Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.01.2025, Az. 18 W (pat) 55/23

18. Senat | REWIS RS 2025, 2582

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Leitsatz

Verfahren zur Stenoseerkennung

Ein Verfahren zur automatischen Stenoseerkennung aus Bildern einer medizinischen Bildsequenz ist als Diagnostizierverfahren vom Patentschutz ausgenommen. Dies gilt auch, wenn die Durchführung des bildgebenden Verfahrens am menschlichen oder tierischem Körper nicht beansprucht wird, da dieser Schritt eine zwingende Voraussetzung für das beanspruchte Verfahren ist.

Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundespatentgerichts:
Rechtsbeschwerde zugelassen und eingelegt: X ZB 5/25 -

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2022 201 347.6

hat der 18. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.]auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. [X.]sowie die Richter Veit, [X.]und der Richterin kraft Auftrags Dipl.-Phys. [X.]beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die am 9. Februar 2022 beim [X.]eingereichte Patentanmeldung 10 2022 201 347.6 trägt die Bezeichnung

2

"Verfahren und System zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer Bildsequenz".

3

Die Prüfungsstelle für Klasse A61B hat mit Beschluss vom 27. September 2023 ein Patent auf Grundlage des [X.]erteilt und den Hauptantrag aus Gründen des Bescheids vom 31. Juli 2023 zurückgewiesen. Im genannten Bescheid führt die Prüfungsstelle aus, dass der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 2 aufgrund des [X.]nicht patentfähig sei. Dies betreffe dann auch alle weiteren abhängigen Patentansprüche, welche sich auf den Patentanspruch 2 rückbeziehen. Der Hilfsantrag, in dem die strittigen Merkmale des Patentanspruch 2 gestrichen wurden, führte zur Patenterteilung.

4

Bezüglich der Patentfähigkeit wurde auf folgende Druckschriften verwiesen:

5

E1 [X.]2016 / 0 235 388 A1

6

E2 [X.]2014 / 0 301 618 A1

7

E3 GHARBI, Hana; BAHROUN, Sahbi; ZAGROUBA, Ezzeddine. Key frame extraction for video summarization using local description and repeatability graph clustering. Signal, Image and Video Processing, 2019, 13. Jg., Nr. 3, S. 507-515.

8

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

9

Der [X.]stellte den Antrag gemäß Schriftsatz vom 14. Januar 2025:

Den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts, Prüfungsstelle für Klasse A 61 B, vom 27. September 2023 aufzuheben und das Patent mit der Bezeichnung "Verfahren und System zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer Bildsequenz” zu erteilen auf Grundlage folgender Unterlagen:

a) Ansprüche 1 bis 17 gemäß Schriftsatz vom 28. August 2023, eingegangen beim [X.]am 29. August 2023;

b) Beschreibung: Seiten 1 bis 34, eingegangen im [X.]am 18. Januar 2023;

c) Zeichnungen: Figuren 1 bis 4, eingegangen im [X.]am 9. Februar 2022.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

1. Verfahren zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer [X.](S, S‘) aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Frames (F0, F, F1, F2, F3), das Verfahren umfassend die Schritte:

- Ermittlung von [X.](K) in Form von zusammenhängenden Bildbereichen in den einzelnen Frames (F0, F, F1, F2, F3) für einen vorgegebenen Befund,

für eine Anzahl der [X.](K):

- Ermittlung für einen [X.](K) in einem Frame (F) welche [X.](B) in anderen Frames (F0, F1, F2, F3) dem [X.](K) entsprechen,

- Ermittlung, ob die [X.](B) des [X.](K) in den anderen Frames (F0, F1, F2, F3) mit anderen [X.](K) überlappen,

- Erzeugung eines Graphen (G) mit den ermittelten [X.](K) der Frames (F0, F, F1, F2, F3) als Knoten (N) und den ermittelten Überlappungen als Kanten (E),

- Erzeugung von Gemeinschaften (C, C‘) aus mittels Kanten (E) verbundener Knoten (N), wobei Knoten (N) zu einer Gemeinschaft (C, C‘) zusammengefasst werden.

