Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2015, Az. 2 StR 409/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 13459

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 409/14
vom
25. März 2015
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25. März 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Appl

als Vorsitzender,

die [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],
[X.],
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
der [X.] am Bundesgerichtshof
[X.],

Oberstaatsanwalt beim
Bundesgerichtshof

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerinnen

O.

,
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin

[X.]

,
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin

D.

,

Justizhauptsekretärin

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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-

I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17.
Februar 2014
1.
im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 119 Fällen, da-von
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in zwei Fällen in Tateinheit mit
versuchtem schweren se-xuellen Missbrauch von Kindern,
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in elf Fällen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Miss-brauch Widerstandsunfähiger und
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in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung des höchstper-sönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen,
des
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon
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in zwölf Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren se-xuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger,
-
in sieben Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchst-persönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen,
des [X.] in sieben Fällen und
des Besitzes kinderpornographischer Schriften
schuldig ist,

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2.
im Straf-
und Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
[X.] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.].
I[X.] Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 119 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, in elf Fällen in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger und in zwei Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebens-bereichs durch Bildaufnahmen, ferner wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger und in neun Fällen in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch [X.], außerdem wegen [X.] 1
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Schriften in sieben Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schrif-ten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und anschließender Unter-bringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt. Außerdem hat es ausgespro-chen, dass der Angeklagte allen Nebenklägerinnen jeweils ein Schmerzensgeld von 15.000 Euro nebst "5
% Zinsen über dem Basiszinssatz" zu zahlen hat, für die Nebenklägerinnen A.

und S.

O.

ab dem 29.
Januar 2014, für die Nebenklägerinnen

[X.]

und

Or.

ab dem 14.
Februar 2014. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die [X.] gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbe-gründet.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s leidet der Angeklagte an [X.] im Sinne einer Kernpädophilie. Seit Anfang der 1980er Jahre empfindet er sexuelles Interesse an Mädchen im vorpubertären Alter. Im [X.] 1980 kam es zu einem ersten sexuellen Übergriff auf die damals fünf oder sechs Jahre alte Schwester seiner Freundin. Es folgte eine Vielzahl sexu-eller Übergriffe auf Mädchen aus dem Umfeld des Angeklagten.
Im Zeitraum von 1994 bis 1996 beging der Angeklagte mehrfach sexuel-len Missbrauch der Nebenklägerin

D.

dadurch, dass er das Kind an der Scheide streichelte. Ab 1998 missbrauchte er die Nebenklägerin

Or.

, indem er das Kind an der Scheide streichelte, es dazu veranlasste, an seinem Glied zu reiben oder
versuchte, mit seinem Glied einzudringen. Ab 2003 beging er ähnliche Taten zum Nachteil der Nebenklägerin

[X.]

, wo-bei er in einem Teil der Fälle mit seinem Glied oder mit einem Finger in sie ein-drang und in einer Reihe von Fällen den Missbrauch beging, während sich das 2
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Kind schlafend stellte. Von 2007 bis 2013 missbrauchte der Angeklagte die Ne-benklägerin A.

O.

und von 2009 bis 2013 auch die Nebenklägerin S.

O.

