Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.05.2019, Az. 2 AZR 574/18

2. Senat | REWIS RS 2019, 7090

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Gegenstand

Berufungsbegründung - neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


Leitsatz

Begründet der Berufungskläger seine Berufung ausschließlich mit neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, hat er diese zu bezeichnen und grundsätzlich darzulegen, warum sie das angefochtene Urteil im Ergebnis infrage stellen sollen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. Oktober 2018 - 17 [X.] 565/18 - aufgehoben.

2. Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der [X.].

2

Der Kläger ist seit 1992 bei der [X.] beschäftigt. Diese kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. Januar 2018 aus personenbedingten Gründen zum 31. August 2018. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und zuletzt beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der [X.] vom 25. Januar 2018, zugegangen am 26. Januar 2018, aufgelöst worden ist,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art, Dauer sowie Führung und Leistung erstreckt,

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Mitarbeiter in der Oberflächenbearbeitung (Galvanik) zu sonst gleichbleibenden Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

3

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

4

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die ausschließlich auf neues Tatsachenvorbringen gestützte Berufung der [X.] als unzulässig verworfen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das [X.] hat ihre Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Berufungsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen (§ 520 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 Abs. 1 ZPO).

6

I. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe ihre Berufung nicht ordnungsgemäß begründet.

7

1. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG gelten für das Verfahren vor den [X.]en, soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung entsprechend. Nach § 520 Abs. 1 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 ArbGG muss der [X.] die Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründen. Von der Bezugnahme in § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind grundsätzlich auch die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO bestimmten Anforderungen an die Berufungsbegründung umfasst. Nach der vorgenannten Vorschrift muss diese - neben den Berufungsanträgen (Nr. 1) - die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt (Nr. 2), die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (Nr. 3) oder die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, aufgrund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind (Nr. 4), enthalten.

8

2. Die Annahme des [X.]s, die Berufungsbegründung der Beklagten, die ihr Rechtsmittel ausschließlich auf neues Tatsachenvorbringen gestützt hat, genüge nicht den in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO bestimmten Anforderungen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision erhebt insoweit keine Rüge.

9

3. Das Berufungsgericht hat aber die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG für die Begründung einer Berufung geltenden Anforderungen verkannt. Die Beklagte musste keinen Vortrag zu den Tatsachen halten, die eine Zulassung ihres in der Berufungsbegründung enthaltenen Vorbringens begründen könnten.

a) Allerdings hat das [X.] im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO in der dort normierten Form im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren keine Anwendung findet.

aa) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO muss das Berufungsgericht seiner Entscheidung grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten ([X.] 29. Juni 2017 - 2 [X.] - Rn. 60, [X.]E 159, 250). Für die Berücksichtigung von neuen Angriffs- und [X.] gilt § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Danach hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung neue Tatsachen zugrunde zu legen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

bb) Im zivilgerichtlichen Berufungsverfahren bestimmt sich die Berücksichtigung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Diese sind nur zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), infolge eines [X.] im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden (Nr. 2) oder im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der [X.] beruht (Nr. 3). Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt (§ 531 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

cc) Für das Berufungsverfahren vor den [X.]en gilt § 531 Abs. 2 ZPO hingegen nicht. Vielmehr enthält § 67 Abs. 1 bis Abs. 4 ArbGG eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung über die Zulässigkeit von neuen Angriffs- und [X.], die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG die zivilprozessuale Präklusionsvorschrift verdrängt (vgl. [X.] 19. Dezember 2018 - 10 [X.] - Rn. 74; 25. April 2007 - 6 [X.] - Rn. 20, [X.]E 122, 190). Im Gegensatz zu den für den Zivilprozess geltenden Vorschriften sind im arbeitsgerichtlichen Verfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im zweiten Rechtszug grundsätzlich zu berücksichtigen und nur unter den in § 67 Abs. 1 bis Abs. 4 ArbGG normierten Voraussetzungen ausgeschlossen.