Der abhängige Patentanspruch 2 gemäß Hauptantrag lautet:

2. Verfahren nach Anspruch 1, wobei die Gemeinschaften (C, C‘) ausgegeben werden oder für weitere Untersuchungen verwendet werden, bevorzugt im Rahmen einer Röntgen-Angiographie-Untersuchung, insbesondere für eine automatische Stenoseerkennung oder Stenosebewertung, eine quantitative Coronare Angiographie oder eine Lumensegmentierung.

Wegen des Wortlauts der nebengeordneten Patentansprüche 12, 15, 16 und 17, welche auf ein System zur automatischen Bestimmung von Untersuchungsergebnissen, ein medizintechnisches System, ein Computerporgrammprodukt und ein computerlesbares Medium gerichtet sind, sowie der abhängigen Ansprüche 2 bis 11, 13 und 14 wird auf die Akte verwiesen.

Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der Patentanspruch 2 gemäß Hauptantrag nicht dem Patentierungsausschluss unterliege und patentfähig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verfahren des Patentanspruchs 2 gemäß Hauptantrag betrifft ein Diagnostizierverfahren, das unter das [X.]des § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG fällt.

1. Die vorliegende Anmeldung betrifft ein Verfahren und ein System zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer Bildsequenz, insbesondere in einer Angiographie-Sequenz. Unter anderem wird eine graphenbasierte Aggregation von Befunden in der Angiographie für eine temporale Konsistenz erstellt (vgl. [X.](OS), Abs. [0001] und Ansprüche).

Koronare Angiographie-Untersuchungen bestehen aus mehreren Einzelbilder, die das Herz zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Frames) und aus unterschiedlichen Winkeln zeigen. Typischerweise erfolgt die Auswertung der [X.]durch medizinische Experten, die mit ihrer Erfahrung die besten Frames für die Befundung auswählen. Zu den Befunden zählen Läsionen, Stenosen, [X.]und andere Anomalien. Auch wenn in letzter [X.]einige Veröffentlichungen zur Automatisierung erschienen sind, hat sich eine Automatisierung von solchen Untersuchungen noch nicht durchgesetzt (vgl. OS, Abs. [0004] - [0007]).

2. Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren und ein entsprechendes System zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer [X.]anzugeben, mit dem die aus dem Stand der Technik bekannten Nachteile vermieden werden und insbesondere medizinische Bildsequenzen automatisiert untersucht werden können (vgl. OS, Abs. [0008]).

3. Die Aufgabe wird unter anderem gelöst durch ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1, insbesondere i.V.m. dem abhängigen Patentanspruch 2.

Der seitens des Senats mit einer Merkmalsgliederung versehene Anspruch 1 lautet wie folgt:

M1.1 Verfahren zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer [X.](S, S‘) aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Frames (F0, F, F1, F2, F3), das Verfahren umfassend die Schritte:

M1.2 - Ermittlung von [X.](K) in Form von zusammenhängenden Bildbereichen in den einzelnen Frames (F0, F, F1, F2, F3) für einen vorgegebenen Befund,

für eine Anzahl der [X.](K):

M1.3 - Ermittlung für einen [X.](K) in einem Frame (F) welche [X.](B) in anderen Frames (F0, F1, F2, F3) dem [X.](K) entsprechen,

M1.4 - Ermittlung, ob die [X.](B) des [X.](K) in den anderen Frames (F0, F1, F2, F3) mit anderen [X.](K) überlappen,

M1.5 - Erzeugung eines Graphen (G) mit den ermittelten [X.](K) der Frames (F0, F, F1, F2, F3) als Knoten (N) und den ermittelten Überlappungen als Kanten (E),

M1.6 - Erzeugung von Gemeinschaften (C, C‘) aus mittels Kanten (E) verbundener Knoten (N), wobei Knoten (N) zu einer Gemeinschaft (C, C‘) zusammengefasst werden.

