Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2014, Az. XII ZB 138/13

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5792

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Gegenstand

Betreuungsverfahren: Beschwerdebefugnis naher Angehöriger gegen Ablehnung der Betreuerentlassung


Leitsatz

Die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG erstreckt sich auch auf eine betreuungsgerichtliche Entscheidung, mit der die Entlassung eines Betreuers nach § 1908b BGB abgelehnt worden ist (Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom 6. März 1996, XII ZB 7/96, BGHZ 132, 157 = FamRZ 1996, 607).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 6. Februar 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die Beteiligte zu 3 ist die Schwester der Betroffenen. Sie begehrt einen [X.] bei unverändert fortbestehender Betreuung.

2

Die Betroffene steht seit 1995 unter Betreuung. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde die Beteiligte zu 1 (eine langjährige Freundin der Familie) im Dezember 2010 als Betreuerin bestellt. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2011 hat die Beteiligte zu 3 beantragt, die bisherige Betreuerin zu entlassen und ihren Instanzanwalt als Betreuer zu bestellen.

3

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 21. Januar 2012 einen [X.] abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] mangels Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3 verworfen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 3 mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. [X.] hat eine Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3 im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint:

6

Nahe Angehörige eines Betreuten seien auch dann nicht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zur Beschwerde gegen die Ablehnung ihrer Anregung, den Betreuer nach § 1908 b Abs. 1 BGB zu entlassen, berechtigt, wenn sie formell am Verfahren beteiligt gewesen seien. § 303 Abs. 1 FamFG lege den Gegenstand der Beschwerdebefugnis der nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zusätzlich Beschwerdeberechtigten fest. Dabei seien die bislang in § 69 b Abs. 1 [X.] aufgeführten [X.] übernommen worden. Nach der Reform gelte daher nichts anderes als nach früherem Recht. Deshalb sei von den Regelungen in § 303 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FamFG wie nach früherem Recht lediglich der Fall erfasst, dass das Amtsgericht einen Betreuer von Amts wegen aus wichtigem Grund entlässt und bei der Neubestellung einen nahen Angehörigen nach § 1897 Abs. 5 BGB übergeht. Nur die tatsächlich erfolgte Entlassung eines Betreuers berechtige zur Beschwerde, nicht aber die Ablehnung der Entlassung selbst. Lediglich für den Fall der erstmaligen Betreuerbestellung stehe formell am Verfahren beteiligten nahen Angehörigen ein Beschwerderecht nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zu.

7

Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3 bestimme sich daher allein nach § 59 Abs. 1 FamFG. In eigenen Rechten sei die Beteiligte zu 3 jedoch durch den abgelehnten [X.] nicht betroffen.

8

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme des [X.], der Beteiligten zu 3 fehle im vorliegenden Fall die Beschwerdebefugnis, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

9

a) Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG steht unter anderem den Geschwistern des Betroffenen das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung im Interesse des Betroffenen zu, wenn sie im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt wurden. Eine ausdrückliche Beschränkung der Beschwerdebefugnis naher Angehöriger auf bestimmte Arten von betreuungsrechtlichen Entscheidungen ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Der enge systematische Zusammenhang der Regelung mit § 303 Abs. 1 FamFG, der die möglichen Verfahrensgegenstände von Entscheidungen bestimmt, in denen eine Beschwerdebefugnis der zuständigen Behörde gegeben ist, deutet jedoch darauf hin, dass sich die Beschwerdebefugnis des in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG genannten Personenkreises auch auf diese Verfahren bezieht (vgl. [X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 19; MünchKommFamFG/[X.] 2. Aufl. § 303 Rn. 4). Dafür spricht auch, dass die Beschwerdebefugnis der privilegierten Angehörigen nach § 303 Abs. 2 Nr. 2 FamFG von deren formeller Beteiligung im erstinstanzlichen Verfahren abhängig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 30. März 2011 - [X.] 692/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 9; [X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 26). Eine Beteiligung naher Angehöriger eines Betroffenen ist nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG nur in den betreuungsrechtlichen Verfahren möglich, in denen nach § 274 Abs. 3 Nr. 1 und 2 FamFG die Betreuungsbehörde auf ihren Antrag beteiligt werden muss. Dieser [X.] bewirkt, dass die Beschwerdeberechtigung naher Angehöriger in den betreuungsrechtlichen Verfahren besteht, auf die sich auch das Beteiligungsrecht der Betreuungsbehörde und deren Beschwerdeberechtigung erstreckt ([X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 19). Hierzu zählt das Verfahren über die Entlassung eines Betreuers bei fortbestehender Betreuung nach § 1908 b Abs. 1 BGB, weil es sich hierbei um ein Verfahren über den Bestand einer Betreuerbestellung nach § 274 Abs. 3 Nr. 2 FamFG handelt ([X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 274 Rn. 11; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 5. Aufl. § 274 FamFG Rn. 10; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 265). Folglich steht den in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG genannten Personen eine Beschwerdeberechtigung zu, wenn ein von ihnen angeregter [X.] vom Amtsgericht abgelehnt worden ist ([X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 19; [X.]/[X.] Betreuungsrecht 5. Aufl. § 303 FamFG Rn. 3; Prütting/[X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 303 Rn. 24).

