Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2003, Az. III ZR 326/02

III. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 2491

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]/02Verkündet am:3. Juli 2003K i e f e [X.] Urkundsbeamterder Geschäftsstellein dem [X.]:[X.]:[X.]:ja BGB § 839 G; [X.] § 70 ha)Eine einstweilige Anordnung, betreffend eine vorläufige Unterbringungs-maßnahme, ist kein "Urteil in einer Rechtssache" im Sinne des § [X.]. 2 Satz 1 BGB.b)Bei richterlichen Amtspflichtverletzungen außerhalb des [X.] des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Verfassungsgrundsatz derrichterlichen Unabhängigkeit zu beachten. Soweit in solchen Fällen [X.] darüber zu befinden ist, ob ein [X.] bei derRechtsanwendung und Gesetzesauslegung schuldhaft amtspflichtwidriggehandelt hat, kann dem [X.] in diesem Bereich ein Schuldvorwurf [X.] besonders groben Verstößen gemacht werden; inhaltlich läuft das aufeine Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinaus.c)Einstweilige Anordnungen im Unterbringungsverfahren sind im Amtshaf-tungsprozeß nicht uneingeschränkt auf ihre sachliche Richtigkeit, [X.] daraufhin zu überprüfen, ob sie vertretbar sind.[X.], Urteil vom 3. Juli 2003 - [X.]/02 -OLG [X.] LG Erfurt- 2 -Der III. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] durch den Vorsitzenden [X.] Dr. [X.] und die [X.]Dr. [X.], [X.], Dr. [X.] und Galkefür Recht erkannt:Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 3. Zivilsenats [X.] Oberlandesgerichts in [X.] vom 3. September 2002wird zurückgewiesen.Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.Von Rechts [X.] Antrag des Sozialpsychiatrischen Dienstes am [X.] ordnete das [X.] durch mit sofortiger Wirksamkeitversehenen Beschluß vom 2. April 2000 die einstweilige Unterbringung derKlägerin in einer geschlossenen Krankenabteilung des [X.]bis zu einer Dauer von sechs Wochen an. Auf die sofortigeBeschwerde der Klägerin wurde dieser Beschluß am 19. April 2000 durch [X.] mit der Begründung aufgehoben, daß eine jene Unter-bringungsmaßnahme rechtfertigende Gefahrenlage nicht feststellbar sei.- 3 -Die Klägerin hält den Beschluß des Amtsgerichts vom 2. April 2000 fürrechtswidrig und nimmt den beklagten [X.] wegen [X.] Ersatz des ihr durch den zeitweisen Freiheitsentzug entstandenen materi-ellen und immateriellen Schadens in Anspruch.Die Vorinstanzen haben die Amtshaftungsklage abgewiesen. Mit [X.] Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Forde-rung weiter.[X.] Revision ist nicht begründet.1.Beide Vorinstanzen lassen den [X.] bereits daranscheitern, daß der Beschluß des Amtsgerichts ein "Urteil in einer Rechtssache"im Sinne des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB gewesen sei und somit dem [X.] ([X.]spruchprivileg) unterfalle. Darin vermag der Senat [X.]) Das Verfahren der hier in Rede stehenden vorläufigen Unterbrin-gungsmaßnahme richtete sich nach § 7 des [X.] zur Hilfeund Unterbringung psychisch Kranker ([X.]) vom 2. Februar 1994(GVBl. S. 81) in Verbindung mit den Bestimmungen des Gesetzes über die An-gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ([X.]; § 7 Abs. 1 Satz 2[X.]).