Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2017, Az. 2 StR 420/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11127

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Gegenstand

Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld


Tenor

1. Die Revisionen der Angeklagten [X.]und [X.]gegen das Urteil des [X.] vom 28. April 2015 werden verworfen, auch soweit sie sich gegen die Adhäsionsentscheidung richten.

2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hatte die Angeklagte S.  wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten und den Angeklagten [X.]wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Darüber hinaus hatte es die Angeklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 € nebst Zinsen, den Angeklagten    [X.]zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgelds in Höhe von 2.500 € nebst Zinsen an den Neben- und Adhäsionskläger    [X.]       verurteilt und ihre Verpflichtung ausgesprochen, den [X.] und Nebenkläger von Forderungen, die aus dem Schadensereignis erwachsen sind, freizustellen. Im Übrigen hatte es von einer Entscheidung über den weiteren Adhäsionsantrag abgesehen.

2

Mit Beschluss vom 27. April 2016 hat der Senat die Revisionen der Angeklagten verworfen, soweit sie sich gegen die Schuld- und Strafaussprüche richteten. Zugleich hat er die Entscheidung über die Revisionen gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffene Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick auf das mit Beschluss vom 14. April 2016 - 2 [X.] u.a. (NStZ-RR 2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim [X.] für Zivilsachen eingeleitete [X.] zur Frage der Bemessung eines Schmerzensgeldes zurückgestellt und sie einer abschließenden Entscheidung vorbehalten.

3

Nach der Entscheidung der Vereinigten [X.]e des [X.] vom 16. September 2016 - [X.] ([X.], 179), dem der Senat mit dem oben genannten Beschluss vom 14. April 2016 - 2 [X.] u.a. die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden dürfen und wenn ja, nach welchen Maßstäben, war nunmehr die gegen die Adhäsionsentscheidung gerichteten Revisionen der Angeklagten zu verwerfen.

I.

4

1. Die Vereinigten [X.]e des [X.] haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB a.F.) alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können ([X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], aaO).

5

Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des [X.] rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, [X.] Rspr., grundlegend [X.], Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - [X.], [X.]Z 18, 149, 154 ff.; [X.], VI. Zivilsenat, Urteile vom 13. Oktober 1992 - [X.], [X.]Z 120, 1, 4 f.; und vom 29. November 1994 - [X.], [X.]Z 128, 117, 120 f.).

6

Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht hinwegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.

7

Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet ([X.], Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - [X.], [X.]Z 18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom 16. Januar 1996 - [X.], [X.], 382).

8

Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers ([X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], aaO, Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer "armen" Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen "wirtschaftlichen Gefälle" sein ([X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], aaO, Rn. 57). Indem der (Tat-)Richter in einem ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, sodann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist ([X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], aaO, Rn. 56, 70).

9

2. Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung, in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und daraus ein dem Einzelfall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten ([X.], Beschluss vom 16. September 2016 - [X.], aaO, Rn. 72).

3. Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:

a) Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des [X.] regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein "besonderes Gepräge" geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

b) Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben. Hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des [X.] zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt haben kann.

II.

An diesen Maßstäben gemessen begegnet die Adhäsionsentscheidung des angefochtenen Urteils keinen Bedenken. Das [X.] hat sich ersichtlich an dem Ausmaß des von den Angeklagten verwirklichten Tatunrechts und den Folgen für das Opfer orientiert; die wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten und des Geschädigten hat es bei der Schmerzensgeldbemessung nicht berücksichtigt. Da sich in den Urteilsgründen zudem keine Anhaltspunkte dafür finden, dass etwa ein außergewöhnliches Gefälle zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von [X.] und Opfer und damit ein Fall vorliegt, in dem die wirtschaftliche Situation der Sache ein besonderes Gepräge gibt, war die Außerachtlassung der wirtschaftlichen Verhältnisse - entgegen bisheriger Rechtsprechung - nicht zu beanstanden.

Appl     

       

Krehl     

       

Eschelbach

       

Bartel     

       

Grube     

       

Meta

2 StR 420/15

11.05.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 16. September 2016, Az: VGS 1/16, Beschluss

§ 253 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.05.2017, Az. 2 StR 420/15 (REWIS RS 2017, 11127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11127

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 420/15

95 KLs 4/20

Zitiert

2 StR 137/14

Zitieren mit Quelle:
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