Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2012, Az. V ZR 225/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5897

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V ZR
225/11
Verkündet am:

1. Juni 2012

Langendörfer-Kunz

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 16 Abs. 3
§ 16 Abs. 3
[X.] begründet nicht die Befugnis, einen Wohnungseigentümer, der nach einer bestehenden Vereinbarung von der Tragung bestimmter Kosten oder der Kostentragungspflicht insgesamt befreit ist, durch Beschluss erstmals an den Kosten zu beteiligen.
[X.], Urteil vom 1. Juni 2012 -
V [X.]/11 -
LG Berlin

AG [X.]

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2012 durch [X.] Dr.
Krüger, die Richterin Dr.
Stresemann, [X.]
Czub
und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der [X.] des [X.] vom 15. April 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückge-wiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind die Mitglieder einer [X.]. Das vierstöckige Gebäude hat einen unausgebauten Dachraum, der die [X.] 22 bildet. Nach der Teilungserklärung vom 5. Juni 1997 ist der jeweilige Eigentümer dieser Einheit befugt, das Dachgeschoss
zu Wohn-zwecken auszubauen und in Wohnungseigentum umzuwandeln, wobei er das Wohngeld und die sonstigen Kosten für die noch zu errichtenden Wohnungen erst ab dem in § 21 Ziff. 5 der Teilungserklärung genannten [X.]punkt zu tragen hat. Dort heißt es, dass für die [X.] bis zum Beginn der Bauarbeiten die [X.]
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räume bezüglich der gemeinschaftlichen Lasten und Kosten wie Gemein-schaftseigentum behandelt werden und der jeweilige Eigentümer erst nach [X.] oder nach Wohnungsbezug
an den gemeinschaftli-chen Lasten und Kosten im Verhältnis der übrigen Wohn-/Nutzflächen beteiligt wird.

In der Eigentümerversammlung vom 16. Juli 2007 beschlossen die Wohnungseigentümer unter [X.] 3, dass der jeweilige Eigentümer der [X.] künftig an den durch Wirtschaftsplan festgesetzten [X.] (für 2007: Gebäudeversicherung, Gebäudehaft-pflichtversicherung, Rechtskosten, laufende Instandhaltungskosten, Kontofüh-rungsgebühren, Instandhaltungsrücklage, sonstige Kosten) seinem Miteigen-tumsanteil entsprechend beteiligt wird. In der Folgezeit zahlte der jeweilige Ei-gentümer der Einheit 22 der Beschlussfassung entsprechend das Hausgeld.

Seit dem 18. Februar 2008 ist die Klägerin Eigentümerin der [X.]; sie beabsichtigte deren Ausbau bis Ende 2009. In der Eigen-tümerversammlung vom 6. Juni 2008 wurde mit ihrer Zustimmung unter [X.] 9 der Beschluss gefasst, dass die Zahlungspflicht für das monatliche Wohngeld für die [X.] 22 während der [X.] vom 1. Juni 2008 bis zum 31.
Dezember 2009 ausgesetzt wird und dass der Eigentümer dieser Einheit bzw. seine Nachfolger anerkennen, danach wieder zur Zahlung des [X.] gemäß Beschluss der Eigentümerversammlung vom 16. Juli 2007 ver-pflichtet zu sein. Zu einem Ausbau der Wohnungen kam es nicht.

Auf Antrag der Klägerin vom Februar 2010 hat das Amtsgericht die Nich-tigkeit der am 16. Juli 2007 zu [X.] 3 und am 6.
Juni 2008 zu [X.] 9 gefassten Beschlüsse festgestellt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist 2
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vor dem [X.] ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision wollen die Beklagten die Klageabweisung erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die angegriffenen Be-schlüsse wegen absoluter [X.] der [X.] nichtig. Die in der Teilungserklärung enthaltene Regelung über die Hausgeldbefreiung der Einheit 22 könne nicht durch Beschluss, son-dern nur im Wege einer Vereinbarung aller Wohnungseigentümer geändert werden. Eine [X.] folge nicht aus § 16 Abs. 3 [X.]. Diese Regelung ermögliche nur im Rahmen einer bereits bestehenden Kostentra-gungsverpflichtung die Wahl eines anderen Verteilungsmaßstabes, nicht aber die Begründung einer Kostenbeteiligungspflicht überhaupt. § 16 Abs. 4 [X.] greife ebenfalls nicht ein, da es hier nicht um die Kosten für eine Instandhaltung oder Instandsetzung in einem Einzelfall gehe. Schließlich führe auch der [X.], dass die jeweiligen Eigentümer der Einheit 22 zeitweise das Wohngeld gezahlt hätten, nicht zu einer Abänderung der in der Teilungserklärung enthal-tenen Kostenbefreiung.