Hierauf bezieht sich der mit Merkmalsgliederung versehene Anspruch 2:

M2.1 Verfahren nach Anspruch 1,

M2.1 wobei die Gemeinschaften (C, C‘) ausgegeben werden oder für weitere Untersuchungen verwendet werden,

[X.]bevorzugt im Rahmen einer Röntgen-Angiographie-Untersuchung,

M2.4 insbesondere für eine automatische Stenoseerkennung oder Stenosebewertung, eine quantitative Coronare Angiographie oder eine Lumensegmentierung.

4. Als Fachmann ist hier ein Informatiker oder Physiker mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Auswerteverfahren von [X.]anzusehen, der für die automatische Stenoseerkennung und -bewertung eng mit einem Radiologen zusammenarbeitet.

5. Der Fachmann legt den Merkmalen der Patentansprüche 1 und 2 folgendes Verständnis zugrunde:

Beansprucht wird ein Verfahren zur automatisierten Bestimmung von Untersuchungsergebnissen in einer [X.]S aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Frames, wobei ein Frame [X.]ein Einzelbild einer bevorzugt medizinischen [X.]ist. Diese [X.]zeigt stets dasselbe Motiv bzw. Szene, wobei Unterschiede beispielsweise durch die Herzbewegung entstehen können. Bevorzugt handelt es sich um 2D-Bilder (Röntgenbilder, Ultraschallbilder), jedoch kann das Verfahren auch mit 3D-Bildern (rekonstruierte [X.]oder MRT-Aufnahmen) durchgeführt werden (vgl. OS, Abs. [0010]).

Abbildung

Im Schritt I der Figur 1 erfolgt die Auswertung der einzelnen Frames. Für einen vorgegebenen Befund werden diesen repräsentierende Bildbereiche beispielsweise mittels eines für den vorgegebenen Befund trainierten neuronalen Netzwerks ermittelt (vgl. OS, Abs. [0072,0093]). Die erhaltenen Merkmalskarten M, auf denen Pixel mit hoher Befund-Wahrscheinlichkeit größere Werte aufweisen, durchlaufen eine Grenzwertfilterung und eine Connected-Component-Analyse, so dass als [X.]K zusammenhängende Bildbereiche P ermittelt werden (M1.2). Als Ergebnis ergibt sich eine Anzahl von [X.]in verschiedenen Frames.

Die [X.]sind Repräsentanten von medizinischen Befunden (Pathologien), wie eine Gefäßwandunregelmäßigkeit, insbesondere eine Stenose. Es können auch anatomische Merkmale (z.B. [X.]in Gefäßen) sein (vgl. OS, Abs. [0034]).

Die nachfolgenden Schritte II bis [X.]basieren auf der Graphentheorie. Für jeden ermittelten [X.]in dem Frame [X.]werden zunächst beispielweise unter Berücksichtigung eines Deformationsfelds die [X.]B in den anderen Frames (z.B. F1), welche dem [X.]entsprechen, ermittelt (Schritt II, M1.3). Dann erfolgt die Ermittlung, ob die [X.]B in den anderen Frames mit deren [X.]K überlappen (Schritt III, M1.4). Anschließend wird ein Graph G erzeugt, welcher die ermittelten zusammengehörigen [X.]als Knoten N und die ermittelten Überlappungen als Kanten E ausweist (Schritt IV, M1.5). Der letzte Schritt des graphenbasierten Verfahrens betrifft die Erzeugung von Gemeinschaften [X.]aus mittels Kanten verbundener Knoten (Schritt V, M1.6). Hierbei werden Knoten, welche nur eine einzige Überlappung zu einem [X.]eines weiteren Frames aufweisen, nicht in die Gemeinschaft [X.]aufgenommen.