b) Aufgrund der Verdrängung von § 531 ZPO durch § 67 ArbGG findet § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren in der dort normierten Form keine Anwendung. Die in dessen Halbs. 2 bestimmte Anforderung, wonach der [X.] nicht nur die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern auch die Tatsachen, aufgrund derer diese zuzulassen sind, vorzutragen hat, gilt nicht für das Berufungsverfahren vor den [X.]en. Das folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG. Nach dieser Norm verdrängen nicht nur die spezielleren arbeitsgerichtlichen Regelungen diejenigen der Zivilprozessordnung. Die Norm bewirkt gleichermaßen eine „passgenaue“ Anwendung der zivilprozessualen Regelungen des Berufungsverfahrens, wenn deren Voraussetzungen - wie vorliegend - wegen der unterschiedlichen Regelung der Präklusionsvorschriften weder unmittelbar noch sinngemäß herangezogen werden können. Wird die Berufung ganz oder teilweise auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel gestützt, muss der [X.] entgegen der Auffassung des [X.]s in der Berufungsbegründung keinen Vortrag zur Zulässigkeit des neuen Vorbringens halten.

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO ist die Berücksichtigung von neuen Angriffs- und [X.] im zivilgerichtlichen Berufungsverfahren nur zulässig, wenn (a) der [X.] in der Berufungsbegründung die Tatsachen bezeichnet, aufgrund derer seine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen seien, er (b) ggf. die die Zulassung des neuen Vorbringens tragenden Tatsachen glaubhaft macht und (c) das Gericht nach der in § 294 ZPO vorgesehenen Beweisführung davon überzeugt ist, dass die angeführten und glaubhaft gemachten Tatsachen vorliegen. Das Erfordernis, wonach dem [X.] für die unter (a) und (b) bezeichneten Punkte die entsprechenden Darlegungen obliegen, ist nach der Regelungssystematik der Zivilprozessordnung über die Präklusion von neuen Angriffs- und [X.] sachgerecht und konsequent. Anders als das Berufungsgericht verfügt der [X.] über die Kenntnis der Tatsachen, aus denen er die Zulässigkeit der neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel herleiten will. Diese können von ihm daher in der Berufungsbegründung benannt und ggf. glaubhaft gemacht werden.

bb) Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren kann der [X.] hingegen in der Berufungsbegründung keinen Vortrag zur Zulässigkeit der von ihm neu vorgebrachten Angriffs- oder Verteidigungsmittel halten.

(1) Voraussetzung für die Zurückweisung von neuen Angriffs- und [X.] nach § 67 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG ist die Verzögerung des Rechtsstreits. Eine solche liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung ([X.] Juli 2012 - VI ZR 120/11 - Rn. 11), wobei die zeitliche Verschiebung der Beendigung nicht ganz unerheblich sein darf ([X.] 19. Mai 1998 - 9 [X.] 362/97 - zu II 2 e der Gründe). Die Gestaltung des [X.] und die Anberaumung eines Verhandlungstermins oder eines nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO gleichgestellten Beratungs- und [X.] obliegen allein dem Berufungsgericht. Selbst bei einem Bestreiten der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel durch die andere [X.] bleibt es Aufgabe des Gerichts, von sich aus und ohne einen darauf bezogenen Antrag der jeweiligen [X.] eine Verzögerung so weit wie möglich durch prozessleitende Maßnahmen zu vermeiden (vgl. [X.] 23. November 1988 - 4 [X.] 393/88 - [X.]E 60, 174).

