, 2007, Rn. 112; weitergehend [X.] in [X.], [X.], 3. Aufl., § 110 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.]/Scherer, [X.], § 110 Rn. 41 f.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. Mai 2005 - 3 W 63/05, NJW 2005, 2625, 2626). Denn mit der Behauptung, die Umsetzung der ermittlungsrichterlichen Anordnung verlange mehr von ihr, als die gesetzlichen Vorgaben zuließen, macht die Beschwerdeführerin eine solche unmittelbare Betroffenheit geltend (vgl. Bär aaO, Rn. 113).

7

Demgegenüber geht es entgegen der Auffassung des [X.] nicht an, die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf die Frage der technischen Möglichkeit der Umsetzung zu reduzieren. Denn neben dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der von der Maßnahme Betroffenen liegt in einer Anordnung nach § 100a Abs. 1 [X.] auch ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des in Anspruch genommenen Dienstleisters. Dieser Eingriff bedarf seinerseits einer rechtlichen Grundlage (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), die losgelöst von der zur Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 10 Abs. 1 GG zu beurteilen ist.

8

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die der Beschwerdeführerin übertragene Filterung nach den Merkmalen "Browserversion" und "[X.]" stellt Überwachung dar und obliegt als solche den Ermittlungsbehörden.

9

a) Die Inpflichtnahme des Telekommunikationsdienstleisters findet seine Rechtfertigung grundsätzlich in § 100b Abs. 3 Satz 1 [X.]. Danach hat dieser daran mitzuwirken, den Ermittlungsbehörden die Maßnahmen nach § 100a [X.] zu ermöglichen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.

Der Umstand, dass die Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation ([X.]), die in § 110 Abs. 2 [X.] ihre Grundlage findet, keine Regelungen zur Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Anordnung enthält, macht diese selbst nicht unzulässig. § 100b Abs. 3 Satz 2 [X.] bewirkt keine Einschränkung der nach § 100a [X.] möglichen Maßnahmen, sondern regelt lediglich eine technische Vorhaltungsverpflichtung. Dies folgt bereits aus § 110 Abs. 1 Satz 6 [X.] und § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.], die jeweils ausdrücklich bestimmen, dass § 100b Abs. 3 Satz 1 [X.] unberührt bleibe. Dieses Verständnis entspricht auch dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Dieser erstreckte durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/[X.] vom 21. Dezember 2007 ([X.], S. 3198) die Mitwirkungspflicht des § 100b Abs. 3 Satz 1 [X.] auf solche Telekommunikationsdienstleister, die ein geschlossenes System betreiben und deshalb nicht geschäftsmäßig handeln. Dabei stellte er ausdrücklich klar, dass diese Dienstleister von den unverhältnismäßigen Kosten freigehalten werden sollen, die durch die Vorhaltungspflichten entstehen (BT-Drucks. 16/5846, [X.]). Gleiches gilt bezüglich der Beschränkung des [X.] der durch die [X.] Verpflichteten auf öffentliche Anbieter mit mehr als 10.000 Teilnehmern oder sonstigen Nutzungsberechtigten in § 3 Abs. 2 Nr. 5 [X.] (vgl. hierzu [X.]. 631/1/105, [X.] f.).

b) Die Ermöglichung der Maßnahme ist indes von deren Durchführung zu trennen. Die durch § 100a Abs. 1 [X.] gestattete Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, mithin die Kenntnisnahme vom Inhalt der Mitteilungen, obliegt allein den Ermittlungsbehörden (vgl. [X.], [X.], 7. Aufl., § 100b Rn. 13; [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 100b Rn. 8). Diese Aufgabenverteilung ist absolut. Entgegen der Ansicht des [X.] steht das für Mitarbeiter von [X.] bestehende Verbot, Gespräche mitzuhören, auch bei nicht standardisierten Maßnahmen nicht in Relation zu dem unabhängig davon geltenden Gebot des geringstmöglichen Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis des einzelnen Nutzers.