In den weiteren Verfahrensschritten gemäß Anspruch 2 werden diese Gemeinschaften [X.]dann entweder beispielsweise in Form eines Schlüssel-Frames KF, welcher den Befund schnell erkennen lässt, ausgegeben. Alternativ können die Gemeinschaften auch für weitere Untersuchungen (der Gemeinschaften) durch eine [X.]verwendet werden (M2.2, vgl. OS, Abs. [0027]). Diese Untersuchungen im Rahmen einer Röntgen-Angiographie-Untersuchung (M2.3) können neben der Lumensegmentierung, welche eine physikalische Größe des Blutgefäßes ermittelt, auch eine automatische Stenoseerkennung oder Stenosebewertung und eine quantitative Coronare Angiographie betreffen (M2.4, vgl. OS, Abs. [0029]).

6. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist patentfähig (§§ 3 und 4 PatG).

In dem Tracking-Verfahren der D1 wird aus einer [X.]aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Frames (vgl. Abs. [0007]: [X.]… 2D fluoroscopy images from an X-Ray imaging device) die räumliche Veränderung eines Blutgefäßes bestimmt (vgl. Abs. [0007]: method for tracking vessels, M1.1). Hierzu werden [X.]in Form von zusammenhängenden Bildbereichen aus den Frames ermittelt (vgl. Abs. [0007]: a set of tracking points are determined M1.2), wobei für einen [X.]in einem Frame, die entsprechenden [X.]in den anderen Frames ermittelt werden (vgl. Abs. [0007]: For each respective image frame, a set of tracking points are determined according to a tracking algorithm comprising selecting landmark hypothesis points for each tracking target in the respective frame based on a comparison with a previous image frame M1.3). Anschließend wird ermittelt, ob sich die Bildbereiche überlappen (vgl. Abs. [0008]: by performing a similarity matching process with the previous image frame. Techniques such as scoring may be applied to the graph for the purposes of determining similarity. This unary score may be based on, for example, one or more of local intensity similarity, Frangi vesselness response, and a location constraint . M1.4). Schließlich wird ein Graph erzeugt, wobei jedoch die Knoten unterschiedlichen [X.]entsprechen (vgl. Abs. [0009]: A graph (e.g., a directed acyclic graph) is constructed where each node of the graph corresponds to the one or more landmark hypothesis points. [0042]: FIG. 5 provides an example of the construction of a directed acyclic graph for use in finding the optimal vessel landmarks on a frame f , M1.5 ohne Überlappungen als Kanten ).

Ausgehend von dem Tracking-Verfahren der D1 hat der Fachmann nicht die Veranlassung, einen Graphen mit Knoten der [X.]des einen [X.]in den unterschiedlichen Frames und der ermittelten Überlappungen als Kanten zu erzeugen (M1.5). Zudem fehlt die Erzeugung von Gemeinschaften aus diesen Graphen (M1.6).

Aus der D2 ist ebenfalls ein Tracking-Verfahren bekannt, welches allerdings noch ferner abliegt. Hier dient die Bildung eines Graphs zur Erstellung eines Blutgefäßbaums in einem Frame und nicht für die Erzeugung von Gemeinschaften mit Knoten aus unterschiedlichen Frames.

Aus der D3 ist ein Bildauswahl-Verfahren zur automatischen Bestimmung von "Key Frames" in einer [X.]aus mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Frames bekannt (M1.1 ohne Untersuchungsergebnisse ). Hierfür werden interessante Punkte ermittelt, wobei der Fachmann hierbei einen zusammenhängenden Bildbereich mitliest (M1.2 ohne Befund/vorgegebenen Befund ). Weiterhin werden die interessanten Punkte ermittelt, welche denen in den anderen Frames entsprechen (vgl. Abs. 3.2, Formel (1); [X.](rotation, viewpoint, luminance…), [X.][29]. [X.](n1, n2) represents the number of interest points detected, respectively, in both images. M1.3). Statt der Überlappung wird die Ähnlichkeit zwischen den Frames ermittelt (Merkmal 1.4 ohne Überlappung ). Es wird ein Graph aus einzelnen Frames als Knoten und der Ähnlichkeiten als Kanten erstellt (vgl. Fig. 2, Abs. 3.2: let a graph [X.](V, E) consisting of N =|V| vertices and m =|E| edges. In our context, we represent frames by vertices ‘V’ and we connect each vertex i with all vertices corresponding to the frames coming after in a chronological order i + 1,…, N. Each edge connecting two vertices is weighted by W i,j where W i,j corresponds to the repeatability value between frames i and j. By this way, W i,j is assimilated to the edge weight which can correspond to the similarity between edges. M1.5 ohne Überlappung ). Anschließend werden Gemeinschaften aus den mittels Kanten verbundenen Knoten erzeugt (vgl. Abs. 3.3: [X.]via approaching modularity is to keep intra-cluster edges and eliminate the inter-cluster ones. [X.]in [X.]weights.).