II.

Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

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1. Ohne Erfolg
rügt die Revision, die Klage sei unzulässig.

a) Die Klägerin hat ihr Klagerecht nicht

wie die Beklagten meinen

ge-mäß § 242 BGB verwirkt, weil sie die Klage erst eineinhalb bzw. zweieinhalb Jahre nach den beanstandeten Beschlussfassungen erhoben hat. Zwar kann die Befugnis zur Anrufung der Gerichte im Einzelfall der Verwirkung unterliegen ([X.] 32, 305, 308 ff.). Der bloße [X.]ablauf genügt hierfür jedoch nicht. Hinzutreten müssen besondere Umstände, die eine Inanspruchnahme des [X.] als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. [X.], NJW 1972, 1025, 1026). Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Soweit die Beklagten die erfor-derlichen besonderen Umstände darin sehen, dass die jeweiligen Eigentümer der betroffenen [X.] über Monate hinweg der Beschlussfas-sung entsprechend Hausgeld entrichtet haben, wodurch etwaige Mängel der Beschlüsse geheilt worden seien, verkennen sie, dass dieser Einwand die Be-rechtigung des materiellen Klagebegehrens betrifft, nicht aber die Frage der Verwirkung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz.

b) Ein Rechtsschutzinteresse für die erhobene Nichtigkeitsfeststellungs-klage kann der Klägerin nicht deswegen abgesprochen werden, weil sie bei der Beschlussfassung im [X.] zugestimmt hat. Ein nichtiger Beschluss entfal-tet zwischen den Wohnungseigentümern keine Rechtswirkungen und kann nicht in Bestandskraft erwachsen. Die Nichtigkeit tritt von Anfang an ein, nicht erst durch Geltendmachung in einem gerichtlichen Verfahren; eine gerichtliche Entscheidung hat nur deklaratorische Bedeutung (Senat, Beschluss vom 18.
Mai 1989

[X.], [X.]Z 107, 168, 270). Besteht Streit über die Wirk-samkeit eines Eigentümerbeschlusses, steht das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage daher jedem Wohnungseigentümer zu. Für die 7
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Frage des [X.] ist es ohne Bedeutung, ob er für oder gegen den Beschluss gestimmt hat.

c) Schließlich stellt sich die Klage auch nicht deswegen als rechtsmiss-bräuchlich dar, weil sich die Klägerin anlässlich der Beschlussfassung im [X.] verpflichtet hatte, ihre vor dem [X.] erhobene Klage auf Rückzahlung des für die [X.] 22 gezahlten Wohngeldes für erledigt zu erklären. Dies mag für eine erneute Klage auf Rückzahlung von be-reits geleistetem Wohngeld von Bedeutung sein. Das Recht der Klägerin, die Gültigkeit der Beschlüsse über die zeitliche Vorverlegung der [X.] gerichtlich überprüfen zu lassen, wird hiervon jedoch nicht berührt.

2. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass der Beschluss vom 16.
Juli 2007 von der [X.] der Wohnungseigentümer gemäß
§
16 Abs. 3 [X.] nicht gedeckt und daher nichtig ist.

a) § 16 Abs. 3 [X.] eröffnet den Wohnungseigentümern bei den in der Vorschrift näher bezeichneten Betriebs-
und Verwaltungskosten die [X.], auch einen im Wege der Vereinbarung festgelegten Umlageschlüssel durch Mehrheitsbeschluss zu ändern (Senat, Urteil vom 9. Juli 2010

[X.], NJW 2010, 2654; Urteil vom 16. Juli 2010

[X.], NJW 2010, 3298). Die [X.] bezieht sich

anders als das Berufungsge-richt meint

nicht lediglich auf solche Kosten, die nach Verbrauch oder Verur-sachung erfasst werden können. Vielmehr
werden auch verbrauchs-
und verur-sachungsunabhängige Kosten erfasst
([X.] in [X.], [X.], 11. Aufl., §
16 Rn. 91; Jennißen in Jennißen, [X.], 2. Aufl., § 16 Rn. 35, [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. § 16 Rn. 74).