(2) Die Beurteilung der Verzögerung iSv. § 67 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG ist danach - anders als im zivilprozessualen Berufungsverfahren - nicht vom Vorliegen von Tatsachen abhängig, die vom [X.] vorgetragen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO) und ggf. nach § 531 Abs. 2 Satz 2 ZPO glaubhaft gemacht werden müssen (vgl. [X.] 3/2015 [X.]. 2). § 67 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sieht lediglich vor, dass auf Verlangen des [X.]s der in der Sphäre der [X.] liegende „[X.]“ glaubhaft zu machen ist. Hingegen besteht eine solche Pflicht nicht für das Merkmal der „Verzögerung“ und die kausale Verknüpfung zwischen Verspätung und Verzögerung. Diese Beurteilung stellt das Gesetz vielmehr in die freie Überzeugung des Berufungsgerichts, das eine Prognoseentscheidung zu treffen und dabei einen weiten Spielraum hat, der zugunsten der verspätet vortragenden [X.] auszunutzen ist (vgl. MüKoZPO/[X.]. § 296 Rn. 175). Dem [X.] können bei der Begründung seines Rechtsmittels - ebenso wie dem [X.]n bei der [X.] - auch keine vorsorglichen Ausführungen zu einem [X.] iSv. § 67 Abs. 2 ArbGG abverlangt werden. Auf diesen kommt es erst dann an, wenn der Eintritt einer Verzögerung feststeht. Bis dahin könnten beide [X.]en über die Terminlage des Berufungsgerichts nur spekulieren oder versuchen, sämtliche aus ihrer Sicht bestehenden Umstände auszuschließen, aufgrund derer bei einem (möglichen) Bestreiten ihres Vortrags durch die andere [X.] trotz aller gebotenen prozessleitenden gerichtlichen Maßnahmen ausnahmsweise doch eine Verzögerung eintreten könnte. Solche Anforderungen wären daher eine aus [X.] nicht zu rechtfertigende Erschwerung des Zugangs zu dem vom Arbeitsgerichtsgesetz eröffneten Instanzenzug (für die Zivilprozessordnung vgl. [X.] Oktober 2014 - V [X.]/12 - Rn. 5). Überdies wäre es aus [X.] kaum zu rechtfertigen, wenn beim [X.] allein der fehlende Vortrag zu einer für ihn nicht absehbaren Verzögerung des Rechtsstreits zur Unzulässigkeit seines Rechtsmittels führte, während der [X.] zunächst den Eintritt der Verzögerung abwarten dürfte und erst dann seinen [X.] darlegen und ggf. glaubhaft machen müsste. § 67 Abs. 3 ArbGG verlangt der betreffenden [X.] ebenfalls nicht die Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen ab, aus denen folgen soll, dass sie Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat. Das Vorliegen von „grober Nachlässigkeit“ ist vom Gericht positiv festzustellen (zu § 296 Abs. 2 ZPO vgl. [X.] September 2013 - [X.]/12 - Rn. 13).

c) Der Dispens von Darlegungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO bedeutet nicht, dass der [X.] keine Mindestanforderungen an die Begründung seines Rechtsmittels zu erfüllen hätte, wenn er es ausschließlich auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel stützt. Zwar muss er sich dann nicht mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen (vgl. [X.] 27. März 2007 - [X.]/06 - Rn. 8). Jedoch hat er die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel zu bezeichnen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 1 ZPO) und grundsätzlich darzulegen, warum diese das angefochtene Urteil im Ergebnis infrage stellen sollen (vgl. Musielak/[X.]/[X.] ZPO 16. Aufl. § 520 Rn. 37). Die Entscheidungserheblichkeit braucht allerdings ausnahmsweise nicht gesondert dargetan zu werden, wenn sie sich unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und den Ausführungen in der Berufungsbegründung ergibt (vgl. [X.] 10. März 2015 - VI ZB 28/14 - Rn. 13, [X.]Z 204, 251).

d) Der Senat kann ohne Anfrage nach § 45 Abs. 3 ArbGG beim [X.] des [X.] entscheiden, dass § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufgrund einer anderen Bestimmung im Arbeitsgerichtsgesetz iSv. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG keine Anwendung findet. Bei den Ausführungen des [X.]s in seinem Urteil vom 25. April 2007 (- 6 [X.] - Rn. 18, [X.]E 122, 190) handelt es sich nicht um solche, die für die Entscheidung tragend waren.

e) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte ihre Berufung ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 1 ZPO mit neuen [X.] begründet.