Nicht bekannt aus der D3 ist die Anwendung des Extraktionsverfahrens auf (medizinische) Untersuchungsergebnisse mit Befund-Kandidaten (M1.1, [X.]- M1.5) sowie die räumliche Überlappung der [X.]als Ähnlichkeitskriterium (M1.4). Auch hier fehlt es dem Fachmann an einer Veranlassung, dieses Verfahren auf medizinische Bildsequenzen und [X.]anzuwenden.

Zusammenfassend ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Die Erfindung ist jedoch nach § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen. Sie betrifft ein Diagnostizierverfahren, das am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen wird.

Der Schutzzweck des Patentierverbotes ist es, die Krankheit des Menschen nicht zu kommerzialisieren und dem behandelnden Arzt die Freiheit der Untersuchungsmethoden zum Erkennen einer Krankheit zu erhalten (Benkard, PatG, 12. Aufl., § 2a Rn. 58). Dabei versteht man in der Medizin unter einer Diagnose die Zuordnung von Befunden oder Symptomen zu einem Krankheitsbegriff. Die Methoden der Diagnosefindung werden unter dem Begriff Diagnostik zusammengefasst und umfassen z. B. die Befragung des Patienten zur Anamneseerhebung (Krankengeschichte), einfache körperliche Untersuchungen durch den Arzt, Messungen am Körper des Patienten (z. B. Puls, Blutdruck, EKG), bildgebende Verfahren (z. B. Röntgen, CT) und Laboruntersuchungen (z. B. Blut, Gewebeuntersuchungen). Diagnostizierverfahren sind somit Verfahren am lebenden menschlichen oder tierischen Körper zu medizinischen Zwecken, die der Erkennung, Lokalisierung oder dem Ausschluss von pathologischen (krankhaften) Zuständen dienen und deren Ergebnisse eine Grundlage für die weitere Therapie sein können (siehe Schulte, PatG, 12. Aufl., § 2a Rn. 80). Eine eindeutige Diagnose kann gestellt werden, wenn die ermittelten Befunde oder Symptome für eine bestimmte Krankheit spezifisch sind. Viele Krankheiten sind jedoch lediglich durch unspezifische Symptome gekennzeichnet. Der behandelnde Arzt versucht dann durch weitere Untersuchungen die Zahl der möglichen Krankheiten einzuschränken (Ausschlussdiagnose). Die Auswertung der Befunde oder Symptome kann daher bei einer geringen Anzahl von Befunden oder bei unklaren Befunden auch nur zu einem sehr allgemeinen Krankheitsbild bzw. zu mehreren möglichen Diagnosen führen. Die Bandbreite der Zuordnung von Befunden zu einem Krankheitsbegriff reicht daher bei einer Diagnose von der Erkennung einer bestimmten Krankheit über den Ausschluss von Krankheiten bis zu der Erkenntnis, dass der Patient nicht gesund ist, ohne dass die Befunde einer bestimmten Krankheit zugeordnet werden können.

Hiervon ausgehend unterteilt die Rechtsprechung ein Diagnostizierverfahren in folgende Schritte:

1) Untersuchung mit Datenerhebung,

2) Vergleich dieser Daten mit Normwerten,

3) Feststellung einer Abweichung bei diesem Vergleich,

4) Deutung der Abweichung als krankhafter Zustand.