- 4 -b) Es trifft zu, daß auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ur-teilsvertretende Beschlüsse möglich sind, die einem "Urteil in einer Rechtssa-che" gleichgestellt werden müssen und dementsprechend in den Anwendungs-bereich des "[X.]privilegs" fallen (s. dazu insbesondere Senatsurteil [X.]Z36, 379, 384 f). Die Gleichstellung hängt insbesondere davon ab, ob das derbetreffenden Entscheidung zugrundeliegende gerichtliche Verfahren ein "Er-kenntnisverfahren" ist, das sich nach bestimmten prozessualen Regeln richtetund dessen Ziel im wesentlichen die Anwendung materieller Rechtsnormen aufeinen konkreten Fall ist. Dazu gehören insbesondere die Wahrung des rechtli-chen Gehörs, die Ausschöpfung der in Betracht kommenden Beweismittel unddie Begründung des Spruchs (Senatsurteil [X.]Z 36, 379, 382/383). Für [X.], ob ein urteilsvertretender Beschluß vorliegt, sind stets der materi-elle Gehalt des Streitgegenstands und die materielle Bedeutung der Entschei-dung maßgeblich. Eine urteilsvertretende Entscheidung ist anzunehmen, wennnach Sinn und Zweck der Regelung eine jederzeitige erneute Befassung [X.] (von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten) mit der formellrechtskräftig entschiedenen Sache ausgeschlossen ist, die Entscheidung viel-mehr eine Sperrwirkung in dem Sinne entfaltet, daß eine erneute [X.] unter entsprechenden Voraussetzungen in Betracht kommt wie bei einerrechtskräftig durch Urteil abgeschlossenen Sache (d.h. wenn die Vorausset-zungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen), oder wenn eine we-sentliche Veränderung des Sachverhalts eintritt, die nach besonderer gesetz-licher Vorschrift eine erneute Entscheidung rechtfertigt ([X.]/[X.],BGB 13. Bearb. [2002] § 839 Rn. 332).c) Im vorliegenden Fall geht es um eine vorläufige Unterbringungsmaß-nahme, die durch einstweilige Anordnung auf Grundlage der §§ 70h, 69f Abs. 1- 5 -[X.] getroffen worden war. Dieses Verfahren ist auf solche Fallgestaltungenzugeschnitten, bei denen dringende Gründe für die Annahme bestehen, daßdie Voraussetzungen für eine endgültige Unterbringungsmaßnahme gegebensind und bei denen mit dem Aufschub der Maßnahme Gefahr verbunden ist,d.h. für den Betroffenen selbst oder im Falle der öffentlich-rechtlichen Unter-bringung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eine Gefahr besteht, de-ren Abwendung keinen Aufschub duldet ([X.] in [X.]/[X.]/[X.],Freiwillige Gerichtsbarkeit, Kommentar zum [X.], 15. Aufl. 2003 § 70h Rn. 4, 5m.w.[X.]). Eine derartige Verfahrensgestaltung hat - anders als etwa das frühereEntmündigungsverfahren nach § 645 ZPO a.F. (dazu Senatsurteil [X.]Z 46,106) - notwendig einen summarischen Charakter, was sich auch darin wider-spiegelt, daß bei Gefahr im Verzug die einstweilige Anordnung bereits vor derpersönlichen Anhörung des Betroffenen erlassen werden kann (§ 69f Abs. 1Satz 4 [X.]). Deswegen kann nicht angenommen werden, daß das hier in [X.] stehende Verfahren einem "Erkenntnisverfahren" im vorbezeichneten Sinnegleichsteht und daß die darauf beruhende Entscheidung die für ein Urteil zufordernde Richtigkeitsgewähr bietet. Eher bestehen - trotz der vom Berufungs-gericht zutreffend aufgezeigten Unterschiede im Verfahren - Ähnlichkeiten mitder einstweiligen Unterbringung im Strafprozeß nach § 126a StPO, die in ihremAnwendungsbereich dem [X.] vorgeht (§ 7 Abs. 4) und bei der aner-kannt ist, daß der Unterbringungsbefehl kein "Urteil" im Sinne des § 839 Abs. 2Satz 1 BGB ist ([X.]/[X.] Rn. 334 m.w.[X.]). Keiner Klärung bedürfendie Fragen, ob Beschlüsse der freiwilligen Gerichtsbarkeit von vornherein nurinsoweit dem [X.]privileg unterfallen können, als sie "Streitsachen" betref-fen (in diesem Sinne: [X.]