aa) Ein neues Verteidigungsmittel iSv. § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO kann in einem erstmaligen substanziierten Vorbringen des Beklagten zu den Kündigungsgründen liegen. Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz ausgefallen ist. Wenn es einen nur sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substanziiert, ist es neu. Dagegen liegt kein neues Vorbringen in diesem Sinn vor, wenn ein bereits schlüssiges oder erhebliches Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. zu § 531 Abs. 2 ZPO [X.] 27. November 2014 - I [X.] - Rn. 17).

bb) Bei dem in der Berufungsbegründung gehaltenen Vorbringen handelte es sich um neue Verteidigungsmittel der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat - allerdings ohne einen vorherigen Hinweis und entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO - deren Vorbringen zu krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und zur Betriebsratsanhörung nicht berücksichtigt, weil dieses nur aus Anlagen ersichtlich, nicht aber schriftsätzlich aufbereitet worden sei. Dieses hat die Beklagte - wovon auch das [X.] ausgeht - in der Berufungsbegründung nachgeholt.

cc) Der Tatsachenvortrag in der Berufungsbegründung war grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Das Arbeitsgericht hat ihn weder förmlich zurückgewiesen (§ 67 Abs. 1 ArbGG) noch ist er entgegen einer nach § 61a Abs. 3 ArbGG gesetzten Frist nicht vorgebracht worden (§ 67 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat der Beklagten in seinem Auflagenbeschluss ua. nur aufgegeben, „die Kündigungsgründe im Einzelnen darzulegen und unter Beweis zu stellen“. Dies genügt nicht den Anforderungen, die nach der vorgenannten Vorschrift für eine Auflage zur Darlegung der Kündigungsgründe gelten („hinreichend konkret“, vgl. [X.] 25. März 2004 - 2 [X.] 380/03 - zu [X.] 1 c ee der Gründe).

dd) Die Beklagte musste die Entscheidungserheblichkeit ihrer Ausführungen nicht gesondert aufzeigen. Zwar hat sie das neue Vorbringen in der Berufungsbegründung nicht als solches kenntlich gemacht. Auch hat sie nicht explizit dargetan, warum die erstinstanzliche Entscheidung aufgrund eines neuen Vorbringens im Ergebnis keinen Bestand haben könne. Solche Darlegungen waren jedoch ausnahmsweise entbehrlich, weil sich die neuen Verteidigungsmittel und deren Entscheidungserheblichkeit unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und der Berufungsbegründung ergeben. Es war nach deren Lektüre offenkundig, dass die Beklagte die vom Arbeitsgericht vermisste schriftsätzliche Aufbereitung der Kündigungsgründe und der Betriebsratsanhörung nunmehr nachholen wollte. Gesondert ausführen musste sie dies nicht.

4. Im Hinblick auf die weiteren Streitgegenstände (Zwischenzeugnis und Weiterbeschäftigungsanspruch) bedurfte es im Streitfall keiner eigenständigen und den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügenden Berufungsbegründung. Besondere Ausführungen waren nicht erforderlich, weil die Anträge auf Erteilung eines qualifizierten [X.] sowie vorläufige Weiterbeschäftigung von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag abhängen (vgl. [X.] 25. Mai 2016 - 2 [X.] 345/15 - Rn. 17, [X.]E 155, 181).

II. Der Senat kann nach den bisherigen Feststellungen weder über den Kündigungsschutzantrag noch die weiteren Streitgegenstände entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz. Von Hinweisen sieht der Senat ab.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    [X.]    

                 

Meta

2 AZR 574/18

21.05.2019

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Iserlohn, 9. Mai 2018, Az: 1 Ca 194/18, Urteil

§ 61a Abs 3 ArbGG, § 64 Abs 6 S 1 ArbGG, § 67 ArbGG, § 520 Abs 3 ZPO, § 529 Abs 1 ZPO, § 531 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.05.2019, Az. 2 AZR 574/18 (REWIS RS 2019, 7090)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 1528 REWIS RS 2019, 7090


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 AZR 574/18

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 574/18, 21.05.2019.


Az. 8 AZR 488/19

Bundesarbeitsgericht, 8 AZR 488/19, 21.01.2021.


Az. 1 Ca 194/18

Arbeitsgericht Iserlohn, 1 Ca 194/18, 09.05.2018.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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