Die Untersuchung nach Schritt 1) wird am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen. Die Schritte 2) bis 4) werden dagegen regelmäßig nicht am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen. Soweit im Sinne einer restriktiven Auslegung des Patentierungsverbotes angenommen wird, dass alle vier Verfahrensschritte am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden müssen, schließt sich der Senat dieser Auffassung nicht an (vgl. zum Streitstand: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 2a Rn. 52). Andernfalls wären letztlich alle technischen Verfahren, die über ärztliches Hören, Sehen, Riechen und Tasten hinausgehen, vom [X.]ausgenommen.

Eine Deutung als krankhafter Zustand gemäß Schritt 4) ist bereits gegeben, wenn die erhobenen Daten einen nicht normalen Zustand im Sinne von "nicht gesund" gegenüber den Normwerten darstellen (BPatG, GRUR 2008, 981 – Verfahren zur gesundheitlichen Orientierung).

a) Den Schritt 1) eines [X.]im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG (Untersuchung mit Datenerhebung am menschlichen oder tierischen Körper) verwirklicht die Erfindung in Anspruch 1 durch die beanspruchte Bildsequenz, die der Ermittlung von [X.]bzw. der Erzeugung von Graphen zugrundeliegt. Diese wird mittels bildgebender Verfahren (z.B. im Rahmen einer Angiographie, vgl. OS, Abs. [0002]) am menschlichen oder tierischen Körper erzeugt. Die Durchführung der Datenerhebung am menschlichen Körper selbst wird jedoch nicht beansprucht.

b) Der Vergleich der in Schritt 1) gewonnenen Daten mit Normwerten, der in Schritt 2) eines [X.]erfolgt, wird gemäß der Erfindung von einem neuronalen Netzwerk durchgeführt, das zuvor mit [X.]trainiert wurde (vgl. OS, Abs. [0093]). Dabei wird der Fachmann die [X.]ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass das Training mit "Stenose-Annotationen" sowohl Bilder von [X.]als auch von gesunden Blutgefäßen als Normwert umfasst.

c) Damit verwirklicht die beschwerdegegenständliche Erfindung auch Schritt 3) eines Diagnostizierverfahrens. Mit dem Vergleich der in Schritt 1) gewonnenen Daten mit Normwerten (Schritt 2) stellt das neuronale Netzwerk zugleich Abweichungen von der Norm fest, wenn diese vorliegen. Die ermittelten Unterschiede zwischen [X.]und Norm werden mittels einer Merkmalskarte M ausgegeben, welche Pixeln mit hoher Stenosewahrscheinlichkeit, also größerem Unterschied, höhere Werte zuordnet. Mittels eines Grenzwertvergleichs und einer Nachbarschaftsanalyse werden die [X.]aus den Merkmalskarten ermittelt (vgl. OS, Abs. [0093]). In Anspruch 3 wird dargelegt, dass ein [X.]bevorzugt den Fund einer Gefäßwandunregelmäßigkeit, insbesondere einer Stenose, oder den Befund einer Bifurkation repräsentiert.

d) Hieraus folgt auch, dass mit der Identifizierung eines von der Norm abweichenden [X.]als Zwischenschritt, eine Deutung als krankhafter Zustand einhergeht (Schritt 4). Gemäß Anspruch 2, dient das erfindungsgemäße Verfahren dem Erkennen und Bewerten von Stenosen. Dabei versteht man unter einer Stenose (bzw. einer Koronarstenose, nachdem vorliegend bevorzugt koronare Befunderhebungen angesprochen sind (vgl. OS, Abs. [0001]) die Verengung eines Herzkranzgefäßes, die in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) als Krankheit aufgelistet wird.