. Einige der Vorfälle filmte er mit einer Kamera.
Vom 5. April 2011 bis zum 31.
Juli 2012 machte der Angeklagte [X.] Filmdateien über eine Internettauschbörse anderen
Internet-nutzern zugänglich. Weil der Angeklagte seinen Computer über ein bis zwei Wochen hinweg durchgängig laufen ließ, hat das [X.] sieben selbstän-dige Handlungen des [X.] angenommen.
Der Angeklagte verfügte zurzeit der Durchsuchung seiner Wohnung über mindestens 2.000 kinderpornographische Dateien.
[X.]
Die Revision
des Angeklagten
ist teilweise begründet.
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 24. Oktober 2014 genannten Gründen ohne Erfolg.
2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen den Schuldspruch richtet, führt sie nur zu einer geringfügigen Änderung des Schuldspruchs, weil das [X.] übersehen hat, dass § 201a StGB erst nach Begehung der Taten in den [X.] bis 61 in [X.] getreten ist. Insoweit muss die tateinheitli-che Verurteilung wegen dieses Tatbestands in diesen Fällen entfallen.
3. Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.
a) Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei [X.] der Taten gemäß §
21 StGB in seiner Unrechtseinsichts-
oder Steuerungs-fähigkeit erheblich beeinträchtigt war.
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Die Strafkammer hat sich bei ihrer Einschätzung auf den gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Dieser ist zunächst davon ausgegangen, eine schwere andere seelische Abartigkeit des Angeklagten sei nicht anzunehmen. Zu den Auswirkungen der festgestellten Pädophilie hat er später angemerkt, es sei nicht auszuschließen, dass die sexuelle Deviation das Ausmaß einer schwe-ren anderen seelischen Abartigkeit erreicht habe; jedoch sei nicht von einer [X.] Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auszugehen. Daraus hat das [X.] entnommen, selbst wenn man die Pädophilie "als schwere an-dere seelische Abartigkeit einstufe", habe diese "keine Auswirkungen auf die Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit" des Angeklagten gehabt.
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des [X.], das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach die-ser Einsicht zu handeln, bei der Begehung der jeweiligen Tat erheblich vermin-dert war, besteht in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
März 2013 -
4 [X.], [X.], 519, 520). [X.] ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der Eingangsmerkmale des §
20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der [X.] der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähig-keit des [X.]
zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Die anschließende Frage der Erheb-lichkeit der Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens ist eine Rechtsfrage, die das Tatgericht selbst zu beantworten hat, nicht der Sachverständige (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 1997 -
1 [X.], [X.]St 43, 66, 77; Urteil vom 21.
Januar 2004 -
1 [X.], [X.]St 49, 45,
53).
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Wird im Einzelfall eine schwere andere seelische Abartigkeit als [X.] im Sinne von §
20 StGB bejaht, so liegt wegen der damit festge-stellten Schwere der Abartigkeit auch eine erhebliche Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens gemäß § 21 StGB nahe (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Mai 1991 -
4 [X.], [X.]R StGB §
21 seelische Abartigkeit 20; [X.] vom 6. Mai 1997 -
1 StR 17/97, [X.]R StGB § 21 seelische Abartigkeit 31; [X.], StGB, 62. Aufl.,
§
21 Rn.
8). Dies hat das [X.] nicht be-dacht, als es die Frage
nach dem Vorliegen eines Eingangsmerkmals offen ge-lassen und die Frage der Erheblichkeit einer hieraus gegebenenfalls resultie-renden Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit verneint hat.
Der [X.] kann nicht ausschließen, dass bei ordnungsgemäßer Prüfung jedenfalls für einen Teil der abgeurteilten Taten eine erhebliche Beeinträchti-gung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten anzunehmen ist. Eine festge-stellte Pädophilie kann im Einzelfall die Annahme einer schweren anderen see-lischen Abartigkeit und einer hierdurch erheblich beeinträchtigten Steuerungs-fähigkeit rechtfertigen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhal-tensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zu-nehmende Frequenz der
devianten Handlungen, Ausbau des [X.] beim Vorgehen und gedankliche Einengung des [X.] auf diese Praktik aus-zeichnen (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Juli 2007 -
4 [X.], [X.], 337; Beschluss vom 20. Mai 2010 -
5 [X.]; NStZ-RR 2011, 170; Beschluss vom 6.
Juli 2010 -
4 [X.], [X.], 304, 305; [X.] vom 10.
September 2013 -
2 StR 321/13, NStZ-RR 2014, 8, 9). Inso-weit könnten entgegen der Auffassung des [X.]s eine gedankliche [X.] auf sexuelle Handlungen mit Kindern und eine [X.] der lange andauernden Fehlentwicklung festzustellen sein, die in den letzten Jahren, in denen der Angeklagte zur gleichen Zeit sexuelle Handlungen an mehreren sehr jungen Kindern vornahm und auch nicht mehr mit seiner Ehe-13
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frau sexuell verkehrte,
zum Vorliegen der Voraussetzungen des §
21 StGB ge-führt haben. Ob und in welchem zeitlichen Umfang dies der Fall ist, kann der [X.] anhand der Urteilsgründe nicht feststellen, weshalb er den Straf-ausspruch im Ganzen aufhebt.
b) Es ist nicht auszuschließen, dass der Rechtsfehler bei der Prüfung von §
21 StGB auch Auswirkungen auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat, die gemäß §
66 Abs.
2 StGB eine Ermessensentscheidung anhand aller wesentlichen Umstände des Einzel-falls erfordert. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls zu erwägen haben, ob der Angeklagte bei Eingreifen von §
21 StGB gemäß §
63 StGB in einem psy-chiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Mai 2010 -
5 [X.]; NStZ-RR 2011, 170).
4. [X.] bleibt von der Aufhebung des strafrechtlichen Rechtsfolgenausspruchs unberührt. Über seine Aufhebung ist vom neuen Tatrichter auf der Grundlage der Ergebnisse der neuen [X.] zu entscheiden (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
Dezember 2014
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StR 78/14, [X.], 292, 293).
Der [X.] weist darauf hin, dass er mit Beschluss vom 8.
Oktober 2014 -
2 StR 137/14 und 2 StR 337/14 ([X.] 2015, 203 ff.) bei den anderen [X.] und bei dem Großen [X.] des Bundegerichtshofs für Zivilsachen gemäß §
132 [X.] angefragt hat, ob an Rechtsprechung festgehalten wird, die bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Berücksichtigung der Vermö-15
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gensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem fordert.
Der [X.] beab-sichtigt, diese Rechtsprechung, von der das [X.] ausgegangen ist, auf-zugeben. Nach seiner Ansicht kommt es auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse von Täter und Opfer für die Bemessung des Schmerzensgeldes nicht an.
Ri[X.] Dr. Appl ist

[X.] Eschelbach

an der Beifügung seiner
Unterschrift gehindert.

[X.]

[X.]
Ri[X.] [X.] ist an der

Beifügung seiner Unter-

schrift gehindert.

[X.]

Meta

2 StR 409/14

25.03.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2015, Az. 2 StR 409/14 (REWIS RS 2015, 13459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13459

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