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Allerdings räumt § 16 Abs. 3 [X.] nur die Kompetenz
ein, im Rahmen einer dem Grunde nach bereits bestehenden Kostentragungsverpflichtung ei-nen anderen Verteilungsmaßstab zu wählen. Die Bestimmung begründet hin-gegen nicht die Befugnis, einen Wohnungseigentümer, der nach einer beste-henden Vereinbarung von der Tragung bestimmter Kosten oder der Kostentra-gungspflicht insgesamt befreit ist, durch Beschluss erstmals an den Kosten zu beteiligen ([X.], NJW-RR 2010, 811, 812; [X.]/[X.], [X.], § 16 [X.] Rn. 9; [X.], [X.] 2010, 289; a.A. [X.], NJW 2010, 3473, 3474; wohl auch [X.] in [X.], [X.], 11.
Aufl., §
16 Rn. 98). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Norm. Danach können die Wohnungs-ob sie eine verursachungs-
oder verbrauchsabhängige Abrechnung einführen auf § 16 Abs. 2 [X.], wonach die Wohnungseigentümer die Lasten und Kos-ten nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile tragen, knüpft die Norm an eine dem Grunde nach bestehende Kostentragungspflicht an und begründet lediglich die Möglichkeit zur Veränderung des Kostenverteilungsschlüssels. Die erstmalige Begründung einer Kostentragungspflicht unter Aufhebung einer [X.] Kostenbefreiung stellt jedoch keine Veränderung des [X.] dar, sondern eine Erweiterung des Kreises der [X.] und wird von der Regelung nicht erfasst. Dies wird auch durch die Geset-zesmaterialien bestätigt, wonach § 16 Abs. 3 [X.] eine [X.] für die Verteilung der dort genannten Kosten nach Verbrauch, Verursachung oder einem sonst geeigneten Maßstab statt wie bisher nach [X.] normiert (BT-Drucks. 16/887, S.11).

b) Gemessen daran kann die von der Eigentümergemeinschaft be-schlossene Beteiligung
der [X.] 22 an den verbrauchsunab-13
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hängigen Kosten keinen Bestand haben. Sie ist von der [X.] des § 16 Abs. 3 [X.] nicht gedeckt, da Gegenstand des Beschlusses nicht eine Änderung des Verteilungsschlüssels ist

dieser blieb unverändert ,
son-dern die Aufhebung der in der Teilungserklärung vereinbarten aufschiebend bedingten Kostenbefreiung für den Eigentümer der [X.] 22. Dies hat zur Folge, dass der Beschluss wegen absoluter Beschlussunzustän-digkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nichtig ist (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2000

[X.], [X.]Z 145, 158, 168).

c) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Nichtigkeit des [X.] nicht dadurch geheilt worden, dass die jeweiligen Eigentümer der betroffenen [X.] über mehrere Monate der Beschlussfassung entsprechend Hausgeld entrichtet haben. Es kann dahin gestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein wegen absoluter Beschlussunzustän-digkeit nichtiger Beschluss geheilt werden kann. Hierfür genügt jedenfalls nicht die bloße Umsetzung eines Beschlusses; sie vermag nicht nachträglich eine nach der Teilungserklärung nicht bestehende [X.] zu schaf-fen.

3. Ebenso ist der Beschluss vom 6. Juni 2008, in welchem die [X.] die beschlossene Hausgeldzahlungspflicht des Eigentümers der [X.] 22 nochmals bestätigten, wegen absoluter Be-schlussunzuständigkeit nichtig.

4. Ob die Beklagten gemäß
§ 10 Abs. 2 Satz 3 [X.] die Anpassung der Teilungserklärung verlangen können, ist vom Senat nicht zu entscheiden, da dies nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

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III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger

Stresemann

Czub

[X.]

Weinland

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 29.07.2010 -
10 [X.]/10 [X.] -

LG Berlin, Entscheidung vom 15.04.2011 -
85 S 355/10 [X.] -

18

Meta

V ZR 225/11

01.06.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2012, Az. V ZR 225/11 (REWIS RS 2012, 5897)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5897

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZR 225/11

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