e) Die oben dargestellte Deutung eines Befundes als krankhafter Zustand mittels eines neuronalen Netzwerkes fällt unter das Patentierverbot nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG. Zwar wird der Schritt 4) des Diagnostizierverfahrens, also die Deutung einer aufgefundenen Abweichung von der Norm, üblicherweise von einem Arzt als rein geistige Tätigkeit durchgeführt. Die Bewertung als krankhafter Zustand wird jedoch zunehmend auch von automatisierten Systemen übernommen (BPatG, a. a. O.; EPA, GRUR Int, 2006, 514 – Diagnostizierverfahren, Ziffer 6.3.). Bei einfachen Diagnosen kann sich die deduktive medizinische Entscheidung, ob eine Abweichung von der Norm eine Krankheit ist, ohne Weiteres ergeben. Bei anderen Abweichungen von der Norm können Diagnosen auch durch die Erhebung verschiedener Messwerte und Daten durch adaptive Systeme mit medizinischen Wissensdatenbanken technisch realisiert werden.

f) Der Umstand, dass die Erfindung die Untersuchung des betreffenden Patienten selbst, also die Durchführung eines bildgebenden Verfahrens am menschlichen oder tierischen Körper, nicht umfasst, gibt zu keiner anderen Entscheidung Anlass. Denn die Erfindung setzt diesen Schritt denknotwendig voraus. Bei medizinischen Bildgebungsverfahren mittels Röntgenstrahlung, Ultraschall oder [X.]ist eine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper zwingend erforderlich und setzt zwangsläufig dessen Präsenz voraus. Die im Patentanspruch 1 beanspruchte [X.]ist somit in Wechselwirkung mit einem menschlichen oder tierischen Körper entstanden und eine zwingende Voraussetzung für das beanspruchte Verfahren. Zudem ist auch zu berücksichtigen, dass das Patentgesetz, anders als Art. 84 EPÜ, nicht fordert, alle wesentlichen Merkmale, die für die deutliche und vollständige Definition der Erfindung notwendig sind, in einen Patentanspruch aufzunehmen. Insofern besteht die Gefahr, dass das [X.]nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG schon durch Weglassen eines Merkmals, welches der Diagnose selbstverständlich und zwingend vorausgeht, umgangen werden könnte.

g) Auch der Beschluss des [X.]vom 31. August 2010, Az. X/[X.](BGH, GRUR 2010, 1081 – Bildunterstützung bei Katheternavigation), führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Dort hat der [X.]ein [X.]im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG verneint und ausgeführt, dass eine Sache oder Vorrichtung unabhängig von dem Zweck zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlich-körperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert wird. Entsprechendes gelte auch für in [X.]enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben ([X.]a. a. O., Rn. 11). Vorliegend ist bei sachgemäßer Auslegung der [X.]jedoch keine andere Verwendung der Erfindung als zur Feststellung krankhaft veränderter Gefäße erkennbar. Selbst wenn in Absatz [0001] ausgeführt wird, dass die Erfindung ein Verfahren betrifft, das insbesondere im medizinischen Bereich zur Anwendung kommen kann, verdeutlicht die Beschreibung im Übrigen, dass vorliegend tatsächlich nur der medizinische Bereich, insbesondere das Auffinden von Stenosen, betroffen ist. Weiterhin beschreibt Patentanspruch 3 - ohne formelhafte sprachliche Einschränkungen im Sinne von "vorzugsweise" oder "insbesondere" - ein Verfahren, das medizinische Befunde betrifft.

8. Die Rechtsbeschwerde war nach § 100 Abs. 2 Nr. 1 PatG zuzulassen. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren sind Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden. So ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob das [X.]nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG auch dann bejaht werden kann, wenn die Ansprüche die Datenerhebung am menschlichen oder tierischen Körper nicht mit umfassen, sondern lediglich denknotwendig voraussetzen. Weiterhin ist noch nicht mit vollständiger Rechtssicherheit geklärt, ob nur der erste oder alle vier Verfahrensschritte am menschlichen oder tierischen Körper durchzuführen sind. Gleiches gilt für die Erstellung von Diagnosen allein durch automatisierte Verfahren.

Meta

18 W (pat) 55/23

28.01.2025

Bundespatentgericht 18. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 28.01.2025, Az. 18 W (pat) 55/23 (REWIS RS 2025, 2582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2025, 2582

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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