Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.11.2004, Az. 4 StR 388/04

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 913

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[X.]/04

vom 4. November 2004 in der Strafsache gegen

wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 4. November 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Mai 2004 mit den Fest-stellungen, ausgenommen diejenigen zu den äußeren Tatgeschehen, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige [X.] des [X.]. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miß-brauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung ma-teriellen Rechts rügt, hat im wesentlichen Erfolg. Die [X.] hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB mit nicht tragfähiger Begründung verneint. - 3 - 1. Nach den Feststellungen besteht bei dem bislang nicht vorbestraften, unter Betreuung stehenden Angeklagten eine "100%ige geistige Behinderung", die wahrscheinlich auf eine frühkindliche Hirnschädigung zurückzuführen ist. Bei ihm liegt eine Intelligenzminderung vom Schweregrad der [X.] vor. Diese geht einher mit Verhaltensauffälligkeiten und einer generellen, massiven Entwicklungsverzögerung in "allen Dimensionen menschlichen Erlebens und Funktionierens". In seiner psychischen und [X.] Entwicklung hat der Ange-klagte "maximal das Niveau eines 5- bis 6-jährigen Kleinkindes" erreicht. Er kann weder lesen, noch schreiben oder rechnen. In der Erledigung alltäglicher Aktivitäten ist er deutlich eingeschränkt und verfügt über äußerst mangelhafte Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich. Er ist örtlich, zeitlich und zu seinem Lebenshintergrund nur unvollkommen orientiert. 2. Die [X.] ist dem Gutachten des Sachverständigen folgend davon ausgegangen, der Angeklagte sei aufgrund der festgestellten Intelli-genzminderung bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB nur vermin-dert in der Lage gewesen, das "Unrecht der Taten einzusehen oder nach die-ser Einsicht zu handeln"; ein Schuldausschluß im Sinne des § 20 StGB habe hingegen nicht vorgelegen ([X.]). Dieses Ergebnis begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken: a) Die Ausführungen zur Unrechtseinsicht beim Angeklagten sind in sich widersprüchlich und lassen zudem besorgen, daß sich die [X.] über die unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Vorliegen einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit nicht im klaren war. - 4 - Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von [X.], wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (BGHSt 21, 27, 28 f.; 34, 22, 25 ff.). Die Schuld des Angeklagten wird hingegen nicht gemindert, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das [X.] zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (vgl. BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6 m.w.[X.]). Erkannte er hingegen das Unrecht [X.] nicht, kann § 21 StGB nur angewendet werden, wenn dem Täter das Fehlen der Unrechtseinsicht vorzuwerfen ist. Kann ein solcher Vorwurf nicht erhoben werden, greift § 20 StGB ein mit der Folge, daß eine Bestrafung aus-scheidet (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2 m.w.[X.]). Die zuletzt genannte Möglichkeit hat die [X.] nicht rechtsfehler-frei ausgeschlossen. Zwar hat sie sich mit der Frage der Unrechtseinsicht des Angeklagten bei Begehung der Taten befaßt und Umstände angeführt, die [X.] sprechen könnten, daß sie vom Vorliegen einer Einsicht in das Unrecht sei-nes Verhaltens ausgegangen ist. Der Angeklagte habe gegenüber dem Sach-verständigen im Rahmen der Exploration zum Ausdruck gebracht, daß er er-kannt habe, "etwas Verbotenes zu tun". Hierfür spreche auch das zum Teil "planvolle" Vorgehen des Angeklagten, etwa die Wahl einer nicht einsehbaren Stelle zur Begehung der Tat. Diese Erwägungen sind jedoch - unabhängig da-von, daß der zuletzt genannte Umstand nicht auf eine Unrechtseinsicht [X.] braucht, sondern ebensogut mit einem dem Entwicklungsstand des [X.] entsprechenden schamhaften Verhalten erklärt werden kann - nicht in Einklang zu bringen mit der Wertung des Sachverständigen, die festgestellte Intelligenzminderung habe beim Angeklagten zur Annahme "einer fehlenden oder mangelnden" Unrechtseinsicht geführt ([X.]. Diese Wertung hat sich - 5 - das [X.] zu eigen gemacht. Den hierdurch entstandenen Widerspruch löst es nicht auf. Ob der Angeklagte bei Begehung der Taten Einsicht in das Unrecht sei-nes Verhaltens hatte oder ob diese Einsicht fehlte, ist deshalb für den Senat anhand der Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen. Mithin kann auch nicht über-prüft werden, ob die [X.] die Voraussetzungen des § 20 StGB im Er-gebnis zu Recht verneint hat, da es im Falle des Fehlens der Unrechtseinsicht auf der Hand liegt, daß dieser Mangel dem Angeklagten, dessen Entwicklungs-stand dem eines im Sinne des § 19 StGB schuldunfähigen Kindes entspricht, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. b) Auch die Annahme einer lediglich erheblich verminderten Steuerungs-fähigkeit ist nicht widerspruchsfrei begründet. Die [X.] hat sich insoweit ebenfalls die ihrerseits nicht wider-spruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen zu eigen gemacht. Dieser hat im Rahmen seines Gutachtens ausgeführt, daß der Angeklagte aufgrund seiner geringen [X.] Erkenntnisse und Ressourcen nicht in der Lage sei, seinen Sexualtrieb zu steuern ([X.], 11). Weshalb die [X.] - auch in-soweit dem Sachverständigen folgend - dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht aufgehoben, sondern nur erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewesen, erschließt sich dem Senat nicht. 3. Über die Sache ist deshalb erneut zu verhandeln und zu entscheiden. Einer Aufhebung der Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen bedarf es - 6 - nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Sollte der neue Tatrichter die Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststellen und erneut dessen Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anordnen, wird er sich mit der Frage zu befassen haben, ob gemäß § 67 b StGB eine Aussetzung der Vollstreckung der Anordnung zur Bewährung in Betracht kommt. Tepperwien Maatz Kuckein

Solin-Stojanovi

Sost-Scheible

Meta

4 StR 388/04

04.11.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.11.2004, Az. 4 StR 388/04 (REWIS RS 2004, 913)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 913

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Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Einsicht in das Unrecht der Tat trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit


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