/[X.], [X.]. 2003 § 839 Rn. 69), undob gegebenenfalls die Hauptsacheentscheidung im [X.] in einer "Streitsache" ist (verneinend [X.] in [X.]/[X.]/[X.] aaO § 12 Rn. 233 m.w.[X.]).2.Gleichwohl ist die Amtshaftungsklage im Ergebnis mit Recht abgewiesenworden.a) Bei richterlichen Amtspflichtverletzungen außerhalb des Anwen-dungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nämlich der [X.] der richterlichen Unabhängigkeit zu beachten. Soweit in [X.] im [X.] darüber zu befinden ist, ob ein [X.] bei derRechtsanwendung und Gesetzesauslegung schuldhaft amtspflichtwidrig ge-handelt hat, kann dem [X.] in diesem Bereich ein Schuldvorwurf nur bei be-sondersgroben Verstößen gemacht werden (Senatsbeschluß vom 19. Dezember 1991- III ZR 9/91 = [X.]R BGB § 839 Abs. 2 [X.] 1 m.w.[X.]); inhaltlich läuft dasauf eine Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinaus ([X.] 2001, 3270; [X.]/[X.] Rn. 316).b) Darüber hinaus hat der Senat keine durchgreifenden Bedenken, auchbei der hier in Rede stehende einstweilige Anordnung im [X.] dieselben Grundsätze anzuwenden, die für den [X.] gelten, der überdie Anordnung oder Fortdauer von Untersuchungshaft zu entscheiden hat: [X.] sind derartige Entscheidungen im [X.] nicht uneinge-schränkt auf ihre sachliche Richtigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen,ob sie - bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigenRechtspflege - vertretbar sind (vgl. Senatsurteil [X.]Z 122, 268, 270/271; Se-- 7 -natsurteil vom 18. Mai 2000 - [X.]/99 = [X.], 586, 587; Staudin-ger/[X.] Rn. 630 i.V.m. 632).c) Insoweit weist die Revisionserwiderung zutreffend auf folgende Ge-sichtspunkte hin: Die Voraussetzungen des § 70h Abs. 1 i.V.m. § 69f Abs. 1[X.] lagen im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] vor. Der [X.]durfte davon ausgehen, daß die Angaben des [X.], wonach die Klägerin psychisch krank sei und mit einem Luftgewehrmehrfach in einen Hof geschossen habe, wo Kinder spielten. Somit durfte erdringende Gründe dafür annehmen, daß die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1[X.] gegeben seien und mit einem Aufschub Gefahr verbunden wäre(§ 69f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]). Ein vom Vortag, dem 1. April 2000, datieren-des ärztliches Zeugnis über den Zustand der Klägerin lag ebenfalls vor. [X.] fachpsychiatrisches Gutachten war nicht zwingend erforderlich(§ 7 Abs. 2 Satz 2 [X.]).d) Die Revisionserwiderung zieht nach alledem mit gutem Grund [X.], ob überhaupt die Tatbestandsvoraussetzungen einer einfachen Amts-pflichtverletzung vorgelegen haben. Erst recht sind keine hinreichenden [X.] dafür erkennbar, daß den entscheidenden [X.] der Vorwurf [X.] groben Pflichtverletzung im vorbezeichneten Sinne getroffen hat und daßdie Grenzen des erweiterten [X.] nicht eingehalten wordensind, deren Überschreitung eine amtshaftungsrechtliche Verantwortlichkeitüberhaupt erst hätte begründen können. Abweichendes läßt sich [X.] nicht aus der den Beschluß des Amtsgerichts aufhebenden [X.] 8 -entscheidung des [X.] entnehmen, die auf den zwischenzeitlichdurchgeführten Ermittlungen und somit auf einer geänderten Beurteilungs-grundlage beruhte.[X.][X.][X.][X.]Galke

Meta

III ZR 326/02

03.07.2003

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2003, Az. III ZR 326/02 (REWIS RS 2003, 2491)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 2491

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