Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2020, Az. 5 StR 250/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1898

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Gegenstand

Urkundenverlesung im Strafverfahren: Beruhen des Urteils auf rechtsfehlerhafter Verlesung eines Zeugenvernehmungsprotokolls ohne Gerichtsbeschluss


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2019 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [[[X.]]] hat den Angeklagten wegen Betruges in drei Fällen, Beihilfe zur Urkundenfälschung in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung, und wegen [[[X.]]] falscher amtlicher Ausweise zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung von 1.100 Euro angeordnet. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge ausgeführte Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 [[X.]] unbegründet (vgl. Antragsschrift des [[[X.]]]). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

2

1. Die Verfahrensrügen in Zusammenhang mit der vernehmungsersetzenden Verlesung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften der Zeugen R.    , M.  und [[X.]]    sowie der E-Mails des Geschädigten [X.] bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

3

a) Zwar rügt die Revision zu Recht, dass die Verfahrensweise der [X.] nicht dem Gesetz entsprach, weil die Vernehmungsniederschriften und E-Mails im allseitigen Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten verlesen wurden (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 1 [[X.]]), aber ohne den erforderlichen Gerichtsbeschluss nach § 251 Abs. 4 Satz 1 [[X.]].

4

b) Der Senat schließt allerdings aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls aus, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht:

5

In der Rechtsprechung des [[X.]] ist anerkannt, dass das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 [[X.]] ausgeschlossen werden kann, wenn allen Beteiligten der Grund der Verlesung klar und von der persönlichen Vernehmung der Zeugen keine weitere Aufklärung zu erwarten war (vgl. [[X.]], Beschluss vom 9. Juni 2015 - 3 [[X.]], [[X.]], 117; LR-[[X.]]/Cirener/[[[X.]]], 27. Aufl., § 251 Rn. 97; [[X.]]/[[[X.]]], [[X.]], 63. Aufl., § 251 Rn. 45; MüKo-[[X.]]/[[X.]], § 251 Rn. 92, jeweils mwN).

6

Beides war vorliegend der Fall. Allen Verfahrensbeteiligten war aufgrund des [[X.]] klar, dass die Zeugenaussagen nur vernehmungsersetzend verlesen wurden, weil alle damit einverstanden waren und mithin die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 [[X.]] vorlagen. Auf die Vernehmung der Geschädigten A.     , [[X.]]und [[X.]]    war zudem allseits verzichtet worden. Von der persönlichen Vernehmung der Zeugen war keine weitere Aufklärung zu erwarten. Die überwiegend im Ausland lebenden Geschädigten konnten im Wesentlichen nur darüber berichten, dass sie bei einem Autokauf über das [X.] mit unter bestimmten Namen auftretenden Verkäufern verhandelt, Geld im Voraus auf bestimmte Konten überwiesen und anschließend keinen Gegenwert erhalten hatten. Die Zeugin R.    konnte insoweit ohnehin nur von den Angaben des Geschädigten [X.]ihr gegenüber berichten. Dass die persönliche Vernehmung der Zeugen ein Mehr an relevanter Erkenntnis erbracht hätte, ist ungeachtet entsprechenden - spekulativen - [X.] nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf einem dem Angeklagten rechtsfehlerfrei zugeordneten Laptop für alle Betrugsfälle umfangreiche Verkaufsunterlagen festgestellt werden konnten. Durch den nachfolgenden Gerichtsbeschluss, wonach von einer Vernehmung der Geschädigten [X.], M.  und [[X.]]   abgesehen werden könne, nachdem alle Verfahrensbeteiligten auf sie verzichtet hätten und auch die [X.] eine Vernehmung zur weiteren Sachaufklärung nicht für erforderlich halte, hat das gesamte Gericht zudem konkludent die Verantwortung für die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes diese Zeugen betreffend übernommen (vgl. zu diesem Aspekt [[X.]], Beschluss vom 10. Juni 2010 - 2 StR 78/10, [X.], 649). Dies erfasste konkludent auch die Zeugin R.    , die lediglich mittelbar zu den Angaben des Geschädigten A.     hätte bekunden können.

7

c) Die insoweit auch erhobene Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 [[X.]] erweist sich bereits deswegen als unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, was die [X.] zur Erhebung des vermissten Beweises hätte drängen müssen. Den Behauptungen der Revision, die Zeugen hätten den Angeklagten als Täter ausgeschlossen, fehlt es an Anknüpfungstatsachen.

8

2. [X.] einer Verletzung von § 261 [[X.]] betreffend den Inhalt eines Sachverständigengutachtens zu [X.] bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Zwar stellt die [X.] in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf ab, dass das Gutachten „verlesen“ und von der Sachverständigen „erläutert“ wurde. Dies stellt jedoch lediglich eine ordnungsgemäße Einführung der von der [X.] in den Urteilsgründen wiedergegebenen Tabelleninhalte aufgrund der Vielzahl dort wiedergegebener Zahlen in Frage, nicht hingegen die Einführung der Ergebnisse des Gutachtens, die eine Zuordnung der Spuren an den Angeklagten als wahrscheinlich erscheinen lassen. Da sich die Sachverständige mündlich zum Inhalt ihres Gutachtens erklärt hat, können die letztgenannten Inhalte ohne weiteres - wie der Vorsitzende in seiner dienstlichen Erklärung vorgetragen hat - mündlich von ihr erläutert und auf diese Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein. Ohne eine dem Revisionsgericht verwehrte Rekonstruktion der Beweisaufnahme lässt sich insoweit nicht feststellen, ob tatsächlich ein Verstoß gegen § 261 [[X.]] vorliegt, auf dem das Urteil beruht.

9

3. Im Ergebnis ohne Erfolg bleibt letztlich auch die Inbegriffsrüge (§ 261 [[X.]]), mit der beanstandet wird, im Urteil verwertete Kontoauszüge der [X.] und der [X.] seien nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden, obwohl sich die [X.] in den Urteilsgründen auf „verlesene“ Auszüge stützt.

Auch insoweit beruht das Urteil nicht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 [[X.]]). Den Vorwurf der Beihilfe zur Urkundenfälschung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Mietvertrages hat die [X.] auf eine Vielzahl weiterer aussagekräftiger Beweismittel gestützt, so dass die Frage, von welchem Konto die Miete für die angemieteten Büroräume bezahlt wurde, letztlich ohne durchgreifende Relevanz war. Die Abhebung von 23.000 Euro wenige Tage nach Einzahlung der Stammeinlage von 25.000 Euro auf dem Konto der [X.] haben hingegen auch der Angeklagte und der Zeuge [X.]  glaubhaft berichtet, so dass es nicht mehr darauf ankam, dass dies auch durch die Kontoauszüge belegt wird.

Cirener     

        

Berger     

        

Gericke

        

Mosbacher     

        

Resch     

   

Meta

5 StR 250/20

21.07.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 10. Oktober 2019, Az: 6 KLs 5/19

§ 251 Abs 1 Nr 1 StPO, § 251 Abs 4 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2020, Az. 5 StR 250/20 (REWIS RS 2020, 1898)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1898

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5 StR 250/20

Zitiert

3 StR 113/15

2 StR 78/10

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