aa) § 88 Abs. 3 Satz 1 [X.] untersagt den Dienstanbietern, sich über das für die geschäftsmäßige Erbringung erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Dieses Verbot bleibt durch § 100b Abs. 3 Satz 1 [X.] unberührt. Hierdurch wird den Anbietern lediglich aufgegeben, den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Kommunikation zu gewähren (vgl. [X.] in [X.], Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., § 88 Rn. 35).

bb) Dabei ist der Zugang gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] derart einzuräumen, dass der Verpflichtete (hier: die Beschwerdeführerin) der berechtigten Stelle (hier: den Ermittlungsbehörden) am Übergabepunkt eine vollständige Kopie der Telekommunikation bereitzustellen hat, die über seine Telekommunikationsanlage unter der zu überwachenden Kennung abgewickelt wird. Aus dem Umstand, dass die [X.] keine detaillierte Regelung über die Umsetzung der verfahrensgegenständlichen Maßnahme enthält, folgt entgegen der Ansicht des [X.] nicht, dass auch deren generelle Regelungen keine Geltung beanspruchen könnten. Diese bleiben über den Verweis in § 100b Abs. 3 Satz 2 [X.] weiterhin anwendbar, da sie unabhängig vom Einzelfall Vorgaben zur Abwicklung machen (vgl. auch § 110 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) [X.]).

cc) Der Telekommunikationsdienstleister hat mithin die Kopie für die Ermittlungsbehörden auf [X.] seiner geschäftsmäßigen Aufgabenerfüllung zu erstellen. Diese liegt beim Aufruf einer Internetseite durch einen Nutzer im Verbindungsaufbau zwischen dessen (dynamischer) [X.]Adresse zu der im Ausland belegenen Internetseite, wobei in [X.] (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 [X.]) durch den [X.] der Beschwerdeführerin allein die Übersetzung des Seitennamens in eine (statische) [X.]Adresse vorgenommen wird, um die Weiterleitung zu ermöglichen. Da die Übersetzung schon allein anhand des Namens der Hauptseite möglich ist, kommt es - was auch der [X.] nicht in Abrede stellt - für die Aufgabenerledigung durch die Beschwerdeführerin auf die letztlich vom Nutzer angesteuerte [X.] ebenso wenig an wie auf die von diesem genutzte Browserversion.

dd) Bereits daraus folgt, dass die auf diese Kriterien abstellende weitere Filterung den Ermittlungsbehörden obliegt, letztlich unabhängig davon, ob es sich dabei um "starke" oder "schwache" Inhaltsdaten oder lediglich nähere Umstände der Kommunikation handelt. Es kommt mithin nicht mehr darauf an, dass es für die Schwere eines Grundrechtseingriffs keinen Unterschied macht, ob dieser durch die Ermittlungsbehörden selbst oder in deren Auftrag durchgeführt wird.

3. Der Beschluss des [X.] kann daher keinen Bestand haben. Soweit grundsätzlich eine Anordnung in Betracht kommen könnte, mit der die Daten aller Verbindungsaufrufe zu der [X.] den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen sind, läge darin kein Minus zu der bislang durchgeführten Maßnahme, sondern ein Aliud. Hierfür bedürfte es indes eines ausdrücklichen Antrags des [X.]. Einen solchen vermag der [X.] in dessen Stellungnahme nicht zu erkennen.

[X.]

Meta

StB 7/15

20.08.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 29. April 2015, Az: 1 BGs 51/15

Art 10 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 S 2 GG, § 100a Abs 1 StPO, § 100b Abs 3 S 1 StPO, § 88 Abs 3 S 1 TKG, § 110 Abs 1 S 6 TKG, § 110 Abs 2 TKG, § 3 Abs 2 S 4 TKÜV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.08.2015, Az. StB 7/15 (REWIS RS 2015, 6369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6369

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

StB 7/15 (Bundesgerichtshof)


2 BvR 2377/16 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zu den Mitwirkung- und Vorhaltungspflichten eines Telekommunikationsdienstleistungsanbieters bzgl einer Telekommunikationsüberwachung gem § 100a StPO …


StB 47/20 (Bundesgerichtshof)

Telekommunikationsüberwachung: Auskunftspflicht des Betreibers eines E-Mail-Dienstes als TK-Dienstleister


118 Qs 7/20 (Landgericht Köln)


2 BGs 42/00 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.