b) [X.] ist daher die Annahme des [X.], dass mit der Neuregelung in § 303 Abs. 2 FamFG die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger gegenüber dem früheren Recht keine Veränderung erfahren habe und folglich nur dann bestehe, wenn das Betreuungsgericht einen Betreuer aus wichtigem Grund entlassen und einen nahen Angehörigen bei der Auswahl des neuen Betreuers nach § 1897 Abs. 5 BGB übergangen habe. Diese Auffassung entspricht zwar der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangenen Rechtsprechung des Senats zur Beschwerdebefugnis naher Angehöriger des Betreuten bei der Auswahl des Betreuers (Senatsbeschluss [X.], 157, 160 = FamRZ 1996, 607, 608). Diese Rechtsprechung beruhte jedoch maßgeblich auf der Erwägung, dass durch die Verweisung in § 69 i Abs. 8 [X.], der ausdrücklich die Bestellung eines neuen Betreuers nach § 1908 c BGB anführte, auf die Vorschrift über die Beschwerde in [X.] (§ 69 g Abs. 1 [X.]) ein Beschwerderecht naher Angehöriger nur begründet worden ist, wenn das Amtsgericht die Entlassung eines bestellten Betreuers ausgesprochen hat. § 1908 b BGB, der die Voraussetzungen einer Entlassung des Betreuers regelt, wurde in § 69 i Abs. 7 [X.] genannt, ohne dass dort ausdrücklich oder durch eine Verweisung die Beschwerdebefugnis geregelt wurde. Daraus hatte der Senat geschlossen, dass sich die Beschwerdeberechtigung gegen die Ablehnung einer Entlassung des Betreuers allein nach § 20 [X.] richtete (Senatsbeschluss [X.], 157, 160 = FamRZ 1996, 607, 608).

Diese Rechtsprechung kann nach der Neuregelung der Beschwerdeberechtigung naher Angehöriger in § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kreis der Entscheidungen, die Gegenstand einer Beschwerde des durch § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG privilegierten Personenkreises sein können, hat durch die Neuregelung in gleichem Umfang eine Erweiterung erfahren wie das Beteiligungs- und Beschwerderecht der Betreuungsbehörde durch die Regelungen in § 303 Abs. 1 FamFG und § 274 Abs. 3 FamFG ([X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 303 Rn. 19). Deshalb erstreckt sich die Beschwerdebefugnis naher Angehöriger nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG auch auf eine betreuungsgerichtliche Entscheidung, mit der die Entlassung eines Betreuers nach § 1908 b BGB abgelehnt worden ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 265).

3. Danach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen die Sache noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die Sache war deshalb an das [X.] zurückzuverweisen.

[X.]                      Günter

           Botur                              Guhling

Meta

XII ZB 138/13

07.05.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Mainz, 6. Februar 2013, Az: 8 T 14/13

§ 1908b Abs 1 BGB, § 303 Abs 2 Nr 1 FamFG, § 20 FGG, § 69g Abs 1 FGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2014, Az. XII ZB 138/13 (REWIS RS 2014, 5792)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5792

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